Und so begab sich, dass der Führer einer Novadi-Sippe sich ergeben musste und voll demut nach Fasar kam. Er nahm eine Handvoll Shadif mit, edelste Rösser aus der Zucht seiner Sippe. Die Tiere sollten Malik Bey, dem dort lebenden Sultan, zum Geschenk gemacht werden.
Eines der Tiere, ein noch junges Fohlen, dessen Fell so makellos und schwarz wie die finsterste Nacht war, war nicht erfreut über die Fessel, die es tragen musste. Es war ein rebellisches Tier, welches außer seiner Mutter niemanden an sich heran ließ. Bis zu diesem Tage wurde das Verhalten des Fohlens geduldet, doch nun, da es vor den Erhabenen geführt wurde und bockte, wurde es mit Schlägen gezüchtigt.
Das Tier war nicht erfreut über die Gewalt und so bäumte es sich auf und entriss sich seinen Peinigern. Berichte behaupten, der Mann wurde dabei getötet. Es geschah so schnell, so unerwartet, dass das Fohlen im Galopp aus der Zeltstadt floh. Eine wilde Jagd durch Fasar konnte das Tier nicht ermüden und mit Tricks gelang es ihm immer wieder, seine Verfolger abzuhängen.
Schließlich fand das Fohlen einen Weg in das Djer Khalil, wo die Ferkinas lebten. Sie bemerkten das wildgewordene Tier und wollten es einfangen. Um es zu einem ihrer Reittiere zu machen. Doch keines der Krieger, so stark und geschickt sie auch waren, vermochte das wendige und flinke Tier einzufangen. Gerade, als sie Ideen sponen, es gewaltsam einzufangen, mischte sich ein junges Mädchen ein.
Sie mochte 15 Sommer gesehen haben. Wild und dreckig war ihr äußeres. Kaputt und abgenutzt ihre Kleidung. Erst vor wenigen Monden hatte sie sich den Ferkinas angeschlossen, um unter ihnen Schutz vor der Stadt zu finden. Schnell hatte sie das Herz der Krieger erobert, denn sie kämpfte mit Säbel und Zunge. Sie trug ihr Herz am rechten Fleck. Sie predigte den Männern, dass Rascha Uschtammar es nicht gerne sehen würde, wenn einem so edlem Tier Leid widerfuhr.
In einem Moment der Unaufmerksamkeit floh das Tier und das Mädchen mit dem Namen Ischar machte sich ohne die Hilfe der Fernikas auf die Suche.
Als Ischar das erschöpfte Tier fand, wie es gierig Wasser trank, wollte das Fohlen sie beinahe angreifen. Denn es hielt auch sie für einen Feind. Allerdings fehlte es ihm an Kraft und so beobachtete er sie nur mit funkelnden Augen. Ischar war faziniert von der Schönheit des Pferdes und von der Stärke, die es an den Tag legte. Es war ein kleiner Rebell, wie sie einer war.
So stand sie eine Weile nur dort um es zu beobachten. Das glänzende Fell, die weiche Mähne, die lebendigen Augen. Einer Eingebung nahm sie eine Flasche Rosenöl aus einer alten, ausgeleiherten Tasche heraus. Es war das letzte gewesen, was sie von ihrer Mutter bekommen hatte, ehe sie den Tempel verließ. Mutter hatte sie nie um etwas gebeten, nur darum diese Flasche immer bei sich zu tragen.
Ischar öffnete die Flasche und ein bekannter, lieblicher Duft stieg ihr entgegen. Augenblicklich fühlte sie sich an die Zeit im Tempel erinnert. Erinnerungen, die sie über Jahre verdrängt hatte. Ein paar Tropfen des Öles ließ sie in ihre Hand fallen.
Das Tier war aufmerksam geworden und schnüffelte. Immer noch misstrauisch, streckte es den Hals. Ischar hielt ihre Hand dem Fohlen entgegen, verhielt sich aber ruhig. Neugierig geworden, kam das Tier näher. Das Mädchen schloss die Augen und ging in Gedanken die Wortfetzen durch, die sie eine Geweihte mal sagen hörte. >>Liebliche Sulef, leidenschaftlicher Taref, edle Himmelsrösser, die Ihr der Göttin... der Roten Schwester... stets mit eurer... Anmut erfreut...<<
Ischar stockte. Es war schwer, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. Sie war ein kleines Kind gewesen, wo sie eine Geweihte dabei beobachtet hat, wie sie ein wildes Pferd besänftigt hatte. Doch wie hatte ihre Mutter immer gesagt? Es kam nicht auf die Worte an, die man sprach, sondern auf die Leidenschaft im Herzen. So atmete die Kleine tief ein.
>>Ich bitte Euch, schenkt mir Einsicht, Und lasst dieses edle Tier Zutrauen fassen. Kein Leid soll ihn von meiner Hand geschehen, Nur Treue und Liebe soll es erfahren.<<
Etwas in dem Fohlen gab ihn einen Ruck. Es kam näher und ließ sich von dem Mädchen streicheln. Sein Fell war weich, aber verschwitzt und Ischar vermochte plötzlich mehr zu sehen als nur das Tier vorher. Ein Wimpernschlag lang, welcher ihr wie Stunden vorkam, vermochte sie in die Seele des stolzen, freiheitsliebenden Wesens blicken.
>>Keine Fesseln werden jemals wieder auf dir liegen<<, hauchte sie mit einem Kuss auf den Scheitel des Tieres.
Und so führte sie es aus dem Lager der Ferkinas. Respektvoll hielten die Krieger Abstand, denn noch nie haben sie gesehen, wie friedlich so ein wildgewordenes Pferd mit einem Male geworden ist. Ischar führte das Tier zurück in die Zeltstadt zu Malik Bey, denn dort gehörte es hin.
Ganz ohne Zügel, ohne Fessel folgte es dem Kind ganz zahm. Die Novadi, welche kaum Respekt vor Frauen hatten, weigerten sich, sie zu dem Erhabenen vorzulassen. Doch das Kind stellte sich als Ischar saba Reshalia ai Djer Khalil vor und wolle als Tochter der Erhabenen Malik Bey sein Eigentum zurückbringen.
Der Sultan ließ sie augenblicklich vor und trotz seines strengen Glauben an den einen und einzigen war er beeindruckt von dem Kind. Das Fohlen, so gestand er sich ein, war zu wild für ihn und seine Männer. Er möchte es nicht in seinem Teil der Stadt haben und so überließ er es Ischar.
Mit dem Tier kehrte das Mädchen aber nicht zu den Ferkinas zurück, sondern betrat einen Weg, den sie über Jahre hinweg nicht gegangen war: den Weg zum Tempel der Roten Schwester.
Am Eingang des Tempels erwartete sie lediglich eine kleine Frau mit einer Haut wie altes Gold. Ein Lächeln lag auf den Lippen der alten Dame, doch ihre Augen starrten in die Leere.
>>Shanja Rashanja, Gebieterin, ich komme, um dem Ruf Radscha Uschtammars folge zu leisten und ihr zu dienen, wie es meine Bestimmung ist.<< Ischar ging zu Boden und verbeugte sich tief. Weniger vor der alten Frau, sondern vielmehr vor der göttlichen Präzenz, die im Tempel allgegenwärtig war.
>>Dann erhebe dich, Tochter der Reinheit. Deine Ausbildung soll noch mit dem heutigen Tage beginnen. Sobald du den Dreck von der Straße abgewachsen und dich in anständige Gewänder gehüllt hast.<< Das Lächeln der Alten wurde zu einem Grinsen. >>Was soll mit deinem Fohlen geschehen?<<
>>Ich möchte ihn behalten. Ihn pflegen und ausbilden. Oder ihm die Freiheit schenken, wenn er es möchte.<< Ischar stand auf und kraulte das Pferd. Ermüdet, aber zufrieden schnaufte das Tier. >>Said ist mein Freund, nicht mein Besitz. Wenn ihr es erlaubt, Herrin.<<
>>Einem so edelen Tier lege ich keine Fessel an. Aber er muss friedlich bleiben, innerhalb des Tempels.<<
>>Habt dank.<<
>>Kümmere dich um deinen Freund. Dann um dich. Und schließlich such mich auf. Wir haben einiges zu klägen, wenn du die Weihe der Roten Schwester erhalten möchtest.<< Die alte Frau wollte sich zum gehen zuwenden, hielt allerdings inne. Ohne in Ischars Richtung zu sehen, flüsterte sie: >>Es ist schön, dich wieder im Schoß der Kirche zu wissen. Du hast mir gefehlt, mein Kind.<<
>>Du mir auch, Mutter.<<
So brachte Ischar das Pferd zu den Stellen des Tempels. Bis zu dem heutigen Tag hat sie das Versprechen gehalten, dem Tier keine Fessel mehr anzulegen oder Gewalt anzutun. Said dankt es ihr mit Treue und Liebe und einem Respekt, dem er keinem anderen Menschen zu Teil werden lässt.