Es war ein kalter Morgen, an dem Ischar saba-Reshalia Tarefsunya ihren Mantel fest um sich schlang. An jedem anderen Tag wäre sie um nichts in der Welt so früh aufgestanden. Der Schlaf war zum ausruhen und träumen da. Zum genießen.
Nur der Wirt der kleinen Taverne war wach. Er beobachtete sie, wie sie sich auf den Weg in den Stall machte, und wagte nichts zu sagen. Eine Priesterin der Roten Schwester war ein seltener Anblick und ihm kam bereits die Röte ins Gesicht, wenn er nur daran dachte, dass er eine solche Person unterbringen durfte. Heute war Ischar über sein Schweigen froh.
Lediglich mit einem Lächeln verabschiedete sie sich. Nur kurz und flüchtig, damit er nicht bemerkte, dass sie den Tränen nahe war.
Im Stall erwartete sie Said mit einem verächtlichen Schnaufen. Das Pferd warf den Kopf hoch, schüttelte seine glänzende Mähne und mied ihren Blick mit Absicht. Ihm war es zuwider, eine Nacht alleine verbringen zu müssen wie ein eingesperrter Hund. Er hasste das schlechte Futter und vor allem hasste er Ställe. Nie wurde er müde, es ihr unter die Nase zu reiben.
Ischar fischte in einem Beutel nach einem Zuckerstück.
Es war nicht schwer, Said zu beruhigen. Sie würde sein Fell bürsten, kleine Zöpfe in seine Mähne flechten. Sie würde ihm streicheln und kraulen, bis er freudig schnaubte. Und danach würde sie mit ihm aufbrechen. Sie würde ihn die Führung überlassen und solange mit ihm reiten, bis er sich zufrieden fühlte. Said wollte Aufmerksamkeit und nichts lieber schenkte sie ihn.
Ihr Blick fiel auf die Box nebenan. Sie war leer. Nichts deutete darauf hin, dass bis zum gestrigen Morgen ein Tralloper Riese darin stand. Es fühlte sich an, als sei dort nie etwas gewesen...
Weiche Nüstern schmiegten sich an ihre Wange. Warmer Atem streifte Ischar und sie hörte Saids beruhigendes Schnauben. Erst jetzt merkte sie, wie die Tränen ungebändigt über ihre Wangen rollten. Wie sie zitterte und klagende Laute über ihre Lippen kamen. Ischar presste ihr Gesicht an den Hals des Pferdes.
Mit jedem Herzschlag wurde sie ruhiger. Allerdings fiel es ihr schwer, von Said abzulassen. Er mochte das Wesen mit den größten Egoismus und Hochmut sein, aber er war doch der beste Freund, den sie hatte. Der ihr immer zur Seite stand. Sie wollte nicht an die nächsten Tage denken...
Doch Ischar musste. Auch wenn es ihr schwer fiel, musste sie Said zur Reise bereit und sich auf den Weg zurück nach Fasar machen. Es galt ihre Mutter zu informieren und Vorbereitungen zu treffen. Die Göttin hatte ihr nicht umsonst diese Vision geschickt.
Die Preisterin klopfte dem Pferd auf den Hals. Dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen und holte ihre Ausrüstung zur Pferdepflege heraus. Mit geübten Griffen und eiserner Disziplin kümmerte sie sich um ihr Tier, versuchte dabei nicht daran zu denken, dass sie nie wieder in den Norden kommen würde. Nie wieder würde sie die Orte besuchen, an denen sie mit Rukar etwas erlebt hatte. Sie würden nur noch Teil ihrer Erinnerung sein.
Das war der Preis, wenn man der Roten Schwester diente. Sie verlangte Opferbereitschaft und Hingabe. Wer sich in ihre Dienste begab, tat dies freiwillig und war sich der Folgen bewusst. Ischar hatte kurzzeitig vergessen und musste nun unter Beweis stellen, dass sie Radscha Uschtammar diente. Und nicht ihren eigen Gefühlen.
Als sie fertig war, konnte sie Said aus dem Stall führen. Sie nahm ihre Sachen an sich und schwang sich schließlich auf den bloßen Pferderücken. Normalerweise wäre Said sofort in einen Galopp verfallen, die wiedererlangte Freiheit feiernd. Dieses mal jedoch schritt er nur langsam auf die Straße zu, die gen Praios führte. Vorsichtig, als fürchte er, er könne sie zerbrechen.
Ischar legte die Hand auf ihren Bauch. Hatte er es mitbekommen? Mochte er es fühlen? Gerne hätte sie es Rukar gesagt. Es war nicht fair, dass sich ihre Wege trennten und er es nicht wissen durfte.
Azila, so versprach sie im Stillen, Meine kleine, wilde Rose. Ich werde dir nie verheimlichen, wer dein Vater ist. Auch wenn du ihn nie sehen darfst.
>>Komm, mein Großer.<< Mit etwas mehr Elan klopfte sie Said auf den Hals. >>Endlich geht es wieder nach Hause.<<
Said schnaubte verächtlich. Fasar war eine schreckliche Stadt. Ohne Zügel und ohne Ehrgefühl. Er hatten mit ihr noch eine Rechnung offen. Und es war Zeit, sich dem Schicksal zu stellen.
Ein letztes Mal, blickte sie über die Schulter. In die Richtung, in der ehemalige Gladiator verschwunden war. >>Toq-bor-neh, Rukar.<<