15. Efferd 1012 BF
Ich habe noch keinen Augenblick meine Augen schließen können und die Nacht damit verbracht, die schwerst Verletzten zu stabilisieren, bevor ich um acht Uhr zu einer außerordentlich anberaumten Stadtratssitzung gehe. Die Stühle von Rondrasil, Doram und Pedder sind leer und die anderen Anwesenden sehen mindestens so erschöpft aus, wie ich mich fühle.
Wir alle überlegen, wie es jetzt weiter gehen soll und Tsacharan schlägt doch tatsächlich dreist vor, dass wir uns bei Uriel mit einem Friedensangebot melden sollen. Wir haben diesen Krieg nicht vom Zaun gebrochen und nicht nur ich bin dieser Meinung, auch die anderen im Raum überstimmen den Tsageweihten im Nu. Alle sind sich einig, dass Moorwacht gesichert werden muss, eine Palisade braucht und Pjerow macht den Vorschlag, dass man sich mit Trautmann III zusammentun sollte, da wir uns jetzt wahrlich nicht mehr neutral verhalten können. Wir müssen auch herausfinden, wie es um Brandthusen und die anderen Ortschaften steht, die auf dem Weg Uriels zu uns liegen. Aber vorerst muss ich mich um die Verletzten in Peraines Heimstatt kümmern.
Daj hat mir sämtliches Verbandmaterial, das er besitzt, zur Verfügung gestellt und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Ich bitte alle, sich zwecks Versorgung bei mir einzufinden und als Bruder Aahren bei mir ist, bitte ich ihn, ein Auge darauf zu haben, ob jemand verletzt ist, der den Helden spielen will, um mich zu entlasten. Es nützt niemandem etwas, wenn eine Verletzung nicht behandelt wird, das bedeutet hinterher nur mehr Arbeit. Auch Laske weise ich darauf hin, dass er seinen Arm behandeln lassen soll und ihn nicht vor mir verstecken soll.
Unter den Schwerstverletzten befinden sich neben Hecker auch Albin, dem ein Auge fehlt, Nessa, der das Bein abgetrennt worden ist, Pitjov, Brack, Rouvin, Hergel und Rouderick. Die Verletzungen sind bei allen schwerwiegend genug, dass ich beschließe, die kommenden Therapiesitzungen vorerst ausfallen zu lassen, um mich auszuruhen. Hier ist magische Hilfe nötig und ich fühle mich doch schon so leer und kraftlos.
16. Efferd 1012 BF
Hecker hat sich mit am schnellsten erholt, wenn er sich noch etwas schont, kann ich ihn entlassen. Albin wirkt sehr verstört wegen seinem fehlenden Auge, ist aber immerhin wieder bei Bewusstsein, was ich von Nessa noch nicht behaupten kann. Brack scheint sich ziemlich zu langweilen und da ich Albin noch etwas unter Beobachtung haben möchte, bitte ich ihn, doch ein paar Geschichten zu erzählen, die Brack ein wenig die Langeweile vertreiben könnten und er stimmt zögerlich zu.
Pitjov trauert sehr um seine Schwester, die gefallen ist bei dem Angriff, er wirkt abwesend, lethargisch. Nessa wacht im Laufe des Tages auf und wirkt geradezu enttäuscht darüber, dass sie noch am Leben ist. Sicher, mit einem Bein kann sie nicht mehr aktiv kämpfen, aber vielleicht fällt uns ja eine andere Aufgabe für sie ein, sie hat immerhin sehr viel Erfahrung und wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir uns beim nächsten Angriff alle besser verteidigen können, vielleicht kann sie einen Teil der Ausbildung übernehmen.
17. Efferd 1012 BF
Heute kann ich Hergel entlassen, der nach einem kräftigen Schlag auf den Kopf sehr mit Gleichgewichtsproblemen zu kämpfen hatte. Ich schärfe ihm ein, dass er sich sofort bei mir melden soll, sollten nochmal Probleme auftauchen und verspricht, sich daran zu halten. Desweiteren entferne ich eine abgebrochene Speerspitze aus Bracks Bauch und die Brandwunden von Rouderick sind ebenfalls gut verheilt, so dass ich ihn entlassen kann.
Albin nimmt mein Angebot, noch ein paar Tage zu bleiben und Brack Gesellschaft zu leisten, dankbar an und ich nutze die Gelegenheit, ihm verschiedene Übungen zu zeigen, damit er sich an sein neues Sehen gewöhnen kann. Der Verlust eines Auges ändert ja doch so ziemlich das komplette räumliche Sehen. Offenbar haben sich Albin und Brack mittlerweile angefreundet, der Junge scheint förmlich die Nähe des Halborks zu suchen.
Pitjov bittet mich gegen Nachmittag, seine Schwester Verosja sehen zu dürfen und gemeinsam trauern die beiden um ihre Schwester. Ich versuche ihre Trauer ein wenig zu begleiten, sie etwas erträglicher zu machen.
Nessa erklärt sich bereit, die Ausbildung der Leibeigenen zu übernehmen und abends, ich will mich gerade hinlegen, wird Hergel wieder eingeliefert, er habe wieder Gleichgewichtsstörungen. Ich brauche ihn jedoch gar nicht groß zu untersuchen, denn schon von weitem fällt mir seine Fahne auf, der Mann ist einfach nur sturzbetrunken. Ich lasse ihn in eine der Isolationszellen zum ausnüchtern bringen, bevor ich mich hinlege.
18. Efferd 1012 BF
Brack hat damit begonnen, Albin das kämpfen beizubringen. Ich bin zwar nicht sonderlich begeistert, muss Brack aber darin zustimmen, dass er sich so am Besten an sein neues Sichtfeld gewöhnen kann. Und irgendwie scheint der Junge sogar stolz auf seine Verletzung zu sein. Nun, die beiden sind zwar ein sehr ungleiches Paar, scheinen sich aber gegenseitig Halt zu geben.
Durch Pitjov und Verosja erkenne ich, dass sicherlich nicht nur bei den beiden ein erhöhter Redebedarf vorhanden ist und so beschließe ich, meine Sprechstunde auszuweiten und Gespräche anzubieten für alle, die sich etwas von der Seele reden wollen, etwas auf dem Herzen haben. Das Angebot wird auch zahlreich wahrgenommen.
19. Efferd 1012 BF
Heute kann ich auch Brack endlich entlassen und Albin und Nessa dürfen ebenfalls, so sie nicht noch etwas bleiben wollen, wieder gehen. Es bleiben nur noch Rouvin und Pitjov bei mir in Behandlung, aber auch die beiden befinden sich auf dem Weg der Besserung.
20. Efferd 1012 BF
Ich konnte die letzten beiden Patienten entlassen und werde morgen wieder mit meinen Therapien beginnen. Allerdings werde ich die erweitere Sprechstunde vorerst noch beibehalten, der Redebedarf ist weiterhin sehr groß. Aber ich bin froh, dass mir hier nicht noch jemand gestorben ist.
21. Efferd 1012 BF
Gerade als alles wieder langsam in Gang kommen sollte, wird mir ein übel zugerichteter Woltan gebracht. Sein Gesicht ist beinahe zur Unkenntlichkeit geschlagen worden und neben Woltan wird auch ein wild fluchender und um sich schlagender Brack von Goswyn gebracht. Ich lasse Brack in eine der Isolationszellen sperren und verbinde Woltan profan. Danach lasse ich nach Albin schicken, denn den wütenden Satzfetzen Bracks konnte ich entnehmen, dass Woltan den Jungen eventuell verletzten wollte oder gar verletzt hat.
Der wirkt, als er endlich bei mir ist, zwar unverletzt, aber doch sehr verschreckt. Er stammelt etwas davon, dass Brack ihn nur beschützen wollte und dass er erst mit ihm reden wolle, bevor er mehr dazu sagt. Ich versuche dennoch, etwas mehr aus ihm herauszubekommen und er erzählt mir, dass er bei den Tieren im Stall war und wohl zu langsam gearbeitet hätte und dass Woltan ihm Beine machen wollte, ihn getreten habe und ihn schlagen wollte, bevor Brack dazwischen ging. Gemeinsam gehen wir zu Brack und auch wenn mir die Blicke, die die beiden austauschen, nicht entgehen, so will ich mir doch auch die Version Bracks anhören. Diese unterscheidet sich jedoch gänzlich von der Albins. Brack erzählt mir, dass er Hunger gehabt habe und in die Küche gegangen sei, wo Woltan Albin am Hals gepackt haben soll. Er sagt weiter, wenn Woltan seine Frau schlagen würde, würde er nichts tun, weil ihn das nichts anginge, aber wenn er Hand an seinen Freund anlegt, ginge ihn das sehr wohl etwas an.
Die beiden Versionen sind zu unterschiedlich, die beiden scheinen mir etwas zu verheimlichen, aber was? Ich lasse Laske nach Goswyn schicken und der kommt dann auch gegen elf Uhr abends nach seinem Wachdienst bei mir vorbei. Er erkundigt sich lediglich nach Bracks befinden und auf meine Frage, ob er etwas gesehen hat und dass Brack mich anlügen würde, antwortet er, dass er nicht viel gesehen habe. Er habe Geschrei vor der Burgküche gehört und als er hinzukam, war das meiste schon geschehen, aber den Blutspuren nach zu urteilen, hat das Ganze schon im Hof angefangen. Weiter sagt mir Goswyn, dass er das Ganze gerne verschwiegen und diskret behandeln würde, dass er mich sogar bezahlen würde, wenn ich das nicht öffentlich machen würde. Dies kann ich zwar nicht tun, aber ich werde auch nicht zulassen, dass man Brack bestraft, wenn er nichts unrechtes getan hat. Nur dazu muss ich wissen, was passiert ist.
22. Efferd 1012 BF
Nachdem ich schon sehr früh Tsadan von dem Geschehen in Kenntnis gesetzt habe, befragen wir gemeinsam Woltan und dieser behauptet jetzt, dass Albin etwas vom Braten Tsadans stehlen wollte. Eine dritte Version der Geschichte. Noch während wir uns im Nebenzimmer besprechen, Tsadan kann weder den Angriff auf Woltan ungesühnt lassen, noch kann er auf die Söldner verzichten und bittet mich daher, ihm bei der Aufklärung zu helfen, schläft er auf dem Stuhl sitzend ein. Er hat die letzten Tage offenbar noch weniger Schlaf abbekommen als ich und so decke ich ihn zu und lasse ihn erstmal schlafen.
Ich beschließe, sowohl bei Albin als auch bei Woltan einen Blick in die Gedanken zu werfen, während ich sie nochmal zu dem gestrigen Abend befrage und nachdem ich dies bei beiden getan habe, ergibt sich mir das vollständige Bild. Woltan hat seine Frau Winja mit Sulja, der Steinmetzin betrogen und wurde dabei von Albin beobachtet. Um seinen Ehebruch zu vertuschen, hat er daraufhin Albin gedroht, ihm die Zunge oder sein gesundes Auge herauszuschneiden und in dem Moment ist dann Brack dazu gekommen. Es fällt mir schwer, mir meine Wut nicht anmerken zu lassen, aber ich muss unbedingt mit Tsadan darüber sprechen.
Dieser stimmt mit mir überein, dass Brack keine Schuld trifft. Sicher, er hat etwas überreagiert, aber letztlich hat er das Leben Albins gerettet. Tsadan bittet mich jedoch, mit dieser Information noch eine Woche zu warten, bis die Ernte eingebracht ist. Woltan ist unser letzter verbliebener Bauer und ein wenig missmutig stimme ich zu, das Thema erst am 29 Efferd 1012 bei der nächsten Stadtratssitzung zur Sprache zu bringen. Ich spreche den jungen Bronnjaren danach jedoch noch darauf an, dass er mehr als übernächtigt wirkt und er teilt mir mit, dass er Strategiebücher über Kriegsführung wälzt, um sich auf den bevorstehenden Krieg vorzubereiten. Ich biete ihm an, die nächste Woche abends einen Memorans auf ihn zu wirken, damit er die Informationen einfacher im Kopf behalten kann und nehme mir auch vor, mit Narena zu sprechen, ob sie uns bei der Verteidigung Moorwachts helfen kann, immerhin ist sie eine ausgebildete Kampfmagierin.
Gegen Nachmittag hält Tsadan noch eine Rede, als er die 40 Gefangenen Arbeiter aus der Mine freilässt. Er macht ihnen das Angebot, dass sie uns bei der Palisade helfen sollen und danach frei wären. Sie können dann gehen, wohin sie wollen, sei es zurück nach Notmark, oder, wenn sie das möchten, gegen Bezahlung wieder in der Mine arbeiten.
23. Efferd 1012 BF
Der Tag verläuft ruhig, aber Nadira kommt unerwartet früher zurück. Sie erzählt uns, dass sie krank gewesen sei und dass Jaminka sie gesund gepflegt hat. Weiter erzählt sie, dass Brandthusen belagert sei von den Notmärkern, sie will mir aber nichts genaueres sagen und vertröstet mich auf die Stadtratssitzung.
24. Efferd 1012 BF
Draußen ist es bitterkalt, das Wasser in den Eimern gefriert mittlerweile wieder und ich bin überrascht, dass Thulvje relativ nüchtern wirkt, als er in Peraines Heimstatt eintrifft. Er teilt mir mit, dass er nach Norburg reisen wird. Wie jeden Winter rechnet er dort wieder mit Werwölfen, die er jagen will und außerdem habe Tsadan ihm einen Brief mitgegeben, den er zu Isidor bringen soll. Er sagt mit auch, dass er normalerweise einfach gehen würde, aber scheinbar ist es ihm wichtig, sich von mir zu verabschieden. Vielleicht ist es ihm aber auch nur wichtig, von mir zu erfahren, ob ich ihn für einen gemeingefährlichen Irren halte oder für einen Helden. Ich antworte ihm auf seine Frage so ehrlich wie möglich, dass er durchaus gewisse Probleme habe, die sich aber sicherlich lösen ließen, wenn er nur hier bliebe. Er meint, dass er im Frühling vielleicht sogar wieder zurück kommen wird, so er keine Goldmine gefunden habe, aber so wirklich glauben kann ich ihm das irgendwie nicht. Ich bitte ihn zwar, hierzubleiben, kann ihn aber nicht aufhalten, das wissen wir beide und so bleibt mir nur, ihm alle Gute zu wünschen und dass er auf sich aufpassen solle.
24. - 28. Efferd 1012 BF
Die Tage sind ruhig, die Therapien habe ich wieder in gewohntem Umfang aufgenommen und bei Narena habe ich mittlerweile festgestellt, dass sie zwar noch unter einem Trauma leidet, dass dieses auch noch getriggert werden kann, dass sie sich aber allgemein auf dem Weg der Besserung befindet. So lange ihr keine Untoten oder Diener des Namenlosen über den Weg laufen, sollte alles in Ordnung sein. Sie fragt mich allerdings, ob es möglich wäre, ihren Stab aus Bjaldorn zu holen, den habe Wulfen damals in ihrem alten Haus versteckt, als er sie gefangen gehalten hat. Ich verspreche ihr, mich darum zu kümmern, vielleicht kann Pjerow mir dabei ja helfen, der wollte, wenn ich das richtig verstanden habe, eh demnächst nach Bjaldorn aufbrechen.