Tagebuch von Isidra Kowaljewa
Diarium der adepta minora Isidra Kowaljewa (20. Rahja 1018 BF)

20. Rahja 1018 BF

Noumiza hat unser Zelt aus Wasser tatsächlich blickdicht abdunkeln können. Ich schmiege mich eng an Rondrasil, lege meinen Kopf, wie so oft, auf seine Brust und lausche seinem Herzschlag, seinem ruhigen Atem, während er schläft.

Aber ich liege noch lange wach. Mir geht so vieles durch den Kopf. Der Kampf gestern mit der dämonisch besessenen Noumiza. Der Kampf mit den pervertierten Firnluchsen. Die ungezählten Kämpfe davor. Kämpfe, in denen wir ein ums andere Mal dem Tod ins Auge gesehen haben. Kämpfe, die wir knapp für uns entscheiden konnten. Kämpfe, die unsere Freunde nicht überlebt haben.

Vor etwas mehr als sieben Jahren war mein Leben noch ruhig, ohne Gefahren. Die einzigen Gedanken, die ich damals hatte, betrafen neue Behandlungsmethoden von Rik oder Laske. Ich ging in meiner Arbeit auf, habe tagaus und tagein fleißig im Gut gearbeitet. An meinem freien Tag in der Woche habe ich meine Eltern besucht.

Alles war damals so selbstverständlich für mich. Genug zu essen zu haben, ein Dach über dem Kopf, etwas zu tun.

Und jetzt? Gut sieben Jahre später kenne ich einen Erzvampir und einen Erzlykantrophen. Ich habe ein Einhorn als Freund, einen neuen Zauber entwickelt und bei der Gründung eines Dorfes direkt neben dem Totenmoor mitgewirkt. Ich habe mit Shakagra gesprochen, gegen sie gekämpft. Nein, ich habe nicht gegen sie gekämpft, dazu wäre ich gar nicht in der Lage. Aber ich habe Freunde gefunden, die es sind.

Manchmal wünschte ich mir, dass Gerbald niemals nach Norburg gekommen wäre oder dass er sich einen anderen Magier für sein Vorhaben ausgesucht hätte. Manchmal sehne ich mich nach der ruhigen Zeit in Gut Nuppenkehmen zurück. Andererseits, dann wäre ich Rondrasil niemals begegnet. Denn wenn ich ehrlich bin, er war im Rondratempel in Norburg, ja, aber ich war dort damals kein einziges Mal. Wir hätten nahezu Tür an Tür gelebt und dennoch hätte ich ihn nie kennengelernt. Einmal ganz davon abgesehen, dass er mit Rondriane glücklich gewesen wäre.

Ich frage mich immer noch, was Rondrasil in mir sieht, warum er sich in mich verliebt hat. In mich, die kleine, unfähige Heilmagierin, die in einem Kampf eher im Weg steht, anstatt dass sie hilfreich zur Hand gehen könnte. Aber auf der anderen Seite beweist dies doch nur umso mehr, wie sehr er mich zu lieben scheint. Immerhin hat er sich aus freien Stücken für mich entschieden.

Der Morgen dämmert bereits, ich sollte mich noch ein paar Minuten hinlegen, mich zu meinem Ehemann legen. Mögen die Götter uns beistehen, uns bei unserem Vorhaben unterstützen und uns den Winter beenden lassen. Ich habe Angst, was geschieht, wenn uns dies nicht gelingt.

Nachdem ich tatsächlich ein wenig eingenickt bin, werde ich von den anderen und ihren Gesprächen wach. Auch Rondrasil ist bereits aufgestanden, er hat mich offenbar schlafen lassen. Ob ihm aufgefallen ist, dass ich die halbe Nacht nicht bei ihm lag?

Draußen frage ich Noumiza, ob sie dazu bereit wäre, in den Efferdsee umzuziehen. Ich schildere ihr den See und die, in meinen Augen, Vorzüge in Form von höherer Mobilität, schließlich ist der See durch einen Wasserfall mit dem Fluss, der an Moorwacht vorbei fließt, verbunden. Auch erzähle ich ihr, dass sie dann ein Einhorn kennenlernen könnte und als sie mich fragt, was ein Einhorn sei, versuche ich es ihr erst zu erklären, bevor ich es ihr letztlich aufmale. Sie erwidert daraufhin, dass sie uns jetzt erst einmal begleiten wolle und später eine Entscheidung treffen wolle, wenn sie sich ein Bild über uns gemacht hat.

Nadira teilt uns mit, dass sie auf ihrem Kampfstab zum Nordwals fliegen wolle, dem höchsten Berg hier im Gebirge, um sich einen Überblick zu verschaffen. Danach wolle sie noch ein paar Pilze sammeln für unsere Verpflegung. Wir anderen machen uns derweil wieder auf den Weg Richtung der Treppe, denn laut Kolkja und Shakra müssen wir den Weg, den wir gekommen sind, wieder zurückgehen.

Noumiza wird in unserem Kochtopf reisen. Sie teilt uns mit, dass sie einmal am Tag für uns eins der folgenden Dinge machen könne. Sie könne uns leichter, ausdauernder machen oder aber dafür sorgen, dass ihr Wasser so nahrhaft wird, dass wir davon satt würden. Auch kann sie uns vor den Träumen, die wir jede Nacht haben, beschützen oder uns heilen.

Gegen Abend erreichen wir die Rondrastatue, besser gesagt das, was von ihr übrig ist, die am Rand der Klippe steht und wir schlagen hier unser Nachtlager auf. Nadira, die bereits auf uns wartet, zeigt Noumiza und mir, was sie von Lysandiel gelernt hat. Sie sagt, dass sie laut ihm Mandra wirken würde.

Meint er also, dass Mandra so etwas wie intuitive Magie ist? Zerzal ist böse Magie, das war mir bewusst und ich wirke Taubra, also gute Magie. Ich sollte mir diesbezüglich bei Gelegenheit nochmal mehr Gedanken machen.

Auf jeden Fall lässt Nadira auf ihrer Hand mit ein paar Wassertropfen eine Art Spiel entstehen, die Tropfen schweben auf und ab, wirbeln sogar ein wenig umher. Als Noumiza dies sieht, lässt sie in ihrem Topf eine Burg entstehen und als Rondrasil dies sieht, wirkt er äußerst irritiert, beinahe fassungslos.

Ich frage ihn, was ihn so erschreckt hat und er antwortet mir, dass diese Burg, die Noumiza da gezeigt hat, eine Rondraburg im klassischen neutulamidischen Stil sei. Eine Burg, die laut Aufzeichnungen bereits seit über 1000 Jahren zerstört sei. Nach dieser Antwort setzt er sich zu Noumiza an den Topf und quetscht sie förmlich aus, sie muss unglaublich alt sein, ein ungeheures Wissen angesammelt haben.

Heute Nacht werden wir dank Noumiza alle gut schlafen. Und Schlaf habe ich, nach der nahezu gänzlich durchwachten Nacht gestern auch bitter nötig. Auch wenn wir sie erst darum bitten müssen, die Burg aus Wasser nicht mehr leuchten zu lassen. Sie ist so begeistert davon gewesen, wie sehr uns die Burg gefallen hat, dass sie sie erst in hellem weiß und danach blau aufleuchten hat lassen. Ein sehr faszinierendes Schauspiel.

21. Rahja 1018 BF

Ich werde im frühen Morgengrauen wach, weil ich Ifrundoch reden höre. Und noch jemanden, es ist aber weder die Stimme Noumizas noch die von Kolkja. Jaminka? Als ich meinen Kopf zum Zelt heraus stecke, sehe ich tatsächlich Jaminka und auch Nadira und Pjerow sind wach geworden.

Auf unsere Frage, wie sie uns gefunden habe, erwidert sie, dass sie einfach dem hellen weißen und dann blauen Licht gefolgt sei. Das muss die Burg von Noumiza gewesen sein.

Sie erzählt uns, dass sie zusammen mit Thulvje, Thindal, Thezmar, Danjuk, Kantalla und jemandem namens Cidris Quent aufgebrochen sei, uns hinterhergereist sei. Auf unsere Frage, warum sie dies getan haben, erwidert sie lediglich, weil sie es eben beschlossen hätten.

Wir einigen uns darauf, dass wir uns zusammenschließen sollten, auch wenn Tsadan anfangs von einer solch großen Gruppe abgeraten hatte, aber wenn wir nun schon einmal allesamt unterwegs sind, sollten wir unsere Kräfte auch vereinen.

Um miteinander kommunizieren zu können, beschließen Nadira und Jaminka, dass sie die Katze der jeweils anderen bei sich behalten werden und über sie Informationen austauschen werden. Also wird Salima mit Jaminka zu den anderen zurückfliegen, während Zurumbel, Jaminkas dicker roter Kater, bei uns bleibt.

Jaminka erzählt uns weiter, dass sie die andere Gruppe ein wenig verlangsamen wolle, damit wir in etwa gleichzeitig an der Weggabelung ankommen, an der wir vor ein paar Tagen noch angegriffen worden sind. Nicht, dass wir uns am Ende verpassen oder die anderen aus Versehen in die falsche Richtung gehen, in dem Kannibalenlager der Söldner landen.

Nachdem die Nacht beinahe vorbei ist, beschließen wir, dass wir auch genauso gut die anderen jetzt schon wecken können, schließlich steht uns ein langer Abstieg bevor. Als wir unsere Sachen gepackt haben und überlegen, wer zuerst klettern soll, merkt Noumiza an, dass sie uns auch in Nebel verwandeln könne und wir so ohne Probleme und ohne uns zu verletzen einfach den Abhang herunterschweben können.

Ifrundoch weigert sich vehement, sich verwandeln zu lassen und nachdem ja jemand auch Noumizas Topf herunterlassen muss, wird er dies mit Nadira zusammen machen, während wir den kurzen Weg wählen.

Alles um mich herum wird etwas dunkler, ich fühle mich ganz leicht, während ich die Klippe entlang schwebe. Ganz langsam, leicht. Auch die anderen erkenne ich schemenhaft, ich sehe auch, wie Molagh immer wieder versucht, die Beine Ifrundochs zu umklammern, bevor er außer Reichweite ist.

Unten angekommen verwandeln wir alle uns wieder zurück und beobachten Ifrundoch bei seinem Abstieg. Einmal stockt mir der Atem, als er gleich mehrere Schritt tief hinunter fällt, bevor er sich wieder an der Wand festhält. Er sollte lieber langsam und sicher klettern, wenngleich jetzt schon beinahe der ganze Tag vergangen ist und er sich gerade erst dem zweiten Vorsprung nähert, noch etwa fünfzig Schritt vor sich hat. Während wir warten, teilt uns Kolkja mit, dass in zwei Tagen die Söldner, die Kannibalen, zu uns kommen würden und dass sie großen Hunger hätten.

Zeitgleich ruft uns Ifrundoch zu, dass es zu dunkel würde, um weiter zu klettern, weshalb er die Nacht auf dem Vorsprung verbringen wolle. Jegliches zureden, sich doch noch in Nebel verwandeln zu lassen, lehnt er vehement ab.

Nadira, die inzwischen zu uns herunter gekommen ist und von uns ebenfalls über den Aufbruch der Söldner informiert wird, wird von Goswyn gefragt, ob sie nicht zu dem Lager fliegen könne, um es anzuzünden, vielleicht würden die Söldner dann ja umdrehen. Außerdem könne sie so sehen, ob sie tatsächlich alle schon so nahe bei uns sind, wie Kolkja es gesagt hat.

Nadira fliegt los und wir bauen unten am Fuße der Klippe unser Nachtlager auf, während Rowinja beschließt, zu Ifrundoch hoch zu klettern.

Es sind etwa zwei Stunden vergangen, als Nadira wie ein Blitz angeflogen kommt und uns zuruft, dass Gefahr droht. Hektisch erzählt sie, dass sie in dem Lager gewesen ist und dort auch das große Zelt, welches noch stand, angezündet habe. Sie erzählt weiter, dass daraufhin ein paar der Söldner zurückgekommen seien mit einem Gefangen, den sie dann ermordet haben, woraufhin sich sieben große weiße Hunde aus dem Schnee erhoben haben, welche grün leuchtende Augen hätten und diese seien jetzt auf dem Weg zu uns.

Ihre Beschreibung erinnert mich sehr an Karmanathi, Dämonen Nagrachs.

Als Pjerow dies hört, gelingt es ihm irgendwie, Ifrundoch doch noch dazu zu überreden, sich von Noumiza in Nebelform hinabbringen zu lassen, denn jetzt brauchen wir seine Kampfkraft hier unten bei uns.

Als wir aus der Ferne jaulen und heulen vernehmen, stellen wir alle uns auf und mir fällt auf, dass Lysandiel verschwunden ist. Ich hoffe sehr, dass er sich nur unsichtbar gemacht hat.

Kolkja weise ich an, mit Shakra zusammen an der Wand beim Lagerfeuer stehenzubleiben. Pjerow und ich stehen in zweiter Reihe, die andere sieben in der ersten, allen voran mein Rondrasil.

Wie aus dem nichts stehen plötzlich vier Karmanathi vor uns und als ich mich umblicke, sehe ich auch links und rechts von uns je einen dieser Dämonen stehen. Ein Geräusch hinter mir lässt mich aufschrecken, als ich sehe, wie sich der siebte Dämon von der Klippe kommend auf Shakra geworfen hat, welche sich verbittert mit ihrem Dolch wehrt, während Hecker ihr zu Hilfe kommt.

Rondrasil stürmt auf eins der Tiere vor ihm zu, während Ifrundoch das ihm am nächsten stehende Biest angreift. Auch ich versuche mit meinem Stab auf es einzuschlagen, hiebe jedoch grandios daneben.

Aber immerhin sind die anderen, meine Freunde, nicht so nutzlos wie ich und es gelingt uns, uns zu verteidigen. Ich kann aus dem Augenwinkel heraus erkennen, dass Rondrasil das erste Biest bereits getötet hat und sich dem nächsten zuwendet, als es plötzlich um mich herum dunkel wird, ich neben mir stehe, mich selbst sehen kann. Einzig Kolkja selbst oder etwas bei ihm strahlt hellt wie ein Leuchtfeuer und zieht mich beinahe magisch an. Aber nur einen kurzen Augenblick ist dies so und ich bin wieder in meinem Körper.

Verwirrt blicke ich mich um, orientiere mich neu. Scheinbar bin ich nicht die Einzige, der das gerade passiert ist, auch andere wirken minimal verwirrt, aber wir haben keine Zeit, um jetzt darüber nachzudenken.

Hecker hat den Karmanath, der Shakra angefallen hat, umklammert, offenbar will er ihn ins Lagerfeuer werfen, weshalb ich die Gelegenheit nutze, um zu Shakra zu eilen, sie braucht jetzt meine Hilfe.

Während ich auf Shakra zu renne, die mir entgegen kriecht, stehe ich auf einmal mit den anderen zusammen in der Nähe von Kolkja. Auch die Karmanathi stehen neben uns und in ihren Augen meine ich so etwas wie Unsicherheit zu erkennen. In meinem Kopf höre ich dröhnende Stimmen, bevor ich wieder zurück in meinem Körper bin.

Nachdem ich mich wieder gesammelt habe, kümmere ich mich um Shakra und erkenne aus dem Augenwinkel, wie Kolkja sich den Kopf hält, sich zusammenkauert, verzweifelt wirkt. Ich sehe, wie er sich letztlich selbst den Kopf an Noumizas Topf anstößt und bewusstlos zu Boden sackt.

Als ich mich umblicke, sehe ich, dass auch die anderen Bestien getötet worden sind und dass, den Göttern sei Dank, alle am Leben sind. Rowinja trinkt gerade einen der Heiltränke, die ich ihr gegeben habe. Ich hätte sie doch jetzt auch so versorgen können, aber nun gut, das wird ihr im Eifer des Gefechts entgangen sein.

22. Rahja 1018 BF

Nachdem wir alle etwas zu Atem gekommen sind, sehe ich am Horizont bereits wieder einen hellen Streif, der nächste Tag bricht an. Aber Lysandiel ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Ich hoffe nur, dass ihm nichts passiert ist.

Nadira teilt uns mit, dass die andere Gruppe beschlossen hat, einen Gewaltmarsch einzulegen, um früher zum Treffpunkt zu kommen und auch wir sollten es ihnen gleich tun, denn der Großteil der Söldner ist uns noch immer auf den Fersen.

Mit der Hilfe von Noumiza gelingt es uns auch, die Strecke, die wir zuvor noch in drei Tagen zurück gelegt haben, an einem Tag zu schaffen und abends erreichen wir tatsächlich wieder jenen Ort, an dem ich so unglücklich in die Speisekammer der verderbten Firnluchse gestolpert bin. Doch dieses Mal warten hier keine Bestien auf uns, sondern unsere Freunde.

Thindal und ein junger, gutaussehender Mann, liegen am Feuer und schlafen tief und fest, sie wirken äußerst erschöpft. Kein Wunder, auch sie haben die Strecke von mehreren Tagesreisen an einem Tag zurückgelegt. Und sie hatten keine magische Unterstützung.

23. Rahja 1018 BF

Es muss gerade Mitternacht vorbei sein, als ich von einem stöhnen und ächzen geweckt werde. Instinktiv schnelle ich nach oben und klettere aus  meinem Schlafsack, um dem Geräusch nachzugehen. Dabei sehe ich, wie Jaminka Thindal zu wecken versucht, doch dieser ist kaum aus seinem erschöpften Zustand zu bringen.

Jaminka erzählt mir, dass Thindal ihr Leibmagier sei, dass er einen Vertrag unterschrieben habe und dass er sie jetzt heilen müsse, da ihre Wunde, wie jede Nacht, wieder aufgebrochen sei. Ich übernehme dies für ihn, damit er sich ausruhen kann und nehme mir vor, ein Wort mit ihm zu wechseln, sobald er wach ist. Ich glaube nicht, dass es so gut ist, dass er sich Jaminka verpflichtet hat.

Ich werde von Kolkjas Schreien geweckt, die mich aus einem traumlosen Schlaf hochschrecken lassen. Neben mir finde ich Kolkja liegen, dessen Hemd zerrissen und blutverschmiert ist. Seine Haut ist zerkratzt und er hat jede Menge klaffende Wunden an seinem ganzen Körper. Insgesamt hat er sechszehn Wunden, er muss unsägliche Schmerzen haben, aber die Verletzungen sind so dermaßen stark, dass mir mein Balsam nicht gelingt. Es bleibt mir nichts anderes übrig als ihm einen Heiltrank einzuflößen, der immerhin drei der Wunden regeneriert. Ein zweiter Heiltrank schließt weitere drei Wunden und die restlichen Wunden verbinde ich mit dem hochpotenten Wirselkraut als Unterstützung profan.

Während Kolkja noch wimmert und ich überlege, was ihm wiederfahren sein könnte, kommt Kantalla dazu und meint, dass er etwas getan habe, was er sonst noch nie gemacht hätte. Er hat geschlafen und geträumt.

Als ich ihn frage, wovon er geträumt hat, erzählt er mir, dass er von Tjakuhls Pfuhl geträumt habe, von einer Schlacht, die vor 500 Jahren stattgefunden hat. Jene Schlacht, nach der die Stadt der Toten erbaut worden ist.

Kolkja ist heute nicht dazu in der Lage, weiterzureisen, aber durch unsere Gewaltmärsche gestern können wir es uns erlauben, den heutigen Tag zu rasten.

Thindal, der mittlerweile ebenfalls wach ist, erklärt mir auf meine Nachfrage, warum er sich dazu verpflichtet habe, Jaminkas Leibarzt zu werden, dass in dem Vertrag auch festgehalten sei, dass sie ihn nach zwölf Jahren ehelichen würde. Dass sie auf seine Hilfe angewiesen sei. Als ich erwidere, dass sie ihre Wunde bald loswerden würde, da Noumiza diese Fähigkeiten habe und dass sie seiner dann nicht mehr bedürfe, sie seiner sicherlich bald überdrüssig würde, meint er doch tatsächlich zu  mir, dass man ihr das mit Noumizas Fähigkeiten ja nicht zu sagen brauche.

Als ich ihm entgegne, dass ich dies bereits getan habe, wirkt er beinahe ein wenig entsetzt. In etwa so entsetzt wie ich, als ich seine Worte vernommen habe, schließlich ist diese Aussage, sein Vorhaben, sie auf ewig zu seiner Patientin zu machen, so gegensätzlich zu allem, was wir in Norburg gelernt haben. Ich warne ihn noch einmal eindringlich vor Jaminka, sage ihm, dass sie in allererster Linie ihre eigenen Interessen verfolge, dass sie nicht ungefährlich sei. Jedoch ist Thindal ein erwachsener Mann und ich bin nicht seine Mutter, nicht mehr für ihn verantwortlich. Er wird selbst lernen müssen.

Als ich mich umdrehe, sehe ich Zurumbel in unserer Nähe sitzen und sich putzen. Aber nun gut, Jaminka weiß, dass ich ihre Pläne nicht immer gutgeheißen habe.

Danjuk teilt uns mit, dass er Verstärkung holen wolle und verschwindet im Wald. Ich frage mich, von welcher Verstärkung er redet, aber vielleicht kennt er hier ja Menschen, von denen er uns noch nichts erzählt hat.

Ein paar Stunden später kommt ein Wolf in unser Lager, in dem ich Danjuk erkenne. Es gelingt mir gerade noch rechtzeitig, Thulvje davon abzubringen, auf ihn mit seiner Armbrust zu schießen. Auch Cidris, der sich uns in der Zwischenzeit vorgestellt hat, lässt seine Waffe wieder sinken.

Cidris wurde, so wie ich das mitbekommen habe, von Vito Siveling zu Pjerow geschickt, soll für ihn als Leibwächter arbeiten.

Ich frage Danjuk, warum er sich nicht vorher zurück verwandelt hat, aber er wufft mich nur an. Kantalla bietet sich an, mit ihm zu reden, sie könne wölfisch, wie sie mir mitteilt und sagt mir dann, dass Danjuk sich erst morgen früh zurückverwandeln könne. Gedankenverloren kraule ich ihn hinter dem Ohr, was ihm zu gefallen scheint, weshalb ich ihn bitte, mit zu Kolkja zu kommen. Der liebt Tiere und ich bin mir sicher, dass Danjuk ihn in seiner Wolfsgestalt ein wenig von seinen Wunden ablenken kann.

Gegen Abend hören wir ein sirren, ähnlich einem singen, was Pjerow als singenden Pfeil identifiziert. Als wir den Pfeil sehen, er ist elfischer Machart, denken wir alle sofort an Lysandiel und Danjuk und Hecker wollen ihn gerade suchen gehen, als er uns entgegen kommt. Als ich ihn frage, wo er war, erzählt er mir, dass er einen Späher von den Söldnern fangen sollte, damit dieser uns sagen könne, was er wisse.

Noch bevor ich fragen kann, wer ihm diesen Auftrag gegeben hat, fällt mir auf, dass Kolkja verschwunden ist und ich will mich umgehend auf den Weg machen, um ihn zu suchen. Ich bitte Danjuk, der immer noch in seiner Wolfsgestalt ist, die Fährte Kolkjas aufzunehmen und dieser schnüffelt erst ein wenig am Boden herum, bevor er dann losrennt. Zu schnell für mich, um Schritt zu halten, doch ich kann seiner Spur gut folgen, denn überall, wo er den Boden berührt, schmilzt der Schnee.

Auch Pjerow und Nadira folgen mir und nach einer geraumen Zeit kommen wir an einem Baum an, an dem eine Leiche hängt, der, wie ich mit einem Blick feststellen kann, die Kehle durchgeschnitten worden ist. Jedoch erst nachdem sie offenbar gefoltert worden ist. Im Schnee liegen ein paar Zähne, alles ist voller Blut. Doch von Kolkja fehlt jede Spur, einzig Danjuk sitzt neben der Leiche.

Auf meine Frage, ob er gesehen hat, wer das hier war, nickt er nur und als ich nach Kolkja frage, deutet er mit seinem Kopf in Richtung unseres Lagers. Als ich zurück eile, sehe ich ihn dort auch bereits am Feuer sitzen und auf meine Frage, warum er weg gegangen sei, antwortet er mir, dass er es musste. Er gibt auch zu, dass er den Mörder gesehen habe, dass dieser ihm aber gedroht habe, ihn zu töten, wenn er es verraten würde, weshalb er nichts sagen würde.

Als ich Kantalla bitte, für mich zu übersetzen, was Danjuk gesehen hat, der zwischenzeitlich auch zurück ist, sagt diese nur, dass er nichts Wichtiges gesagt habe. Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass alle hinter meinem Rücken Bescheid wissen und mich bewusst außen vor lassen wollen.

Kolkja unterbricht meine Gedanken, indem er uns mitteilt, dass Funkenhuf in Gefahr sei und ich bitte Nadira, umgehend nach Moorwacht zu fliegen und Tsadan darum zu bitten, dass er Funkenhuf beschützen muss. Wenn er stirbt, waren unsere ganzen Bemühungen umsonst. Das darf nicht passieren. Sie fliegt umgehend los.

Nachdem sie weg ist, fallen mir meine Vermutungen wieder ein, dass die anderen mehr wissen, als sie zugeben und irgendwie scheinen sie mich auch alle so verstohlen aus dem Augenwinkel heraus zu beobachten. Das macht mich betroffen, aber auch wütend, sehr wütend sogar. Habe ich mich nicht immer loyal ihnen gegenüber verhalten? Habe ich mich nicht immer um sie gesorgt, um sie gekümmert? Und jetzt werde ich zum Dank ausgegrenzt? Fehlt eigentlich nur noch, dass sie sich, wie so viele vor ihnen auch, über meine Größe lustig machen, mich hänseln, mir Dinge außerhalb meiner Reichweite legen, damit ich mich lächerlich mache, wenn ich versuche, dran zu kommen.

Ich sollte mich hinlegen, bevor ich mich weiter in diese Gedanken hinein steigere. Außerdem werde ich hier draußen am Lagerfeuer ja sicherlich nicht gebraucht. Sollen die anderen doch ihre Ränke schmieden, wenn sie unbedingt wollen.

24. Rahja 1018 BF

Ich habe wieder geträumt. Ich stehe im Wald von Moorwacht, auf der Lichtung von Funkenhuf. An mir gehen vier Leute vorbei, vier Männer. Sie gehen auf Funkenhuf zu, der müde vor ihnen liegt, sie nicht einmal anblickt. Einer der Männer holt eine Säge aus seiner Tasche und geht damit auf Funkenhuf zu. Ich wache auf.

Ich bete zu den Göttern, dass Nadira rechtzeitig kommt, dass dieser Traum eine Vision der Zukunft war und kein Blick in die Vergangenheit. Aber eigentlich muss Funkenhuf noch am Leben sein, schließlich sind die Temperaturen noch immer über dem Gefrierpunkt.

Wir packen unsere Sachen zusammen und reisen weiter Richtung Norden. Irgendwo nordöstlich von uns soll unser nächstes Ziel liegen. Das sagen zumindest Kolkja und Shakra.

Gegen Abend, wir schlagen gerade erneut unser Nachtlager auf, kommt Nadira zurück. Sie ist über und über mit Blüten bedeckt und auf unsere fragenden Blicke erklärt sie uns, dass dies Funkenhufs Werk sei. Sie sagt, dass sie gerade noch rechtzeitig gekommen sei gestern Abend, dass sie den Angriff der vier Männer, von denen ich geträumt habe, abwehren konnte.

Sie erzählt weiter, dass Tsadan Brack zu Funkenhufs Schutz abbestellt habe und als ich sie frage, ob sie Brack begreiflich gemacht hat, dass Funkenhuf am Leben bleiben muss, bejaht sie dies. Danach übergibt sie mir einen gesiegelten Brief von Golgarah, den ich in meinem Zelt öffne und lese. Darin steht nicht viel, lediglich folgendes ist zu lesen: „Wir müssen reden, der Junge muss leben, mehr am 3. Boron!!!!!!!!!!!!“

Als ich dies den anderen mitteile, äußert Kolkja lediglich, dass er froh ist, dass der Brief rechtzeitig angekommen sei. Was meint er damit?

Im Anschluss kommt Nadira zu mir und bittet mich, mir ihre Beine anzusehen, da sie bei dem Angriff gestern doch ein bisschen was abbekommen habe. Das erste Bein verbinde ich ihr, beim zweiten jedoch stelle ich fest, dass sie es sich ausgekugelt haben muss. Ich bin beeindruckt, dass sie dennoch gelaufen ist, sich nichts anmerken lies und wundere mich ein wenig, dass sie nicht zu Tanile gegangen ist. Andererseits ist sie in Peraines Heimstatt sicherlich gut ausgelastet, nachdem Thindal und Thezmar beide beschlossen haben, ins Gebirge gehen zu müssen.

Ich versuche, Nadiras Bein einzukugeln, jedoch reichen meine Kräfte nicht aus, weshalb ich Thezmar zu Hilfe hole. Diesem gelingt es jedoch ebenso wenig wie mir, doch als wir Ifrundoch bitten, uns zur Hand zu gehen, wünschte ich mir beinahe, es nicht getan zu haben. Er zieht so kräftig an Nadiras Bein, dass dieses noch weiter aus der Hüfte gekugelt wird und sogar noch zweimal bricht. Nadira schreit vor Schmerzen laut auf. Ifrundoch hat viel zu fest gezogen. Das passiert, wenn man jemanden, der in der Heilkunde nicht bewandert ist, solche Tätigkeiten ausüben lässt. Wie damals, als Doram versucht hat, Juchos Schulter zu versorgen. Er hat das Ganze auch nur noch schlimmer gemacht. Thezmar wirkt einen Balsam auf Nadiras Bein und wir entschuldigen uns bei ihr dafür, dass dies passiert ist.

25. Rahja 1018 BF

Diese Nacht haben wir dank Noumiza wieder ohne Träume schlafen können. Nachdem wir bereits etwa einen halben Tag weiter gen Norden gereist sind, kommen wir an einem Schotterhang an, auf dessen halber Strecke zwei menschliche Schädel aufgespießt worden sind mit einem Schild darunter, auf dem "Flakks Lager" zu lesen ist. Soll dies eine Warnung sein?

Gegen Abend erreichen wir einen Stollen, der in den Berg getrieben worden ist und ein Mann mit Vollbart steht in dessen Eingang, die geladene Armbrust auf uns gerichtet.

Als wir ihm erklären, wohin wir wollen und dass die Söldner uns auf den Fersen sind, bietet er uns an, dass wir in seinem Stollen schlafen dürfen, wenn wir ihm dafür am nächsten Tag dabei helfen würden, seine Goldklumpen zu Flakks Lager zu bringen. Er sagt, dass er nicht hier sein wolle, wenn die Kannibalen kämen und dass er sogar den Eintritt für uns zahlen würde, wenn es nötig sei.

Wir nehmen das Angebot von Haldur, wie er sich uns vorstellt, an und ich stelle fest, dass er schon länger hier schürfen muss. Es gibt unzählige Nebenstollen, so dass es sogar möglich ist, dass Rondrasil und ich einen eigenen kleinen Nebenstollen für unser Nachtlager bekommen, so ein wenig Privatsphäre genießen können.

Ich sollte mit ihm reden, ihm sagen, dass ich das Gefühl habe, dass man mir etwas verheimlicht, dass man mich argwöhnisch betrachtet, aber ich habe Angst vor seiner Reaktion. Was, wenn ich mich nicht irre? Was, wenn ich Recht habe? Wenn man hinter meinem Rücken Pläne schmiedet? Was, wenn die anderen etwas Unrechtmäßiges, Böses planen? Oder schlimmer noch, wenn sie mich loswerden wollen?

Moorwacht ist zu meiner Heimat geworden. Ich wohne seit über sieben Jahren hier, meine Eltern sind hierher gezogen, ich habe hier geheiratet, mir eine Existenz aufgebaut, mir einen Namen gemacht. Ich will eine Familie gründen, Kinder bekommen, sie in Moorwacht aufwachsen sehen.

Wo soll ich hin, wenn man mich loswerden will? Und wird Rondrasil mit mir kommen? Oder wird er sich Moorwacht verpflichtet fühlen?

Es fällt mir gerade enorm schwer, meine Gedanken auf etwas anderes zu fokussieren. Ich bin in meiner Kindheit und Jugend zu oft ausgestoßen, ausgegrenzt worden, als dass ich das jetzt so einfach wegstecken könnte. Ich weiß aber auch, dass wir gerade in äußerst schwierigen, wandelbaren Zeiten leben. Was, wenn ich mir das Verhalten der anderen nur einbilde? Schließlich verhält sich Rondrasil mir gegenüber so wie immer.

Andererseits, werden wir beide vielleicht ausgegrenzt? Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kurz bevor der singende Pfeil von Lysandiel ins Lager kam, wollte Cidris unbedingt mit Rondrasil trainieren. Und Shakra wollte mir unbedingt ihr Gris Gris zeigen, als ich nach Lysandiel sehen wollte. Hängt das miteinander zusammen? Hat Hecker da seine Finger im Spiel? Schließlich hat er an dem einen Abend deutlich gemacht, dass er mich nicht unbedingt zu seinen Freunden zählt.

Ich werde mir später, morgen weiter Gedanken dazu machen, Rondrasil hat mich bereits zum zweiten Mal dazu aufgefordert, mich doch endlich hinzulegen.

26. Rahja 1018 BF

Ein eiskalter Wind umfängt uns, als wir vor die Höhle treten. Kolkja teilt uns mit, dass Brack Albin zu Funkenhuf mitgenommen habe und Noumiza erklärt daraufhin, dass Funkenhuf gerade weniger Kraft habe, die Temperatur deswegen so kalt sei. Hat Brack etwa Funkenhuf dazu genötigt, Albins Auge zu heilen? Ich dachte, Nadira hätte ihm erklärt, dass er seine Kräfte schonen müsse.

Haldur kommt gerade aus dem Stollen, einen Karren hinter sich her ziehend, der über und über mit Goldklumpen beladen ist. Wir bitten Noumiza, ob sie uns und den Karren leichter machen könne, damit wir zügig vorankommen, denn schließlich dürfen wir nicht riskieren, unseren Vorsprung zu verringern, indem uns der Karren aufhält.

Ich fühle mich den ganzen Tag so unglaublich leicht, ich meine schon beinahe, dass ich doch fliegen können müsse, wenn ich in die Luft springe. Allerdings habe ich es nicht ausprobiert, das hätte nur für verwunderte Blicke gesorgt.

Abends kommen wir an Flakks Lager an. Ich erkenne eine Palisade, an derem Tor zwei Bewaffnete stehen, die eine, wie Pjerow verlauten lässt, äußerst hochwertige Ausrüstung tragen, sogar die Kleidung ist golddurchwirkt. Wir teilen den beiden offenkundigen Söldnern mit, dass ein Angriff bevor stünde, was sie mit einem Lachen und der Bemerkung, dass sie diese Angriffe schon häufiger abgewehrt hätten, abtun.

Um in das Lager hinein zu kommen, müssen wir Zoll zahlen in Höhe von einem Batzen pro Person. Nadira zückt ohne zu zögern ihre Geldkatze und zahlt für uns alle, einschließlich Haldur.

Hinter der ersten Palisade erkennen wir, dass hier die Söldner untergekommen sind, bevor nach einer zweiten Palisade das Lager beginnt. Ich erkenne diesen Ort aus einem meiner Träume wieder und auch den anderen scheint dies aufgefallen zu sein.

Im Lager selbst angekommen werden wir von Flakk begrüßt, der uns sogleich mitteilt, dass es hier drei Regeln gäbe, die jeder hier einhalten müsse. Erstens, wer etwas stiehlt, der wird gehängt. Mit diesen Worten deutet er ein Nicken in Richtung des Galgenbaumes an, an dem noch einige Leichen hängen. Zweitens, wer Schäden verursacht, muss diese ersetzen. Kann er dies nicht, so wird er gehängt. Und drittens, jeder hier muss die Befehle von Flakk und seinen Leuten befolgen. Tut er dies nicht, wird er gehängt.

Jeder hier im Lager müsse sich nach seinen Möglichkeiten daran beteiligen, dass die Gemeinde versorgt würde, die Jäger jagen und dergleichen. Pjerow bietet Flakk an, dass er im Namen der beiden Tavernen in Moorwacht mit ihm handeln könne, ihm ein gutes Angebot machen könne und Flakk erwidert, dass sie außer Bier nichts dergleichen bräuchten, da Schnaps die Menschen zu aggressiv machen würde. Als Pjerow von seinem Ilmenschnaps und dessen beruhigender Wirkung erzählt, meint Flakk, dass wir diesen Olbek, dem Wirt hier, zum Testen geben sollen. Wenn dieser ihn für gut befände, seien sie im Geschäft.

Dann dürften wir hier sogar in einem gerade frei gewordenen Haus unterkommen, bis wir weiterziehen würden. Wir machen uns also auf den Weg zur Taverne, die passenderweise Saufhaus heißt, als Kolkja uns mitteilt, dass unsere Verfolger jetzt auf Skiern fahren würden, uns schneller erreichen würden, als wir anfangs dachten.

Im Saufhaus angekommen gibt Pjerow Olbek den Ilmenschnaps und sagt ihm, dass dieser eine beruhigende Wirkung habe. Dieser geht daraufhin ins Nebenzimmer und kurz darauf hören wir ein lautes klatschen, als würde jemand gerade jemandem eine Ohrfeige verpassen (mit dem Geräusch von Ohrfeigen kenne ich mich ja, leider, recht gut aus) und kurz darauf einen Jungen weinen. Im Anschluss hören wir ein gurgelndes Geräusch und dann Ruhe. Olbek kommt aus dem Zimmer zurück und teilt uns mit, dass dieser Schnaps tatsächlich eine beruhigende Wirkung habe, sein Sohn würde nicht mehr schreien, wenn er ihn schlüge. Dieser arme Junge.

Betreten blicke ich mich etwas um und erkenne auf einmal mit Schrecken, dass ich auch die Taverne hier bereits aus einem meiner Träume kenne. Es ist jener Traum, in dem aus der Küche ein bestialischer Gestank zu uns kam, nach dem unsere Vorräte verdorben waren.

Olbek teilt uns mit, dass Reinin, der Jäger hier, ab und an etwas Fleisch besorgen würde und dass er einen Eintopf gekocht habe, den wir haben können für die Flasche Ilmenschnaps, die Pjerow ihm gegeben hat. Mit diesen Worten setzt er uns einen Eintopf mit gräulichem Fleisch vor, den wir alle misstrauisch beäugen. Einzig Hecker greift unverzüglich zu und teilt uns noch mit einem Kennerblick mit, dass er vermute, dass es sich hier gerade um Wade handeln würde. Etwas versalzen zwar, aber dennoch gut essbar, wie er sagt.

Ich meine, mich verhört zu haben. Hat Hecker gerade gesagt, dass es sich hier um Menschenfleisch handelt und vor allem, isst er gerade tatsächlich die Schüssel leer? Während ich noch überlege, ob das Ganze vielleicht nur ein dummer Scherz von Hecker war, ob ich mich verhört habe, kommt ein Mann herein, der offenbar der Jäger zu sein scheint. Er trägt einen Sack auf seinem Rücken, aus dem Blut heraus tropft. Danjuk hält in einem unbeobachteten Moment, als Reinin an uns vorbei in die Küche geht, seine Hand darunter und leckt anschließend das Blut ab. Auch er sagt, dass es sich um menschliches Blut handelt.

Wir anderen schieben daraufhin alle unsere Schüsseln weit von uns, teilen Flakk, der gerade zu uns gestoßen ist, mit, dass wir vorhin bereits gegessen haben, was noch nicht einmal gelogen ist. Dieser erwidert, dass er selbst Vegetarier sei und dass Reinin nur für ihn immer wieder auch Wurzeln und Beeren suchen müsse, er das Fleisch nicht vertragen würde.

Nach diesen Worten zeigt er uns das Haus, in welchem wir wohnen dürfen. Es steht direkt neben dem Galgenbaum. Er sagt uns, dass jeder im Rahmen seiner Fähigkeiten mithelfen müsse, gibt uns zu verstehen, dass wir pfleglich mit dem Haus umgehen sollen und Pjerow erwidert, dass er das Haus sauberer vorfinden würde, als vor unserer Ankunft.

Während Nadira und Pjerow sich daran machen, das Haus zu putzen, erklärt Jaminka, dass sie mit ihrer Verletzung das Privileg habe, das einzige Bett hier in Beschlag zu nehmen und niemand widerspricht ihr. Kurz danach verlässt sie das Haus.

Mir fällt auf, dass Kolkja an einem der Fenster steht, die mit einer Schweineblase halbwegs abgedichtet worden sind und auf meine Frage, warum er den Galgenbaum so anstarre, antwortet er mir, dass sie alle noch da seien, dass er sie nicht einfach dort lassen könne, dass die knochige Frau ihm gesagt habe, dass er alle sammeln müsse.

Es gelingt mir, ihn davon zu überzeugen, dass er im Haus bleibt, dass er sie jetzt erst einmal dort lassen solle, wo sie sind. (Ich vermute, dass er die Seelen der Verstorbenen meint, aber ganz sicher bin ich mir nicht.)

Wir müssen versuchen, so unauffällig wie nur irgend möglich zu bleiben, hier keinen Ärger zu machen. Wir müssen einzig die Namenlosen Tage hier hinter uns bringen, jedes Lager ist besser als draußen in einer dämonisch pervertierten Wildnis. Selbst wenn es ein Lager voller Kannibalen ist. Nur Kolkja macht mir Sorgen, er war schon häufiger einfach so weg. Ich sollte besonders gut auf ihn aufpassen. Die nächsten zehn Tage werden nicht einfach werden.

Da wir alle uns hier nicht besonders wohl fühlen, beschließen wir, auch hier nachts Wachen aufzustellen. Dabei bitte ich die anderen darum, auch ein Auge auf Kolkja zu haben, der wieder vor dem Fenster sitzt und die Leichen am Galgenbaum anstarrt. Danach suche ich mir eine Ecke, in der ich den Schlafsack von Rondrasil und mir platziere und lege mich hin. Ich merke, wie meine Gedanken schon wieder beginnen, sich nur noch um das Eine zu drehen, weshalb ich es vorziehe, meinen Schlaf zu erzwingen. Ich wende dabei eine Technik an, die ich im Zusammenhang mit meiner großen Meditation gelernt habe, mache meinen Geist so frei, wie es mir möglich ist, versuche, an nichts zu denken.

27. Rahja 1018 BF

Ich habe wieder geträumt. Ein Teil von uns, namentlich Cidris, Danjuk, Ifrundoch, Nadira, Pjerow und ich stehen in einem kleinen Raum. Ich erkenne die Küche vom Saufhaus und sehe, wie Olbek gerade eine menschliche Hand mit einem Fleischermesser zerkleinert und in einen Topf schmeißt.

Flakk steht daneben und redet mit Reinin, der ebenfalls anwesend ist und Olbek. Sie reden von uns, Flakk fragt, ob er uns gleich loswerden solle oder ob er erst einmal abwarten solle. Reinin, bei dem ich erkenne, dass eins seiner Augen aus Eis zu sein scheint, antwortet, dass er uns nicht möge, vor allem nicht die beiden Geweihten. (Woher weiß er, dass Danjuk auch ein Geweihter ist? Ihm sieht man es nicht einfach so an.) Olbek erwidert, dass er endlich mal wieder etwas Richtiges kochen wolle und Flakk sagt daraufhin, dass er erst einmal abwarten wolle, wie wir uns anstellen. (Ob er darauf spekuliert, dass Danjuk und Ifrundoch etwas zu Essen erjagen können?)

Kurz darauf schaut Reinin in unsere Richtung, sieht uns direkt an und mir wird kalt. Ich biete alle meine Selbstbeherrschung auf und versuche dieses Mal nicht aufzuwachen, sondern im Traum zu bleiben, aber es gelingt mir nicht. Mit klopfendem Herzen wache ich auf.

Durch das Fenster erkenne ich, dass ein neuer Tag angebrochen ist. Rondrasil liegt neben mir und schläft tief und fest. Er hat mittlerweile, wie die anderen Männer in unserer Gruppe auch, einen Bart bekommen. An Rasierzeug hat offenbar keiner gedacht, als wir uns für diese Expedition ausgerüstet haben. Aber ich muss sagen, so schlecht sieht Rondrasil mit Bart gar nicht aus. Ja ich glaube fast, dass es ihm sogar steht.

Ich schmiege mich eng an ihn, lege meinen Kopf auf seine Brust und lausche dem Schlagen seines Herzens. Es schlägt ruhig und gleichmäßig und sorgt so dafür, dass auch ich noch einmal ein wenig zur Ruhe komme.

Ich frage mich, ob ich den Gardianum üben sollte. Ich befinde mich in keiner Stadt und wenn ich ihn hier im Haus übe, sollte niemand etwas davon mitbekommen, besonders nicht, wenn ich ganz leise bin. Ich bleibe nur noch ganz kurz liegen, nur noch ein paar Minuten die Stille und Geborgenheit genießen.

Abenteuer: Goldrausch Teil II
Dieser Eintrag wurde am 18.07.2017 (15:43) verfasst und 547 mal aufgerufen.
Kommentare:
Dieser Eintrag wurde noch nicht kommentiert.
DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN, DERE, MYRANOR, THARUN, UTHURIA und RIESLAND sind eingetragene Marken der Significant Fantasy Medienrechte GbR. Ohne vorherige schriftliche Genehmigung der Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH ist eine Verwendung der genannten Markenzeichen nicht gestattet.
Diese Webseite nutzt Grafiken aus dem "Das Schwarze Auge" - Fanpaket.
Wir freuen uns über deine Unterstützung:
Hinweis:
Einige Funktionen dieser Webseite verwenden Cookies.
Weitere Informationen: Datenschutzerklärung | Impressum Verstanden und akzeptiert