Unter welch einem anderen Stern meine nächste Reise beginnen würde. War ich zuerst als gejagter, unerfahrener Spund aufgebrochen, geflohen aus dem Selemgrund in gen Firun hinauf so würde ich nun, mit dem Segen meines Vaters und in seinem Namen, erneut losziehen, bereits einen alten Freund am Ziel meiner Reise wissend. Ein schönes Gefühl! Ich war froh, noch rechtzeitig nach Hause gekommen zu sein um den Brief Fabrizzios auch noch vor der Hochzeit zu erhalten. Man denke nur, meine Schritte hätten mich stattdessen noch einmal woanders hin geführt oder ich wäre in Brabak bei Junicera geblieben? Ich hätte dieses frohe Ereignis glattweg verpasst. So aber musste ich mich natürlich auch darauf vorbereiten. Zuerst lies ich die Dienerschaft meine Garderobe ausbessern, die, zugegebenermaßen, in den letzten Monden ein wenig gelitten hatte. Gerade der Marsch durch den Dschungel und das Gestrüpp ist dem feinen Stoff einfach nicht förderlich. Dann erkundigte ich mich noch in dem von Fabrizzio im Brief erwähnten kleinen Kontor seiner Familie, wann mit der Abfahrt des nächsten Schiffs zu rechnen sei. Eine gute Woche Zeit blieb mir noch, die ich wohl nutzen mochte. Die Anfrage mit dem Hochzeitsgeschenk löste mein Vater hingegen auf denkbar elegante Weise… nachdem ich in seinem Namen unterwegs sei, soll ich mich doch bitte auch selbst darum kümmern, schließlich sei ich es der den Bräutigam kennt. Die kosten wolle er wohl tragen, aber ich soll es doch bitte nicht übertreiben… Ich zermarterte mir den Kopf, was denn nun bei solch einem Anlass angebracht sei. In Hochzeitsdingen, das gebe ich unumwunden zu, kenne ich mich nicht wirklich aus. Noch nicht einmal mit den Gebräuchen die bei uns dazu so herrschen, geschweige denn mit dem, was man im Lieblichen Feld als angemessen betrachten würde. Eine schnelle Recherche was Al’Anfanische Hochzeitsbräuche anging brachte mich da auch nicht weiter. So ist es wohl bei uns üblich, dass Braut und Bräutigam die Nacht vor dem Traviabund getrennt verbringen… ausgelassen feiernd in verschiedenen Freudenhäusern. Das, so stellte ich mir vor, könnte im biederen Bethana ein wenig für Verstimmung sorgen, war also schon einmal nicht das richtige. Und eine Tempelgans der Travia mit Futter zu bestechen und als Symbol der glücklichen Ehe über die heimische Schwelle zu locken fiel auch aus. Nicht, dass der Gedanke so abwegig war. Aber nachdem ich, natürlich in standesgemäßer Robe, beim Traviatempel vorgesprochen und mein Anliegen dargelegt hatte, zeigte mir die resolute Geweihte im wahrsten Sinne des Wortes den Vogel, ich solle mich gefälligst davon scheren. Nimmer würde sie mir eine ihrer Gänse für eine nur wenige Wochen dauernde Fahrt ins horasische ausleihen um dort eine Hochzeit zu segnen, das wäre die dümmste Ausrede die sie bisher gehört hätte und ich solle ihre armen Tierchen mit meinen schwarzmagischen Sauereien gefälligst in Ruhe lassen… naja zugegeben, mein Aufzug war vielleicht nicht gerade hilfreich dabei und es stimmt schon, so ein Gänseopfer hätte als Donarium an einen Diener Lolgramoths wahrscheinlich wirklich viele Vorteile… aber auf den Gedanken war ich vorher ja noch gar nicht gekommen, ich hatte es ja wirklich ehrlich gemeint! Also musste ich mir wohl noch etwas anderes überlegen…
Auf der anderen Seite hatte ich im Borontempel mehr erfolg. Von einem der fliegenden Donarienhändler erwarb ich einen kleinen Raben aus schwarzem Stein und lies ihn von einem der schweigenden Brüder segnen. Dies sollte meine Gabe an Fabbrizios verstorbenen Vater sein, der mich immerhin fürstlich entlohnt hatte und dessen Ableben ich ebenfalls sehr bedauerlich fand. Den Toten soll man den gebührenden Respekt erweisen, und was wäre dabei besser geeignet als ein gesegneter Gegenstand aus dem wichtigsten Tempel des Boron, den es auf Dere gibt? Den würde ich auch auf Vaters Rechnung setzen… Nur brachte mich das mit dem Geschenk nicht weiter und Ideen wollten sich auch keine mehr einstellen. Am Abend klagte ich Liliana meine Not. Ich hätte gleich darauf kommen sollen… was hat den eine Grandentochter sonst den lieben langen Tag zu tun als sich die Hochzeit mit ihrem Märchenprinzen auszumalen? Meine gute Schwester war ein sprudelnder Quell an Ideen, was dieses Thema betraf! Wie beiläufig erfuhr ich dabei, dass sie tatsächlich derzeit für einen Burschen aus der Honak-Sippe schwärmte, und ich nahm mir vor den Kerl bei Gelegenheit einmal ordentlich zu begutachten, und zu warnen, er möge meiner Schwester nicht weh tun. Aber nach der halben Nacht, in der ich aufgeklärt wurde was alles zu einer nach Lilianas Meinung guten Hochzeit gehören würde, waren wir uns einig und ich wusste was ich noch zu besorgen hatte. Für Fabrizzios holde Dame würde ich einen Schleier aus rot und orange gefärbter Seide mitführen, ein Stück das hier im Süden hergestellt wird und passend mit den Farben Rahjas und Travias versehen der Würde des Anlasses Rechnung trug. Für Fabrizzio, der sich damals in der Miene ja als durchaus kämpferisch gezeigt hatte, erwarb ich einen kunstvoll in einen Gehstock aus dunklem Mohagoni eingebetteten Stockdegen. Dem Mann von Welt angemessen, tragbar zu jedem Anlass und geeignet, seine wachsende Familie zu verteidigen. Ich hoffe nur, Gehstöcke entsprechen der derzeitigen Mode im Horasreich… da waren weder Liliana noch ich mir sicher… Die Rechnungen für die Stücke lies ich Vaters zähneknirschenden Kassenwart zahlen, der die Anweisung bekommen hatte mir die Auslagen zu ersetzen (natürlich nur gegen Vorlage einer Quittung, aber das hatte ich mir schon gedacht und den überraschten Händler der mir den Stockdegen verkauft hatte gebeten die Rechnung doch 2 Dukaten höher zu stellen anstatt mit ihm zu feilschen. Sein fragendes Gesicht hatte sich aufgehellt, als ich ihm erklärte einer der Dukaten sei für mich als Beleg für eine andere Ausgabe die ich getätigt hatte, der zweite für ihn, seine Mühen und seine Verschwiegenheit…)
Die letzten zwei Tage vor der Abfahrt genoss ich noch einmal die Geborgenheit bei Muttern und Schwester, während ich meine wenigen Reiseutensilien zusammen packte. Zwar schon mehr als bei meiner ersten Reise, aber immer noch bei weitem nicht so viel, dass ich mich als Packesel fühlen musste. Meine Bücher und die Alchemistischen Utensilien lies ich selbstverständlich daheim, aber das meiste andere nahm ich dann doch lieber mit. Vater schärfte mir beim letzten gemeinsamen Abendessen noch einmal ein, ich sollte doch bitte mit einer Zusage zu einer neuen Handelspartnerschaft und einem Vertriebsweg unserer Erzeugnisse im Horasreich zurückkommen. Und dann, am nächsten Morgen, war ich auch schon wieder mit der ausklingenden Flut auf dem Weg. Die Schivonella „Alabastertaube“ der Familie Garangor machte einen guten Eindruck, soweit ich das mit meinen laienhaften Kenntnissen der Seefahrt beurteilen konnte. Wir fuhren zügig im aufkommenden Ostwind auf die See hinaus und ich begrüßte lächelnd das rauschende Meer indem ich mich, wenn möglich, an die Reeling stellte um in die Ferne zu sehen. Leider ist es bis ins liebliche Feld kein Katzensprung, und bald schon wurde es mir auf dem Schiff dann doch etwas langweilig. Ich hätte doch eines der Bücher mitnehmen sollen um mir die Zeit zu vertreiben. Interessante Gesprächspartner waren leider keine an Bord, und als ich nur einmal zum Zeitvertreib ein wenig zauberte (ein simpler Aureolus, nichts dramatisches) gingen diese abergläubischen Seefahrer fast durch und der Kapitän drohte mir an, wenn ich nochmal so einen Blödsinn machen würde, könne ich ja zu Fuß gehen, er würde mich gern in der Nähe der nächsten Küste über Bord werfen… So blieb mir also nichts anderes übrig als mich in Geduld zu üben und die wenigen Landgänge auf der Strecke zu nutzen. Einer dieser Landgänge war es dann auch, der das einzige nennenswerte Ereignis dieser Reise mit sich brachte.
Wir waren gerade im Hafen von Kuslik gelandet, immerhin als Stadt doch einer der Inbegriffe von Gelehrsamkeit und Wissenschaft, so dass ich wirklich neugierig war, wie es dort den zugehen mochte. Die örtliche Universität war quasi so berühmt wie die von Al’Anfa selbst, und von der Bücherei und dem Hesindetempel will ich noch gar nicht reden! Aber das hatte ich in meine Reisepläne und die mir von Vater gestellte Reisekasse einbezogen. Wenn man als Magus schon die Möglichkeit hat, in Kuslik Station zu machen, dann muss man das auch nutzen. Ich hatte daher in die Reisezeit einen Aufenthalt von immerhin einer Woche einkalkuliert, und die Winde waren auch günstig gestanden, so dass ich nun sagenhafte 9 Tage Zeit hatte die Stadt zu erkunden, bevor ich mit dem nächsten Küstenspringer spätestens weiter nach Bethana müsste. Der Hilfreyche Leitfaden des wandernden Adepten hatte das studentische Leben in Kuslik in den höchsten Tönen gepriesen, und dass wollte ich mir nun selbst einmal ansehen…
Meine Ankunft viel auf einen warmen, sonnigen Tag, wie er für das hiesige Klima üblich ist, und nachdem ich mich vom Kapitän der Alabastertaube verabschietdet und meine Sachen in einer nicht zu teuren Herberge, der „Guten Ruh“, verstaut hatte (kost und Logis für nur 4,5 Silber am Tag!), nahm ich mir erst einmal einen Stadtführer, um mich mit der Örtlichkeit Vertraut zu machen. Dieser Verstand sich trefflich auf seinen Beruf. Kuslik sei, so der Führer, eine der ältesten und geschichtsträchtigsten Metropolen Deres. Gelegen am Yaquirmund, so nennen die Einheimischen das Flußdelta des Yaqirs wo er ins siebenwindige Meer mündet, bietet sich ein grandioser Anblick bei der Fahrt in den Hafen, und das konnte ich bestätigen. Hier seien wohl auch die ersten Siedler aus dem Güldenland in der verheißungsvollen neuen Welt Aventurien gelandet. Neben Vinsalt, dem Sitz des Horas, ist Kuslik dann auch die bedeutendste Stadt des lieblichen Feldes und mittlerweile sogar größer als dieses, da mehr als 20000 Seelen der Stadt pulsierendes Leben einhauchen. Nun, das mag beeindruckend sein, aber in AlAnfa, so weiß ich, lebt ein Vielfaches davon, damit konnte man mich also kaum zum Staunen bringen. So besahen wir auf dieser Tour direkt die Alte Burg (der ehemalige Regierungssitz, jetzt aber nur noch Ort von diversen Verwaltungseinrichtungen), die Stadtwache, das Stadtverlies, die alten und ehrwürdigen Tempel von Praios, Rondra und Travia sowie, für mich besonders faszinierend, die „Halle der Antimagie“, eines der renomiertesten Institute auf diesem Gebiet. Dann kamen noch die Fürstenresidenz, der pompöse Hesindetempel und Hort der angeblich größten Bibliothek Deres mit den ältesten Schriften und Wallfahrtsort vieler Gelehrter und Magier sowie eine kleinere Akademie, die „Halle der Metamorphosen“ an der Nordseite des Tempels. Am Abend war ich dann von dem langen gehen durch die Stadt recht erschöpft und musste erst einmal ruhen, aber das war gut so, denn ich wollte ja morgen auf eigene Faust losziehen und sehen was die Stadt so bieten würde. Allerdings viel die Ruhe dann doch kürzer aus als Gedacht, da die Kusliker ein recht offenes und fröhliches Volk ohne rechte Kontaktscheue sind, so dass ich nur kurz allein am Tisch in meiner Herberge saß und bald fröhlich mit einigen jungen Herren durch die Tavernen zog statt zu schlafen. Wahrlich, der Umgang mit berauschenden Kräutern und Tees ist hier, für das liebliche Feld zumindest, doch sehr freizügig, fast wie daheim. Waffenverbote schien man ebenfalls vergeblich zu suchen, da hier fast jeder der es sich leisten konnte oder wollte ein Schwert oder einen Degen gegürtet hatte, selbst die Studiosi. Und die Garde sah dem Treiben recht entspannt zu und hielt sich dezent im Hintergrund, solange kein echtes Ungemach drohte. Und, dass stellte ich shcnell fest, der Kusliker an sich, zumindest in den wohlhabenderen Vierteln, war recht in der Regel recht wohlgenährt, dafür weniger der körperlichen Ertüchtigung zugetan – außer beim Heben des Weinhumpens. Ich fühlte mich auf anhieb wohl, das Leben hier schien außerordentlich Spaß zu machen. Vielleicht sollte ich auf dem Heimweg sogar noch einmal einen kurzen Abstecher hierher machen. Mit meinen neuen Freunden, die sich hier bestens auskanten und in der Mehrzahl Studenten der örtlichen Kunstakademie waren, verschlug es uns zu späterer Stunde dann wohl auch irgendwie in ein Etablissement in Richtung des Hafens, wo die Gegend schon nicht mehr so einladend war, aber dafür die Getränkepreise deutlich günstiger. Es war schon weit nach Einbruch der Dunkelheit, die man in Kuslik aber wegen der vielen erleuteten Fenster und Türen weit weniger spürte als Anderswo, als ich mich leicht wankend auf den Heimweg zu meiner Herberge machte. Es war gar nicht so leicht, sich ohne Ortskundigen in dem fremden Wirrwar der Gassen zurecht zu finden, zumal im Dunkel, aber es gelang mir einigermaßen, Richtung Oberstadt zu steuern, als ich, kurz vor dem Übergang in die besseren Viertel, Rufe aus einer Seitengasse vernahm. Ich blieb kurz stehen, lauschte, horchte… eindeutig Hilferufe. Mit dem Mut des leicht angeheiterten zog ich meinen Dolch - nur der Vorsicht halber – und spähte ums Eck. Keine 30 Schritt entfernt sah ich einen zerlumpten, dafür aber hühnenhaften Kerl brutal auf einen alten Mann einschlagen, der sich keuchend am Boden krümmte. „Ich mach Dich fertig, alter Leutbetrüger“, schrie der Finsterling gerade in die Nacht. Mit einem tapferen Ruf auf den Lippen stürmte ich in die Gasse, woraufhin der Lump zu mir herumwirbelte, wohl um sich mir zu stellen, aber als er meiner Robe ansichtig wurde glomm die Furcht in seinen feigen Augen auf und er gab umgehend Fersengeld. Das wäre also schon einmal geschafft – zum Glück, ich atmete auf. Das letzte was ich jetzt gebraucht hätte, wäre eine unrühmliche verlorene Prügelei in einer dunklen Gasse oder, noch schlimmer, ein totgezauberter Stadtbewohner der mir nur wieder Scherereien eingebracht hätte. Ich kniete mich zu dem verletzten Alten und half ihm auf die Beine. „Et jeht schon, habt Dank…“ presste er atemlos hervor und klopfte sich den Gassenschmutz aus den Kleidern. Ich versuchte ihn kurz auszufragen, aber er war recht einsilbig, zumindest erfuhr ich nicht, was ihm diesen Ärger eingebrockt hatte. Aber immerhin lud er mich zum Dank auf einen Umtrunk ein. „Noch allet dran, mein Freund, die Götter möjen Euch sechnen“ dabei streckte er sich und es knackte vernehmlich „muß meene alten Knochen wieder ordnen. Ick bin der Trödler Pano, hab nen kleenen Laden, Trödelkram und so, wisst ihr? Wie wäret denn, morjen abend zusammen eenen zur Brust zu nehmen? Auf meene Kosten natürlich! Kommt in‘ Schnabel, nich schwer zu finden.“ Dankend nahm ich das Angebot an, einen kostenlosen Trunk soll man ja nicht ausschlagen bei Travia, um endgültig zu Bett zu gehen. Der nächste Tag stand im zeichen eines bunten und lustigen Umzugs an dem insbesondere Kinder und einfache Leute beteiligt waren. Man erklärte mir, dass heute vor vielen Jahren die Fürstin ein Gesetz erlassen hatte, welches den Familien der Stat große Steuererleichterungen einräumte, wenn Sie drei oder mehr Kinder hätten. Ein ungewöhnliches Gesetz für eine eh schon stark bevölkerte und enge Stadt. Aber es diente wohl dazu den Wettstreit mit Vinsalt um den Titel größte Stadt des Horasiats zu gewinnene – und hatte Erfolg. Seitdem ziehen die betroffenen Familien einmal im Jahr zum Dank durch die Stadt… Am Abend fragte ich mich zum „Schnabel“ durch was wirklich recht einfach war, und wurde von einem krächzenden schwarzen Raben mit den Worten „Haste Dukaaaten?“ begrüßt. Ich bejahte arglos und amüsiert die Frage da krakeelte der Vogel schon weiter “Gib her!“ Als ich ihm, mehr zum Scherz, eine Münze hinhielt, schnappte sich das diebische Federvieh diese zu meiner Überraschung und lies sie in en Kästchen fallen, während der Schankraum um mich herum, wohl auch ob meines verdutzten Gesichts, in schallendes Gelächter ausbrach. Nun ja, man soll ja Humor am besten beweisen, wenn man auch über sich selbst lachen kann, und so setzte ich mich schmunzelnd an einen Tisch um zu warten. Zwei Stunden später war meine gute Laune verflogen… der Alte hatte mich wohl versetzt und ich wurde des Wartens überdrüssig. Da ich aber eh noch Müde von meinem letzten längeren Nachtausflug war, lies ich es heute ruhig angehen und begab mich direkt zurück in die Herberge, nicht ohne mich weiter zu ärgern. Immerhin hatte ich dem Zausel die Barschaft, vielleicht sogar das Leben gerettet! Dankbarkeit schien keine Stärke der Kusliker zu sein! Oder hatte sein nichterscheinen vielleicht einen anderen Grund? Noch im Halbschlaf hatte ich das Bild einer bulligen Gestalt vor Augen, die mich hämisch angrinste… Am nächsten Morgen erwartete mich, wieder einmal, ein gutes Frühstück, bevor ich meine Unterkunft verlies und mir Gedanken machte wie ich diesen erneut wunderschönen Tag verbringen sollte…
Auch an diesem Morgen, wie hätte es anders sein sollen, war Kuslik von pulsierendem Leben erfüllt. In den Straßen nahe meiner Herberge drängelten sich die Bürger, Bediensteten und Händler, die meisten wohl auf dem Weg zum Einkauf am wöchentlichen Markt. Am wolkenlosen Himmel lächelte Praios über dem geschäftigen Treiben und doch war es, dank des leichten, salzigen Seewinds nicht zu warm. Ein Tag wie er schöner kaum sein konnte, freute ich mich still. Tief sog ich die frische Brise ein und vertrieb den letzten Rest Müdigkeit aus meinen Kopf. Leider lies mich der Alte und was aus ihm geworden ist, sowie mein noch ausstehender Dankestrunk, nicht los. Nicht das ich es nötig gehabt hätte mich von dem Alten frei halten zu lassen, aber da ging es irgendwie auch ums Prinzip. Also beschloss ich, erst einmal erkundigungen über meinen flüchtigen Bekannten einzuholen.
Ich musste mehrere Passanten, die aber hier in Kuslik durchweg freundliche und hilfsbereite Menschen zu sein schienen, befragen, bevor ich mir sicher sein konnte den richtigen Weg einzuschlagen. Nun ja, in einer Stadt dieser Größe ist ein einfacher Trödler natürlich nicht jedem Bekannt, das hätte ich mir denken können, aber nach etlichen Versuchen hatte ich dann doch Glück. Am Efferdplatz hatte ich dann endlich Erfolg. Ein Handwerker kannte den Trödler tatsächlich und beschrieb mir den Weg: „Anne alten Burg (kenne ich schon!) vorbei, da kommt dann des olle Stadtjemäuer, denn bei Androschs Anker, ne schnuckelije Kneipe, rechtsrum da. Da isses nich weit zur nächsten Gaß, und da jehste nochma links erum, nich zu verfehlen.“ Das war, wenn auch keine besonders schön vergebrachte, doch zumindest eine sehr konkrete Wegbeschreibung! Ich bedankte mich und machte mich umgehend auf den Weg in die Südstadt, wo die weniger Begüterten Bevölkerungsschichten wohnten – und das passte ja auch zu einem einfachen Krämer. Es brauchte nicht lange um die Taverne Androschs Anker zu erreichen. Wirklich, hier leben die einfachen Leute, was für ein Unterschied zu den Häusern jenseits der alten Stadtmauer. Enge Gassen in denen herumlaufende Kinder einem Korkball hinterher jagen oder eine Schar anderer halbwüchsiger verfolgen, aus den Werkstätten der Hinterhöfe dringt der Arbeitslärm und vom nahen Hafen gellen laute Rufe herüber. Ein klappriger Ochsenkarren ratterte vorbei , beladen mit Möbeln und Habseligkeiten einer Familie, die anscheinend dem Stadtleben nicht gewachsen war. Weinende Kinder, ein alter Mann, der gebrochene Vater… alle zogen an mir vorbei und niemand hier in Kuslik wird sich wohl an sie erinnern… Welches Schicksal sie wohl erlitten haben? Aber das ist nichts, was mich jetzt etwas angehen würde. Ich schlug den Weg rechts der Taverne ein, bis zur zweiten Kreuzung und dann links vorbei an alten Wohnhäusern Hinetr einer leichten Biegung sag ich schon das Giebeldach mit dem hölzernen Schild, auf dem un dunkler Farbe „Trödelwaren Parvelleck“ zu lesen war.
Das kleine Haus machte einen ungepflegten Eindruck, passte aber in die Umgebung. Nebenan ein zweistöckiges Gebäude, gegenüber eine Fleischerei, Hinterhöfe und der Seitenflügels eines kleinen Hotels. Ich beschloss, erst einmal einfach zu klopfen, so wie es der Anstand eben gebührt. Aber es wunderte mich irgendwie nicht, dass darauf keinerlei Reaktion erfolgte, und nach dem Drücken der Klinke wusste ich auch, dass abgesperrt war. Das Schloss selbst wäre wohl kein Problem für mich gewesen, aber noch sah ich keinen Grund, in ein fremdes Haus einzudringen. Daher wandte ich mich dem Nachbarhaus zu, vielleicht konnte man mir ja dort eine kurze Auskunft geben. Erstaunlich schnell öffnete mir dort eine dickliche Frau von etwa Fünfzig Götterläufen, die eine breite Schürze um die ausladenden Hüften gebunden hatte. Dafür wurde ich sehr freundlich angelächelt und nach meinem Begehr gefragt. Da ich keinen Grund sah hinter dem Berg zu halten fragte ich Sie direkt nach dem Trödler und schilderte ihr auch gleich, wie ich zu dieser seltsamen Bekanntschaft gekommen war. Dies schien ihr zu gefallen, denn ein glückliches „Endlich is da Eener, der den juten Pano vermisst! Seitdem er jestern verschwunnen is, weeß ich ma keenen Rat mehr. Ich koch nämlich für ihn, wißta…“ Sie sei, wie so oft, gestern bei ihm gewesen, nachdem sie ihm sein Essen gekocht hatte. Er wäre gerade bei einem Tagebucheintrag gewesen, aber als sie später zum Abwasch kam, war er im ganzen Haus nicht mehr zu finden. Die obligatorische Frage, ob ich ihn denn suchen wollte bejahte ich natürlich, hörte sich das gesagte doch recht seltsam an. Nachdem die dicke Frau schnell einen Schlüssel herbeigeholt hatte lies sie mich ins Haus des Trödlers ein und öffnete die Fensterläden um ein wenig Licht herein zu lassen. Der erste Raum war vollgestopft mit allerlei Plunder und wertlosem Tand. Kein Wunder das der Trödler, wie die Frau gleich weiterschwatzte, in Geldnöten war. Ein kurzer Blick auf die Auslagen bestätigte meinen Verdacht. Holzlatten, bretter, Besenstiele, uralte Kettenglieder, wertlose Amulette und Glücksbringer, eingestaubte Lampen, Muscheln, Eimer, Pinsel, heruntergebrannte Fackeln, Figürchen, rostige Nägel und ähnlicher Müll. Bei diesem Sammelsurium an Schrott hätte ich hier auch nicht einkaufen wollen. Sie geleitete mich zum Wohnraum, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte. Dieser war nur durch einen dünne, ausgefransten Vorhang in zwei Teile getrennt. Eine Küche mit offener Feuerstelle, einem Eßtischchen einer Geschirrablage nebst ollen Lappen und unordentlich herumliegenden Besteck, sowie eine Schlafnische mit Bett. Einige wenig interessant scheinende Türen führten weiter ins Haus. Schon hub die dicke Schnattertante wieder an zu sprechen, da konnte man sich ja kaum einmal konzentrieren! „Ich hatt ihm ja dat Essen jemacht und war dann fürn Moment wech. Als ich denn zurückjekommen bin, um nach ihm zu schauen, war er nicht mehr an seenem Platz! Hier hat er jesessen, und da standen seene Schlappen. Der Teller war noch kaum anjerührt. Dat kleene Buddelschiffchen stand da, nebben de Teller. Und seen Tajebuch lach da auch. Hab dann nach ihm jesucht, aber er war nich zu finden. Nach ner Weile hab ich dann aufjeräumt, den Korken uffe Flasch un sowas. Aber er si den janzen Nachmittach nich wiederjekumme. Dann war ich inne Nachbarschaft, aber nits jewesen. Bin auch zur Garde, aber da hamse sich dafür nich interessiert. Meinten, er würd schon wiederkumme! Dann war da son fein jung Bursch, der für de Kuslicher Kurier arbeitet. Un der hat dann den kleenen Artikel geschrieben.“ Dabei deutete sie auf eine zweiseitige Gazette auf dem Esstisch. „Habta jelesen?“ Ich nahm das Blatt in die Hand und überflog den Artikel, der im wesentlichen genau das wiedergab, was mir gerade geschildert wurde, während der Damsel die Tränen in die Augen stiegen und sie heftig schnäuzte. Mein Blich wandere durch den Raum und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als die Dame auf einmal herumfuhr und sich mit einem „Bei mir drüwen klopt et, kurzen lugen wers is“ davon stob. Ich sah zum Fenster hinaus und stellte fest, dass eine weitere angegraute Dame begann, die Nachbarin in ein Gespräch zu verwickeln. Das dürfte dauern… Ich sah mich im Raum um. Als erstes erregte das Ablagebrett meine Aufmerksamkeit. Auf dem Bord lagen, neben dem üblichen Gerümpel eine hübsche Schatulle, ein Stapel Pergamentrollen und das Flaschenschiff, das die Dame bereits erwähnte. Da das Gespräch der alten Fregatten wohl noch länger dauern wrüde nahm ich mir zuerst die Pergamente vor. Mit kritzeliger Handschrift hatte der Trödler dort Berechnungen angestellt. Wenn man die Ankürzungen K H S in Kreuzer, Heller und Silbertaler umdeutete und insbesondere beim S kaum einmal zweistellige Zahlen dabei fand wunderte es nicht, dass der Trödler kein vermögen verdient hatte… Die kleine Schatulle, eine schöne Arbeit mit Rosenornamenten und filigranem Schloss, widersetzte sich meinen Öffnungsversuchen nur kurz. Leider war der Inhalt genauso enttäuschend wie die Buchführung des Trödlers. Eine völlig wertlose Steinchensammlung von jemandem, der anscheinend noch am profansten Kiesel seine Freude gehabt hatte. Ich musste unwillkürlich den Kopf schütteln über so viel unvermögen in Geschäftsdingen. Jetzt war ich da ja schon nicht gerade phexgesegnet, aber dieser Trödler… ein wunder das er noch nicht den Hungertod gestorben war. Blieb noch das Flaschenschiff. Ein äußerst geschickter Bastler musste es in die Flasche hinein befördert haben, mir war schleierhaft wie das vonstattengegangen sein soll. Das Glass der Flasche war dunkel und verschmutzt, das Siegel des Korkens zerrissen. Hinter der Flasche lag ein kleines Buch, offenbar das von der Dame erwähnte Tagebuch. Bei einem ledernen Lesezeichen fand ich folgenden Eintrag: „3.Nam: Normalerweise macht man an solch düsteren Tagen keine Geschäfte, aber ich habe eine Ausnahme gemacht. Der Junge brauchte einfach das Geld! Ich habe die ganze Kiste mit Tand gekauft und das für nur 6 Taler. Es waren 2 alte Öllampen, eine schwarze Kerze (seltsam weich und mit Gravur), ein rostiger Ring, 3 schmutzige Federn, ein kleines Buddelschiff mit Siegel, ein Messingglöckchen und ein krummes Messer. Der Junge war froh, dass ich ihm die Sachen abkaufte. Habe ihm für die Nacht Jorgens Herberge empfohlen. Dann war da noch ein finsterer Kerl, ging immer am Haus vorbei. Habe alles verriegelt und niemanden mehr eingelassen…“ Ich war so vertieft in die Lektüre, das ich erschrocken herumfuhr, als die Nachbarin zurück kam. „Oh, ich seh, ihr habt euch umjeguckt,“ und schien mir dabei überhaupt nicht böße zu sein. Als sie die Sachen sah die ich vom Regal genommen hatte meinte sie, ich solle den Kram doch einfach mitnehmen und mir in Ruhe ansehen. Diese Kusliker sind wirklich vertrauensseelige Menschen… wir kannten uns ja kaum! Aber ich nickte und verabschiedte mich mit dem Versprechen, übermorgen noch einmal vorbei zu sehen und ihr vom Ergebnis meiner Nachforschungen zu berichten, was sie sichtlich glücklich machte.
Das Ganze war wirklich Merkwürdig. Meine Neugier war geweckt, und wenn ich dem Trödler schon nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit nachspüren wollte, so doch, weil ich hier ein seltsamen Geheimnis witterte. Es war schon später Nachmittag, Praios Antlitz brannte vom Himmel herunter und der Beleman drückte mit kräftigem Pusten die salzige Seeluft in die Stadt. Eine unvermutete Reise des Trödler schloss ich für mich aus, immerhin waren seine Schuhe und sein Mantel noch im Haus gewesen. Vielleicht ein erneuter unzufriedener Kunde? Ich kehrte erst einmal zum Abendessen in die Herberge zurück, um noch ein wenig in dem Tagebuch zu blättern. Der Weg führte mich über den Efferdplatz zur Marktstraße, wo die vom Tag übrig gebliebenen Reste an Kisten, Körben, zerdrücktem Obst und Haufen von Pferdeäpfeln den Boden zierten. Während jetzt die reicheren Bewohner Kusliks wohl zu Tisch saßen suchten zwei huschende junge Burschen im Dreck nach herabgefallenen Münzen. Mich erwartete eine sättigende Bohnensuppe, sogar deren Teller zwei, die Wirtin meinte es wohl gut mit mir. Dann zog ich mich auf mein Zimmer zurück, verriegelte die Tür und machte mich an die Untersuchung. Das kleine Tagebuch war wenig gefüllt, dafür aber reichlich mit Eselsohren, Tintenklecksen und Suppenflecken und Rissen verziert. Die Schrift war krakelig und unordentlich, aber ich fand sogar eine Notiz, bei der ich davon ausgehen musste das sie mir gegolten hatte, da sie auch am Ende des Büchleins stand. „Heut Abend im Schnabel, Treffen. Habe Schiffchen wiedergefunden, werde mal untersuchen, muss Verkaufen, sonst kann ich nicht zahlen.“ Vielleicht hatte sich ihn ja wirklich ein Geldeintreiber der lokalen Unterwelt geschnappt? Ansonsten brachte mir das Buch wenig erhellendes, außer dass der Trödler die Kiste, obwohl ich sie im Laden nirgends gesehen hatte, bis auf 2 Öllampen noch nicht verkauft hatte. Noch einmal nahm ich das Schiff zur Hand. 2 Spann lang war die Flasche, anscheinend von hohem Alter, aber sicher war ich mir da nicht. Aber eine schöne Arbeit, die darin steckte, dass musste man dem Erbauer lassen. Das Schiff war ähnlich einer alten Kogge aus früheren Zeiten, soweit ich das überhaupt beurteilen konnte, und aus der Ferne Betrachtet erstaunlich lebensecht. Selbst ein Name war am Bug angebracht, aber so klein, dass ich ihn nicht entziffern konnte. Dann ging ich Müde zu Bett.
Der nächste morgen nach dieser sehr erholsamen Nacht lies mich zuerst einmal, nach dem Frühstück und der Morgentoilette natürlich, den Kusliker Kurier ansteuern. Den Unrat des gestrigen Tages hatte schon der Wind verweht oder jemand weggemacht, so genau wusste ich das nicht. Auf jeden Fall war es bedeutend sauberer als noch am Abend zuvor. Als ich das „Redaktionshaus Kusliker Kurier, Inh. Robert Badun“, einen schmucken zweigeschossigen Bau, erreichte, klopfte ich an. Ein wieselflinker Junge öffnete, fragte nach meinem Begehr und verschwand wieder. Kurz darauf kam er mit einem blondschopfigen Mann in schlichten Kleidern und mit lustigem Grinsen wieder zurück, der sich als Torben Schultge vorstellte. Leider brachte unser kurzes Gespräch wenig erhellendes. Ich stutze lediglich, als er mich fragte, ob ich gestern schon einmal dagewesen sei und nach ihm gefragt hätte. Das hatte ich nicht… aber wer dann? Als nächstes wollte ich die im Tagebuch erwähnte Herberge Jorgens aufsuchen. Erst der fünfte Bürger den ich Ansprach konnte mir Auskunft geben, aber eine andere als ich erwartet hatte. Die Herberge sei schon im Sommer niedergebrannt, der Besitzer sei umgekommen, jetzt stehe dort eine Lagerhalle. Nun war ich etwas ratlos. Vielleicht sollte ich erst einmal im Hafen nach einer kleinen Mahlzeit suchen. Ich gönnte mir eine kräftige Fischsuppe im „Hafenwind“, dazu ein herbes Bier das hier anscheinend üblich war. Hätte mich nicht diese Unrast getrieben, ich hätte es hier sicher noch einige Zeit ausgehalten. Aber das Schicksal des Trödlers lies mich gerade nicht so recht in entspannte Stimmung kommen… leider gingen mir auch die Ideen aus, wo ich jetzt noch suchen könnte. Doch noch einmal in das Tagebuch sehen? Ich ging zurück zur herberge, das bunte Stadttreiben Kusliks erneut auf mich wirken lassend. Auf dem Efferdplatz gastierte heute eine Gauklertruppe die vor einer stetig wachsenden Zahl an Zuschauern recht ansehnliche Kunsttücke vorführte (kein Vergleich zu den Künstlern in AlAnfa versteht sich!). Auf der Marktstraße patrouillierte eine Abteilung Gardisten, erkennbar an den langen Rossschweifen auf ihren Helmen, die ihnen den Spitznamen „Die Roten“ eingebracht hatten. Nahe des Osttors war ein Wagen umgekippt und die geladenen zwei Dutzend Hennen flatterten wild umher und hielten die herbeigeeilten in Atem. In der Herberge erwartete mich dann eine kleine Überaschung. Die Wirtin, ganz aufgelöst, eröffnete mir, dass mich jemand sprechen wollte, zur Abendstunde in der Taverne Karims Palast, und ich möge meine Fundstücke mitbringen. Darauf konnte ich mir keinen Reim machen, aber auf meine Rückfrage nach der Person wusste die Wirtin auch wenig zu sagen. Klein und mit Mantel… das war alles. War das eine Spur? Sollte ich einfach auf Verdacht zu einem Fremden gehen… und die Objekte, die ihn anscheinend interessierten, mitnehmen? So dumm sah ich wohl aus! Ich entschied mich dagegen. Wenn der Geselle wirklich Interesse daran haben sollte, würde er sicher noch einmal hier vorstellig werden, und ich ihm dann nicht auf fremden Terrain begegnen. So ging ich erst einmal auf mein Zimmer…
Ich blätterte noch ein wenig lustlos im Tagebuch, bisher war der ganze Tag eine einzige Pleite und ging von meiner wertvollen Zeit in Kuslik ab. Dann legte ich mich wieder zu Bett. Ein leises Pochen schreckte mich auf. Im Zimmer war es schon dunkel, nur das Madamal schien durch das halboffene Fenster. Von der Tür her ertönte eine Stimme: „Öffnet die Tür!“ Ich zögerte, fragte nach dem Namens des Fremden und entriegelte die Tür, Stab in der Hand zur Abwehr bereit. Das grelle Licht einer Lampe lies mich kaum mehr erkennen als die Umrisse eines kleinen Mannes. „Ich bin Magister der Halle der Antiomagie, Wir waren verabredet.“ Aha, ein Kollege, also nicht bedenkliches, dachte ich noch bei mir, als ein klatschen an mein Ohr drang und der Mann die Hände zusammen schlug. Er murmelte etwas das sich wie Halalülalein anhörte…. Nein das musste Paralüparalein heißen! Ich wollte mich gerade mit einem Gardianaum Wappnen, aber es war schon zu spät. Bevor ich der Gefahr begegnen konnte, durchflutete mich ein eisiges Gefühl. Ich konnte mich nicht mehr bewegen! Der Kerl huschte an mir vorbei ins Zimmer, es raschelte hinter mir als ob er meine Sachen durchwühlen würde. Dann stahl er sich wieder an mir vorbei noch ein hämisches „Es ist bald vorbei“ hinterlassend, bevor er verschwand. Hesindeverdammich! Das hätte mir nicht passieren dürfen… Als der Zauber endlich mit einem einsetzenden ziehen meiner Glieder wieder nachlies machte ich sofort eine Bestandsaufnahme. Das Flaschenschiff fehlte… also musste daran mehr sein als auf den ersten Blick zu erkennen war. Das schrie geradezu nach Rache. Bisher hatte mich nur die Neugier getrieben den Trödler zu finden, jetzt war es etwas Persönliches! Diesen Kerl würde ich mir schnappen.
Am nächsten Morgen hielt ich mich nicht lange auf, einen Anhaltspunkt hatte ich ja. Die Halle der Antimagie bei der Alten Burg. Von außen hatte ich das Gebäude ja schon gesehen, nun würde ich ins innere Vordringen und diesen impertinenten Gesellen stellen. Das wollten wir ja mal sehen, wer hier der bessere Magier ist… Das große Gebäude machte auch jetzt einen bedrohlichen Eindruck. Schwarzer Stein, spärlich mit arkanen Symbolen verziehrt, sollte wohl die unbedarften Besucher beindrucken. Mich nicht… ich kannte das ja, da war die Akademie in Brabak ja noch bedrohlicher! An der Pforte ergriff ich den Türklopfer, hämmerte ihn ans Tor und wartete – zu lange für meinen Geschmack – bis ein Bursche in blauer Robe öffnete und unfreundlich nach meinen Wünschen fragte. Ich nannte meinen Namen und das ich einen Magister sprechen wollte, leider nicht genau welchen, so das mich der Bursche wenig begeistert auf die örtliche Spektabilität verwies. Man lies mich in der Eingangshalle warten, bevor man mich in einen der Seitengänge geleitete und zur Leiterin der Akademie brachte. Diese war… eine Frau! Eine schlichte, blaue Robe it zwei roten Sonnen umrahmte eine zarte Gestalt. Aus einem schmalen, klugen Gesicht blickten mich zwei von langen Wimpern umrahmte Augen an. Ich bewunderte die faszinierenden, ebenmäßigen Züge, bevor ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Leider war das Wesen der Dame, die mich recht kurz und kühl abkanzelte alles andere als zart. Ich hatte noch kaum mein Anliegen richtig vorgebracht, da schien sie schon ihr Urteil gefällt zu haben. Ich müsse mich wohl täuschen, keiner ihrer Magister würde so etwas tun, eine so beschriebene Person gibt es hier schon gleich gar nicht, ich dürfe mich wieder entfernen. Punkt. Eine Unverfrorenheit! Und das unter Kollegen! Ich war aufs höchste entrüstet, als ich wieder vor den Mauern der Akademie stand. Wahrscheinlich ging es ihr nur darum kein Aufsehen zuerregen und das Gesicht der Akademie zu wahren, aber so nicht, meine Liebe. Nicht mit mir! Die Garde brauchte ich Erfahrungsgemäß mit solchen Angelegenheiten erste gar nicht belästigen, die würden sich da nicht einmischen. Nachts in die Akademie eindringen? Blöde Idee, ich wusste ja wie das daheim in AlAnfa ausgehen würde… außerdem… Antimagier! Ganz gefährliches Pflaster…
Ich machte nun erst einmal, immerhin hatte ich es ja versprochen, einen Abstecher zu Nachbarin des Trödlers. Dort wurde ich von ihr bereits erwartet und war erstaunt das sie mir wohl etwas mitzuteilen hatte, war die gute Dame doch den Tränen nahe. Gestern Vormittag sei sie von einem Magister in blauem Gewand aufgesucht worden, der Vorgab eine dringliche Vereinbarung mit dem Trödler zu haben. Es ginge um ein kleines Flaschenschiff und dulde keinerlei Aufschub. Vom gebaren des Mannes sei sie recht verunsichert gewesen und hatte am Ende dann, wohl weil sie sich nicht anders zu helfen wusste, auf mich verwiesen, bevor ihr der Mann drohte alles für sich zu behalten. Daher wehte also der Wind! Zumindest wusste ich jetzt wie es zu dieser unglücklichen Situation gekommen war… Irgendwie musste es mir doch gelingen das Ganze in einen vernünftigen Zusammenhang zu setzen… Um in die Herberge zurück zu kehren war es noch zu früh, und allzuviel Zeit konnte ich auf die Sache auch nicht mehr verschwenden, irgendwann würde ich weiter ziehen müssen um die Hochzeit nicht zu verpassen. Ich ging daher erst einmal in eine Schenke am Hafen um bei einem Happen zu Essen und einem Getränk meine Gedanken zu sammeln. Das „Kieloben“ lag eher zufällig auf meinem Weg als das ich es gezielt angesteuert hätte. Zwar war mir das Klientel eigentlich ein wenig zu grob und laut, aber vielleicht mochte mich ein wenig Ablenkung die nötige Distanz finden lassen? Zumindest fand ich einen kleinen, unbesetzten tisch so dass ich mich nicht mit den Seeleuten gemein machen musste und bestellte eine ordentliche Mahlzeit. Natürlich Fisch… das war hier am Hafen wohl das üblichste. Als das Madamal am Himmel stand machte ich mich, leider immer noch mit wenig mehr Erleuchtung, auf den Heimweg. Ich hatte kaum den Hafen verlassen, da erklangen hinter mir einige Rufe. Mehr aus Neugier drehte ich mich um und erschrak – ein halbes Dutzend finstere Gestalten machten sich daran mich einzukreisen. Wo war die verdammte Garde wenn man sie einmal brauchte? Der Anführer war ein hagerer Kerl mit langer Narbe im Gesicht der mich hämisch lachend ankrächzte „Heut gehst Du baden mein Freund! Du mischst dich nämlich in Dinge ein, die Dich nichts angehen. Verschwinde aus der Stadt!“ Die Kerle näherten sich im Halbkreis in der deutlichen Absicht mich in den Hafen zu befördern. Leider hatte ich meine Erfahrungen mit solchem Gesindel schon in Gareth gemacht und wusste, dass Reden hier wohl kaum half, und ein Waffengang konnte nur schmerzhaft für mich enden. Und leider waren es auch zu viele um sie gezielt mit einigen Fulminicti auszuschalten. Und für einen Hestoth, der jetzt sicher gut geholfen hätte, fehlte leider die Zeit. Die einzige Möglichkeit war ein schneller Fluchtversuch und das durchbrechen des Kreises.
Einen der Kerle konnte ich überaschen und wegstoßen, und ich war schon fast durch, als mich etwas, wohl ein geworfener Knüppel, straucheln lies. Es gelang mir weder stehen zu bleiben noch mich zu fangen, stattdessen stieß ich mir schmerzhaft das Knie. Meine Flucht war gescheitert, und ich war sofort umstellt als ich wieder auf die Beine kam. „Versuch das nicht nochmal, sonst lebst Du nicht mehr lange…“ wurde ich vom Hageren angebellt. Das hörte sich immerhin so an, als trachtete man mir nicht nach dem Leben. Die Kerle trieben mich zum Rand des Hafenbeckens, bevor mich der Schuft erneut höhnisch lachend Ansprach. „Die Abreibung tut Dir gut, lausiger Buckel! Hinein mit ihm!“ Irgendwer stieß mir ins Kreuz, ich taumelte nach vorne, dann traf mich etwas hartes am Kopf und ich fiel benommen von der Kaimauer. Das Wasser war kalt und vom Kai herunter höhnte jemand. „Viel Spaß noch, guter Freund“. Leider hatte ich gerade anderes zu tun als mich auf Rache zu besinnen… meine Kleider saugten sich voll und ich konnte mich nur mit Mühe über Wasser halten und die nahe Kaimauer ergreifen. Es war gar nicht so einfach im Dunkel die Mauer hinauf zu kommen und ich war völlig entkräftet, als ich endlich oben war. Triefnass und gedemütigt machte ich mich auf den Weg durch den kühlen Abendwind zurück zu meiner Herberge. Das war kein normaler Überfall. Meine Habe hatte ich noch vollständig – das war ein angeordneter Überfall. Und ich konnte mir schon vorstellen wer dahinter stecken mochte. Bitterlich frierend eilte ich zu meiner Unterkunft. Das würde mir jemand ganz bestimmtes büßen… trocken im Bett konnte ich dann niesend und hustend spüren, dass dieser Abend noch Nachwirkungen haben könnte.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich kaum besser als ich eingeschlafen war, und erst ein warmes Bad im Holzzuber, den meine gute Wirtin mir einließ weckte meine Lebensgeister wieder vollständig. Ich gönnte mir, trotz der knapper werdenden Zeit, einen kleinen Mittagsschlaf da ich mich trotzdem noch recht schlapp fühlte, aber dann hielt mich nichts mehr. Mein bester Anhaltspunkt waren die Ganoven, die mich überfallen hatten. Die könnten mir am ehesten sagen wer diesen Überfall angeordnet hatte, und diesmal würde ich vorbereitet sein. Leider war Kuslik eine große Stadt, und mein vorerst recht ungezieltes Ausschauhalten brachte nicht die gewünschten Resultate, eine der Maden des gestrigen Abends zu erwischen. Sollte ich so scheitern? Morgen würde ich der Nachbarin wohl eingestehen müssen, dass ich versagt hatte. Oder sollte ich lieber einfach verschwinden und nach Bethana weiterziehen? Jetzt brauchte ich erst einmal einen wärmenden Schluck in einer Taverne. Nach den schlechten Erfahrungen gestern steuerte ich jetzt den östlichen Teil des Hafens an, wo ich bisher noch nicht gewesen war, das „Kieloben“ lies ich links liegen. Heute durfte es gern etwas gediegener sein. Das „Bei Niebur“ schien eine gediegene Schankstube zu sein, genau das was ich jetzt brauchte. Im Inneren ging es ruhig zu. Um die Tische saßen kleine Grüppchen, vereinzelt wurde mit Karten und Würfeln gespielt. Leicht fand ich eine stille Ecke. Meine Gedanken waren trübsinnig während ich gelegentlich an meinem Bier nippte. Die Nachbarin würde wohl ohne den Trödler auskommen müssen, da ich nicht mehr als Rückschläge in den letzten Tagen vorzuweisen hatte. An sich wäre das ja nicht schlimm, aber dieses Versagen nagte doch ein wenig an meinem Ego. Ich könnte vielleicht mit einem Difar die Suche verbessern… aber ob das in Kuslik gut gehen konnte? Und das Ziel war ja ein Magier, der sich vielleicht doch wehren konnte… meine Gedanken drehte sich im Kreis. Ich starrte die Wand an… Da drang ein hämisches Lachen an mein Ohr. Bei Phex! Langsam wendete ich den Kopf. Am Nachbartisch wurde um Silbertaler gewürfelt, und dort, für einen kurzen Augenblick, sah ich den Hageren von gestern Abend. Offensichtlich hatte er gerade gewonnen, denn unter den enttäuschten Blicken seiner Spielkumpanen erhob er sich, warf jedem noch eine Münze zu und huschte zur Tür. Er war kaum draußen, da sprang ich selbst auf, ließ dem Wirt eine hand voll Heller und Kreuzer liegen und eilte hinterher. Das mochte meine letzte Chance sein – ich nahm ohne weiter nachzusinnen die Verfolgung auf. Um eine Ecke, in eine weitere Seitengasse ging der Schurke flott auf ein Haus am Ende der Gasse zu, während ich ihm, jetzt vorsichtiger, folgte. Er verschwand in dem Gebäude, das eine Art Hotel zu sein scheint – Pension Hilmer – ist im Licht des Madamals auf einem Messingschild zu lesen. Ich hatte mich noch kaum gefasst und wollte gerade selbst in das Haus gehen als die Tür aufsprang und der Hagere fluchend heraustrat. Irgendetwas war wohl nicht nach seinem Wunsch abgelaufen. Dann ging er Richtung Hafen davon. Gern wäre ich ihm weiter gefolgt um ihn für seine Schurkerei zur Rechenschaft zu ziehen, aber der Drahtzieher war ein Anderer. Außerdem, wo man eine Kakerlake einmal findet, dort trifft man sie auch später nochmal… sein Stammlokal schien ich ja jetzt zu kennen.
Zögernd betrat ich die Pension. Ein mürrischer Alter empfing mich hinter dem Thresen, aber ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Zu wem wollte der hagere Mann der vor wenigen Augenblicken hier herin kam?“ fragte ich forsch. Die Antwort war genau das, was ich mir erhofft hatte. „Er…wollte zum Magister, nach ganz oben… aber ehda… ihr könnt da nicht rauf!“ Die Stimme des Alten verhallte, als ich eilig die Stufen der Treppe nach oben stürmte, bis ich im Dachgeschoss angelangte. Etwas außer Atem blickte ich auf eine Holztür, die mich noch vom Aufenthaltsort meines Widersachers trennte. Diesem impertinenten Fatzke würde ich es jetzt geben, diesmal war der Überraschungseffekt auf meiner Seite… Durch die Türritze drang Licht, er musste also da sein. Ein druck auf die Klinke bestätigte mir, dass abgeschlossen war, aber die Tür sah nicht besonders stabil aus. Ein kurzer Anlauf, die Schulter nach vorne… krachend sprang die Tür auf als ich ins Zimmer stürmte. Ich wollte schon einen ordentlichen Fulminictus bereit machen, als ich mit einem schnellen Blick feststellte, dass ich alleine im Zimmer war. Die kleine Dachkammer wurde von zwei Kerzen erleuchtet. Schnell schloss ich die Tür hinter mir wieder, während ich mich wunderte dass von innen verschlossen war obwohl niemand im Raum war. Aber richtig, ein Magier hatte da ja so seine Wege… Regale, Ablagen, Bücher, Papiere, Schriftrollen, Geschirr, Besteck, ein Becher, eine Weinflasche… ein ganz ordentlicher Unterschlupf. Ein kleines Bett, Hocker, Spind, Tisch, sogar ein bequemer Sessel. Aber kein Versteck das einem Menschen Platz geboten hätte! Und auf dem Tisch das Tagebuch, das Schiffchen, alles was mir der Fremde weggenommen hatte. Ein prüfender Blick und eine kurze Suche ergaben nichts darüber hinaus. Nun, zumindest hätte ich die entwendeten Gegenstände wieder. Auf dem Tisch lagen noch ein Buch und eine Schriftrolle die dem Magier wohl bei irgend etwas helfen sollten. Vielleicht ein Hinweis? Offensichtlich ein Wörterbuch als Übersetzungshilfe. Die daneben liegende Lupe nehmend betrachtete ich das Schiff und konnte tatsächlich den Namen am Schiffsrumpf entziffern – leider in einer mir fremden Schrift. Dafür also das Wörterbuch… Das Rätsel war mit dem Buch schnell gelöst. „Wind von Hylailos“ – ein sehr verwegener Name für eine plumpe Kogge. In der Schriftrolle die ich als nächstes in die Hand nahm las ich faszinierendes – die Legende des Schiffes. Kurz gesagt war das Flaschenschiff wohl ein Artefakt aus den Magierkriegen das seinem Schöpfer als Zuflucht und Heimstatt diente. Sehr faszinierend! So faszinierend, dass ich das Klopfen an der Tür gar nicht war nahm. Das wäre ja wohl gelacht, wenn ich dieses Geheimniss nicht ergründen würde. Ich nahm das Schiff zur Hand. Ein paar mal drehte ich es unentschlossen herum, aber da war nicht mehr als vorher. Vielleicht im inneren der Flache? Der Korgen war schnell gelöst und ich schob einen schlanken Finger hinein um nach dem Modell zu tasten. Schlagartig wurde es um mich dunkel, mir schwindelte kurz und es wurde dunkel. Dieses Gefühl zu fallen, es war wie beim ersten Mal als ich mich selbstständig am Transversalis versucht habe… ein Säuseln drang an meine Ohren.
Ein leichter Windhauch strich mir über das Gesicht und ich fasste stöhnend an meinen Hinterkopf in dem es brummte wie in einem Bienenstock. Das war viel heftiger als bei jedem Transversalis, was war passiert? Ich setzte mich mühsam auf und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. In meine Nase drang der Geruch von salzigem Meerwasser und ich hörte das Knattern von Leinwand, das Knarren von holzplanken und das Quietschen von taljen und Blöcken – konnte es sein…? Meine Ahnung, dass mit diesem Schiff mehr war als es zunächst schien mochte sich bewahrheiten? War ich auf das Schiff versetzt, oder noch schlimmer, in die Flasche hinein gesaugt worden? Langsam öffnete ich die Augen. Blauer Himmel über mir. Ich lag auf der Vordertrutz eines Segelschiffs, augenscheinlich einer Kogge die mir, nur in viel kleiner, mittlerweile recht Bekannt war. Langsam und vorsichtig erhob ich mich und sag mich um. Rund um das Schiff erstreckte sich ruhiger, blauer Ozean so weit das Auge reichte. Das Meer schien endlos, und entgegen meiner Erwartung sah ich nirgends einen Flaschenrand oder zumindest das Glas der Flasche. Aber ein Transversalis mit solcher Reichweite wäre unglaublich schwierig! Doch etwas anderes mit dem ich noch keine Erfahrungen hatte? Langsam dümpelte die „wind von Hylailos“ in der sanften Brise vorwärts. SO etwas wie die Feenwelt, in die es mich in Albernia verschlagen hatte vielleicht? Portale konnten ja anscheinend die seltsamsten Formen annehmen – wenn es damals ein Baumstumpf war, vielleicht hier der Flaschenhals als Miniaturportal? Das schien schon irgendwie logischer. Und doch… Hoch über mir im Krähennest flatterte träge ein Wimpel im schwachen Wind, während der massige Schiffsrumpf dem unmerklichen Druck in der Takelung nur widerwillig zu folgen schien. Wenigstens war die See um mich herum ruhig, lediglich ein paar flache wellen schaukelten das Schiff hin und her, während über mir ein paar weiße Wolken am azurblauen Himmel dahin zogen. Ich war mir meiner Theorie wirklich noch nicht sicher. Was für eine Magie musste hier wirken? Allerdings schien ich allein zu sein, keine Menschenseele war an Deck zu sehen und keine Stimme und kein Ruf unterbrachen die Stille. Auf dem Mitteldeck, der Kuhl, standen die üblichen Schiffsgerätschaften und harrten ihrer Bedienung. Die Rahtakelung am Mast sauber vertäut, eine Luke nach unten, auf der Achtertrutz der Griff des Kolderstocks mit dem das Ruder bedient wird. Nirgendwo ein Anzeichen von Verwarlosung, keine Schäden. Das Schiff schien in tadellosem Zustand zu sein. Das erklärte jetzt zumindest, warum der fremde Magier so viel Interesse an dem Schiff hatte… mir wäre es ähnlich gegangen. War er vielleicht auch hier irgendwo? Und der Trödler selbst? Beide spurlos aus ihren Zimmern verschwunden wäre es wohl das Naheliegendste. Dann hörte ich etwas. Ein Kratzen unter mir an der Bordwand, dass mich aus meinen Gedanken riss. Irgend etwas musste ich tun. Ewig hier herum zu stehen und zu sinieren würde mich auch nicht weiter bringen. Ich ging Mittschiffs und stieg in die Kuhl hinab direkt zu dem hoch aufragenden Mast, als ein reißen und zischen ertönte. Gedankenschnell handelte ich, mehr aus instinkt, und warf mich hinter den Mast. Anscheinend hatte sich ein Tau aus seiner Halterung gelöst, denn dieses peitschte nun pfeifend übers Deck, bis es sich auch aus der Takelage löste und klatschend ins Wasser fiel. Bei dem Gedanken, ich wäre diesem schwingenden Mordinstrument im Weg gestanden wurde es mir doch etwas mulmig. Was das Zufall? Ich spähte herum ob ich irgendwo den hinterlistigen Magus erblickte, aber nichts war zu sehen.
Die Kuhl maß etwa 8 Schritt in der Breite und das Doppelte in der Länge, über mir das im Wind flatternde Segel und eine Efferdsleiter die den Mast hinauf führte. Ich hatte zumindest keine Höhenangst, und vielleicht konnte ich von dort oben etwas Hilfreiches erspähen? Kurzerhand und mit beherztem Griff kletterte ich die wackelige Leiter hinauf. Vorbei an Wanten und Stagen hangelte ich mich aufwärts, immer wieder den Kopf einziehend um ihn nicht an das Fall oder die Gordinge zu stoßen. Endlich konnte ich die Spiere greifen die die Rah abgab und mich in den Ausguck schwingen. Als ich nach unten sah überkam mich dennoch ein leichts Schwindelgefühl, aber die Aussicht war atemberaubend. Überall stilles, blaues Meer, nirgendwo ein ferner Punkt am Horizont oder dergleichen. Und auch nichts, dass auf eine Glaswand hingedeutet hätte… Zu meinen Füßen entdeckte ich ein Fernrohr, das hier oben wohl jemand vergessen hatte und setzte es kurzentschlossen an das rechte Auge um den Horizont abzusuchen.
Erwartungsvoll musterte ich die Kimm mit dem Fernrohr, aber ich wurde enttäuscht. Nur ruhiger, blauer grenzenloser Ozean. Wo war ich wirklich hingeraten? Als ich meinen Blick über das Heck hinaus richtete hob sich ein dunkler Punkt vom Horizont ab. Vorsichtig stellte ich das Fernrohr schärfter und konnte bald klar die Umrisse einer kleinen Insel erkennen. Aha! Also doch, irgendwo auf dem Meer! In der Mitte der Insel ragte ein Vulkankegel gen Himmel, aus dem eine dünne Rauchsäule aufstieg die sich stetig verdichtete. Erwartungsvoll wartete ich ab, und tatsächlich! Mit einem Mal wurde glühendes Magma aus der Vulkan geschleudert, das Blut Sumus, Ingerimms Brodem… während dunkle Ascheschwaden sich über der Eiland bildeten.Gebannt beobachtete ich das majestätische Naturschauspiel. War ich vielleicht doch zwischen die Zyklopeninseln versetzt worden? Lange dauerte der Ausbruch aber nicht, so dass bald nur noch finster drohende Wolken über der Insel zurück blieben und ich meinte, am Rande des Vulkans Lavaströme herunter fließen zu sehen die aus der Ferne wie hauchdünne goldene Fäden wirkten. Beeindruckt setzte ich das Fernglas ab, als mich ein heftiger Schwindel überkam. Mir waren regelrecht die Sinne vernebelt und ich griff blindlings nach Halt, während in meinem Schädel erneut übler Schmerz zu pochen begann. Ich spürte gerade noch, wie meine Füße den Halt verloren und malte mir aus, wie ich 15 Schritt tiefer zermatscht auf den Planken enden würde während ich langsam über das Geländers des mastkorbs kippte, als ich im letzten Augenblick eine Rah zu fassen bekam. Schweißgebadet blickte ich auf die unter mir liegende Kuhl hinunter, die von hier oben winzig anmutete. Mit wackeligen Knien enterte ich, nachdem ich das Fernrohr in meiner Tasche verstaut hatte, vorsichtig die Efferdsleiter wieder hinunter. Die Lust auf Ausblicke war mir gründlich vergangen.
Als nächstes widmete ich meine Aufmerksamkeit der kleinen Bugkajüte in der Vordertrutz. In beide spitz zulaufenden Bordwände waren Fenster eingelassen und das Inventar schien ziemlich alt und teilweise zerfallen zu sein. Eine Pritsche, ein kleiner Wandschrank, ein Tisch mit Hocker – viel mehr würde in diese kleine Kajüte auch nicht hinein passen. Das alles war von einer dicken Staubschicht überzogen. Auf dem Tisch sah man, auf den ersten Blick, das einzig interessante hierdrin. Ein alter, morscher, aufgerollter Teppich und eine kleine, etikettierte Schatulle. Ich widmete mich sofort dem kleinen Kistchen, dessen Deckel durch ein Siegel verschlossen war. Auf dem Etikett konnte man lesen, dass sich darin wohl eine kräftigende Fischspeise für lange Seereisen befinden würde. Und genau das fand ich auch, als ich das Siegel erbrach. Gepökelter Fisch. Es mochte vielleicht Leute geben, die zu Masochismus neigen würde und sich durch einen herzhaften Biss in einen Fisch unbekannten Alters eine ordentliche Magenverstimmung holen wollte. Ich gehörte jedenfalls nicht dazu. Zwar sah der Fisch durchaus noch essbar auch und stank auch nicht übermäßig, aber was hätte ich im besten Fall zu erwarten? Wahrscheinlich mindestens eine Woche Magenkrämpfe und den flinken Difar. Das brauchte ich nun wirklich nicht auch noch, und so wand ich mich enttäuscht ab und ging quer über das Schiff hinüber in die Achtertrutz. Ein kurzer, enger Gang erwartete mich, von dem an jeder Seite und am Ende eine Tür abging. Die Seitentüren waren aufgestoßen, so als hätte im Vorbeigehen jemand dort hineinsehen wollen. Bedauerlicher war da der Anblick inmitten des Ganges. In seltsam verrenkter Positur lag dort der alte Trödler. In der dicken Staubschicht, die den Boden bedeckte waren eindeutig Fußspuren zu erkennen. Sie führten allem Anschein nach in die achterliche Kajüte, die wohl einst dem Kapitän gehört haben mochte, und wieder heraus an Deck. Da der Trödler als Toter diese Spuren wohl kaum hinterlassen haben konnte, musste sich wohl noch jemand außer mir hier befinden, wahrscheinlich der Magier. Und dieser jemand konnte offensichtlich Konkurrenz nicht leiden. Zuerst widmete ich meine Aufmerksamkeit vorsichtig dem Toten. Selbst ich als anatomischer Laie musste zu dem Schluss kommen, dass der Trödler wohl an inneren Verletzungen gestorben war. Es wirkte als wäre er unglücklich zu Tode gestürzt (vielleicht wie ich fast vom Mast heran?) oder zwischen etwas sehr schwerem eingekeilt worden und hatte sich wahrscheinlich in den letzten qualvollen Minuten seines Lebens hier herunter geschleppt. Der starre rechte Arm des Mannes deutete steil nach oben, man käme wohl in etwas beim Masttop heraus wenn man dem folgen würde, aber da war ich ja schon gewesen. Praios allein weiß, was dem armen Kerl wirklich widerfahren war. Vielleicht war es ja gar nicht der fremde Magier gewesen?
Im Raum zu meiner Linken fand ich dann etwas, das wohl einmal ein Offiziersquartier gewesen sein musste. Ein Fenster, eine doppelstöckige Koje und zwei alte Eichentruhen. Das war‘s. Die Schlösser hatten auch schon mal bessere Zeiten gesehen, leider genauso wie der Inhalt. Alte Kleiderfetzen und die Reste von Stiefeln sowie eine alte Bootsmannspfeife und eine Hand voll Silbertaler die ich einsteckte. Die Beute aus diesem Schiff mochte zumindest noch eine schöne Erinnerung Wert sein. Die Kapitänskajüte machte da schon etwas mehr her. Ein wuchtiger Schreibtisch vor drei Fenstern die das Licht herein liesen und durch die man aufs Meer hinaus sehen konnte. Bildete ich mir das ein, oder war der Seegang jetzt ein wenig rauher als vorhin? Dazu ein bis an die Decke reichender Schrank nebst Bücherbord, sowie ein für Schiffsverhältnisse ziemlich großzügig dimensioniertes Bett, sowie eine Eisenbeschlagene Truhe. Auch hier fanden sich am staubigen Boden Fußspuren, die anscheinend recht ziellos durchs Zimmer führten. Zuerst nahm ich mir den Schreibtisch vor. Neben einem alten Fäßchen mit eingetrockneter Tinte und Federkiel fand sich hier nur eine Schublade, die zwar dem alter angemessen klemmte, sich aber den geschickten Öffnungsversuchen meiner gut geübten Finger nicht lange widersetzte. Meine Überraschung war groß, als ich ein ledergebundenes Münzalbum hervorzog. Die darin befindlichen historischen Münzen mussten, zumindest für Sammler, ein Vermögen Wert sein. Eine silbrige Rohalsmünze, ein goldener Iristaler geprägt unter Hela Horas, eine Sonnenscheibe der Priesterkaiser und noch etliche andere, die ich gar nicht benennen konnte. Der Besitzer des Schiffs muss wirklich ein Kenner gewesen sein. Natürlich wanderte auch dass in meinen Beutel. Beim Anblick des Bücherbords musste ich einen Schrei der Verzückung unterdrücken. Auf den Buchrücken konnte ich so illustre Titel wie „Madas Gezeiten“, „Drudenfüße im Meer, „ „Wind- und Flautenzauberei“ und „Von den ältestens Wesen der See“ entziffern. Ich überlegte schon, wie ich alles andere hierlassen würde um diese Bücher in meiner Tasche zu verstauen, als sich meiner Kehle dann doch ein enttäuschtes Stöhnen entrang. Ich hatte gerade nach dem ersten Band gegriffen, da zerbröckelter dieser auch schon unter meinen Fingern zu staub. Was für ein Drama! Diese Zier jeder Magierbibliothek nur ein Haufen schnöden Staubes! Und ich hatte keine Möglichkeit, diese unschätzbaren Werke zu Bergen. Meine Enttäuschung war riesig! Innerlich bebend wand ich mich der Truhe zu. Auch dieses Morsche Holz leistete kaum Widerstand. Neben einer Hand voll Dukaten die ich einsteckte erregte ein außergewöhnlich gut erhaltenes Spiel „Rote und Weise Kamele“ meine Aufmerksamkeit. Leider waren die passenden Figuren dazu nirgends zu entdecken. Dieses Spiel hatte ich auch mit meiner geliebten Schwester Liliana schon öfter gespielt, ja, ich will sogar meinen ich habe es ihr beigebracht. Ich nahm das Spielbrett in die Hand und musterte es neugierig, wobei mir ein Schriftzug auf der Rückseite auffiel. „Eile mit Weile“ war dort von kundiger Hand eingeschnitzt worden. Ich wollte das Brett gerade zurücklegen, da begannen die Felder auf einmal zu leuchten und wie aus dem Nichts erschienen die mir nur allzu vertrauten Figürchen, während ein paar Würfel über das Brett kollerten. Noch ehe ich auch nur einen überraschten Ruf ausstoßen konnte, begann eines der weißen Kamele zu ziehen. Das Brett hatte, ganz von selbst, eine Partie eröffnet! Unglaublich! Das musste ich ergründen. Ich setzte mich, und begann zu spielen. Ich erwiderte den Zug, und prompt ging das Brett darauf ein. Anfangs verblüffte es mich immer wieder, wenn die Fuguren wie von Geisterhand zum Leben erwachten, aber gerade als Magus gewöhnt man sich ja an alles… Nach einigen Zügen ohne nennenswerte Überraschungen (eine Standart-Eröffnung!) und vorteile erkannte ich eine mögliche Schwachstelle in der Karawanenroute der fremden Figuren. Aber ich wartete ab und versuchte, mit meinen Figuren mehr Raum zu gewinnen. Eine wirksame Taktik. Es gingen zwar nur wenige Frachten auf beiden Seiten verloren, aber ich gewann immer mehr Boden gegenüber meinem magischen Gegenspieler und stand bald in einer günstigen Position. Vorsichtig machte ich weiter Druck. Langsam aber sicher gerieten die gegnerischen Figuren in Bedrängnis. Als der Punkt kam, an dem ich sicher sagen konnte, dass das gegnerische Depot bald mir gehören würde, sah ich überraschenderweise wie die feindlichen Kamele in den Vorderhufen einknickten, sich kurz verbeugten und dann verschwanden, während ein kurzer Schriftzug „Jederzeit Euer ergebener Diener“ kurz aufflackerte. Das Brett hatte mich wohl als Spielpartner angenommen. Auf gewisse weiße war ich darüber leicht amüsiert und mein Sieg brachte wenigstens etwas gutes Gefühl zurück.
Ich verlies die Kajüte, ging wieder an Deck und machte mich auf im letzten verbleibenden Winkel des Schiffs zu suchen – unter Deck. Hier irgendwo musste sich wohl mein Gegenspieler herum treiben, und ich wurde noch vorsichtiger. Zunächst fiel es mir schwer, in dem matten Licht im Schiffsbauch überhaupt etwas zu erkennen. Verdammte Nachtblindheit. Nur sehr, sehr langsam gewöhnten sich meine Augen an das fahle Licht. Ich stand in einem großen Raum früher anscheinend ein Mannschaftsquartier, denn überall standen diverse Seekisten, Tische, Hocker, Hängematten. Alles in erbarmungswürdigem Zustand. Zwei Türen Richtung Bug und Heck sowie eine Luke weiter nach unten stellten mich vor die Wahl. Ich entschied mich für die zum Bug gelegene Tür und betrat einen kleinen Raum, der einst die Kombüse gewesen sein musste. Hängeschränke, Haken mit Küchenwerkzeug, Kessel und Töpfe sowie ein großer Arbeitstisch und eine kalte Feuerstelle machten den Raum bedrückend eng. Außerdem stank es widerlich nach altem Käse. Ich rümpfte die Nase und zog mich zurück. Dann widmete ich mich der Luke nach unten. Durch die Oberluke, durch die ich kam, erhellte schwach einfallendes Licht notdürftig den großen Raum. Gespannt lauschte ich den kräftigen Wellen, die an die Bordwand klatschten – ich musste auf Höhe der Wasserlinie sein und der Seegang erneut zugenommen haben. Fröstelnd registrierte ich, das ein eiskalter Wind durchs Schiff zu heulen schien, während unheimliche Pfeifgeräusche an mein Ohr drangen. Der Boden unter meinen Füßen schwankte bedenklich und aus dem Rumpf herauf drang ein hohles Klopfen. Irgend etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Der Raum ähnelte dem darüber liegenden mannschaftsquartier, nur war er noch größer und höher. Plötzlich bemerkte ich, mehr aus dem Augenwinkel, wie eine nach achtern führende Tür behutsam zugezogen wurde, so als hätte mich jemand Beobachtet und wollte nicht entdeckt werden. Ich erstarrte und verharrte Neugierig am Fleck. Aber nichts weiter geschah. Früher war das hier wohl ein Frachtraum für Waren aller Art, wovon einige zur Seite geräumte Fässer und Kisten zeugten, während der massive Mast mitten durch den Raum bis hinunter zum Kiel führte. Durch den dämmrigen Lichtschein machte ich eine kleine Tür zum Bug hin aus.
Aber zuerst machte ich mich daran, den Raum noch ein wenig genauer zu inspizieren. Ich wusste ja, irgendwo hier musste sich jemand verbergen. Auf den staubbedeckten Planken waren eindeutig Fußspuren auszumachen die von der Lukenleiter zur Hecktüre führten. Ich bin nun wirklich kein begnadeter Fährtenleser, aber wer auch immer das war, besonders groß und schwer konnte er nicht gewesen sein. Da sich derjenige wohl dort hinten verschanzt hatte, ging ich zuerst zur Bugtür hinüber. Dort fand ich, wie zu erwarten, wieder eine spitz zulaufende Kajüte. Ehemals, so schien es zumindest, der Schiffskerker, wie mich die aus der Bordwand ragenden eisernen Haken und Ketten vermuten ließen. Profane Worte wie „Das ist mein Ende“ und anderes waren krude in das Holz gekratzt worden und zeugten von der Aussichtslosigkeit der Situation der ehemaligen Insassen. Meuterer oder Piraten, die hier einsaßen? Ich werde es wohl nie erfahren, aber es war eigentlich auch nebensächlich. Dafür sah ich am Boden eine kleine Öffnung, schon mehr ein Loch. Neugierig lehnte ich mich vor um einen kurzen Blick hinein zu werfen und meinte, eine huschende Bewegung dort unten gesehen zu haben. Ich kniete mich vorsichtig hin, um einen genaueren Blick zu riskieren, da gab der morsche Holzboden unter mir nach. Mit lautem Krachen brach ich durch das Deck, fiel ins Dunkel… und landete im schlammigen Bilgenwasser. Ein gutes Stück über mir erkannte ich das gezackte Loch, durch das ich gerade eingebrochen war. Ich war auf aufgerissenen Sandsäcken gelandet und stand knietief im schmodderigen Wasser. Meine schöne Robe würde wohl erst einmal eine Reinigung brauchen, bevor sie wieder festtauglich wurde. Und die Sandsäcke hatten wohl bisher als Ballast zur Stabilisierung des Schiffes gedient. In dieser Brühe vorwärts zu kommen war ein mühsames Unterfangen. Zu allem Überfluss schien der Seegang noch weiter zugenommen zu haben, denn hier unten schwankte es noch um einiges mehr als oben. Auch mein Magen meldete durch ein gewisses flaues Gefühl, dass ihm die starke Bewegung sowohl quer als auch auf und ab wenig behagte. Dann ging ein Rucken durch das Schiff, ausgehend vom Mastbaum der wie gepeitscht zuckte. Oben muss wohl irgend etwas vertäutes gerissen sein. Und dazwischen hörte ich wieder dieses leise Klopfen, von mittschiffs wie es schien, nein wohl eher von achtern, gefolgt von einem merkwürdigen Stöhnen. Langsam begann mein Mut mich zu verlassen, während ich mich auf das Geräusch zu kämpfte. Auf der anderen Seite mochte dort, vielleicht verwundet, der fremde Magier liegen mit dem ich noch eine Rechnung offen hatte? Das wäre eine gute Gelegenheit! Mit klopfendem Herzen ging ich vorsichtig weiter, den Stab abwehrbereit erhoben.
Dort! Im hintersten Winkel des Raums konnte ich eine kleine Gestalt ausmachen. Zwei blutrote Äuglein, funkelten mich wütend an, darüber ein breitkrempiger, für die kleine Gestalt viel zu großer Hut, der plötzlich anfing in einem warmen, grünen Licht zu leuchten. Es schien sich um eine Art Gnom zu handeln, oder eher Klabauter wie man wohl auf einem Schiff sagen müsste. Genau. So einer, wie ich ihn auch in Havena getroffen hatte! Beifällig starrte der Winzling auf seine Füße und steckte seinen dreckigen Daumen in die Nase, in der er mit offensichtlichem Wohlgefallen herumstocherte. Was für ein widerlicher kleiner Geselle… Mit der anderen dreckigen Hand trommelte er auf die Planken und erzeugte dabei das mir wohlbekannte, hohle Klopfen, bevor er mich ansprach. „Na junger Freund vom Festland, wie gefällt es uns denn hier unten? Ich bin imox, der Schiko.“ Schiko? Das hatte ich dann noch nie gehört und ich wollte gerade fragen, was das sein soll, als er mich schon wieder Ansprach. „Das ist natürlich der Schifsfkobold, du Depp. Ich bin hier der gute Geist im hause, sozusagen. Ich bin also Imox, und Dein Name interessiert mich sowieso nicht. Hab schließlich schon viel zu viel Zeit auf diesem ollen Poot vertrödelt. Wird zeit, das ich endlich auf einem anderen Kahn anheure. Dieser hier ist mir zu unruhig. Kann man ja nicht mal mehr in Ruhe schlafen. In letzter Zeit immer Stürme und so. Dumme Pappnasen wie du kreuchen hier auch zu viele rum, jawohl…!“ Der Mickerling kratzte sich an seiner imposanten Knollennase. Dann hellte sich sein finsteres Gesicht auf und er grinste listig. „Wollen wir ein kleines Spiel mache, ja?“ Dabei nahm er den grünen Hut von seinem kahlen Schädel, auf dem eine kleine Flasche und eine langstielige Meerschaumpfeife balancierten. „Zauberdinger! Wenn Du mein Rätsel löst, bekommst Du was davon. Wenn nicht, verpisst du dich!“Das wäre ja wohl gelacht. Natürlich ging ich darauf ein, so schwer konnte das Rätsel eines vergammelten Klabauters ja nicht sein. „Also, was ist das. Normalerweise stammelt er, in der Woche gammelt er, mit dem Beine knallet er, an der Flasche lallet er, aber heute ist er arg getaumelt, doch dafür kein Andrer baumelt!“ Während sich der Wicht selbstsicher die Hände rieb und dabei Dreck herabfiel begann ich zu grübeln. Leider, und das gestehe ich zu meiner Schande, fand ich in diesem Rätsel überhaupt keinen Sinn. Verdammich, das war genauso unsinnig wie die Geschichte damals in der Feenwelt! So einem Mist konnte man doch mit Logik gar nicht bei kommen! Ich überlegte einige Lösungen hin und her, aber nichts schien so recht passen zu wollen. Schließlich gab ich es auf…Schweigend wand ich mich ab und ging zurück zum Loch, durch das ich gefallen war. Die Niederlage brannte in mir, aber ich wusste, dem kleinen Scheißer konnte ich auch nicht mit Gewalt beikommen. Ich hasse diesen miesen Humor der Kobolde! Ohne große Mühen schob ich einige Kisten zusammen und zog mich durch das Loch wieder hinauf, wo mich das angeschwollene pfeifend es Windes erwartete. Das Schiff musste in einen regelrechten Orkan gekommen sein! Blieb mir nur noch eine Tür, der ich mich noch nicht gewidmet hatte.
Die Eichentür war prachtvoll verziert und zusätzlich mit fingerdicken Eisenbeschlägen verstärkt. Offensichtlich diente der Raum dahinter schon früher besonderen Zwecken. Einzig ein gußeisern gefasstes Schlüsselloch bot die Möglichkeit die Tür zu öffnen, da weder Klinke noch Knauf erkennbar waren. Kräftiges drücken zeigte mir, das die Tür wirklich verschlossen war. Gerade wollte ich mich am Schloss selbst zu schaffen machen, da es ja anscheinend nichts anderes gab, da hörte ich wie kratzend jemand von innen den Schlüssel im Schloss herumdrehte und sprang aufgeschreckt einen Schritt zurück. Als mehrere Augenblicke weiter allerdings nichts geschah besah ich mir das Malheur wieder genauer. Richtig, jemand hatte von Innen abgesperrt. Hätte ich die Tür etwa aufziehen statt aufstoßen müssen? Verdammt! Das Schloss war versperrt, aber das würde mich nicht lange aufhalten. Der erste Versuch würde ein profaner werden, bevor ich mich dem Foramen widmen würde. Ich stocherte mit dem Langdolch ins Schloss und konnte tatsächlich den schweren Bronzeschlüssel herausfummeln, der mit einem vernehmbaren Pong zu Boden fiel. Dann angelte ich unter dem Türspalt hindurch, und hatte das klobige Gerät bald in den Händen. Das war ja einfach… Behutsam steckte ich den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn geräuschlos zweimal herum. Aber die Mühe hätte ich mir sparen können, denn die Türangeln quietschten zum Göttererbarmen als ich die schwere Tür dann vorsichtig aufziehen wollte.
Der Raum dahinter war nicht besonders groß, aber vollgestellt bis in den letzten Winkel mit Schränken, Regalen, Ständern und anderen Einrichtungsgegenständen. In der Mitte des Zimmers, das man mühelos als Arbeitszimmer einordnen konnte, zog ein gewaltiger Schreibpult meine Aufmerksamkeit auf sich. Und es herrschte Chaos. Irgendjemand schien vor kurzem erst alles durchsucht zu haben, denn überall lagen Bücher, Papiere verstreut und in mürbe Fetzen zerfallen herum. Auf dem staubigen Boden waren deutlich die Fußspuren zu sehen. Hier war es mitnichten um maritime Forschung sondern um das wahre, das Arkane gegangen! Pentagramme, Totenschädel und die Buchrücken magischer Abhandlungen legten ein stummes Zeugnis über den ursprünglichen Zweck und die Nutzung des Raumes ab. Ich wünschte, ich könnte je ein so gut gesichertes Labor mein eigen nennen! Meine Beobachtungen wurden rüde unterbrochen, als das Schiff in ein tiefes Wellental absackte, was mich beinahe von den Füßen riss. Missmutig lauschte ich den unheilvollen Anzeichen des Unwetters, während ein ums andere Mal hohe Brecher an die Bordwand klatschten und den Rumpf des Schiffes schüttelten, während aus dem Pfeifend es Winds ein Brüllen und Zischen geworden war. Und das, obwohl noch wolkenloser blauer Himmel herrschte, als ich hier ankam! Wer weiß, an welches Eiland es mich spülen würde, denn sicher dass ich in der Flasche war, war ich mir gar nicht mehr. Ich durchsuchte den Raum zunächst einmal. Außer einer weiteren Luke und vergilbten Pergamenten und Dokumenten die beim anfassen zerfielen fand ich noch einen bunten Lederfetzen (anscheinend eine alte aber für mich völlig sinnfreie Karte) sowie eine Truhe, die sich aber jedem Versuch sie zu öffnen widersetzte. Ich befand mich gerade in hockender Position vor besagter Truhe, als ich eine Bewegung in meinem Rücken spürte. Aus dem Augenwinkel sah ich gerade noch eine schmächtige Gestalt in Robe (wo war der jetzt auf einmal hergekommen?!) die mit einem der Totenschädel zum Schlag ausholte und selbigen auf mich herabsausen lies. Dumpf spürte ich den Einschlag an meinem Hinterkopf… Leider war ich kein stabil gebauter Krieger, so dass mich der Schlag wohl kurz außer Gefecht gesetzt hatte. Ich schwerem Schädel und einer blutenden Wunde am Hinterkopf kam ich wieder zu mir. Bei Rondra, tat das weh! Der Unbekannte war verschwunden, und mit ihm die Truhe an der ich gerade gearbeitet hatte. Schwere Schleifspuren zeigten mir dem Weg, wohin der Angreifer verschwunden war. Jetzt oder nie, das würde mir der Kerl büßen!
Ich nahm meinen Stab zur Hand um gewappnet zu sein und trat zurück in den Frachtraum. Lange musste ich ihn nicht verfolgen, aber das war kein Wunder bei der schweren Kiste, die das hagere Kerlchen dort versuchte zu stibitzen. Eindeutig. Das war der gleiche Kerl, der mir auch schon das Schiff gestohlen hatte. Er hatte offensichtlich gewusst was hier los war, kannte sogar den Weg hier herein. Vielleicht auch heraus, das war die Frage, aber zuerst würde ich ihn mir schnappen, das war so sicher die da Praiosunser zum Gottesdienst! Vorsichtig näherte ich mich dem Kerl. Aber weit kam ich nicht, denn der fremde Magier hob die Arme über den Kopf und formte eine gleißende Lichtkugel. Das kannte ich! Gedankenschnell warf ich mich zur Seite und um Haaresbreite verfehlte mich ein greller Blitz, der dort in den Boden fuhr wo ich gerade noch gestanden war. Die Planken schwelten an der Stelle, aber ich war davongekommen. Er wollte also mit harten Bandagen kämpfen? Gut, dann sollte es eben so sein, viel Kraft konnte er eh nicht mehr übrig haben! Ich rappelte mich auf, da war der Mistkerl schon durch dabei durch die Luke nach oben zu entkommen. Wütend sprang ich hinterher und bekam gerade noch seinen linken Fuß zu fassen, an den ich mich festklammerte. Fluchend zappelte der andere Magier mit dem Fuß herum um mich abzuschütteln und schlug mit dem Stab nach mir, aber loslassen wollte ich jetzt nicht. Als das nicht gelang, leider fiel er auch nicht herunter, hob er erneut beschwörend seinen Stab in die Luft. Fieberhaft versuchte ich die Geste zu erkennen um zu wissen, gegen was ich mich jetzt wappnen müsste. Verdammt, konnte es sein…? Ich ließ los, gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie der Stab des anderen sich in ein flammendes Schwert verwandelte und dort niedersauste, wo ich gerade noch gehangen war. Hesinde sei Dank, dass ich die Magie des Stabes von vorne nach hinten und zurück gelesen hatte und so die Zeichen rechtzeitig zu deuten wusste! Leider verschaffte mein Loslassen dem schäbigen Schuft genug Zeit, um nun endgültig durch die Luke zu entschwinden, jetzt wieder seinen verzierten Stab in der Hand. Lange würde er das nicht mehr durchhalten können, und so enterte ich ihm erneut beherzt hinterher.
Kaum hatte ich den Kopf über die Decksplanken in das Mannschaftsquartier gestreckt, da erwartete mich eine entmutigende Szenerie. Quer durch den Raum zog sich eine gleißende Feuerwand und vor der Leiter zum Oberdeck ein Wesen aus den tiefsten Abgründen der Schattenwelt. Ein pustelübersätes, schleimtriefendes krötenähnliches Etwas, dessen Maul monströse Reiszähne und eine lange Zunge freigab, die bedrohlich herum peitschte und eine glibberige Flüssigkeit absonderte. Hinter dem Inferno erkannte ich den Magier, anscheinend unerreichbar, der soeben zum Oberdeck hinauf stieg. Ging diesem vermaledeiten Kerl den nie die Kraft aus? Er drehte sich sogar noch einmal um und schenkte mir ein bedauerndes Nicken, als wollte er sich verabschieden, bevor er sich durch die Luke an Deck zog. Das war ja wohl der Gipfel der Frechheit! Meine Wut wurde abrupt unterbrochen. Mit einem Mal hörte ich erneut ein krachen und splittern, nicht unähnlich dem, das ich vernommen hatte als ich unten durch die Bilge kroch. Mit ohrenbetäubendem Lärm prasselte eine Rahnstock auf das Deck, und mit ihr ein Gewirr von Tauen und gesplitterten Hölzern direkt auf die Decksluke. Mit einem Aufschrei wurde der Magier von der Leiter geschleudert, sein Fall endete lautstark auf den Bodenplanken des Zwischendecks, wo er einfach liegen blieb. Schlagartig wurde mir bewusst, mit welcher Urgewalt der Sturm bereits tobte. Ständig ergossen sich Wassermassen durch die Luke herab und die starken Schlingerbewegungen des Schiffs drohten, mich von den Füßen zu reißen. Ich hatte kaum Zeit ordentlich zu überlegen, aber ich war mir fast sicher… Der Magier hatte in der Kürze die er vor mir hier herauf gekommen war weder die Zeit gehabt eine echte Flammenwand und schon gleich gar nicht einen Dämon zu beschwören, geschweige denn beides auf einmal zu tun. Ich fasste meinen Mut zusammen, hoffte dass meine Deduktion richtig war und sprang mit der Furchtlosigkeit eines wahren Helden hindurch. Ich verspürte einen irren Anfall von wahnhaftem Mut, als ich Anlauf nahm. Die abscheuliche Kreatur zuckte zusammen, wuchs plötzlich bi sunter die Planken der Decke, öffnete ihr riesiges Maul auf das ich genau zuflog, ich stieß einen Schrei aus… und segelte hindurch. Weder erwachte ich in Borons Hallen noch fand ich mich im Magen eines Dämons wieder (hatten Dämonen überhaupt Mägen?), sondern ich lag auf den nassen Planken des Mitteldecks direkt neben dem stöhnenden Magier. Feuerwand und Wesen waren verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Also doch eine Illusion, wenn auch eine sehr gute, so wie ich es vermutet hatte. Ich war zugleich selbstzufrieden mit meinem Intellekt, als auch erleichtert recht gehabt zu haben. Alles andere wäre wohl ziemlich fatal gewesen. Manch einer mochte es Mut der Verzweiflung nennen, ich bevorzugte, es die herausragende Kombinationsgabe eines erstklassigen Magus zu taufen. Dann beugte ich mich, den Langdolch gezückt, zu dem Verletzten hinunter. So einfach würde ich es wohl… verdammt! Seine Hand schoss, ebenfalls einen kleinen Dolch umklammernd, unter seiner Robe hervor. Gab dieser Bastard denn gar nicht auf? Zum Glück schien er vom Sturz ausreichend geschwächt zu sein, denn ich konnte seinen Stoß direkt abwenden und die Waffe ziemlich leicht seinen kraftlosen Fingern entwinden. Dann setzte ich ihm meinen eigenen Dolch an die Kehle.
Der zornige Gesichtsausdruck des Anderen sprach Bände, wandelte sich aber zusehends in Verzweiflung als er sein Ende kommen sah und er die Situation richtig erfasste. Nach einem Blick hinauf durch die Decksluke geriet er nahezu in Panik und nur die Klinge an seinem Hals verhinderte, dass er weg zuckte. Ich folgte seinem Blick, und verstand. Gigantische Blitze zuckten über den Himmel, Donnergrollen lag in der Luft das auf seltsame Weise ständig wiederhallte, so als würde es von unsichtbaren Wänden zurück geworfen. Das Segel hing in Fetzen und auch die extreme Seitenlage die die Kogge begann einzunehmen verhieß nichts Gutes. Im Eifer der Auseinandersetzung hatte ich einfach nicht weiter auf das Unwetter geachtet, aber nun erkannte ich, ich musste fort von hier. Nur wie? In den Augen des anderen Magus lag blankes Entsetzen als er sich mir zuwandte. „Ich bitte Euch, seid vernünftig. Verschont mich. Der Sturm, die Flasche, alles geht zu Ende… es bleibt nicht mehr viel Zeit!“ Er redete hastig weiter. „Wenn ihr mir helft , kann ich euch rausbringen, ich kenne das Geheimnis… bei Hesinde, die mein schändliches Tun verzeihen möge, Kollege, ihr müßt mir glauben!“ Gedanken zuckten durch meinen Kopf wie die Blitze über mir am Himmel. Auf der einen Seite drängte alles in mir, sich endlich an diesem Schurken zu rächen. Ein Drang, den ich kaum zu bändigen vermochte. Auf der anderen Seite schrie mein Überlebeninstinkt mir zu, nur keine Dummheit zu machen, ich selbst hätte ja gar keine Ahnung, wie ich von hier wegkommen würde. Und Zeit, das wusste ich nur zu sicher, um einen eigenen Weg heraus zu finden, hatte ich anscheinend nicht. Widerwillig, ja mich geradezu selbst zwingend, nahm ich nach einigen bangen Sekunden den Dolch vom Hals des Anderen und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. Wir hatten wohl wirklich keine Zeit zu verlieren.
Dankbar ergriff er meine Hand. Etwas in seinen Augen sagte mir, dass ich ihm nun vertrauen könnte – und meine unfehlbare Menschenkenntnis bestätigte dies, da war ich mir sicher. „Kommt, helft mir auf, es wird höchste Zeit! Au, Vorsicht, mein Bein ist beim Sturz gebrochen, ja,… so ist es gut. Ihr müsst mich stützen, sonst kann ich nicht gehen.“ Mit festem Griff packte ich den Mann, der so besehen kaum größer war als ich selbst, an der Schulter und half ihm auf die Leiter. „Wir müssen zum Bug, von dort bringe ich uns hier raus, mein Freund.“ So schnell wurde ich also von einem unliebsamen Störenfried zum Freund… Mühsam bugsierte ich ihn die Sprossen hinauf. Oben angekommen bot sich uns ein gespenstisches Bild. Der Himmel hatte sich vollständig verfinstert, nur ab und zu erhellten gigantische Blitze das dunkel. Donnergrollen und ein dumpf hallendes Pfeifen, gerade so als würde jemand auf einer gigantischen Flasche pfeifen, verhinderten jedes weitere Gespräch. Also doch in der Flasche, oder? Mannshohe Wellen schlugen über der Bordwand zusammen und ergossen sich auf die Kogge, so dass ich mich nur schwer auf den Beinen halten konnte. Das Schiff lag bereits bedrohlich schräg und war den Gewalten hilflos ausgesetzt. Segel und Taue flatterten zerfetzt im Wind, die große Rah längst abgerissen und aufs Deck gefallen. Selbst im stabilen Mast zeigten sich bereits Risse! Wortlos zupfte der Magier an meiner Robe und riss mich aus meiner Gebanntheit. Dabei deutete er auf die Vordertrutz und ich nickte zustimmend. Gemeinsam wankten wir, er noch mehr humpelnd auf mich gestützt, in Richtung Bug. Wir retteten uns bei diesem Gang quasi gegenseitig das Leben, ich ihn stützend, er mich einmal auffangend nachdem bei einem plötzlichen Ruck der durch das Schiff ging ich drohte über Bord zu gehen. Nur seine fest zupackende Hand hielt mich davon ab, in den Fluten zu verschwinden. Ich glaube, ich konnte ihm jetzt wirklich trauen. Als wir endlich in der Bugkajüte angekommen waren, waren wir beide vom Seewasser und Schweiß gebadet. Die geschlossene Tür hielt die eindringenden Wassermassen nur notdürftig auf. Der Andere begann bereits mit hektischen Vorbereitungen, während der er direkt das Wort an mich wandte. „Wir können nichts mit uns nehmen, was wir nicht selbst am Leib tragen, also wirf alles von Dir!“ Bei diesen Worten begann er, einige magische Symbole mit einem Holzkohlestift auf den Boden der Kajüte zu zeichnen. „Na los, weg mit dem Zeug, wenn Dir Dein Leben lieb ist!“ Ich zögerte kurz, aber er schien es ernst zu meinen. Am Leib tragen? Ich legte bedauernd meine Umhängetasche mit der Beute dieses Ausflugs zur Seite und begann, was ging in die Taschen meiner Robe und die kleinen Beutelchen an meinem Gürtel zu stopfen. Leider schloss das alles, was größer und sperriger war direkt aus. Das Fernrohr aus dem Mastkorb und das schöne magische Kamelspiel würde ich wohl zurück lassen müssen. Das ärgerte mich jetzt schon gewaltig. Lediglich die Münzsammlung konnte ich, aus dem Album ausgeschüttet in meinen Geldbeutel und die kleine Bootsmannspfeife die leicht in eine Tasche passte, an mich nehmen. Auch mein Vademecum stopfte ich, mehr schlecht als recht, unter mein Hemd. Dann packte ich meinen Stab. Den würde ich nicht hier lassen, aber galt er nicht seid der Bindung an mich als Erweiterung meines Körpers? Und der andere Magier hatte ja auch seinen Stab, der kaum zurück bleiben würde, oder? Das lies mich hoffen.
„Ich bin soweit, kommt zu mir.“ Erwartungsvoll trat ich in den Kreis aus Runen und Zeichen, die ich neugierig anblickte, aller Gefahr zum Trotz. Ich wusste zwar nicht, welche Formeln er da genau benutzt hatte, es schien mir eher ein spezielles Ritual zu sein als ein bestimmter Kantus, aber ich meinte die Zeichen von Translokation und Planarer Bewegung zu erkennen, bevor es los ging. Der Magister versank in Konzentration, bei der ich ihn nicht stören wollte. Ich lauschte mit einer gewissen Angst auf die Geräusche des Orkans, doch bald bildete sich eine schützende Aura um uns Beide und das Brüllen des Sturms schien nur noch von weit her zu kommen. Die Geräusche verstummten ganz, als sich die Aura verdichtete und einem silbernen Nebel wich. Dieses Wabern, das hatte ich in der Feenwelt schon einmal gesehen… war das der Limbus? Fast war ich versucht, die Hand auszustrecken, konnte mich aber gerade noch beherrschen. Überall auf meinem Körper kribbelte es, dann verspürte ich einen Druck auf meinem Kopf – und ich erwachte. Mich empfing das Rattern von Rädern, Rufe, Hufschlag und immer wieder der Lärm von vielen Stimmen, der Lärm einer großen Stadt. Ich lag, alle Viere von mir gestreckt, auf dem Boden der kleinen Dachkammer des Magisters. Überstanden! Ich hatte überlebt. Genauer, wir hatten überlebt! Mein neuer Freund rieb sich stöhnend den Kopf, ihm ging es wohl auch nicht besser als mir. Seine Lippen formten lautlose Worte, vermutlich ein Stoßgebet des Dankes zur Herrin Hesinde, dem ich mich direkt anschloss.
Plötzlich ertönte ein Pfeifen und Klirren. Als ich aufsah bemerkte ich, wie die unheilvolle Flasche zu vibrieren begann. Aus ihrem entkorkten hals drang feiner, dunkler Rauch und das Innere war kaum noch auszumachen. Jetzt konnte ich auch die darin aufwallenden dunklen Wolken erkennen. Was musste das für ein Sturm sein, wenn man die Auswirkungen noch hier draußen war nehmen konnte? Dort drin wollte ich um alles Gold Deres jetzt nicht mehr sein! Doch der Spuk war genauso schnell vorbei wie er begann, und mit einem letzten Donnerschlag zersprang die Flasche in Tausend Scherben. Auf dem Boden der Kammer mischten sich winzige Holzteilchen mit Glassplittern und feinen Wassertröpfchen. Was war das für unglaublich machtvolle Magie, die dort gewirkt hatte? So etwas würde ich wohl mein Leben lang nicht zustande bekommen. Was für ein Verlust für die Wissenschaft! Langsam begann ich zu verstehen, warum der Kollege so besessen von diesem Stück gewesen war. Bleierne Müdigkeit kroch in meine Knochen. Ich wandte mich meinem Kollegen zu und wir versicherten uns Gegenseitig, Stillschweigen über das Geschehene zu bewahren. Er konnte wohl keinen weiteren Ärger in der Stadt gebrauchen, insbesondere wenn er wieder an die Halle der Antimagie zurück wollte. Und ich hatte jetzt bald besseres zu tun, als mich den bohrenden Fragen der Garde zu stellen, die das Geschehene eh nicht begreifen würden. So trennten wir uns einvernehmlich, aber ich erinnerte ihn vorsorglich daran, dass ich bei ihm wohl etwas gut haben dürfte, falls ich wieder einmal in Kuslik sein würde.
Den ganzen Weg zurück zur Herberge war ich in Gedanken versunken und die penetranten Fragen der Wirtin nach meinem ramponierten äußeren wimmelte ich einfach ab, bevor ich mich ins Bett warf und erst einmal ausschlief. Mir blieb nur wenig Zeit in Kuslik als ich wieder erwachte. Nach einem verspäteten Frühstück machte ich mich auf zur Nachbarin des Trödlers, auch wenn das Ganze wenig Sinn machte. Aber ich hatte es ihr versprochen – unterwegs dachte ich mir eine ein wenig plausibler wirkende Geschichte aus, die die Gute Frau nicht so sehr verwirren mochte. Ich setzte sie in Kenntnis, dass der Trödler Parveleck sein Leben ließ, weil er durch den Erwerb bestimmter gestohlener Gegenstände in den Konflikt zweier Ganovenbanden geriet. Das Weib klagte und jammerte zwar, aber das war nun geklärt da die Dame mir die Geschichte ohne viel zu Fragen abkaufte. Den letzten Tag in Kuslik verbrachte ich damit, meine Kleidung und Ausrüstung wieder auf Vordermann zu bringen und einige auf dem Schiff mit meiner Tasche verloren gegangenen Kleinigkeiten zu ersetzen. Dafür musste ich einen Teil der Münzsammlung, die anscheinend leider deutlich weniger Wert war als ich gehofft hatte, einsetzen, aber sei es drum. Dafür war am Ende des Tages mein Auftreten wieder tadellos und meine Ausrüstung vollständig. Somit blieb mir am Ende des Tages nur noch die kleine Bootsmannspfeife als Erinnerung an dieses Abenteuer. Rein vorsorglich begutachtete ich das Stück am Abend mit einem Odem Arcanum, und, ich war nur wenig überrascht, erkannte das strukturierte Geflecht eines magischen Artefakts. Sollte ich? Nach diesen Erlebnissen? Ich Rang mit mir. Am Ende siegte meine Neugier und ich begann, eine lustige kleine Melodie auf der Pfeife zu trällern. Nach den ersten Takten drang weißer Rauch aus der Pfeife und mit einem lauten Puff standen drei tanzende Derwische in meiner Kammer. Sie schwangen die Arme im Takt, legten eine flotte Sohle hin und begannen dabei, unflätige Seemannslieder zu gröhle. „ Wir saufen Met, bis keener mehr steht unser Häuptling heißt rote Locke, er hat ne stinkige Socke. Wir verbrauchen viel Fraun und tun Leute beklaun und hauen uns reichlich auf die Glocke!“ Amüsiert setzte ich das Instrument ab, woraufhin die Gestalten wieder verschwanden. Das war es also? Der Lohn der ganzen Gefahr eine magische Tute, die man im besten Falle als Spielerei bezeichnen mochte? Nun gut, besser als nichts, aber wohl auch kaum etwas, das mir irgendwie groß nützen würde. Auf der anderen Seite… ach egal.
Am nächsten Tag beschloss ich, den Landweg nach Bethana zu nehmen. Von Schiffen, das musste ich leider sagen, hatte ich gerade gestrichen die Nase (und auch ein wenig die Robe) voll. Zum Glück verkehrten im Horasreich reichlich Postkutschen die mich schnell weiterbringen konnten. Den Rest der Reise bestritt ich vom übrigen Erlös der Münzsammlung und dem Geld meines Vaters und kam einige Tage später in Bethana an. Dort erwartete mich man schon recht ungeduldig. Eigentlich hatte man mich an Bord eines Schiffs vermutet und war recht überrascht, als ich den Landweg nehmend ankam. Ich wurde im Kontor der Familie Garangor im Hafen vorstellig, wo mich der kaufmännische Verwalter, ein Mann namens Duardo Zerbero Perainea, in Empfang nahm und mich anschließend zu meiner Unterkunft im Anwesen der Garangors brachte. Was soll ich sagen, ich freute mich jetzt schon unbändig darauf, Fabrizzio wieder zu sehen und konnte es kaum erwarten!
Das Schiff in der Flasche, Nr. 34 von 1992. Staubt seit den 90ern im Schrank vor sich hin und wurde jetzt nach 20 Jahren nochmal zu den gebührenden Ehren ausgepackt :) Zwar regeltechnisch nicht grade up to date (DSA 2 *g*), aber die Story ist immer noch gut. War glaub ich schon immer eines der besseren Solos.
Was für ein Abenteuer war das ?