Zurück im Lager teilt Parmenio die Truppen ein. Keine Stunde später verlassen die Brüder des Blutes die geschützte Senke und marschieren Richtung Geronsschlucht. Im strömenden Regen passieren wir die kleine Brücke, die den Eingang zum felsigen Engpass markiert.
"Warum tragen wir’s nicht hier aus," fragt Tia, während sie im Vorbeimarschieren über das niedrige Geländer spuckt. "Hier ist es doch noch enger als in der Schlucht. Oder besser noch, warum reißen wir das Ding nicht gleich ab? Kann doch nicht so schwer sein."
Ich höre Gasparo, einen Sargente aus di Faffarallos eigener Bandiera, antworten. "Es wird zur Schlacht kommen, so oder so. Wir bestimmen allerdings den Ort. Reißen wir die Brücke ab, suchen sich die Arivorer einen anderen Weg und dann hat sich der Plan mit der Schlucht erledigt. Außerdem – eine schmale Brücke, verteidigt von einer von Rondra gesegneten Frau, gegen eine Übermacht von Feinden… hast du denn gar nichts in der Praiostagsschule gelernt?"
Tias Antwort geht im Rauschen des angeschwollenen Flusses tief unter euch unter, als der Wind dreht und mir Regen ins Gesicht weht. Als wir das Ende der Schlucht erreicht haben, beziehen wir Stellung. Nun heißt es abwarten. Di Faffarallo versammelt die Capitani, Sargentes und Corporale, um letzte Anweisungen vor der Schlacht zu geben. Spinosas Posten wird von Ivica, der dienstältesten Sergente der zweiten Bandiera, eingenommen.
Als ich nach dem Appell mit den anderen zu meiner Bandiera zurückkehren will, bedeutet mir di Faffarallo, noch kurz zu bleiben. "Der Erzherzog positioniert uns am Ende der Schlucht. Was sagt Euch das, Sargente?"
Ich überlege kurz. "Das sagt mir," antworte ich, "dass dem Erzherzog, mit Verlaub, seine eigenen Männer und Frauen wichtiger sind als unsere. "Und", füge ich hinzu, "dass es für uns ein ungemütlicher Tag werden wird." Ich sammle noch etwas Mut, bevor ich weiterspreche.
"Ach, eine Sache noch, Condottiere", sage ich und schaue dabei in Richtung der Schlucht. "Es bedeutet, dass der Erzherzog uns genau die Arbeit machen lässt, für die er uns bezahlt. Er will sich nicht die Finger schmutzig machen. Die Rondrianer in einen Hinterhalt zu locken, das ist schon ein starkes Stück. Da lässt er dem Söldnerpack sicher gern den Vortritt. Aber genau darum geht es doch", ich schaue zu ihm hinüber, "Pacta sunt servanda, oder nicht?"
***
Der Plan des Erzherzogs geht tatsächlich auf. Angeführt von Salkya Firdayon, der rondrageweihten Ardaritin und drittem Kind Amene Horas‘, wählen die gegnerischen Truppen den Weg durch die Schlucht, um den Kampf auf den Feldern vor Westfar auszutragen. In der Geronsschlucht werden sie von der Großen Armee vorzeitig abgefangen. Es kommt zur Entscheidungsschlacht.
Ob beabsichtigt oder nicht, nach der Aufstellung finde ich mich mit meiner Bandiera in unmittelbarer Nähe zum Kommandanten wieder. Die Schlacht gegen die Rondrianer ist hart, härter als alles, was ich bislang erlebt habe. Am Boden liegende oder flüchtende Gegner werden von den geweihten Männern und Frauen zwar geschont, dennoch fallen an diesem Tag viele meiner Kameraden unter den roten Klingen der Rondrakämme, geschmiedet in den legendären Saladan‘schen Schmieden Arivors. Die Söldner stellen sich den Geweihten nur zu zweit oder zu dritt, was deren Zorn wiederum weiter aufflammen lässt. Im Regen, im blutigen Gedränge, inmitten der Schreie und des Todes ist es kaum möglich, Überblick zu bewahren. Doch es sieht nicht gut aus. Meine Sargente, Arissa, ist gerade gefallen und auch von meiner Corazza steht nur noch die Hälfte. Trotz unserer Überzahl droht der Tag verloren zu gehen.
Ich frage mich gerade, was ich tun soll und schreie zwei Umherirrende in unseren Farben herbei, um meine Formation aufrecht zu erhalten, als ich Zeuge werde, wie di Faffarallo Salkya Firdayon zum Duell fordert. Die Schlacht tobt ringsherum weiter, doch hier, um die beiden herum, bildet sich ein Freiraum, den niemand verletzt, und viele Kämpfe erlahmen, während die Männer und Frauen auf ihre beiden Anführer schauen. Ich kann im Getümmel nur Teile des Duells erkennen. Beide scheinen sich eine Ewigkeit zu umkreisen, bis Salkya in den Angriff übergeht. Als ich wieder einen Blick auf das Geschehen erhalte, blutet di Faffarallo aus einer Wunde an der Hüfte. Etwas später blitzt es gleißend hell auf. Salkyas Stimme hallt machtvoll über das Schlachtfeld und der Rondrakamm der Thronprätendentin fährt wie Rondras stahlgewordener Zorn auf di Faffarallo nieder. Mit einer Drehung, gleichermaßen von Behändigkeit wie großem Glück geleitet, wirft dieser sich im allerletzten Augenblick zur Seite. Salkyas Rondrakamm kracht mit einem tief dröhnenden Donnern in den Felsboden und erfüllt die Luft mit einem Hagel scharfkantiger Steinsplitter. Di Faffarallo fängt sich, positioniert sich und holt Atem, während seine Gegnerin ihr Gleichgewicht wiederherstellt und sich zu ihm umwendet. Der Condottiere holt aus und beginnt, die Thronprätendentin in einem Ausfall vor sich herzutreiben. Sein Ziel scheint zu sein, sie Richtung Schluchtwand zu drängen. Dann geschieht es. Ein seitlich geführter Streich, der von meiner Warte aus nicht einmal besonders hart geführt erscheint, prallt gegen Salkyas zur Abwehr gehobene Klinge, die in einem Schauer aus Splittern zerbirst. Di Faffarallos Schwert beißt ungebremst in ihre Seite. Blut spritzt auf, Salkya krümmt sich zusammen und stürzt.
Wie Wasserwellen breitet sich der Schock unter den Kämpfenden aus. Di Faffarallo lässt sich neben der Frau zu Boden fallen, reißt sich den Helm vom Kopf und presst seine Hände auf die feuchtglänzende, klaffende Wunde in ihrer Seite. Von irgendwo her höre ich Parmenio schreien. Wie durch violetten Nebel sehe ich Rondrianer herbeieilen. Salkyas blutige Lippen bewegen sich, di Faffarallo beugt sich zu ihrem Gesicht herunter. Dann fährt ein Krampf durch ihren Körper und sie liegt still.
Die Kämpfe kommen sofort zum Erliegen. Zwei Ardaritinnen packen di Faffarallo, ziehen ihn vom Leichnam der Thronprätendentin und reißen ihn fort. Der Condottiere leistet keinen Widerstand. Parmenio, sein blutiges Schwert noch in der Hand, treibt uns zusammen. "Wer hat es gesehen?", brüllt er. "Wer hat es gesehen?"
"Ich!", rufe ich ohne nachzudenken. "Ich habe es gesehen!"
"Komm her!", Parmenio packt mich atemlos am Oberarm, "Was ist passiert?"
"Die beiden haben sich duelliert", stoße ich hervor. "Ihre Klinge ist zerbrochen und sein Hieb hat sie getötet. Es war nichts Unrechtes daran!"
Ohne mich loszulassen, dreht Parmenio den Kopf. "Sonst noch jemand?" donnert er in den strömenden Regen.
"Hier," ruft eine Hellebardierin, "ich sah, wie sie stürzte!"
"Gasparo, Nandurio! Rückzug! Du", er wendet sich wieder mir zu, "bleibst an meiner Seite."
In aller Eile formieren wir uns neu. Schlamm und Blut haben alle anderen Farben der Welt ausgelöscht. Ungewissheit und Unruhe hängen über beiden Heeren, die sich keine fünfzig Schritt in der Klamm gegenüberstehen. Ich stehe in vorderster Reihe bei Parmenio, neben uns sammeln sich die Ferrox Ferroque um ihre schlammverkrustete Standarte.
"Ruhig jetzt. Erzähl mir ganz genau, was Du gesehen hast."
Ich erzähle kurz und knapp alles: das Duell, der ehrenvolle Zweikampf, Blitz und Donner, das Zersplittern ihres Rondrakammes, di Faffarallos tödlichen Hieb, sein Respekt für die Gegnerin.
Parmenio hört mir konzentriert zu, während Regen, Schweiß und Blut unsere Hälse herab in die Rüstungen rinnen. "Ich hoffe für uns alle, dass es sich so zugetragen hat," sagt er, nicht einmal sonderlich misstrauisch, als ich ende. Rufe werden hinter uns laut. Parmenio reckt den Hals. Bewegung kommt in die Truppen, jemand bahnt sich einen Weg nach vorn.
"Komm mit," sagt er und schiebt sich durch Eure enge Formation. "Macht Platz! Lasst uns durch!"
Zwischen den Abteilungen hat sich eine schmale Gasse gebildet, durch die der Erzherzog in schwerer Plattenrüstung voranschreitet. Parmenio und ich treten ihm entgegen.
"Euer Hoheit," sagt er mit jener Direktheit, wie sie nur das Schlachtfeld gebiert, "dieser Mann hat gesehen, was geschehen ist."
Der Kriegsherr richtet seinen Blick auf mich. Ihm zur Seite stehen die Offizierin aus dem Zelt – ein blutiger Arm schlaff an ihrer Seite – sowie der ernste Magister. "Berichte," sagt der Erzherzog, während der Regen auf Euch herabströmt.
Ich berichte sehr respektvoll. Ich werde zwar dieses mulmige Gefühl nicht los, wenn ich an die politische Brisanz dessen denke, was ich beobachtet habe. Das hält mich allerdings nicht von meinem Bericht ab. Es wundert mich auch nur wenig, dass ich anscheinend der Einzige bin, der diese Ereignisse richtig beobachtet hat.
Ich vermag den Ausdruck auf dem Gesicht des Erzherzogs nicht zu deuten. Da ich mich selbstverständlich ohnehin entschieden habe, alles getreu dessen, was ich gesehen habe, zu berichten, macht es aber wohl auch keinen Unterschied. Als ich meinen Bericht abschließe, sieht der Erzherzog zum Magister herüber. Pavus nickt.
"Ihr rührt Euch nicht von der Stelle." Der Erzherzog blickt über Euch hinweg zu den Rondrianern hinüber. "Ah." Zwei Männer, deren Wappenfarben unter all dem Blut und Schlamm auf ihren Röcken kaum zu erkennen sind, treten vor die Linien.
"Löwenstolz und Montoya," sagt die Offizierin.
Der Erzherzog fixiert die beiden Männer und setzt sich mit seinem Gefolge in Bewegung. Rasch geben wir ihm den Weg frei.
…
Lektion: Die Tapferkeit der Fürsten erfordert oft viel fremden Mut.