Wir schreiben das Jahr 1029 nach Bosparans Fall. Der Thronfolgekrieg ist auf seinem Höhepunkt, als nicht weniger als drei Abkömmlinge der Horas die Königswürde für sich beanspruchen und das Land in einen blutigen Bürgerkrieg stürzen. Der Tod vieler Adliger lässt ganze Landstriche im Chaos versinken, während sich die Gardetruppen der Thronprätendenten in verlustreichen Schlachten gegenseitig aufreiben.
Aus diesem brodelnden Kessel von Blut und Stahl geht ein Feldherr hervor, der dem Krieg sein eisernes Siegel aufdrückt. Ralman von Firdayon-Bethana, Erzherzog von Horasia, begründet ein Heer, das bald nur noch die 'Große Armee' genannt wird. Der Untergang ganzer Garderegimenter hat den Söldnerhaufen endgültig den Aufstieg zur bedeutendsten Truppenform des Krieges freigeräumt. Und so kämpfen und marschieren unter dem unerbittlichen Erzherzog nicht nur geschwächte Truppenteile der Horaslegion, sondern ganze Söldnerregimenter wie die Goldene Legion, die Weißkragenkohorte, sämtliche Kompanien der Yaquirtaler Pikeniere und zahllose weitere namhafte Einheiten.
Nachrichten von einer großen Schlacht nahe Pertakis machen im Frühjahr die Runde. Erzherzog Ralman hat den Timoristen bei der Kreuzung von Castarosa eine Niederlage von möglicherweise kriegsbedeutender Entscheidung bereitet. Es ist ein kalter und verregneter Phex, als auch Condottiere Traviano di Faffarallo einen Kontrakt mit dem Erzherzog aushandelt und sich die Brüder des Blutes der Großen Armee anschließen. Nur einen Tag später setzt man sich in Marsch - Richtung Arivor, wo sich die Thronprätendentin Salkya Firdayon zur Königin hat krönen lassen und nun ein Heer der Ardariten unter sich versammelt.
Kurz vor Arivor schwenkt das Heer des Erzherzogs überraschend westwärts und dringt ins umliegende Hügelland vor. Reiterei und Sappeure werden nahe des Ortes Westfar zurückgelassen, während die Infanterie Stellung an einemnatürlichen Engpass zwischen der Hauptstreitmacht und Arivor bezieht...
Abenddämmerung und Regenschleier legen sich vereint auf das Lager der Brüder des Blutes nieder, das den westlichsten Teil der Truppenlinie bildet. Parmenio di Suza, di Faffarallos rechte Hand und "Second-in-Command", hat die Order ausgegeben, keine Feuer zu entzünden und Bereitschaft zu halten. Die Stimmung ist angespannt. Man marschiert erst wenige Tage im Heer des Erzherzogs und steht schon am Vorabend einer Schlacht. Es ist kalt und es gibtkein warmes Essen. Ein junger zyklopäischer Corporal, auf dem Rückweg von seiner Wache, wird Zeuge, wie...
Der Vorabend der Schlacht von Westfar. Ich kehre von meiner Wache zurück, aufgeweicht vom unablässigen Nieselregen. Schlammspritzend suche ich mir allein einen Weg zurück zum Lager meiner Bandiera. Bei den Zweiten Hellebardieren höre ich unangenehmes Lachen und werde schon bald Zeuge, wie Vigo Spinoza, Capitan der Zweiten Hellebardiere (allerdings nicht mein Capitan), einen Rekruten vor eine Bretterwand stellt und Zielübungen mit der Armbrust auf ihn macht. Bolzen stecken um den Rekruten herum in der Wand, und er blutet aus einem leichten Streifschuss am Oberschenkel, während sich der Capitan mit seinen Schüssen langsam aufwärts arbeitet. Etliche seiner Sargentes und Mercenarii amüsieren sich mit ihm und reichen ihm die Bolzen an.
Spinosa greift in den Köcher, der ihm hingehalten wird, und zieht einen Bolzen heraus. Es sind nur noch zwei weitere Projektile darin, wie ich erkennen kann. Er wift einen kurzen Blick zum Himmel, sagt dann irgendetwas lachend und legt an. Der Bolzen schlägt auf Höhe der Körpermitte neben dem Rekruten in die Bretterwand.
Spinosas Hand ist absolut ruhig, und obwohl er lacht und mit großen Gesten agiert, ist er im Moment des Zielens komplett konzentriert. Er ist offensichtlich ein ausgezeichneter Schütze. Der Rekrut dagegen – ein Bursche von vielleicht fünfzehn Jahren mit braunen Locken – sieht aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Sein aschfahles Gesicht steht in Kontrast zu seinem dunklen Haar und zwischen seinen Hosenbeinen breitet sich ein feuchter Fleck aus, allerdings kein Blut.
Spinosa spannt seine Armbrust und legt den vorletzten Bolzen ein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht noch einen weiteren Köcher mit Bolzen anbrechen wird, denn der Nieselregen nimmt gerade zu und die Waffe muss bald aus dem Regen geschafft werden, um nicht unbrauchbar zu werden. Ich wäge gerade ab, was zu tun ist. Als ich mich umschaue, entdecke ich zwischen den Zelten eine befreundete Gestalt: Tia, die Trommlerin meiner Bandiera.
Die Zwölfjährige war schon bei den Brüdern des Blutes, bevor ich dazukam. In irgendeinem Scharmützel hat sie ihr linkes Auge verloren und große Brandnarben im Gesicht zurückbehalten, ist aber dennoch eine unerschütterliche Frohnatur und Quelle guter Stimmung. Das, ihr junges Alter und ihr munteres Flötenspiel machen sie sehr beliebt und zum unausgesprochenen "Glücksbringer" unserer Bandiera.
Sie eilt zwischen den regennassen Zelten entlang und lässt dabei ihren Schlapphut um einen Finger kreisen. Auch sie muss auf dem Rückweg von irgendeiner Aufgabe sein, denn dies hier ist ja nicht unsere Ecke des Lagers. Ich blicke zu ihr hinüber. Sie fängt meinen Blick auf – doch im allerletzten Moment halte ich inne. Nein, ich will sie nicht in diese Sache mit hineinziehen. Wir alle haben bei Tia diesen Beschützerinstinkt. Sie nickt einmal kurz herüber und entschwindet dann in der Dämmerung.
Ich zögere. Gerade legt Spinosa den vorletzten Bolzen auf die Sehne, spannt die Waffe in einer einzigen flüssigen Bewegung und legt an. Das Gesicht des Rekruten hat in der Zwischenzeit die Farbe geronnener Milch angenommen.
Was soll ich tun? Den Capitan ablenken? Oder würde das nicht alles nur noch schlimmer machen? Vortäuschen, Parmenio sei gerade in der Nähe? Mir will auf die Schnelle einfach nichts einfallen, aber mit etwas Glück ist das elende Schauspiel ohnehin bald beendet. Spinosa drückt den Bügel, im selben Moment sehe ich aus dem Augenwinkel, wie der Rekrut die Nerven verliert und sich zur Seite wirft. Mit einem seidigen Geräusch durchschlägt der Bolzen seinen Hals. Ein schwarzer Schwall Blut schießt hervor und der Junge stürzt zu Boden.
Schockierte Stille. Spinosa ist erstarrt, bevor er sich nach ein paar Augenblicken zusammenreißt.Ich bin schockiert, erstarre. Mir entfährt ein würgendes Geräusch. Spinosa dreht den Kopf und schaut zu mir herüber. Kurz besteht Blickkontakt. Angewidert von der Situation und von mir selbst, wende ich mich ab. Ich warte nicht , ob er mich erkannt hat, sondern ziehe die Kapuze tief ins Gesicht und eile, fliehe fast, hastigen Schrittes davon. Meine Hände Zittern.
***
Der Capitan stellt die Sache im Folgenden als Unfall dar. Er lässt nach Parmenio schicken und berichtet diesem, der Rekrut sei betrunken in seine Zielübungen hineingelaufen. Die vier Sargentes nicken Spinosas Aussage ab. Parmenio zieht mit dem Capitan, den vier Sargentes und dem unvermeidlichen Rattenschwanz an Neugierigen, die auf die Sache aufmerksam geworden sind, zum Zelt des Kommandanten und bringt die Sache vor di Faffarallo.
Kurz nach Spinosa melde ich mich ebenfalls bei di Faffarallo. Als ich vorgelassen werde, hört er sich meine Ausführungen bis zu Ende an und fragt ihn, ob er bereit wäre, hier und jetzt – das heißt noch heute Abend – meine Aussage vor Spinosa und allen anderen zu wiederholen. Er macht mir schon klar, dass ich mir damit einigen Ärger einhandeln könnte.
Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Di Faffarallo lässt sämtliche Capitani und Sargentes der Kompanie zusammenrufen und lässt mich meinen Bericht vor ihnen – und all den übrigen Neugierigen – wiederholen. Spinosa streitet zunächst alles ab und will sich auf seinen Rang und seine Sargentes als Zeugen berufen. Mein Auftreten hat jedoch einigen anderen offensichtlich Mut eingeflößt, und so finden sich mehrere weitere Männer, die das Schauspiel beobachten konnten und nun ebenfalls die wahren Begebenheiten erzählen. Als schließlich einer der Sargentes, der dabei war, einknickt, kann Spinosa die Wahrheit nicht mehr leugnen. Di Faffarallo lässt ihn zur Mitte des Lagers bringen und auspeitschen. Danach wird er festgesetzt bzw. ins Lazarettzelt gebracht. Nach der Schlacht will di Faffarallo entscheiden, wie es weitergeht.
***
Ich stehst neben dem Condottiere und blicke den Männern nach, die Spinosa unter den Achseln gefasst ins Lazarett schleifen. Sein Rücken ist eine aufgeplatzte, feuchtglänzende Masse, das Blut läuft ihm in die Stiefel. Es wird eine Weile vergehen, bis er wieder gehen kann.
"Der Erzherzog ist ein mächtiger Mann." Parmenio zieht sich den regennassen Hut in die Stirn. "Besser, ihn nicht länger warten zu lassen."
Di Faffarallo wendet sich von Parmenio ab und mir zu. "Sagt mir eins, Sargente." Sein Blick ist undurchdringlich. "Warum habt Ihr es getan?"
Ich schaue den Condottiere an, respektvoll, aber wenig ehrerbietig. "Weil es das richtige war zu tun.", sage ich etwas steif, ringe nach Worten. "Handlungen haben Konsequenzen. Auch bei mächtigen Menschen." Ich wende den Blick ab. "Vielleicht gerade bei denen …“, murmele ich.
„Und“, ich blicke wieder auf und di Faffarallo in die Augen, mit einem Blick irgendwo zwischen Arroganz und Ironie und einem feinen Lächeln um den Mundwinkel, „ich konnte Spinozas Art noch nie leiden.“
Di Faffarallo schaut mich einen Moment an, dann wendet er sich um. "Kommt."
Ein wenig überrascht folge ich ihm und Parmenio ins Nachbarlager. Wir passieren die wie mit dem Winkelmaß gezogenen Zeltreihen und regennassen Standarten der Horaslegion. Selbst mir entgeht allerdings nicht, dass die horaskaiserlichen Gardetruppen längst nicht mehr ihre Sollstärke erreichen.
Im Zentrum des Feldlagers ragt wie ein kauernder Löwe ein riesiges Zelt aus dunkelrotem Stoff auf. Wir werden bereits
erwartet und hinter di Faffarallo und Parmenio passiere ich die Wachen. Für einen Moment habe ich ein merkwürdiges Gefühl, fast als würde ich durch einen verschwommenen Wasserschleier treten. Dann erblicke ich im Schein zahlreicher Öllampen zum
ersten Mal den Erzherzog – unseren Auftraggeber und unangefochten mächtigsten Kriegsherrn des Landes. Bei ihm haben sich sämtliche Anführer unseres Heerzugs um einen großen Tisch versammelt. Di Faffarallo stellt sich zu Kommandantin Alrike Kostermann, Condottiera der Ferrox Ferroque, die ihn mit einem kurzen Nicken begrüßt. Parmenio und ich flankieren ihn zu beiden Seiten, leicht nach hinten versetzt.
Eine mir unbekannte Frau, der Uniform nach zu urteilen eine hohe Offizierin des Erzherzogs, verkündet die Strategie der kommenden Auseinandersetzung. Man will die Truppen der Thronprätendentin Salkya Firdayon zwischen Arivor und Westfar empfangen, dort wo die enge Geronsschlucht nach einer kleinen Brücke einen natürlichen Engpass formt. Di Faffarallo wird gemeinsam mit Kostermanns leichtem Fußvolk der Platz am Ausgang der Schlucht zugewiesen. Zudem wird er zum Befehlshaber der unter Vertrag stehenden Söldnerregimenter ernannt, was ihn nach dem Erzherzog faktisch zum zweiten Oberbefehlshaber des Heeres macht.
"Woher wissen wir, dass Salkya kommen wird?" fragt ein einhändiger Mann im Wappenrock der
Yaquirtaler Pikeniere.
"Weil ihre Schwertschwester Oljana ya Cavacasta sie dorthin führen wird," antwortet die Offizierin.
"Eine Ardaritin?" Der Mann schaut skeptisch in die Runde.
"Die Rondrianer sind sich alles andere als einig," sagt die Offizierin und runzelt die Stirn. "Nicht wenige
sind der Überzeugung, Salkya sollte rondrageweihte Truppen nicht als Mittel für ihren weltlichen
Kampf um die Krone missbrauchen."
"Wann habt Ihr mit ihr gesprochen?"
"Sie hat soeben das Lager verlassen," meldet sich zum ersten Mal der Erzherzog mit tiefer Stimme zu
Wort. "Es ist alles veranlasst."
"Können wir sicher sein, dass es nicht wir sind, die sie verrät?", spricht Condottiere Luntfeld von den
Colmans Cavallieri die Frage aus, die sich wohl viele gerade stellen.
Der Erzherzog stützt eine panzerbewehrte Hand auf dem Kartentisch ab. "Magister Pavus." Es ist mir unbegreiflich, wie ich den Mann neben dem Erzherzog die ganze Zeit übersehen konnte – und offensichtlich ergeht es nicht nur mir so, denn etliche Hände im Zelt sind unwillkürlich zu den Waffengriffen geflogen.
Hochgewachsen und gerade wie der Stab in seiner Hand, macht der Magier einen Schritt nach vorn. "Oljana ya Cavacasta beabsichtigt nicht, uns zu hintergehen."
Die selbstsichere Stimme des Mannes trägt bis in den letzten Winkel des Zeltes. Ein Capitan aus Kostermanns Gefolge neben Dir knurrt etwas, das verdächtig nach "verdammte Magier" klingt, während er die Hand wieder vom Schwertgriff nimmt.
"Wo wir gerade dabei sind," meldet sich der einhändige Condottiere der Yaquirtaler erneut zu Wort, "welche
magischen Mittel stehen unserem Gegner zur Verfügung?"
"Die Kronprätendentin führt ihre Truppen selbst an," antwortet der Erzherzog. "Mit Schlachtfeldmagie müssen wir folglich nicht rechnen. Darüber hinaus…" Er wendet sich Pavus zu.
"Belascania von Grangor, Abgängerin der Halle der Geistesreisen, ist ihre Beraterin," ergänzt der Magister.
"Wäre sie in der Lage, diesen Kriegsrat zu belauschen?" wendet der Yaquirtaler ein. "Oder ya Cavacasta hier gesehen zu haben?"
Der Magier betrachtet den Einhändigen mit einem durchdringenden Blick. "Es wurden Vorkehrungen getroffen."
***
"Ich muss gestehen, ein Pavus auf unserer Seite ist zumindest etwas," sagt Kostermann, während sie neben di Faffarallo durch den Regen zurück zum Söldnerlager stapft. "Eine Sache weniger, um die wir uns sorgen müssen."
Der Condottiere schweigt nachdenklich. "Die Rondrianer also. Nur das Beste für uns. Welche Aufstellung, Kommandant?"
Lektion: Wähle Deine Feinde mit Bedacht!