07. Phex 1020 BF
Es muss gerade Mitternacht sein, als ich das scheinbar menschenleere Marbidenkloster betrete. Wieder gehe ich zielstrebig in den Keller, zu dem Labor von Robak, in dem ich selbigen auch antreffe. Dieser Mann scheint auch nie zu schlafen. Aber sollte mich das wundern? Er kann sich jederzeit einen Wachtrunk brauen und ich bin mir sicher, dass sein Labor dabei nicht in tausend Einzelteile zerspringt, weil er die Mixtur nicht ausreichend abkühlen ließ.
Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet habe, sprudelt es förmlich aus mir heraus, dass die anderen aus meiner Gruppe herausfinden wollen, ob unter den Marbiden noch mehr Werwölfe existieren und dass es mir nicht möglich war, sie von diesem Gedanken abzubringen. Zumindest nicht, ohne mich selbst nicht in Verdacht zu bringen, mehr zu wissen, als ich es ihnen gegenüber zugebe. Was ja sogar stimmt.
Ich erzähle weiter, dass sie jetzt mich geschickt haben, damit ich eine Einladung überbringe, die besagt, dass die stellvertretende Leitung der Marbiden sich zur achten Morgenstunde zu einer magischen Befragung in der Burg einfinden solle.
Robak hört sich das alles schweigend an und als ich ihn frage, ob es unter den Marbiden auch noch jemanden gibt, der kein Werwolf ist, der am besten von allem nichts weiß, antwortet er mir, dass er sich darum kümmern würde, dass er einen nichts wissenden Stellvertreter zur Burg schicken würde.
Diese Aussage von ihm lässt mich erleichtert aufatmen und dankbar nehme ich sein Angebot an, mich zur Burg zurück zu begleiten. Ich sollte häufiger auf meine eigene Sicherheit bedacht sein und nicht ständig alleine des Nächtens durch die Gassen laufen. Wenngleich ich mich früher hier in Norburg immer sicher gefühlt habe, doch die Zeiten haben sich gewandelt, sind gefährlicher geworden, selbst hier, in meiner alten Heimatstadt.
Ich frage mich, ob man sich an mich erinnern wird, wenn ich einmal nicht mehr bin. Wie konnte es nur so weit kommen, dass man mir nach dem Leben trachtet? Sicher, die Welt war immer schon voller Gefahren, aber ich war hier in Norburg bislang immer sicher, musste nicht um mein Leib und Leben fürchten und jetzt?
Ich bin mir sicher, dass wenigstens mein Rondrasil sich an mich erinnern wird. Ob er um mich trauern würde? Würde er versuchen, meinen Tod zu rächen?
Während ich diesen Gedanken nachhänge, betrete ich leise das Zimmer und bleibe vor dem Bett stehen, in dem mein Mann sanft und ruhig schläft. Ich merke, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen schleicht, als ich diesen Mann im Schein des Madamals betrachte.
Als würde er meine Anwesenheit spüren, schlägt er mit einem Mal die Augen auf und fixiert mich, betrachtet mich schlaftrunken, aber liebevoll. Ich lasse meine Robe zu Boden gleiten und klettere zu ihm ins Bett, schmiege meinen Körper an seinen, lasse mich von seinen kräftigen Armen umgreifen, rieche seinen männlichen Duft, spüre seinen Herzschlag und gebe mich seinen Berührungen hin.
Um die siebte Morgenstunde gelingt es Rondrasil und mir, uns aus unserem warmen Bett zu erheben, auch wenn uns der Sinn wahrlich nicht danach steht, doch hier steht mehr auf dem Spiel als unser Wohlbefinden.
Wir treffen uns mit den anderen und pünktlich um acht Uhr kommt ein Mann in der typischen Kleidung der Marbiden zu uns in die Burg. Ugdan erklärt ihm, dass er ihm einige Fragen stellen werde, die er wahrheitsgemäß beantworten müsse, weil er sonst Schaden erleiden würde.
Etwas irritiert, beinahe ängstlich vernimmt der Mann diese Worte, strafft sich jedoch dann wieder und teilt uns mit, dass er sich freiwillig zu dieser Befragung bereit erklärt habe und dass wir beginnen können.
Ugdan beginnt daraufhin, einen Zauber zu wirken, ich meine, es ist der Imperavi und ihm seine Fragen zu stellen.
Auf die Frage, ob bei den Marbiden Werwölfe leben, antwortet der Mann nicht, er schweigt. Kurz auf sein Schweigen erfolgt ein Schmerzenslaut und Ugdan klärt uns darüber auf, dass das Schweigen und die Strafe darauf schließen lassen, dass er es nicht genau weiß, keine verlässlichen Angaben machen kann.
Mir scheint, Robak hat tatsächlich einen gänzlich unwissenden Mann aufgetrieben.
Ugdan fährt mit der Befragung fort. Auf die Frage, ob er wisse, dass einige Patienten der Marbiden Werwölfe gewesen seien, bekommt er eine bejahende Antwort. Auch auf die Frage, ob einige der Patienten tatsächlich Werwölfe gewesen seien, antwortet der Mann mit ja.
In seiner nächsten Frage will Ugdan wissen, ob die Führung dieses Wissen billigend in Kauf genommen hat, worauf uns gesagt wird, dass das Kloster ja einzig zu diesem Zweck gebaut worden sei, dass nach einem Heilmittel geforscht worden sei. Und auch auf die Frage, ob die Marbiden die Lykantrophen vor der Öffentlichkeit versteckt haben, bekommen wir eine bejahende Antwort.
Ugdan blickt fragend in unsere Richtung und Pjerow ergreift das Wort, beschreibt dem Mann das Aussehen des Angreifers aus dem Hotel, will wissen, wie ein so verlottert aussehender Mann in solch ein feines Hotel kommen konnte und fragt dann, ob der Mann diesen Angreifer gekannt hat, bekommt als Antwort aber lediglich ein Schweigen und einen Schmerzenslaut.
Nachdem der Zauber Ugdans seine Wirkung beendet hat, unterhalten wir uns dennoch noch ein wenig mit dem Mann und dieser teilt uns mit, dass er auch schon von der Praioskirche befragt worden sei.
Diese wollte von ihm jedoch vielmehr etwas über den Obersten der Marbiden wissen, wollte wissen, ob er aufrecht im Glauben sei, solche Dinge. Nach diesen Erkenntnissen bedanken wir uns bei ihm und entlassen ihn damit.
Die anderen beschließen, dass ich mich einmal ein wenig in meiner Akademie umhören solle, schließlich soll der Angreifer aus dem Hotel ja, zumindest laut Aussage eines Bannstrahlers, ein Patient der Akademie gewesen sein. Ich frage mich nur, woher dieser Bannstrahler das wissen will, aber nun gut, umhören kann ich mich ja mal.
Ich bemerke, scheinbar hing ich schon wieder ein wenig zu sehr meinen eigenen Gedanken nach, wie Pjerow und Ugdan ein kleineres hitziges Wortgefecht führen. Pjerow wirft Ugdan vor, dass dieser als Einziger von uns noch nicht diskreditiert worden sei und unterstellt ihm daher, dass er womöglich an dem Komplott gegen uns beteiligt sein könnte.
Dieser kontert damit, dass der Fädenzieher wohl lediglich noch nicht ausreichend Informationen über ihn sammeln konnte und Tsadan unterbricht die beiden mit der Aussage, dass auch seine Machtposition dadurch geschwächt würde, dass gerade die Personen in Misskredit gebracht werden, die er für einen Posten im Rat einsetzen lassen wollte.
Im Laufe des Gesprächs erzähle ich Ugdan auch, dass Algunde damals in Neersand sämtliche Zauber, die Narena zu diesem Zeitpunkt konnte, gelernt habe und auch davon, dass sie diejenige war, die Friedbert verzaubert hat. Also, den neuen Friedbert. Den, der jetzt bei Natascha Petrilowska wohnt und dass dies wohl die latent magische Aura sei, die die Praioten bei ihm festgestellt haben wollen.
Nicht auszudenken was passiert, wenn sie ihn tatsächlich ausbrennen, wenn er sich an sein früheres Leben erinnert. Nur, wie sollen wir verhindern, dass dies geschieht? Mit welcher Begründung können wir die Praioten davon abhalten?
Die Praioten, Heliodan! Er dürfte mittlerweile sicherlich aufgewacht sein und erneut blicke ich nervös aus dem Fenster, welches, den Göttern sei Dank, den Aufgang zur Burg preisgibt. Schon während der Befragung des Marbiden habe ich immer wieder nervös nach draußen geblickt, jeden Augenblick damit gerechnet, einen wutentbrannten Praioten auf die Burg zukommen zu sehen.
Schließlich hat mein Mann ihm frontal ins Gesicht geschlagen, ihm etliche Zähne ausgeschlagen und ihn dann alleine im Rondratempel zurückgelassen. Das wird sicherlich noch eine Anklage nach sich ziehen. Und warum hat mein Mann dies getan? Um meine Ehre zu verteidigen, um mich zu verteidigen.
Erneut hat er sich für mich in die Bresche geworfen und nimmt damit in Kauf, dass er Ärger bekommt. Seine Karriere habe ich ihm bereits verbaut. Das bisschen Freiheit, welches er noch besaß, nachdem er schon auf den Unbill seiner Vorgesetzten gestoßen ist mit seinen Nachforschungen, habe ich ihm genommen. Durch mich ist er, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, zum Gespött der Leute geworden.
Nicht unbedingt bei den einfachen Leuten, aber die Höhergestellten, die Geweihten, ich bin mir sicher, dass sie nicht verstehen können, wie ein so stattlicher, ehrbarer Rondrageweihter einen Hesindebund mit einer kleinen Norburger Heilmagierin eingehen konnte. Einer, die noch nicht einmal wirklich auf sich selbst aufpassen kann.
Während meiner Selbstvorwürfe habe ich weiter aus dem Fenster gestarrt und eine Bewegung hat mich aus meinen Gedanken gerissen. Ich kann neben Ifrundoch, der den ganzen Vormittag noch nicht hier war, auch einige Maraskaner ausmachen, die ein großes, beinahe zwei Schritt langes, in bunte Bänder gewickeltes Paket mit sich tragen.
Kurz darauf kommt ein Bote zu uns und teilt uns mit, dass die Maraskaner mit Pjerow sprechen wollen, weshalb dieser sich kurz bei uns entschuldigt. Einige Zeit später kommt er zurück und erklärt, dass sie ihm ein Geschenk aus Festum gebracht hätten, von Brinjidan, einen Besen. Muss wohl ein maraskanischer Brauch sein, der mir fremd ist. Aber mir ist vieles von der maraskanischen Kultur fremd. Einzig die Gewürzpaste kenne ich besser als mir lieb ist.
Neben Pjerow ist auch noch ein Mann mitgekommen, den ich nur mit Mühe als Cidris identifizieren kann. Er hat sich verkleidet und die beiden teilen uns mit, dass sie ihn als Fredo Luminow bei Natascha einschleusen wollen, um ein paar weitere Informationen zu erhalten. Ob das funktioniert?
Aber ich muss zugeben, selbst ich, die ich Cidris jetzt besser kenne als mir lieb ist, das Bild von ihm, nackt vor mir stehend, hat sich irgendwie in mein Gedächtnis eingebrannt, hatte Mühe, ihn zu erkennen. Vielleicht erfahren wir so wenigstens, ob Natascha hinter all dem steckt.
Ugdan teilt uns derweil mit, dass er sich nochmal die Wohnung des Serienmörders ansehen wolle und auch das Amulett, welches er getragen hat. Kantalla will mit Ifrundoch ein paar Informationen bei den Norbarden einholen und so beschließen Rondrasil und ich, dass es wohl an der Zeit wäre, sich Heliodan zu stellen.
Als wir im Rondratempel ankommen, finden wir diesen leer vor. Das Bett von Heliodan ist zerwühlt, ein paar blutige Bandagen, die ich ihm gestern noch angelegt hatte, liegen daneben, aber von dem Praioten selbst fehlt jede Spur. Vielleicht ist er zur Akademie gegangen? Andererseits, Praios und Magie? Dann wohl eher zum Perainetempel.
Als wir uns gerade auf den Weg machen, kommt uns Ugdan entgegen und teilt uns mit, dass die Wohnung des Serienmörders von den Bannstrahlern versiegelt worden sei und dass die Untersuchung des Amuletts auch nichts gebracht habe, weshalb er sich uns jetzt anschließen würde.
Auf dem Weg zum Perainetempel fallen mir einige Aushänge auf, die mich beunruhigen. Darauf steht geschrieben, dass ein gewisser Lefko Daineko, seines Zeichens ein wohlhabender Alchimist aus Festum, Gerüchten nachgehe, nach denen hier in der Umgebung Norburgs ein Einhorn gesichtet worden sei. Funkenhuf!
Laut den Aushängen soll es eine Prämie für Fallensteller geben, die ihm dabei behilflich wären, das Tier zu fangen. Ich bete zu den Göttern, dass Funkenhuf zu schlau ist, um diesen Männern auf den Leim zu gehen. Hoffentlich geht es ihm gut, nur, wie soll ich mich dessen vergewissern? Ich habe Angst, dass ich Funkenhuf in Gefahr bringe, wenn ich jetzt nach ihm suchen würde.
Denn wenn ich etwas gut kann, dann ist es andere in meinem Umfeld in Gefahr bringen. Aber ich darf mich jetzt nicht ablenken lassen, Isidra, fokussiere deine Gedanken, reiß dich gefälligst zusammen!
Im Perainetempel angekommen sehen wir unzählige Verletzte, zwischen denen Väterchen Heimeran mit seinen Geweihten und Akoluthen umher läuft. Auf unsere Frage, ob Heliodan bei ihm gewesen sei, antwortet dieser, dass er das in der Tat war.
Er habe sich in der Früh einige lockere Zähne ziehen lassen, wollte aber nicht sagen, wie es dazu gekommen sei, dass er diese Verletzungen erlitten habe. Er habe lediglich gesagt, dass er im Anschluss zu Natascha Petrilowska gehen wollte und danach mit Rondrasil und mir reden wolle.
Wir sollten zurück zum Rondratempel gehen, vielleicht wartet Heliodan ja jetzt auf uns? Doch dort angekommen sehen wir nur Cidris, ich meine Fredo, beim Training und Rondrasil erklärt sich bereit, ihm ein paar Dinge beizubringen.
Ich setze mich an den Rand und lasse die Nachmittagssonne mich ein wenig erwärmen, auch wenn mir allein der bloße Anblick meines Gatten reichen würde. Auch Ugdan setzt sich zu mir und schweigt.
Kurze Zeit darauf kommt Ifrundoch zu uns, er sieht ein wenig lädiert aus, meint aber, dass das nichts Ernstes sei. Es muss mittlerweile etwa sechs Uhr abends sein und wir beschließen, dass wir doch besser erst einmal zurück zur Burg gehen sollten.
Dort angekommen treffen wir auch auf Pjerow und wir tauschen uns alle über das aus, was wir den Tag über in Erfahrung gebracht haben. Dabei fällt mir siedend heiß ein, dass ich gar nicht in der Akademie gewesen bin. Zu sehr war ich, wieder einmal, in den Anblick meines trainierenden Mannes versunken, habe mich darin verloren, das Spiel seiner Muskeln zu beobachten, die Eleganz und Ästhetik, die er beim Kämpfen an den Tag legt.
Aber die anderen haben wenigstens ein bisschen was in Erfahrung bringen können. Ifrundoch erzählt, dass er mit Kantalla über den Marktplatz gegangen sei, weil er die Norbarden aufsuchen wollte. Dabei haben sie beide Schreie aus einer Gasse gehört und seien diesen nachgegangen.
Drei Stadtgardisten haben wohl auf eine junge Frau eingeprügelt, weshalb Ifrundoch dazwischen gegangen sei. Angeblich habe sie keine Marktgebühr gezahlt und mir scheint, dass verprügeln eine gängige Strafe dafür ist.
Als Dank dafür, dass die beiden ihr geholfen haben, hat sie sie in die Taverne Am Badehaus eingeladen und sich mit dem Namen Askinja Machnow vorgestellt. Sie wäre eine Händlerin, die mit exotischen Pelzen, teurer Seide aus Al’Anfa und Stoffen aus Maraskan handeln würde.
Sie habe weiter erzählt, dass sie tatsächlich vor kurzem eine Lieferung gjalskerländischen Stoffes an einen Mittelsmann übergeben habe, der laut ihrer Beschreibung etwa dreißig Götterläufe zählen würde, etwas fülliger sei, kurze braune Haare habe und im Pelzladen von Natascha arbeiten würde.
Nach dieser Information haben sich Ifrundoch und Kantalla von ihr verabschiedet und sind weiter zu den Norbarden gegangen. Unter ihnen war ein kleiner Mann mit gewachstem Bart und Hut, der laut den Norbarden nach dem Einhorn aus Moorwacht suchen würde. Das muss der Alchimist sein, dessen Aushänge überall in Norburg hängen.
Ich frage mich, warum eine Händlerin, die mit so edlen Gütern handelt, die Standgebühr von einem Batzen nicht bei sich hatte. Laut Ifrundoch soll sie sie wohl nur nicht bei sich gehabt haben, aber warum? Ein wenig Geld führt doch normalerweise jeder vernünftige Mensch mit sich.
Pjerow unterrichtet uns im Anschluss davon, dass vor seiner Taverne Am Badehaus eine große Menschentraube gewesen sei, durch die er sich durchkämpfen musste. Jemand hat wohl eine der Huren, Lotte, am helllichten Tag massakriert. Angeblich soll ein Bannstrahler dafür verantwortlich sein, dieser sei jedoch verschwunden.
Ich frage mich, warum Pjerow sich darüber, dass der angebliche Mörder verschwunden sei, weniger aufzuregen scheint, als es angemessen wäre. Schließlich war Lotte doch eine seiner Angestellten. Hat er ein so abgekühltes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern? Oder verschweigt er uns am Ende etwas?
Ich komme nicht dazu, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Pjerow fragt laut in die Runde, warum Ifrundoch nicht gesucht wird, nachdem er ja offenbar drei Stadtgardisten verprügelt hat. Stimmt, warum hat noch niemand Alarm geschlagen? Das sieht den Gardisten gar nicht ähnlich.
Kantalla wirft ein, dass Askinja vielleicht ihre Finger im Spiel hatte, denn diese hätte sich Ifrundoch förmlich an den Hals geworfen, jede Pore von ihr hätte nach läufiger Hündin gerochen. Dieser Ausspruch irritiert mich beinahe ein wenig, aber nur beinahe. Schließlich ist Kantalla unter Wölfen aufgewachsen.
Cidris fragt daraufhin, wonach ich riechen würde, wie kommt er zu solch einer dreisten Frage, woraufhin Kantalla antwortet, dass ich gedeckt röche. Was meint sie damit? Die Nacht mit Rondrasil? Oder gar etwas anderes?
Während ich Cidris ob seiner Unverfrorenheit einen bösen Blick zuwerfe, teilt uns Ugdan etwas von großer Wichtigkeit mit. Er hat sich, während wir anderen über läufige Hündinnen sinniert hätten, mit Kolkja unterhalten und dieser habe gesagt, dass die Zeit Heliodans bald gekommen sei, dass es an der Stadtmauer passieren solle.
Woher nur weiß Kolkja das nur immer? Dabei fällt mir etwas ein und ich spreche ebenfalls mit ihm, erkläre ihm noch einmal, dass er, wenn er raus gehen möchte, jemanden von uns, die wir gerade hier anwesend sind, fragen muss, damit wir ihn begleiten. Er darf nicht einfach Rik fragen, denn dieser hat selbst ein kindliches Gemüt, kann keine Verantwortung übernehmen.
Kolkja wirkt ein wenig kleinlaut, stimmt dann aber zu und erzählt uns dann weiter, dass der Serienmörder noch weitaus mehr Menschen umgebracht habe, dass er die Freier von Lotte eher zu seinem eigenen Vergnügen getötet habe, dass er sich dabei als Herr über das Leben fühlen würde.
Wie kann Kolkja all diese schrecklichen Informationen nur verarbeiten ohne dabei selbst verrückt zu werden oder sich vor Sorge zu grämen? Sein kindliches Gemüt schützt ihn vielleicht davor, ich hoffe es beinahe.
Cidris und Pjerow beschließen, dass sie den Pelzhändler und Heliodan beschatten wollen, während Ugdan bekannt gibt, dass er auch noch etwas vorhabe. Ich für meinen Teil habe heute Nacht nichts mehr vor. Außer meinen Kopf auf die Brust meines Mannes zu legen und seinem Herzschlag zu lauschen.
Es blieb nicht nur dabei, dem Herzschlag meines Mannes zu lauschen, aber immerhin hat Ugdan, der hektisch an unsere Tür geklopft hat, uns nicht direkt dabei gestört, wie wir unserer Leidenschaft nachgegeben haben.
Aufgeregt teilt Ugdan uns mit, dass Kolkja weg ist und wir ziehen uns eiligst an, machen uns auf die Suche nach ihm. Ugdan sagt, dass er bewusstlos im Schnee. Wir kommen am Hesindetempel vorbei und sehen unzählige Bannstrahler, die einen Werwolf getötet haben, von Kolkja selbst fehlt jedoch weiterhin jede Spur.
Wir suchen weiter nach ihm und durch den Schnee gelingt es uns tatsächlich, seine Spuren bis zur Taverne Ogerfaust zu verfolgen. Eigentlich haben wir dies vielmehr Ifrundoch zu verdanken, der sich, von Ugdans Rufen in der Burg aufgeweckt, unserer Suche angeschlossen hat.
An der Taverne angekommen nehmen wir einen Geruch nach Petroleum wahr und ich stelle mit Schrecken fest, dass eine Spur aus Petroleum um die ganze Taverne zu führen scheint. Dort wo Kolkja liegt, führt eine weitere Petroleumspur von der Taverne weg und während Ifrundoch gemeinsam mit Rondrasil dieser Spur folgt, beginne ich hektisch, den mit Petroleum durchtränkten Schnee vom Eingang der Taverne wegzuschieben.
Aus dem inneren der Taverne höre ich, dass diese heute besonders gut besucht sein muss. Wer auch immer dies hier getan hat, er will möglichst viele Leute in den Tod schicken. Plötzlich springt Kolkja auf, schreit laut mehrmals „Nein, Nein!“, bevor er wieder zusammensackt.
Während ich gemeinsam mit Ugdan beginne, Kolkja in Richtung der Burg zu tragen, kommen uns Ifrundoch und Rondrasil mit einem Büttel hinterher. Rondrasil erzählt mir, dass er mit Ifrundoch die Spur bis zu einer Garnison verfolgt hat und dass Ifrundoch an einem der Büttel den Geruch des Petroleums wahrgenommen habe.
Daraufhin habe mein Gatte ihn in seiner Funktion als Geweihter vor die Wahl gestellt, ob er mit den Bannstrahlern reden wolle oder lieber mit uns mitkommen wolle und im Anschluss die Norburger Brandschutzverordnung rezitiert, die, wie wir alle wissen, äußerst empfindliche Strafen für Brandstiftung vorsieht.
Gemeinsam gehen wir zu sechst zurück zur Burg, mein Mann hat Kolkja auf den Arm genommen, Ifrundoch führt den verängstigten Büttel mit sich. Ugdan erzählt uns auf dem Weg, dass er mittels Geistreise beobachtet hat, dass ein Marbide aus dem Kloster gekommen sei und sich dann in einen Werwolf verwandelt habe.
Daraufhin habe er einen Bannstrahler ermordet, bevor er selbst von den Bannstrahlern erwischt worden sei. Kurz darauf sei Ugdan dann ins Marbidenkloster gegangen, geflogen, was sagt man da eigentlich genau? Wie dem auch sei, kurz darauf habe er als Geist das Marbidenkloster aufgesucht und hätte Robak dabei beobachtet, wie er eine Ansprache vor den anderen Marbiden gehalten habe, dass diese sich gefälligst zusammenreißen, zurückhalten sollen, dass jeder, der das Kloster jetzt verließe, keinen Schutz mehr erwarten könne.
08. Phex 1020 BF
Mittlerweile ist es bereits wieder nach Mitternacht, als wir die Burg erreichen. Mit Schrecken habe ich die Schilderung Ugdans vernommen und überlege immer noch fieberhaft, wie wir vorgehen sollen.
In der Burg angekommen erzählt Kolkja Ugdan, dass es anfängt, wehzutun, dass es so viele Seelen sind. Weiter erzählt er ihm, dass er die Aufmerksamkeit Ilonens will, dass sie ihm das mit der Eisrose von Jarrlak, dem Jäger, sagen soll beziehungsweise dass er sich das Wissen von ihr holen würde. Denn jedes Mal, wenn er eine neue Seele einsammelt, hat er für einen kurzen Moment Zugriff auf das Wissen aller Seelen, einschließlich der von Ilonen.
Nachdem Ugdan uns das erzählt hat, kommt Pjerow in die Burg und wir bringen ihn rasch auf den neuesten Stand der Dinge. Die Befragung des Büttels ergibt, dass ein Bannstrahler ihm Geld gegeben habe dafür, dass er die Taverne anzündet. Er habe ihm glaubhaft versichert, dass es keine Unschuldigen treffen würde, dass es sich hierbei vielmehr um den Rückzugsort der Werwölfe handeln würde.
Ich bitte um die Erlaubnis, dem Büttel in die Gedanken zu blicken, welche er mir erteilt und ich sehe tatsächlich einen blonden Mann, gekleidet wie ein Bannstrahler, der ihm 50 Batzen in die Hand drückt. Vorerst beschließen wir, den Büttel in einer der Zellen zu behalten.
Pjerow merkt an, dass er im Zimmer von Lotte an die 300 Batzen gefunden habe, dass diese sich wohl nebenbei etwas dazu verdient habe. Ich frage mich, wer mit so viel Geld um sich wirft. Weiter sagt er, dass der Pelzhändler von Natascha erzählt habe, dass ein Mann namens Robak den Auftrag gegeben habe, den Stoff zu besorgen. Er soll das Wappen der Festumer Kriegerakademie getragen haben, groß gewesen sein, in ein Kettenhemd gekleidet gewesen sein und habe ausdrücklich darauf bestanden, dass die Stoffe an Petrilowska vorbei beschafft werden sollten. Also wusste Natascha davon gar nichts?
Der Pelzhändler soll weiter gesagt haben, dass der Auftraggeber ihn ins Hotel am Markt eingeladen habe und dass das nächste Treffen im Haus Hollerov sein sollte, die Älteste von ihm sei schwer krank und müsse regelmäßig in die Akademie zur Behandlung. Das Geld, welches er dafür erhalten habe, hätte die Behandlung für einen langen Zeitraum abdecken können.
Kaum hat Pjerow mit seinen Ausführungen geendet, stößt Cidris zu uns und Ugdan erzählt allen, was er als Geist gesehen hat. Ich sehe die Wut in Pjerows Augen aufglimmen und bevor die Situation eskaliert, beschließe ich, dass es keinen anderen Weg mehr gibt als die Wahrheit zu sagen.
Ich atme einmal tief durch und erzähle den anderen, was ich weiß. Ich erzähle ihnen, dass Robak ein Werwolf ist, dass auch die anderen Marbiden Werwölfe sind und dass ich davon gewusst habe. Ich erzähle, dass ich bei meinem Leben schwören musste, nichts zu verraten und dass ich Robak glaube, dass er auf der Suche nach einem Heilmittel ist.
Tsadan, der sich das Ganze schweigsam angehört hat, fragt mich tonlos, ob Nadira auch Bescheid gewusst habe, was ich bejahe. Es scheint, als zerbräche erneut etwas in ihm, als er das hört, jedoch lässt er sich kaum etwas anmerken. Einzig meinem geschulten Auge entgeht nicht, dass sich seine Muskeln anspannen.
Auch Rondrasil wirkt alles andere als entspannt, hatte er doch sicherlich nicht damit gerechnet, dass ich ein solch großes Geheimnis vor ihm habe. Andererseits hat er mich in manchen Dingen nie konkret zu etwas befragt. Ich glaube, er hat geahnt, dass ich Geheimnisse vor ihm habe.
Ich entschuldige mich bei den anderen für meine Geheimniskrämerei und bitte sie darum, mich mit Robak reden zu lassen, vielleicht finden wir eine friedliche Lösung. Cidris schlägt vor, dass man den Werwölfen ein eigenes Gebiet zugestehen könnte, auf dem sie leben können, ohne andere in Gefahr zu bringen und dieser Vorschlag wird von allen gutgeheißen.
Ich biete mich an, ein Treffen mit Robak zu vereinbaren und Rondrasil besteht darauf, mich dabei zu begleiten. Ich frage mich, ob er sich dabei Sorgen um meine Sicherheit macht oder ob er mir nicht mehr vertraut.
Auf dem Weg zum Marbidenkloster schweigen wir erst ein wenig, bevor ich das Wort ergreife, mich bei ihm noch einmal dafür entschuldige, dass ich ihm nicht die Wahrheit gesagt habe, doch er gibt mir zu verstehen, dass er mir nicht böse ist. Er sagt mir, dass er meine Gründe nachvollziehen kann, schließlich hat Robak mir damals mit dem Tod gedroht, sollte ich sein Geheimnis irgendjemandem erzählen. Er bestätigt mir auch meine Vermutung, dass er mich aus genau dem Grund häufig nicht näher nach etwas gefragt hat, weil er weiß, dass manche Geheimnisse besser noch etwas geheim bleiben sollten und dass er mich jetzt begleitet, weil er um meine Sicherheit fürchtet.
Ich weiß, dass mein Mann ein fähiger Kämpfer ist, doch ich befürchte, dass seine Anwesenheit, sollte ich Robaks Zorn auf mich geladen haben, nicht ausreichen würde, um unser beider Leben zu schützen. Dennoch liebe ich meinen Mann für seinen Mut wieder etwas mehr, sofern dies überhaupt noch möglich ist.
Etwa um die dritte Morgenstunde dürfte es mittlerweile sein, als wir das Marbidenkloster informieren. Im Gebetsraum sind immer noch sämtliche Marbiden, die Ugdan als Geist gesehen hat, auch Robak steht immer noch vorne vor ihnen, als hätte er bis gerade eben noch zu ihnen gesprochen.
Wir werden mit hasserfüllten Blicken angestarrt, als ich Robak darum bitte, unter sechs Augen mit ihm reden zu dürfen. Gemeinsam gehen wir in sein Labor und kaum hat er die Türe hinter uns geschlossen, beichte ich ihm, dass ich den anderen die Wahrheit sagen musste.
Dass ich ihnen sagen musste, dass er ein Werwolf ist, dass die anderen Marbiden Werwölfe sind. Ich füge jedoch umgehend hinzu, dass ich sie davon überzeugen konnte, dass sie nichts Böses im Sinn haben, dass sie vielmehr nach einem Heilmittel gegen Lykantrophie suchen und dass Tsadan ihm ein Angebot unterbreiten wolle.
Robak hört sich meine Ausführungen ruhig an, jedoch entgeht mir nicht, dass er äußerst angespannt ist, auch Rondrasil, der neben mir steht, hat sämtliche Muskeln angespannt. Erst als Robak das Wort an mich richtet, mir sagt, dass er mir nicht böse sei, mich nicht töten werde, entspannt sich die Situation ein klein wenig.
Er teilt uns mit, dass er zur achten Stunde in die Burg kommen werde und sich das Angebot Tsadans anhören werde und auf meine Frage, was er machen wolle bezüglich dem toten Werwolf, den die Bannstrahler erwischt haben, denn wenn er sich am Morgen zurückverwandeln würde, dann wüsste doch jeder, dass es sich um einen Marbiden gehandelt habe, antwortet er mir, dass er für diese Zwecke bereits vorgesorgt habe.
Jeder Marbide muss täglich einen Trank trinken, der dafür sorgt, dass sein Körper sich nach seinem Tod binnen weniger Stunden auflösen würde, noch bevor die Rückverwandlung einsetzt und dass so eine Identifizierung unmöglich würde. In Anbetracht der momentan herrschenden Umstände ein weiser Entschluss.
Es ist an der Zeit zu gehen und als wir den Gebetsraum erneut betreten, sehen Rondrasil und ich uns etwa zwanzig zähnefletschenden Werwölfen gegenüber. Jeder Marbide hier hat sich verwandelt, zeigt uns deutlich, dass der kleinste Fehler unseren Tod bedeuten würde.
Ich straffe meine Schultern, richte meinen Blick starr geradeaus und gehe festen Schrittes auf die Tür zu. Mein Mann tut es mir gleich und auch, wenn mir innerlich die Knie schlottern, so bemühe ich mich, mir meine Angst nicht anmerken zu lassen.
Unbehelligt erreichen wir die Tür und als diese hinter uns ins Schloss fällt, atme ich erleichtert auf, bemerke ich, dass ich unwillkürlich den Atem angehalten habe auf dem letzten Stück unseres Weges. Auch mein Mann wirkt mehr als erleichtert.
Wir wollen uns gerade auf den Weg zurück zur Burg machen, da tritt ein Bannstrahler, einer von denen, die mit uns in Moorwacht waren, auf uns zu und teilt uns mit, dass Heliodan meine Anwesenheit an der Stadtmauer wünsche. Meinen Mann wolle er zur zehnten Stunde im Rondratempel sprechen.
Ich blicke Rondrasil fragend an und dieser sagt mir, dass er mit mir mitkommen werde, in Sichtweite von Heliodan und mir bleiben werde, nur zur Sicherheit, wie er sagt.
Der Bannstrahler führt uns zum Ostwall, auf dem Heliodan steht. Als ich näher trete, dreht er sich zu mir um und entschuldigt sich bei mir für die Beleidigung, die er mir vorgestern Abend entgegnet hat. Etwas irritiert darüber nehme ich seine Entschuldigung dennoch an und höre ihm zu, wie er mir erzählt, dass er damit Rondrasil aus der Reserve locken wollte.
Mir fällt auf, dass Heliodan nicht entgangen ist, dass mein Mann in einiger Entfernung von uns steht, uns aber nicht aus den Augen lässt. Er erzählt weiter, dass er so erreichen wollte, dass mein Mann ihm zufriedenstellende Ergebnisse liefert.
Er sagt, dass er sich mit den diversesten Problemen rumschlagen müsse, einer uneinsichtigen Natascha Petrilowska, mit Tsadan, dann mache ihm sein Zölibat zu schaffen, insbesondere da er offenbar großes Interesse an Pjerow zu haben scheint. Wer hätte das gedacht.
Auf meine Frage, was genau ich hier solle, antwortet er mir, dass er sein weiteres Vorgehen mit mir besprechen wolle. Auf die Frage, warum jetzt, warum hier, sagt er, dass er jeden Morgen den Aufgang der Praiosscheibe begrüßen würde.
Er sagt, dass er in seiner Funktion als oberster Richter beschlossen habe, die Anzeigen gegen Cidris und Hecker fallen zu lassen und dass sämtliche weitere Unterstellungen gegen uns, insbesondere auch meinen Ruf betreffend, eine empfindliche Strafe nach sich zögen.
Er teilt mir auch mit, dass er den Verdacht hat, dass seine Bannstrahler unterwandert worden sind und fragt mich, was mit Rondrasil passiert sei. Schließlich habe er damals in Khunchom die Reste des Kultes, bestehend aus drei Kultisten und vierundzwanzig Bannstrahlern, aufgerieben. Das müssen jene gewesen sein, die Rondrasil laut eigener Aussage beinahe erwischt habe, die ihm dann doch noch im letzten Augenblick entkommen sind.
Ein Vorfall, der dazu geführt hat, dass er nach Norburg versetzt worden ist.
Während ich mir diesen Gedanken durch den Kopf gehen lasse, holt Heliodan eine kleine Kiste hervor und öffnet sie. Daran befinden sich unzählige voll aufgeladene Sykariansteine. Die gleichen, die wir um den Kult mit Aphasmyra bereits zu Gesicht bekommen haben und er fragt mich, warum Rondrasil hier nicht so gut ermitteln würde, wie er es in Khunchom getan habe.
Er fährt fort und erzählt mir, dass er Magie nicht verdammen würde, dass er Pjerow unterstützen würde, obwohl dieser die Übernahme von Vitos Geschäften nicht zur Gänze gesetzestreu ausführen kann. Er sagt weiter, dass er von Rondrasil enttäuscht sei, weil ihm der Biss fehlen würde und ich sage ihm, dass ich glaube, dass das wegen mir der Fall sei, dass ich meinen Mann aufhalten würde.
Daraufhin antwortet mir Heliodan, dass er dies zu Beginn auch gedacht habe, weshalb er mich anfangs auch nicht gemocht habe. Jetzt habe er jedoch eine andere Ansicht und er bittet mich darum, die Maulwürfe unter seinen Bannstrahlern zu finden, während er in der Zwischenzeit darauf wartet, dass seine loyalen Bannstrahler aus Khunchom eintreffen, die er angefordert habe. Insgesamt sechsunddreißig an der Zahl.
Während ich diese Fülle an Informationen noch verdaue, geht die Praiosscheibe auf und Heliodan starrt direkt hinein. Ich warte ein paar Minuten still ab, bevor ich ihn frage, warum er sämtliche Patienten der Marbiden verbrennen hat lassen und er antwortet mir, dass er nicht sicherstellen konnte, ob sich unter ihnen auch nicht lykantrophierte Menschen befunden haben. Außerdem habe das Volk, die Norburger, eine Sensation benötigt und er habe diese geliefert.
Mein Eindruck von diesem Mann ist der, dass er machtbesessen ist. Verrückt, unberechenbar und mit einem großen Gerechtigkeitswahn. Ich weiß nicht, ob das mit dem Maulwurf stimmt, andererseits, warum sollte Heliodan einem seiner Bannstrahler befehlen, eine Brandstiftung in Auftrag zu geben? Habe ich vielleicht sogar bereits das Gesicht dieses Maulwurfs gesehen?
Zurück in der Burg teilt mir Ugdan mit, dass Tsadan mich sprechen wolle. Erneut fragt er mich, ob Nadira Bescheid wusste über Robak, bevor er mir mitteilt, dass er den Marbiden Weidensee geben wolle im Gegenzug für das Doppelte an Steuern von ihnen. Ob sich Robak darauf einlassen wird?
Pünktlich zur achten Morgenstunde kommt Robak dann auch in die Burg und ich bin erleichtert, dass weder Tsadan noch jemand anderes besondere Vorkehrungen getroffen zu haben scheint, dass man Robak vielmehr völlig normal behandelt.
Während Tsadan und Robak sich zurückziehen, miteinander verhandeln, setze ich die anderen davon in Kenntnis, was Heliodan mir mitgeteilt hat. Gemeinsam überlegen und vergleichen wir unsere Informationen und es fällt auf, dass Askinja Machnow Ifrundoch gegenüber behauptet habe, dass sie den Stoff geliefert habe, der Pelzhändler jedoch sagt, dass er den Stoff von den Nivesen besorgt habe, welche er damit beauftragt habe, um das Ganze vor Natascha geheim zu halten.
Irgendeiner von beiden lügt und zwar dass sich die Balken biegen, aber wer?
Pjerow schlägt vor, dass Rondrasil mit Heliodan sprechen solle, dass er ihn dazu überreden solle, die Steine von den Kultisten verwahren zu dürfen, denn auf meine Bitte, die Steine vernichten zu dürfen, hat er nicht reagiert.
Daraufhin fällt mir wieder ein, was Heliodan über Pjerow gesagt hat und ich frage ihn direkt, ob er in kriminelle Machenschaften verwickelt ist, was er mir gegenüber dann auch bestätigt. Er sagt, dass es niemandem möglich wäre, ein solches großes Imperium aufzubauen oder es zu übernehmen, ohne nicht ab und an die Regeln etwas zu biegen, sie manchmal sogar zu brechen.
Ich hätte nie vermutet, dass Pjerow zu so etwas in der Lage ist, aber scheinbar habe ich mich in ihm gewaltig geirrt. Andererseits war er immer für mich, für uns alle da, hat uns immer geholfen und sich in meiner Gegenwart nie etwas zuschulden kommen lassen. Gibt es so etwas wie ehrbare Gauner?
Wir hatten nicht sonderlich viel Schlaf, mein Mann und ich, weshalb ich beschließe, dass wir einen Mittagsschlaf halten sollten, weshalb wir uns zurück ziehen und, man möchte es nach den letzten Nächten kaum glauben, tatsächlich einfach nur eng aneinander gekuschelt schlafen.
Es ist später Abend, als Ugdan in die Burg kommt und mich weckt, mich auffordert, möglichst schnell mit ihm zu kommen. Auch Rondrasil zieht sich rasch an und folgt uns.
Auf dem Weg nach unten erklärt uns Ugdan, dass wir zur Akademie müssten, dass er mir alles weitere auf dem Weg erklären würde. In der Akademie angekommen wartet dort Ifrundoch mit einer jungen Frau auf dem Arm, die er mir als Askinja Machnow vorstellt. Sie schläft tief und fest, laut Ugdan die Auswirkungen eines Somnigravis.
Wenn wir schon in der Akademie sind, nutze ich die Gelegenheit um Rondrasil zu Uuhs Oduhn zu bringen, welcher uns mitteilt, dass der Lebensfunke meines Mannes vergiftet sei und dass er über Nacht hierbleiben solle, damit er sich darum kümmern könne.
Auch wenn mein Mann zu einem Protest ansetzt, stimme ich dem Ganzen zu, drücke ihm noch einen Kuss auf die Lippen und verspreche ihm, ihn morgen früh wieder abzuholen. Aber seine Gesundheit geht jetzt eindeutig vor.
Ifrundoch und Ugdan erzählen uns vorher noch, was sich ereignet hat, während Rondrasil und ich geschlafen haben.
Ifrundoch hat die Ifirngeweihte Iliona aufgesucht, welche ihm mitgeteilt hat, dass der Pelzhändler und seine Familie in der Nacht von gestern auf heute ermordet worden seien. Tsadan habe mit Robak vereinbart, dass die Marbiden in zwei Wochen umziehen würden und dass das Marbidenkloster das neue Gut werden würde, da das Gut Nuppenkehmen zu weit außerhalb läge, um für die Sicherheit Kolkjas sorgen zu können.
Ifrundoch und Ugdan seien danach zum Hotel am Markt gegangen, Ugdan habe sich im Hintergrund gehalten, hätte seinen Geist auf die Reise geschickt. Askinja sei sehr aufreizend gekleidet gewesen und habe sich an Ifrundoch herangemacht wie besagte läufige Hündin, die Kantalla an ihr wahrgenommen habe.
Sie hat Ifrundoch heimische Speisen auftischen lassen und ihm erzählt, dass ihr Kontor in Festum geschlossen worden sei. Ifrundoch habe derweil reichlich gegessen und getrunken und von seinen Heldentaten erzählt. Danach seien die beiden nach oben in ein Zimmer gegangen und hätten zusammen gebadet.
Ugdan fährt fort, dass Ifrundoch die Frau dann äußerst wild und die halbe Nacht, teilweise recht brutal, gevögelt habe (seine Worte, nicht meine) und Ifrundoch wird dabei nicht einmal rot. Ihn scheint es nicht zu stören, dass Ugdan so offen über sein Liebesleben plaudert.
Als Ifrundoch eingeschlafen sei, sei sie aufgestanden, habe sich die Haare gefärbt und Ifrundoch etwas auf die Lippen geschmiert. Dann habe sie seine Brust mit einem Messer aufgeritzt, das erklärt das getrocknete Blut, und Salz in die Wunden gerieben, bevor sie das Zimmer verlassen habe.
In der Zwischenzeit sei Ugdan in seinen Körper zurückgekehrt und hat sie vor dem Zimmer abgefangen und in ein Gespräch verwickelt. Mittels Imperavi habe er dann von ihr erfahren, dass sie die Aufgabe hatte, Ifrundoch zu verzaubern, ihn dazu zu bringen, dass er in der Taverne vor lauter Zeugen in einen Blutrausch verfällt.
Als Auftraggeber nennt sie den Großmeister ihres Ordens, Rudjew Sobetzko, der Neumond. Sie sagt, dass sie in Festum die Mondkinder genannt worden sind und dass sie nach Norburg geflohen sind, nachdem die Maraskaner damit begonnen haben, die beiden rivalisierenden Banden auszumerzen. Die Kuglerbande wurde laut ihr in Pjerows Auftrag komplett.
Daraufhin habe Ugdan einen Somnigravis auf sie gewirkt, um sie mit Ifrundochs Hilfe zur Burg zu bringen. Draußen vor der Taverne jedoch seien ihnen ein paar Büttel und Bannstrahler begegnet, denen sie erzählt haben, sie würden die kranke Frau zur Akademie bringen, was die Büttel dazu veranlasst hat, Ifrundoch und Ugdan zu begleiten. Deswegen sei Ugdan dann zu mir gekommen, um meine Hilfe zu erbitten.
Ich wecke Askinja auf und diese will mich mit einem Faustdolch angreifen, wird jedoch von einer Efeuranke, die sich blitzschnell um ihre Hand schließt, davon abgehalten. Dieses Mal hat mir Uuhs Oduhn das Leben gerettet.
Als Askinja mich ansieht, entschuldigt sie sich, sagt mir, dass sie mich für Ugdan gehalten habe und nachdem sie wieder wach ist, gehen wir gemeinsam zurück zur Burg. Alle außer meinem Mann, in dessen Schulter bereits kleine Triebe von Uuhs Oduhn einsprießen, jedoch ohne ihm Schmerzen zu bereiten, wie ich erleichtert feststelle.
Es sieht ähnlich aus wie damals, als Uuhs Oduhn den Körper Thulvjes vom Alkohol entwöhnt und entgiftet hat.
Auf dem Weg zur Burg fällt mir auf, wie aufmerksam Askinja ihre Umgebung beobachtet, alles taxiert und sie erzählt, dass sie Ifrundoch ein Berserkerbalsam auf die Lippen gegeben habe, welches selbst einen ausgewachsenen Bullen in eine ordentliche Raserei versetzt hätte. Sie versteht nicht, wie Ifrundoch dem widerstehen konnte. Weiter erzählt sie, dass die Mondkinder auch für die Gerüchte über mich verantwortlich gewesen sind, dass die Mondkinder alles daran gesetzt haben, uns alle in Misskredit zu bringen, weil wir Freunde von Pjerow sind.
Sie erzählt weiter, dass es von den Mondkindern nur noch vier gäbe. Neben ihr seien das der Großmeister, Rudjew Sobetzko. Dann Guljew Stipko, der rangniedrigste von ihnen und Jaroslav Gawiwiljuc, ein Krieger.
Die Kommunikation würde über einen toten Briefkasten erfolgen, sie muss jeden Tag zur neunten Morgenstunde eine Nachricht hinterlassen, damit die anderen wissen, dass alles nach Plan verläuft.
Ugdan sagt, dass er sie verzaubern wolle, sich aber ausgelaugt fühle, weshalb er von mir einen Astraltrank bekommt. Tsadan, den wir, an der Burg angekommen, dazu geholt haben, fragt, ob Ugdan auch Kolkja verzaubern könne, ihm befehlen könne, etwas zu tun, woraufhin Ugdan antwortet, dass dies sehr schwierig wäre.
Tsadan will offenbar die Seele Askinjas von Kolkja aus ihrem Körper schieben lassen, sie durch Nadiras Seele ersetzen lassen. Ich bin entsetzt, dass er diesen Wunsch so offen vor mir ausspricht, er müsste doch wissen, dass ich das nicht gutheißen kann. Andererseits, wer bin ich schon, dass ich ihm etwas befehlen könnte.
Wir sperren Askinja in einer Zelle ein und gehen nach oben, just in dem Moment, in dem Cidris und Pjerow zurück kommen und gegenseitig informieren wir uns über den aktuellen Stand der Dinge.
Cidris und Pjerow sind gemeinsam mit Banja zu Natascha Petrilowska gegangen, da diese ja bereits vor einigen Tagen ein Treffen vereinbart hatten wegen der großzügigen Geschenke von ihr. Dort angekommen fragt Natascha auch als erstes, ob die Geschenke angekommen seien, was Pjerow bejaht.
Natascha bittet ihn daraufhin um Hilfe, denn einige ihrer Angestellten sind verschwunden und sie wird dazu genötigt, Erlasse zu erlassen, hinter denen sie nicht steht. Sie soll offenbar als Buhmann fungieren, gegen ihren Enkel wird gedroht und Heliodan will den Freihandel erlassen.
Natascha soll für Heliodan durchsetzen, dass sämtliche Patienten der Akademie einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen werden, um herauszufinden, ob es sich um Lykantrophen handelt oder nicht.
Die Kutscher von Natascha seien auch nie bei ihr angekommen, lediglich die leeren Kutschen habe man auf dem Marktplatz entdeckt und zu ihr gebracht.
Die Machnow habe Natascha Al’anfanische Seide verkauft, die sich hinterher jedoch als Brabaker Baumwolle herausgestellt habe, auf der man, unter Zuhilfenahme von Feuer, eine Drohung lesen konnte. „Du bist die nächste, Petrilowska.“
Natascha sagt, dass sie weiß, dass einer ihrer Händler orkischen Stoff von den Nivesen erstanden habe und kurz darauf wurden die Anführer der Nivesenstämme ermordet und auf Drängen der Praioskirche musste sie die Nivesen komplett aus Norburg verbannen.
Natascha gab weiter an, dass sie drei Verdächtige ausmachen konnte, die alle vor kurzem aus Festum hierhergekommen seien. Askinja Machnow, ein Krieger mit wechselnden Namen und ein fahrender Händler namens Stipko.
Das deckt sich mit den Aussagen, die Ugdan mittels Imperavi aus Askinja herausbekommen hat und Pjerow meldet an, dass er noch einige Fragen an diese Frau habe, weshalb wir zusammen zu den Zellen gehen.
Mit Schrecken müssen wir feststellen, dass die Tür offen steht und auf der Pritsche ein toter Moorwächter liegt, dessen Kehlkopf zertrümmert worden ist. Entgegen gekommen ist uns niemand und der Eingang zum Kerker war keine Sekunde unbewacht, was bedeutet, dass sie nur tiefer geflohen sein kann.
Wir beschließen eiligst, nach ihr zu suchen, denn Tsadan merkt an, dass im dritten Untergeschoss Sollbruchstellen in den Mauern existieren würden, die einen Durchbruch zum Wassergraben außerhalb der Burg ermöglichen. Wie kommt man auf die Idee, so etwas in einen Kerker zu integrieren?
Tatsächlich finden wir sie dort an besagter Stelle und Pjerow schießt ihr einen Bolzen ins Bein, um sie zu stoppen. Ich entferne im Anschluss, nachdem sie gründlich durchsucht worden ist, den Bolzen und verbinde das Bein profan und wir gehen wieder nach oben.
Pjerow fragt sie, warum sie Kutscher getötet haben, woraufhin sie erwidert, dass sie nichts von irgendwelchen Kutschern weiß. Sie haben die Kutschen auf dem Weg zwischen Burg und Rondratempel herrenlos vorgefunden, sie für ihre Zwecke verwendet und dann am Marktplatz stehen gelassen.
Aber wer ist dann für das Verschwinden verantwortlich? Wir müssen auf alle Fälle die anderen Mondkinder fassen und Pjerow überlegt, ob es vielleicht Sinn macht, seinen Tod vorzutäuschen, denn bei jeder größeren Veränderung würden sich, laut Askinja, alle Mondkinder treffen.
09. Phex 1020 BF
Bald wird es wieder hell, ich sollte zu Rondrasil gehen, die anderen können derweil ja noch etwas überlegen. Oben am Treppenabsatz angekommen, sehe ich Ifrundoch stehen, der nicht mit uns nach unten gekommen war und im gleichen Moment kommt ein Büttel auf mich zu und teilt mir mit, dass Heliodan mich erneut treffen will.
Da Rondrasil noch bei Uuhs Oduhn ist, bitte ich Ifrundoch darum, mich zu begleiten. Ich bin lieber eine Idee zu vorsichtig als hinterher erneut Schaden zu erleiden. Bei Heliodan angekommen, er steht, wie beim letzten Mal, auf dem Ostwall und erwartet das Aufgehen der Praiosscheibe, nähere ich mich ihm und frage ihn, was er von mir wolle.
Daraufhin dreht er sich zu mir um und entgegnet irritiert, dass er nicht nach mir geschickt habe und er hat seinen Satz kaum beendet, da höre ich das mir mittlerweile so vertraute Geräusch eines sich aus einer Armbrust lösenden Bolzens.
Der Büttel, der mich hierher gebracht hat, ruft laut „Die Adepta hat den Praioten von der Mauer gestoßen!“, während ich Heliodan sehe, aus dessen Schulter ein Bolzen ragt. Die Bilder vor mir spielen sich in Zeitlupe ab.
Heliodan gerät ins Straucheln, fasst sich an die Brust und mit einer schier unmenschlichen Kraftanstrengung gelingt es mir, ihn davor zu bewahren, nach draußen über die Mauer in den Wassergraben zu fallen.
Jedoch haben wir beide jetzt so viel Schwung, dass wir nach drinnen von der Mauer stürzen, direkt in den Ententeich. Heliodan mit seiner massigen Gestalt und seiner goldenen Rüstung stürzt, mich unter sich begrabend in das eiskalte Wasser und wir gehen langsam unter.
Ich muss ihn retten, irgendwie. Muss mich retten, darf nicht ertrinken, wer holt sonst Rondrasil von Uuhs Oduhn ab? Das Wasser ist so kalt, Heliodan so schwer, wir sinken tiefer und dennoch erkenne ich, wie sich die ersten Strahlen der Praiosscheibe über den See ausbreiten, alles in ein beinahe warmes Licht tauchen.