Tagebuch von Isidra Kowaljewa
Diarium der adepta minora Isidra Kowaljewa (26. Phex 1020 BF)

26. Phex 1020 BF

Im eigenen Bett zu schlafen, auch wenn man unruhig schläft, ist doch immer wieder schön. Sicher, ich wünschte mir, dass wir immer noch in Moorwacht wären, dass alles ruhig und friedlich wäre, aber ich weiß, dass das so bald nicht mehr möglich sein wird, wenn es denn überhaupt noch einmal möglich sein wird.

Bevor wir heute aufbrechen, will ich Robak noch fragen, ob er mir etwas zu diesem Wachstumstrank sagen kann, den ich von den Wjobschkodas bekommen habe, weshalb ich mich von meinem Mann verabschiede, ihm sage, was ich vorhabe und dann zum Marbidenkloster gehe.

Ich finde Robak, wie sollte es auch anders sein, in seinem Labor und komme ohne Umschweife auf mein Anliegen zu sprechen. Auf meine Frage, ob er zufällig wüsste, wie ein Wachstumstrank wirke, antwortet er mir, dass der, den die Norbarden bei ihm in Auftrag gegeben haben, von außerordentlich guter Qualität sei, dass er mich sicherlich mindestens zehn Finger, vielleicht sogar fünfundzwanzig Finger wachsen ließe.

Jetzt weiß ich auch, von wem die beiden Tränke stammen. Ich bedanke mich bei Robak für diese Information und gebe ihm bei dieser Gelegenheit auch gleich seine Aufzeichnungen zurück. Leider habe ich keinerlei Idee, was er bei seinen Versuchen anders machen könnte, aber ich werde sein Vorhaben im Hinterkopf behalten, falls mir doch mal noch etwas einfallen sollte.

Zur zehnten Morgenstunde machen wir uns erneut auf den Weg, doch dieses Mal nimmt Pjerow anstatt Timon Hecker mit auf die Reise.

Am frühen Nachmittag erreichen wir Ask und beschließen, dass wir den Abend und die Nacht hier verbringen sollten. Auf unserem Weg zur Burg kommen wir an Fjadir vorbei, den Tsadan bei Wahnfried in Obhut gegeben hat. Dieser wird gerade von zwei Männern verprügelt und wehrt sich nicht. Auf meinen fragenden Blick antwortet mir Tsadan, dass es sich hierbei mit großer Sicherheit um eine Übung Wahnfrieds handele.

Auf der Burg angekommen werden wir alle von Wahnfried begrüßt, jedoch erkenne selbst ich, dass er Tsadan nicht mit dem ihm gebührenden Respekt begegnet, die Begrüßung förmlich, aber dennoch nicht angemessen genug ausfällt. Er teilt Tsadan mit, dass er ihm gerne die Burg zeigen würde.

Rondrasil, der sich erneut den zwei Leibeigenen zugewandt hat, die Fjadir verprügeln, fragt die beiden, ob es denn nicht angemessener wäre, wenn sie nur Mann gegen Mann kämpfen würden oder wenn Fjadir sich zur Wehr setzen würde, woraufhin dieser zu grinsen anfängt, bevor er sich, äußerst elegant und agil, wie ich gestehen muss, gegen beide Leibeigenen zur Wehr setzt, ihnen ganz und gar nicht unterlegen ist.

Ich beobachte dieses Schauspiel ein paar Minuten, bevor ich von einem mir vertrauten Gesicht abgelenkt werde. Vor mir steht Hemidane, Wahnfrieds Nichte. Sie ist zu einer schönen jungen Frau herangewachsen und erklärt uns, dass sie uns unsere Zimmer zeigen würde.

Auf dem Weg dorthin erklärt sie weiter, dass Wahnfried eine Armee aufstellen würde, um Bjaldorn zurückzuerobern. Während sie uns die Räumlichkeiten erklärt, fällt mir auf, dass sie angespannt wirkt. Noch angespannter als Gari damals zu ihren Hochzeiten der Traumabewältigung. Jedoch versichert sie mir auf meine Nachfrage, ob alles in Ordnung sei, dass es ihr gut gehe, aber es wirkt auf mich nicht aufrichtig. Irgendetwas ist hier los, ich weiß nur nicht genau, was.

Als Hemidane Ugdan sein Zimmer zuweist und die Tür öffnet, sitzen dort etliche Katzen, mindestens ein Dutzend, wenn nicht sogar noch ein, zwei mehr. Ihn scheint das gar nicht wirklich zu stören, er stürzt sich beinahe schon in sein Zimmer und wirkt regelrecht entzückt über die Anwesenheit der Tiere.

Etwas irritiert weist uns Hemidane das Zimmer gegenüber zu und teilt uns mit, dass sie bereits einen Zuber mit heißem Wasser für uns hat herrichten lassen und erfreut beschließen Rondrasil und ich, dass wir die Gelegenheit ruhig nutzen sollten.

Das warme Wasser ist herrlich, man fühlt sich gleich so leicht und schwerelos. Ich genieße die Nähe meines Mannes, genieße es, mich an ihn schmiegen zu können, seine Hände auf meinem Körper zu spüren, seine Zärtlichkeiten, Liebkosungen.

Aus dem Nachbarzimmer vernehmen wir beide nach einiger Zeit Geräusche, die sich eindeutig einem wilden Liebesspiel zuordnen lassen, es klingt beinahe so, als würde Cidris gerade Al’anfanischen Praktiken nachgehen, vermutlich hat er wieder Besuch von seiner Hexe. Die scheint aber auch ziemlich unersättlich zu sein. Wann schläft er denn überhaupt noch?

Es ist an der Zeit, uns umzukleiden, Hemidane ließ uns, bevor sie uns alleine gelassen hat, noch wissen, dass es ein Bankett für uns geben werde. Sie wusste doch gar nicht, dass und vor allem wann wir hier ankommen würde, wie konnte sie auf so etwas vorbereitet sein? Eine tüchtige Frau.

Rondrasil benötigt noch ein paar Minuten, will sich noch einmal frisch rasieren (wenngleich ich der Meinung bin, dass ihm ein Bart, wie er ihn damals in den Nordwalser Bergen getragen hat, unglaublich gut stehen würde), weshalb ich schon einmal alleine in den Bankettsaal gehe.

Dort sehe ich Hemidane, die die Leute herumkommandiert, als hinge ihr eigenes Seelenheil davon ab. Alle wirken fahrig, hektisch, gestresst, aber es wundert mich, unser Kommen hat sämtliche Routinen aus dem Takt gebracht.

Hemidane lässt gerade einen Stuhl auspolstern, als ich zu ihr trete und sie teilt mir mit, dass dies mein Platz sei, ich so auf Augenhöhe mit den anderen speisen könne. Das wäre zwar nicht notwendig gewesen, aber es scheint ihr wichtig zu sein. Ich nutze die Gelegenheit, um sie erneut zu fragen, ob alles in Ordnung ist und wieder sagt sie mir, dass es ihr gut gehe, ich glaube es nur immer noch nicht, weshalb ich sie darum bitte, sich doch nach dem Essen zu einem Gespräch mit mir zu treffen, was sie überfreundlich annimmt. Was ist hier nur los?

Vielleicht hat Ugdan eine Idee, warum Hemidane sich so seltsam verhält, ich sollte ihn einmal fragen. Er sitzt inmitten von vierzehn Katzen, jetzt habe ich die Gelegenheit, nachzuzählen und auch Kolkja ist bei ihm, hält eine der Katzen fest umschlungen in seinen Armen. Als ich das Zimmer betrete, habe ich das Gefühl, dass mich vierzehn Augenpaare fixieren, es wirkt beinahe so, als würden sie mir zuhören, als ich mein Wort an Ugdan richte. Mir wird bewusst, dass das Verhalten der Katzen mich an Salima erinnert und auch an das von Zurumbel. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies hier alles Vertrautentiere von Katzenhexen sind, das wäre zu absurd.

Ugdan gibt mir den Tipp, dass ich, wenn wir außerhalb der Burg wären, einen Odem auf Hemidane wirken könnte, so feststellen könnte, ob sie magisch beeinflusst wird. Vielleicht wäre das wirklich eine gute Idee.

Auf meine Frage, was die ganzen Katzen hier zu suchen hätten, weiß er sich keine vernünftige Antwort, wir kommen lediglich zu der Überlegung, ob sich sein Geruch seit dem Aufenthalt in der Globule verändert haben könnte, denn danach fing es wohl an, dass sich ihm Katzen genähert hätten, jedoch war das noch nicht so schlimm wie heute.

Es ist an der Zeit, den Bankettsaal aufzusuchen, aber Ugdan meint, dass er lieber auf dem Zimmer bleibt, die Katzen würden alles durcheinander bringen, weshalb ich einen der Bediensteten bitte, ihm etwas zu essen auf sein Zimmer zu bringen und auch ein wenig Futter für die Katzen, wenn es möglich ist.

Im Bankettsaal angekommen werden wir der Reihe nach alle namentlich aufgerufen, unsere Heldentaten werden verlesen, wir werden in den höchsten Tönen gepriesen, bevor man uns zu unseren Plätzen geleitet.

Hier treffe ich auch wieder auf die anderen und erfahre, dass Banja, Hecker, Ifrundoch und Pjerow, während mein Gatte und ich gebadet haben, im Dorf gewesen sind, dort den Schwarzbierbrand getestet haben.

Während Banja und Pjerow die Verkostung etwas intensiver betrieben haben, sind Hecker und Ifrundoch weiter gegangen und dabei auf einen Firuni gestoßen, der im Übrigen auch hier anwesend ist, wie ich sehe, welcher Essen an die Leibeigenen verteilt hat. Das Fleisch soll Wahnfried selbst gejagt haben, allgemein jagt er sehr viel, ist sehr firungläubig und regiert mit harter aber gerechter Hand.

Der Firuni hat Ifrundoch erzählt, dass sich hier Söldner niederlassen wollten, von Wahnfried jedoch verjagt worden sind, weiter nach Westen gereist wären. Auch soll Wahnfried von vielen Freifrauen umworben werden, wäre er doch eine sehr gute Partie und wir sollen ihm angekündigt worden sein. Das würde erklären, warum Hemidane bereits einige Vorkehrungen für unsere Ankunft hat treffen können, aber von wem wurden wir angekündigt?

Mir fällt auf, dass Cidris gar nicht anwesend ist und noch während ich mich frage, warum, wird uns allen bereits mitgeteilt, dass er sich entschuldigen lässt. Nun, den Geräuschen nach zu urteilen hat er im Moment offenbar andere Dinge im Sinn. Ich verkneife mir mein Schmunzeln besser, ich habe das Gefühl, dass dies hier gerade nicht gerne gesehen würde.

Tsadan erblicke ich am Kopfende, zwischen Hemidane und Wahnfried sitzend, während ich zwischen Kolkja und Rondrasil Platz nehme. Als die Vorspeise gebracht wird, es gibt Salat mit saftigen Stücken von Fasan, höre ich Kolkja neben mir jammern, dass er das nicht essen wolle. Ich sortiere ihm daher das Fleisch aus dem Salat und bitte einen der Bediensteten, bei den nächsten Gängen das Fleisch für Kolkja wegzulassen, da dieser sich vegetarisch ernährt.

Mir entgeht nicht, dass Wahnfried, der dies offenbar gehört haben muss, sich erzürnt Hemidane zuwendet, sie förmlich mit seinen Blicken durchbohrt, so dass diese leichenblass wird. Sie entschuldigt sich kurz bei uns und verlässt mit den Worten, dass sie eine Bestellung berichtigen müsse, kurz den Raum, bevor sie nach wenigen Minuten wieder mit einem strahlenden Lächeln zu uns zurückkehrt.

Der Salat ist vorzüglich und während ich esse, entgeht mir nicht, dass Wahnfried offenbar versucht, Hemidane mit Tsadan zu verkuppeln, was dieser jedoch gekonnt ignoriert, sich dabei aber an die Etikette hält. Auch ich gebe mir die größte Mühe, meine besten Manieren an den Tag zu legen und bin froh, dass ich, zwar schon vor Jahren, aber immerhin wenigstens ein Buch über Tischmanieren gelesen habe.

Ein Bediensteter stellt Kolkja als neue Vorspeise frische Apfelküchlein hin, welche dieser genüsslich in sich hinein schaufelt und Pjerow sagt Wahnfried, dass er, ob des vorzüglichen Essens, nur zu gerne den Koch kennenlernen würde. Danach bringt er einen Trinkspruch auf die Gefallenen aus, woraufhin Wahnfried aufspringt, kurz zusammenzuckt, beinahe so, als hätte er Schmerzen, bevor er uns zuprostet.

Danach gibt er bekannt, dass er Tsadan zu einem Wettbewerb herausgefordert habe, welcher entscheiden solle, ob wir morgen abreisen würden oder ob wir Wahnfried auf eine ausgedehnte Jagd begleiten würden. Es soll drei Disziplinen geben und Ifrundoch, der dem Alkohol schon vorher nicht abgeneigt gewesen sein muss, springt auf und schließt sich der Seite Wahnfrieds an. Daraufhin erklärt Pjerow, dass er an der Seite Tsadans den Wettbewerb bestreiten werde.

Rondrasil bietet sich als neutraler Schiedsrichter an, woraufhin der Firuni meint, dass er der Unparteiische sei. Wahnfried meint daraufhin, dass die Damen entscheiden sollen und mir wird zum ersten Mal bewusst, dass außer Banja und mir mit Hemidane nur eine weitere Frau anwesend ist. Während Hemidane sich pflichtbewusst für den Firuni ausspricht, gibt Banja bekannt, dass sie für Rondrasil stimmt und dass meine Stimme meinem Gatten gilt, hat, denke ich, niemand anders erwartet.

Fjadir, der den ganzen Abend schon nicht die Augen von Hemidane lassen konnte, ich glaube beinahe, dass er in sie verliebt ist, meldet sich zu Wort, sagt, dass er für die Jagd sei und dass er mit Freuden ebenfalls für Wahnfried an dem Wettbewerb teilnehmen werde. Mir fällt auf, dass er sich die Schmerzen, die er sicherlich von den Prügeln, die er bekommen hat, spürt, nicht anmerken lässt. Pjerow, der zu bedenken gibt, dass drei gegen zwei nicht gerecht sei, überredet daraufhin Hecker, dass dieser für Tsadan mitstreiten solle und kleinlaut stimmt er zu.

Zur Feier des beschlossenen Wettbewerbs bekommen wir alle Bjaldorner Waldschrat zu trinken. Die Männer einen großen Humpen, wir Frauen ein kleines Gläschen. Selbst Kolkja bekommt einen großen Humpen, den ihm Banja jedoch rasch abnimmt, als sie sieht, dass sie weniger bekommen hat.

Bjaldorner Waldschrat, ich erinnere mich wehmütig an Bjaldorn zurück. An die Waldschrate, die während der Schlacht von dem Arkhobal korrumpiert worden sind, an Tindal und Bruder Aahren, die wir in den Überresten des Tempels zurücklassen mussten, an die vielen Untoten, die Verluste, die wir erlitten haben. Für einen Moment wird mir wieder schwer ums Herz, ich bemühe mich jedoch, mir nichts anmerken zu lassen und werde von Kolkja aus meinen Gedanken gerissen, da dieser ab und an aus heiterem Himmel anfängt zu kichern und den Finger vor den Mund legt, als würde jemandem versprechen, nichts zu sagen. Das kichern stimmt mich etwas besser und auch mein Mann wirkt etwas gelöster als die letzten Tage, er lächelt mich gerade versonnen an, wie mir auffällt und ich versinke in seinem Blick, seinem Lächeln.

Mir fällt auf, dass Ifrundoch eifrig mit dem Firuni diskutiert, Gemeinsamkeiten zwischen Firun und Ifrun aufzählt, während Banja und Pjerow Hochzeitspläne zu schmieden scheinen. Die Stimmung wirkt regelrecht locker, wenn da nicht die ängstlichen Augen Hemidanes wären, die so gar nicht zu ihrem Lächeln passen, welches sie mir schenkt.

Die zweite Vorspeise wird gebracht, es gibt Suppe und Brot und Wahnfried lässt alle Anwesenden, außer mir, die Plätze wechseln. Jetzt sitzen Fjadir und Hecker neben mir, Kolkja neben Tsadan. Pjerow versucht gerade mit Wahnfried zu handeln, will den Wirt, bei dem er den Schwarzbierbrand verkostet hat, erwerben und bietet ihm einhundert Schwerter für ihn an. Wahnfried sagt, dass dies sein bester Brauer sei und dass er ihn haben könne, wenn er dafür einen anderen Brauer aus Wosna bekäme. Außerdem hätte Pjerow einen Wunsch frei, würde er den Wettbewerb gewinnen.

Ich beginne ein Gespräch mit Fjadir und mir fällt auf, dass die fröhliche Laune, die er an den Tag legt, nur eine Fassade ist, dass er in Wahrheit verbittert und voller Hass ist. Außerdem ist er unglücklich in Hemidane verliebt, wie ich bereits vermutet habe. Ich versuche die Gelegenheit zu nutzen, ihn ein wenig seelenheilkundig zu betreuen, während wir miteinander sprechen, das kann jedoch keine Therapie ersetzen, das ist mir bewusst.

Zum ersten Hauptgang werden wir erneut umgesetzt, mein Gatte sitzt wieder neben mir und uns werden Getreidebällchen aufgetischt, welche mit Fleisch und Gemüse gefüllt sind. Kolkja bekommt Pfannkuchen und Marmelade.

Ich kann mich nicht so richtig auf ihn konzentrieren, da Rondrasil mich mit einem Mal anblickt, sich zu mir dreht und beginnt, ein Gedicht zu rezitieren. Er trägt es voller Innbrunst vor und als er endet, ertappe ich mich dabei, dass ich Tränen in den Augen habe. Insbesondere als er mir mitteilt, dass er diese Zeilen nur für mich verfasst hat. Sie zeugen von tiefster Liebe und, ich glaube, auch davon, dass er beginnt, seine Sinnkrise zu überwinden.

(Ein Zettel mit einem Gedicht ist zwischen die Seiten gelegt, sorgfältig fixiert, damit es nicht herausfällt.)

Wie viel Licht wirst Du noch atmen,

wie weit werden mich die Strahlen führen?

Weil die Haut um dich aus Glas ist,

wage ich es nur im Traum sie zu berühren

 

Du weißt, dass jedes Wort

an einem dünnen Faden hängt,

doch ahnst du auch, wie tief sich meine Seele

im Ozean deines Haars verfängt?

 

Wie ein Geheimnis trage ich

Dich stumm in mir,

jede Faser meines Körpers sehnt sich

einzig und alleine nur nach Dir.

 

Wie viel Zeit kannst du dir nehmen,

um der Wahrheit zuzuhören.

Wie viele Sätze willst du sprechen,

um die Hoffnung stets aufs Neue zu beschwören?

 

In mir ist nichts mehr wie es war,

zwar spürst du mich, doch bin ich Unsichtbar.

 

Die stolzen Wellen treiben mich voran,

ich schwimm' hinaus soweit ich kann.

Den Abgrund unter, den Horizont vor mir,

je tiefer ich in ihm versinke, desto näher fühle ich mich Dir.

 

So wie ein Kind dem Ufer blind und taub den Rücken kehrt

und jeder Pulsschlag eine Rückkehr an das alte Land verwehrt,

so sind es nicht die Wogen, die an meiner Brust zerbrechen,

es sind Rufe, kalte Nadeln, die im Herzen stechen.

 

Die stolzen Wellen treiben mich voran,

ich schwimm' hinaus soweit ich kann.

Denn in der Ferne liegt die Wahrheit über mich,

ich öffne meine Augen und erkenne frei von Zweifeln:

Ja, ich liebe dich!

Ich wische mir gerade verstohlen eine Träne aus dem Auge, als ein Bediensteter atemlos den Bankettsaal betritt und ausruft, dass es einen Mord gegeben habe. Abgehackt bringt er hervor, dass er Ugdan etwas zu essen bringen wollte und dass dieser leblos in seinem Bett inmitten von unzähligen Katzen liegen würde. Da ich ahne, was los ist, eile ich zu dem Bediensteten und versichere ihm, dass Ugdan lediglich sehr entkräftet von der Reise sei, dass ich mir sicher bin, dass es ihm gut ginge und biete an, gemeinsam mit ihm Ugdan aufzusuchen.

Dieser hat sich in der Zwischenzeit, den Göttern sei Dank, zurück in seinen Körper begeben und gemeinsam mit dem immer noch sehr verwirrten Bediensteten gehe ich zurück in den Bankettsaal, gebe Entwarnung und versichere allen, dass es Ugdan gut geht.

Daraufhin zitiert Wahnfried den Bediensteten zu sich und macht ihn für die Störung verantwortlich, lässt ihn von zwei kräftigen Männern aus dem Saal entfernen. Aufgrund der vielen Geschichten, die ich schon über diesen Mann gehört habe, vermute ich, dass er ihn bestrafen lässt und will zu einem Einwand anheben, jedoch hält Rondrasil mich zurück, als ich Wahnfried hinterhereilen will, sagt, dass ich mich hier besser nicht einmischen solle, so schwer mir das auch fallen möge.

Ich versuche mich abzulenken und bekomme dabei ungewollte Unterstützung von Kolkja, da dieser gerade die Pfannkuchen mit Marmelade regelrecht in sich hinein frisst und dabei eine riesengroße Sauerei verursacht, was Hemidane dazu veranlasst, ihn etwas abseits an einen eigenen Tisch zu setzen. Als ich die Sauerei von Kolkja entfernen möchte, werde ich von einem Bediensteten und Hemidane davon abgehalten, dies sei nicht meine Aufgabe, ich sei hier Gast und dennoch bin ich für Kolkja verantwortlich, aber nun gut, ich wiedersetze mich nicht.

Etwa eine halbe Stunde später stößt Wahnfried wieder zu uns und begibt sich umgehend zu Hemidane, welche kurz darauf das Zimmer verlässt. Sie lächelt uns zwar zu, aber ihre Augen sprechen eine andere Sprache, ich frage mich, wo Wahnfried sie hingeschickt hat.

Der zweite Hauptgang wird aufgetragen, erneut wurde die Sitzordnung geändert, mein Gatte sitzt jetzt neben Wahnfried, ich neben Pjerow. Es gibt ein ganzes Wildschwein, von dem wir uns etwas abschneiden lassen können und so sehr ich mich auch anstrenge, ich verstehe nicht, worüber sich mein Geliebter und Wahnfried gerade unterhalten. Was auch immer Rondrasil gesagt hat, es scheint Wahnfried für einen kurzen Moment zu verunsichern.

Kurz darauf betritt Hemidane erneut den Saal und Wahnfried lässt Rondrasil sitzen, eilt auf sie zu. Die Situation zwischen den beiden ist mehr als angespannt, ich erkenne, dass Hemidane am ganzen Leib zittert, als Wahnfried sie am Arm nimmt und hinaus führt. Als die beiden zehn Minuten später zurück kommen, fällt mir auf, dass Hemidane äußerst vorsichtig geht, jeden Schritt genau abwägt und noch während ich überlege, warum dies der Fall ist, verkündet Wahnfried, dass er einen Tanzabend machen wolle und lässt die Spielleute aufspielen, wirbelt Hemidane in seinen Armen herum.

Rondrasil stellt sich mir in den Weg, fordert mich zum Tanzen auf und noch bevor ich mir darüber Gedanken machen kann, wie das bei unserem Größenunterschied vernünftig funktionieren soll, hat er mich schon hochgehoben und wirbelt mit mir über die Tanzfläche. Auch Pjerow und Banja tanzen und ich sehe, wie Wahnfried Hemidane in Tsadans Arme übergibt, welcher langsam mit ihr tanzt.

Nach dem ersten Lied fordert mich plötzlich Kolkja zum Tanz auf und irritiert stimme ich zu. Er hat absolut keine Ahnung vom Tanzen, ich muss sogar führen, während er mehr an beziehungsweise auf mir drauf hängt, ich beinahe schon unter ihm zusammenbreche. Kolkja sagt mir, während wir uns um unsere eigene Achse drehen, dass Ugdan hier sei und dass dieser gesehen hat, wie Wahnfried den Bediensteten foltern hat lassen.

Er erzählt weiter, dass Wahnfried dann Hemidane angewiesen hat, den Mann weiter zu foltern, dass diese jedoch weich geworden wäre und früher als gefordert abgebrochen hätte, weshalb Wahnfried ihr Glasscherben in die Schuhe gegeben hätte mit der Drohung, dass ihr noch mehr geschehen werde, würde sie sich auch nur ein bisschen was anmerken lassen.

Kolkja flüstert bei diesen Worten nicht gerade und ich merke, wie Wahnfried bereits hellhörig wird, weshalb ich ihn ermahne, jetzt still zu sein, ihm auftrage, noch etwas Pfannkuchen zu essen, was dieser begeistert tut. Im Anschluss sage ich laut hörbar für alle, dass ich Hemidanes Hilfe benötigen würde, es ginge dabei um ein Frauenleiden und, wie ich es beabsichtigt habe, blicken sämtliche Männer etwas verlegen umher, als Hemidane sich mir nähert und wir gemeinsam den Raum verlassen. Einzig Rondrasil wirkt leicht irritiert, weiß er doch ziemlich genau, dass ich gerade keinerlei Probleme habe.

Hemidane führt mich in ein Badezimmer und als ich mich vergewissert habe, dass wir alleine sind, sage ich ihr, dass ich weiß, dass sie Glasscherben in ihren Schuhen hat und bitte sie, mir ihre Füße zu zeigen, um einen Balsam zu wirken. Kurz darauf bricht sie weinend in meinen Armen zusammen, ihre ganze Fassade ist mit einem Mal in sich zusammengefallen.

Als es an der Tür klopft, schrecken wir beide hoch, doch ich atme erleichtert auf, als ich höre, dass Ugdan vor der Türe steht. Wir bitten ihn hinein und mit ihm im Schlepptau kommen Kolkja und sämtliche Katzen. Ugdan schlägt uns vor, dass Hemidane Wahnfried vorspielen solle, dass sie immer noch Scherben im Schuh hätte, während er mit Tsadan reden wolle, ihn dazu bringen wolle, dass er sie mit sich nimmt, sie von hier weg holt.

Auf meinen Einwand, dass wir uns beeilen müssten, Wahnfried würde sonst ob unserer langen Abwesenheit sicherlich Verdacht schöpfen, meint Kolkja, dass Banja ihn zu einem Wetttrinken herausgefordert habe und dass er gerade sehr betrunken wäre.

Hemidane sagt, dass sie die Schmerzen vortäuschen könnte, fragt aber auch, wie sie das Blut simulieren soll, woraufhin Kolkja aus seinen Taschen ein paar Pfannkuchen holt. Auf unseren fragenden Blick hin rollt er sie auseinander und schmiert die Marmelade darin auf Hemidanes Füße. Einem geschulten Auge würde mit Sicherheit auffallen, dass es sich hier um kein echtes Blut handelt, aber für den groben Blick könnte es tatsächlich reichen.

Gemeinsam mit Kolkja und Hemidane suche ich den Bankettsaal wieder auf und um das Misstrauen Wahnfrieds zu entkräften, warum Kolkja von Glas gesprochen hat, frage ich Hemidane laut, ob sie sich noch an den vermeintlichen Vampir im Gut erinnern könne, als sie auch dort gewesen war, der ja Glasscherben verteilt hatte, um an unser Blut zu gelangen. Jener Mann, der mich beinahe getötet hätte.

Doch sämtliche Vorsicht war unbegründet, denn Wahnfried hatte nur Augen für Banja, war sichtlich beeindruckt von ihrer Trinkfestigkeit und konstatierte, dass es an der Zeit wäre, den Wettbewerb zu starten, sobald Pjerow Banja ins Bett gebracht habe.

Es ist stockfinster, als wir gemeinsam vor die Burg gehen, aber dort wurde bereits in etwa achtzig Schritt Entfernung eine Zielscheibe aufgestellt, die einen Hasen darstellt. Wahnfried erklärte dann, dass jede Gruppe drei Schuss abfeuern dürfe und dass das Endergebnis zählen würde. Je Körperteil des Hasen würde es unterschiedliche Punkte geben.

Fjadir und Pjerow sollen abwechselnd gegeneinander antreten und, so gut Fjadir auch schießen kann, an Pjerows Fähigkeiten kam er einfach nicht heran. Mit einhundert Punkten Unterschied konnte Pjerow diesen Punkt für Tsadan holen. Wahnfried hat dies damit quittiert, dass er zu Fjadir sagte, dass sie später darüber sprechen würden. Ich wage nicht, mir auszumalen, was das für ihn bedeuten wird.

Als zweiten Wettstreit hat Wahnfried einen Wettlauf nur in Unterkleidung angedacht. Nachts, durch den Schnee. Hier treten Tsadan und Wahnfried gegeneinander an und als Wahnfried sich entkleidet, erkenne ich unzählige Narben, die seinen Körper zieren, selbst die Fußsohlen weisen Narben auf. Die Laufstrecke führte unter anderem durch einen Fluss, wie mir im Nachhinein mitgeteilt wurde und auch über ein Stück Weg, auf dem grobe Holzstücke ausgestreut worden waren, von denen eines in Wahnfrieds Fuß steckte, wie ich feststellen konnte. Diesen Wettstreit konnte Wahnfried knapp für sich gewinnen.

Als dritten Wettstreit hat Wahnfried einen Ringkampf gewählt, in dem Pjerow und Ifrundoch gegeneinander antreten sollen. Ich frage mich gerade tatsächlich ein wenig, für wen Ifrundoch kämpft, da er Pjerow mit aller ihm zur Verfügung stehenden Härte angreift, diesen sogar bis zur Bewusstlosigkeit würgt und so den Punkt für Wahnfried holt.

Ich wecke Pjerow auf, indem ich ihm etwas Schnee ins Gesicht reibe und dieser schlägt mit einem Mal wild um sich, doch es gelingt mir tatsächlich äußerst behände, seinen Schlägen auszuweichen.

Da Wahnfried ursprünglich nur geplant hatte, alleine gegen Tsadan anzutreten, sich jetzt aber zwei Gruppen aus drei Leuten duellieren, schlägt er vor, dass jede Gruppe noch eine weitere Disziplin vorschlagen solle, woraufhin Ifrundoch umgehend mit Baumstammwerfen ankommt. Pjerow schlägt vor, dass man sich auch im ausweiden und haltbar machen eines erlegten Tieres messen könne, dies wäre firungefällig, weshalb Wahnfried dem umgehend zustimmt.

Es werden zwei Rehe rangeschafft und sofort machen sich Wahnfried und Hecker daran, die Tiere auszuweiden und zu zerlegen. Hecker macht dies mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und während Wahnfried das Tier noch zerlegt, kann Pjerow bereits damit beginnen, das Fleisch haltbar zu machen. Als Fjadir ebenfalls sein Fleisch haltbar gemacht hat, ist es an meinem Gatten, die Qualität beider Stücke zu überprüfen und fachmännisch konstatiert er, dass die Briketts von Fjadir beinahe wie bei ihm zu Hause schmecken würden, als ich noch gekocht habe.

Allgemeines Gelächter erfüllt die Nacht, während mir die Schamesröte ins Gesicht schießt, aber der liebevolle Blick, mit dem Rondrasil mich bedenkt, zeigt mir, dass er mich lediglich ein wenig necken wollte. Dieser Punkt geht an Tsadan, jetzt steht es also unentschieden, das bedeutet, der nächste Wettbewerb ist der entscheidende. Da es jedoch ums Baumstammwerfen geht, eine Disziplin, die in Ifrundochs Heimat hoch im Kurs steht, befürchte ich, dass wir morgen wohl auf die Jagd gehen werden.

Es werden zwei gleich große Baumstämme herangeschafft und Hecker erklärt sich bereit, gegen Ifrundoch anzutreten. Als dieser den Stamm hochwuchtet und losläuft, Anlauf nimmt, stolpert er jedoch kurz, weshalb ihm der Stamm entgleitet, lediglich etwa zwanzig Schritt weit kommt. Dies ist unsere Gelegenheit und tatsächlich gelingt es Hecker, den Baum etwas weiter zu werfen.

Rondrasil verkündet daraufhin, dass Tsadan den Wettkampf für sich entscheiden konnte, es demnach morgen keine Jagd geben werde und dass Pjerow einen Wunsch frei habe. Ich gehe zu ihm und schlage ihm vor, dass er sich Hemidane von Wahnfried wünschen solle, als Haushofmeisterin für Tsadan. Er könnte Wahnfried vorschlagen, dass er sie so zumindest schon einmal in Tsadans Nähe hätte, dass es so vielleicht einfacher für sie wäre, ihn für sich zu gewinnen. Pjerow verspricht, Wahnfried darum zu bitten, doch dieser entfernt sich gerade mit Tsadan, die beiden wollen miteinander reden, wird uns mitgeteilt.

Auch Rondrasil entfernt sich etwas von der Gruppe und ich gehe ihm hinterher. Als er meine Anwesenheit spürt, dreht er sich zu mir um und sagt mir, dass er ein Riesenidiot gewesen sei, weil er mit den Göttern gehadert habe. Durch Wahnfried sei ihm klar geworden, dass wir alle nur Menschen sind und dass Menschen nun einmal fehlerhaft sind. Er genauso wie Ayla von Schattengrund. Er erzählt weiter, dass die Götter einen Plan hatten und dass sie einen neuen Plan machen werden. Dass es aber auch ihr Plan war, dass wir uns getroffen haben und dass er weiter an den Plan der Götter glauben werde. Mit diesen Worten nimmt er mich in den Arm, hebt mich hoch und trägt mich in unser Zimmer.

Abenteuer: Kaltes Herz
Dieser Eintrag wurde am 20.12.2018 (18:05) verfasst und 576 mal aufgerufen.
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