Tagebuch von Victor Dondoya Aureumresistis Stellamane D'Pelisario von Al'Anfa
Das Artefakt

 

Langsam glitt das Schiff an diesem trüben Phextag in den Hafen Bethanas auf den dritten Kai zu. Der Lotse verstand sein Handwerk, auch wenn die Zufahrt zum Hafen Bethanas nicht berüchtigt für ihre Gefährlichkeit ist. Ich stand voll ungeduldiger Vorfreude an der Reling und konnte schon beim näher kommen die drei Gestalten an der Mole erkennen, die wohl nur auf mich warten dürften. Bei Zweien freute ich mich. Azinajida war da, ihr lilaschwarzes Haar stellte mit Abstand den buntesten Farbpunkt an diesem grauen Tag dar und ihr lächeln strahlte bis zu mir hinüber, sie schien sich ebenso zu freuen wie ich, während sie zu mir herüber winkte. Die strahlend weiße Gestalt daneben mit der feuerroten Mähne konnte nur Junasia sein. Vielleicht war sie ja mittlerweile etwas zugänglicher was den richtigen Gebrauch von Magie anging, aber selbst wenn nicht würde es eine Freude sein diese Kollega wieder zu treffen. Ich war schon gespannt, ob sie sich über mein Mitbringsel freuen würde. Bei der dritten Gestalt musste ich kurz überlegen. Diese zwei Schritt große, grobschlächtige Visage hatte ich schon einmal gesehen… natürlich. Gelobt sei mein hesindianisch gutes Gedächtnis. Das war dieser Thorwaler Ansgar, der in der Mine Frondienst geleistet und dem ich mehr als einmal Stab und Peitsche zu schmecken gegeben hatte. Er war glaube ich nach der ganzen Sache bei den Garangors irgendwie in Lohn und Brot getreten, auch wenn ich ihn bei meinem letzten Besuch nicht zu Gesicht bekommen hatte. War damals vielleicht mit einem Handelszug als Geleit unterwegs. Aber das war müßige Spekulation und an sich auch völlig irrelevant. Und jetzt war er anscheinend auch in irgendeiner Funktion hier. Sei es drum… dieses kleine Übel konnte ich ignorieren. Die drei gaben zusammen ein merkwürdiges Bild ab. Azinajida und Junasia eine Augenweide, während der Thorwaler sich alle Mühe zu geben schien diesen Eindruck mit seinem verlumpten Aufzug zu konterkarieren und auch noch begann, völlig unwürdig ins Hafenbecken zu erbrechen. Wenn meine Meinung von diesem Volk nicht schon ausreichend gefestigt gewesen wäre, dieses Exemplar eignete sich hervorragend, alle Vorurteile zu bestätigen.

 

Das Schiff hatte kaum festgemacht und die Planke heruntergelassen, da wollte ich auch schon auf Azinajida zueilen. Leider hatten Regen und Gischt den Steg recht rutschig werden lassen, so dass ich nach einem ersten Schlittern meinen Schritt zügeln musste um nicht unversehens ins Hafenbecken zu stürzen. Das wäre höchst peinlich und unangenehm gewesen… aber passierte natürlich nicht. So schloss ich direkt Azina in die Arme und wir begrüßten uns herzlich, wohl wissend, dass wir beide wohl noch Neuigkeiten austauschen mussten wenn sich eine ruhige Gelegenheit ergab. Auch Junasia wollte ich enthusiastisch begrüßen, aber diese war mir gegenüber irgendwie nach wie vor recht reserviert. Ein knappes Kopfnicken verbunden mit einem „Victor“ war alles, zu dem sie sich hinreißen ließ. Schade, ich hatte gehofft die Wiedersehensfreude wäre beiderseits. Offensichtlich hatte sie ihre unbegründeten Vorbehalte mir gegenüber noch nicht überwunden. Aber das mochte noch kommen. Den Thorwaler nahm ich erst einmal einfach betont neutral zur Kenntnis. Wozu auch dem Dreck der Meere mehr Aufmerksamkeit schenken als notwendig, solange dazu keine Erfordernis bestand. Der erste Weg ging wie immer zur Akademie und zur Registratur, da konnte Junasia auch gleich mitkommen da sie es bisher versäumt hatte sich anzumelden. Das Prozedere war mir ja bekannt, und auch der obligatorische Blick auf die letzten Seiten des Buchs ergab das gleiche Bild wie meist. Niemand den ich kannte oder der mir als wichtiger Besucher von Rang und Namen erschienen wäre. Es wäre doch schön gewesen, hier einmal zufällig einen Thomeg Atherion, einen Puschinske oder Polberra zu treffen. Aber solche Zufälle gab es leider viel zu wenig…

 

Auf dem Weg von der Akademie zum Anwesen der Garangors vielen mir die vielen Bettelkinder auf, die sich dieser Tage in der Stadt herumzutreiben schienen. Das war die letzten beiden Male anders gewesen, da hatte Bethana einen gediegeneren Eindruck gemacht. Aber unser Aufzug als Magier und nicht zuletzt die bedrohliche Fresse des Thorwalers Ansgar machten diesen schnell klar, dass wir nicht belästigt werden wollten, so dass wir fast unbehelligt voran Schreiten konnten. Wobei meine Laune in diesem Augenblick dermaßen gut war, dass ich wohl sogar den ein oder anderen Heller hätte springen lassen, einfach aus reiner Euphorie wieder und endlich hier zu sein. Meine Stimmung hätte kaum besser sein können, und sowas wirkte sich ja bekanntlich auch allgemein auf das Verhalten aus, war ich doch sonst dem Pöbel gegenüber nicht ganz so offen eingestellt. Als wir durch den Torbogen schritten wurden wir von freudigem Gebell begrüßt und ein Hund rannte schwanzwedelnd auf uns zu. Meine Treu, war das Vito, die Töle von Azina? Das Tier war bestimmt auf das eineinhalbfache seines ursprünglichen Umfangs aufgebläht und sah richtig… niedlich aus. Aus dem athletischen Tragetier war anscheinend ein Haushund geworden der mehr an seinem eigenen Gewicht trug. Den Grund durfte ich auch gleich darauf beobachten, fütterte doch ein Diener den Hund unter Lockrufen mit einer dicken Scheibe Speck um ihn zurück zu holen. Ja, ich merkte gleich das Azina schon länger da war. Selbst mit dem Gesinde schien sie schon recht vertraut. Vom Balkon des Innenhofs her rief mir Esmeralda ihren Gruß entgegen, den ich sofort erwiderte und mich daran machte die Treppe hochzueilen. Azina konnte es sich nicht verkneifen auch daraus wieder einen kleinen Wettstreit zu machen und war, einfach an einem Pfosten des Balkons hochhangelnd wie ein Äffchen, zuerst oben und erwartete mich grinsend. Der Schalk saß ihr wie so oft unverleugbar im Nacken. Ich zog Esmeralda in meine Arme und herzte die Liebe. Man sah ihr an das die Niederkunft noch nicht einmal zwei Wochen zurück lag, aber das Glück einer Mutter strahlte aus ihren Augen und verlieh ihr diese Aura, die nur restlos zufriedene Menschen hatten. Natürlich stellte sie mir sofort meinen Patensohn vor. Der kleine Fratz lag bald zufrieden schmatzend an seiner Mutters Brust und ich konnte stolz auf den Wurm hinab blicken, für den bald auch ich eine gewisse Verantwortung haben sollte. Das Schicksal wählte seltsame Wege. Vor zwei Jahren hätte ich noch jeden ausgelacht der mir prophezeit hätte irgendwer würde MICH dazu erwählen zur Erziehung eines Kindes beizutragen. Die Vorstellung war ja auch im weitesten Sinne absurd. Heute? Ich hätte selbst kaum glücklicher sein können, dass Fabrizio und Esmeralda mich dieser Ehre für würdig erachteten. Natürlich war es eine Verpflichtung, und ich bin eigentlich ein Freigeist dem dies nicht unbedingt zu sehr gelegen kommt. Aber diese Besondere Pflicht würde ich gerne und mit Freude annehmen. Außerdem hatte ich so nur noch einen weiteren Grund auch in Zukunft weiter regelmäßig nach Bethana zu kommen. Ich mochte diese Stadt, sie war gefühlt fast schon so etwas wie eine zweite Heimat. Miguel Victor di Garangor, oder wie ich bei mir eher dachte, der „kleine Victor“, war allem Anschein nach ein gesundes, kräftiges und niedliches Kind. Mehr konnte man sich wohl kaum wünschen. Obwohl, doch, etwas gab es da. Aber die Hoffnung, dass er über magisches Talent verfügen würde  war dann leider doch recht gering. Aber das wäre natürlich eine Freude gewesen, Patenkind und eigener Novize in einem… aber das würden wohl Träumereien bleiben.

 

Leider erzählte mir Esmeralda von seltsamen Vorfällen, die auch die Anwesenheit des Thorwalers Ansgar Burgason erklärten. Geschäftskorrespondenz Fabrizios die in Flammen aufging, Schlagetods die die schwangere Esmeralda mit Dolchen bedrohten und andere unangenehme Dinge. Nichts hochgradig schlimmes was tatsächlich passiert wäre, da hatten wir schon ganz andere Stürme überstanden, aber genügend Grund, sich Sorgen zu machen. Insbesondere da ja noch eine Drohung gegen uns im Raum stand die ich nicht auf die leichte Schulter nahm. Dies nahm ich auch direkt zum Anlass, mir rein prophylaktisch das Kinderzimmer mit einem Odem Arcanum anzusehen. Reine Vorsichtsmaßnahme, man konnte ja nie wissen. Und tatsächlich strahlten das Fenster und die Tür in rotem Glanz. Aber Esmeralda konnte meine aufkeimende Besorgnis zerstreuen und erzählte mir, dass Fabrizio zum Schutz des Kindes von einem reisenden Magus diese gegen unbefugtes Öffnen von außen hatte schützen lassen. Tja, mein Freund dachte eben mit! Wäre es nicht eh schon geschehen, ich wäre versucht gewesen das gleiche gleich selbst zu erledigen. Dabei fiel mir ein, das für solche Fälle das Buch „Hundert Dinge zu Schrecken den Dieb“ noch in meiner Bibliothek fehlte. Das würde ich beizeiten auch noch ändern müssen. Aber so… alles schien in bester Ordnung zu sein.

 

Da der Kleine jetzt aber wieder schlief scheuchte uns Esmeralda aus dem Zimmer, damit wir uns frisch machen konnten bis Fabrizio, der noch geschäftlich unterwegs war, wieder zurückkehren würde. Immerhin würde der nächste Tag anstrengend werden, da ja auch die Geburtssegenszeremonie früh und die Feier am Nachmittag und Abend anstanden. Morgen schon? Ich bekam einen kurzen Schweißausbruch. Da war ich gerade noch rechtzeitig gekommen. Nicht auszumalen was passiert wäre, hätte auch dieses Schiff wieder Verspätung gehabt. Ich schickte einen stummen Dank an Efferd. Aber natürlich hatte auch der Herr der Meere kein Interesse daran, den Geburtssegen eines Kindes zu verderben, selbst wenn er manchmal so seine Launen hatte. Azina begleitete mich kurz auf meine Kammer, ich wollte ihr unbedingt noch die Heiltränke geben, die ich ihr versprochen hatte. Gesagt getan, und sie erstattete mir den Materialwert von 16 Dukaten. Wirklich ein Freundschaftspreis, wenn man sich sonst so die Kurse besah, die Alchimisten üblicherweise dafür aufriefen. Aber schließlich waren wir ja auch Freunde. Wir unterhielten uns noch ein wenig über die Erlebnisse, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, wobei sie eine gut 2,5 Rechtschritt große Echsenhaut aus dem Gepäck zog, die sie irgendwie auf einem alten Elfenschiff gefunden hatte. Verworrene Geschichte. Ob ich diese wohl für meine alchemischen Tinkturen gebrauchen könnte? Aber noch bevor ich mir dessen schlüssig werden konnte und noch im meinem Gedächtnis kramte hatte sie sich das Stück, wie zum Spaß, als Umhang über Schultern und Kopf geworfen, und begann, sich unter Klagen und Zischen in einen gut 2 Schritt hohen Achaz zu verwandeln. Meine Treu! Wie konnte sie so naiv sein? Ein unbekanntes Objekt einfach so, ohne jemand zu Fragen der sich damit auskennt? So etwas konnte tödlich enden! Die Verwandlung schien schmerzhaft zu sein und ging nicht ohne einiges an Lärm vonstatten. Als sie abgeschlossen war kam auch Junasia herbei, die es wohl gehört hatte und sich noch zu uns in die Kammer quetschte. Den Thorwaler hieß ich, vor der Tür zu warten…

 

Bis wir Azina, die nur noch zischeln konnte – und Echsisch sprach ich leider nicht - soweit hatten das sie sich gesetzt hatte, war von dem langen Schwanz der hinten aus ihrer aufgerissenen Hose ragte schon das ein oder andere Möbelstück demoliert worden und mich hatte sie damit einmal von den Beinen geholt als sie sich drehte. Junasia und ich sahen uns ratlos an. Keiner von uns war der Verwandlungszauberei mächtig, geschweige denn deren Bannung. Erfahrung mit dieser Spielart der Magie wurde an unseren Akademien kaum gelehrt. Und alles andere zu Art der Thesis und Dauer der Zauberei waren reine Spekulation, die wir natürlich trotzdem fachsimpelnd anstellten. Mein Versuch, Azinajida aus der Haut wieder herauszuschneiden (ein kleiner Schnitt von hinten am Schwanz aufwärts) brachte nur eine blutende Sauerei zustande, die ich schnell mit einem Stück Betttuch wieder verband. Offensichtlich war die Haut vollständig mit ihrem Leib verschmolzen, profan würden wir sie da nicht hinaus bekommen. Wir beschlossen, erst einmal abzuwarten, aber falls es bis zum Abendessen nicht besser würde, uns dann Hilfe zu holen. Azinajida konnte uns zwar anscheinend verstehen, sich selbst aber außer durch Zischlaute nicht artikulieren, so konnten wir nur raten, was sie uns mitteilen wollte. Nach einer guten Stunde in der wir zur Untätigkeit verdammt waren setzte tatsächlich die Rückverwandlung ein. Genauso schnell wie sie sich in einen Achaz mutiert hatte, stand nun wieder eine ziemlich verwirrte Azina vor uns. Nur ihre zerrissene Kleidung kündete noch von dem Intermezzo. Keinen Augenblick zu früh, denn von draußen hörten wir schon freudige Rufe, als der Hausherr zurückkehrte.

 

Ich riss die Tür auf, stürmte auf den Balkon, winkte Fabrizio begeistert zu und eilte hinunter in den Hof. Gut schien es ihm zu gehen. Die Geschäfte liefen glänzend wie er erzählte, sogar einen Anbau mit Dampfbad und Becken hatte er sich und seiner Familie geleistet. Das musste mitten in Bethanas Innenstadt ein kleines Vermögen gekostet haben! Und jetzt wo auch noch ich da war, war alles wirklich perfekt. Wir feierten unser Wiedersehen mit einem gepflegten Umtrunk und einem vorgezogenen Abendessen in seinem Salon, tauschten Neuigkeiten aus und brachten uns gegenseitig auf den aktuellsten Stand. So gut es bei ihm auf der einen Seite zu laufen schien, so unschön war die Aussicht, weiterhin von diesem Zirkel mit den zwei Gesichtern belästigt zu werden. Azinajida und ich waren uns einig, dass wir hier erst dann wieder weggehen würden, wenn das Problem einer Endlösung zugeführt worden wäre. Dieses Damoklesschwert über unseren Köpfen konnte und wollte ich nicht länger hinnehmen. Nach zwei Stunden Plausch bat ich noch Junasia in mein Zimmer, hatte ich doch auch für sie eine kleine Überraschung dabei. Ich zeigte ihr das Phosphoros, welches ich mitgebracht hatte. Solange es kalt war und nur schachblau leuchtete, hielt sich ihre Begeisterung in engen Grenzen. Aber als ich ihr die heiße Flamme präsentierte, mit der sich der Stoff von selbst entzündete (hier mussten wir mit ein wenig Wärme ihrer Stabfackel nachhelfen, im Phex war es in Bethana dann doch etwas zu kühl), hatte ich ihr Interesse geweckt. Ich schenkte ihr eine Unze davon in einem kleinen Wassergefüllten Döschen, nicht ohne sie noch einmal auf die Gefahren und die richtige Handhabung hinzuweisen. Azina gesellte sich auch noch zu uns, sie hatte da auch noch etwas für mich. Einem Zauberer Namens Marwan hatte sie einen Zierdolch (nach Junasias schneller Überprüfung wohl nicht magisch) und sein Tagebuch abgenommen. Da sie selbst damit nicht viel anfangen konnte, drückte sie mir das Buch aufs Auge, ich könnte ja darin einmal etwas lesen, vielleicht fände ich etwas, das uns weiterhelfen könnte. Das würde ich wohl tatsächlich tun, aber nicht mehr heute.

 

Stattdessen begab ich mich mit Azinajidas wohlgeformten Leib noch in das neue Dampfbad. Dort würden wir uns am ehesten ungestört unterhalten können, während wir uns auf morgen vorbereiteten.  Ich dankte Rahja, dass ich die Freuden eines schönen Frauenkörpers ordentlich würdigen konnte und bedauerte zugleich die armen Tröpfe, denen dies verwehrt war. Aber meine Gedanken schweiften ab, wir hatten wichtigeres zu besprechen… Tatsächlich hatte sie über unseren Freund DeveCa herausgefunden, dass die Schivonella des Zirkels wohl in Seewamund (wo immer das auch sein mochte) auf Rede gelegt worden war. Auftraggeber schien ein wichtiger Adeliger gewesen zu sein, aber als das Schiff abgeholt wurde, tat dies jemand anderes mit falscher Mannschaft und gefälschten Papieren. Das echte Abholkommando kam zwei Tage zu spät und fand den getäuschten Besitzer der Reederei zutiefst verwirrt. Man einigte sich aber gegen Geld anscheinend darauf, den Fauxpas zu vertuschen. Schade. Das bedeutete, der Verlust des Schiffs hatte den Zirkel damit deutlich weniger finanziell belastet, als ich zunächst gehofft hatte… Junasia hatte dann noch irgendeine Vision von einem praiosheiligen Kelch, den es gegolten hätte zu bergen, worauf sie sich mit Azina in die Wüste zu einer goldenen Stadt aufgemacht hatte. Junasia war unterwegs abhandengekommen, aber  Azina hatte den Kelch kurzzeitig gesichert – bis er ihr und ihren Begleitern von Alves, Donata – der mittlerweile anscheinend ein Ohr fehlte, und dem Magier Marwan das Objekt wieder entrissen wurde. Wozu sie allerdings ein praiosgefälliges Objekt bräuchten blieb uns aber schleierhaft. Vielleicht eine Blakharaz-Beschwörung, vielleicht ein Pakt gar? Nun wussten wir zwar mehr, aber eine echte Erkenntnis blieb uns nach wie vor verweigert. Dann gingen wir zu Bett, natürlich jeder für sich, morgen sollte es früh losgehen.

 

Das frühe Aufstehen für eine Geburtssegenszeremonie finde ich persönlich ja sehr unpraktisch. Bei uns daheim erledigte man so etwas deutlich später. Man war nicht richtig ausgeschlafen, die Frauen waren völlig hektisch um sich rechtzeitig fertig zu machen, zwischen der Zeremonie und der eigentlichen Feier danach lag zu viel Zeit… aber sei es drum, wenn dies in Bethana so üblich ist, dann machen wir es natürlich so. Da der kleine Victor am 1. Wassertag im Phex 1028 geboren wurde, war heute am 3. Praiostag des Mondes wohl eine der letzten Gelegenheiten für den Geburtssegen. Immerhin sollte dieser ja während der ersten zwei Lebenswochen gespendet werden. Ich hätte mich doch etwas mehr beeilen müssen! Es waren wirklich nur wenige Personen Anwesend. Die Familie Garangor selbstverständlich und wir als Fabrizios Freunde, dazu noch die Familie Nivian  – die beiden Cousins von Esmeralda, Rahjan und Horasio, kannte ich ja schon von ihrem Besuch in Al’Anfa – und die stolzen Großeltern. Eine überschaubare Gesellschaft, die sich dann zur Feier wohl noch deutlich vergrößern dürfte. Als Azina in einem eng geschnittenen Ballkleid die Treppe herunterschwebte, aufgedonnert als würde es zum Empfang des Horas selbst gehen, setzte leichtes Getuschel ein, das aber sofort verstummte als Fabrizio eine kurze Begrüßung sprach und wir uns auf dem Weg zum Efferdtempel machten. Diesem sah man an, dass er für die Stadt Bethana wohl ebenso wichtig war wie der Borontempel für meine Heimatstadt. Groß, prächtig und mit vielen Nebengebäuden stellte er schon fast ein eigenes kleines Viertel dar. Ich war beeindruckt. Allerorten sah man Pilger und Seeleute, die die Morgenstunde ebenfalls nutzten um dem Herrn der Meere ihre Aufwartung zu machen. Uns nahm dann ein weißblonder jung wirkender Geweihter mit meerblauen Augen, wohl Mitte 30,  in Empfang und stellte sich als Efferdan ui Bennain vor. Wie ich später erfuhr der Hohepriester des Efferd und damit das Pendant zum Raben von Al’Anfa. Wie Fabrizio ihn wohl dazu gebracht hatte den Segen für seine Familie zu sprechen? Bei uns zu Hause hätte die Spende wohl mehr als üppig ausfallen müssen… Ob das hier genauso war? Ich würde Fabrizio bei Gelegenheit danach fragen…

 

Wir wurden an etlichen stimmig drapierten Wasserfällen vorbei in ein Nebengebäude geführt, welches wir durch einen sanften Nebel- und Sprühregenschleier betraten. Fast erwartete ich, das Junasia anfing zu dampfen. Aber alles was sie sich entlocken ließ war ein verziehen ihres Gesichts und ein für jemand der sie kannte offensichtliches Unbehagen. Im blaugrün erleuchteten inneren hieß der Geweihte uns rechts eines 10 auf 2 Schritt großen Beckens auf einer Steinbank Platz zu nehmen. Das Wasser im Becken leuchtete unnatürlich blau und in seiner Mitte erkannte ich einen leuchtenden Kreis, der aus 12 einzelnen Lichtern zu bestehen schien. Dann erhob der Geweihte seine Stimme, nachdem er einmal in das Rund geblickt hatte und für einen Teil der Gäste wohl eine kurze Erklärung für nötig erachtete. „Bei der Geburt eines Kindes spricht ein Geweihter den Geburtssegen, durch den die Seele des Kindes bis zu seinem 12. Lebensjahr vor den Einflüsterungen von Dämonen und vor dem Raub durch Kobolde, Feen und niedere Dämonen geschützt wird. Der als Pate bestimmte möge nun das Kind nehmen und mit ihm in das Segensbecken steigen.“ Als ich mich erhob und den Jungen aus Esmeraldas Armen nahm huschte ein kurzer Anflug von Erstaunen über das  Gesicht des Priesters. Einen Schwarzmagier als Paten hatte er wohl nicht erwartet. Feierlich trug ich den Kleinen die 6 Stufen in das hüfttief mit warmem Wasser gefüllte Segensbecken hinab. Der Geweihte stieg uns auf der anderen Seite des Beckens ebenfalls 6 Stufen hinab entgegen, während das Kind mich aus seinen stahlblauen Augen anlächelte. Wir trafen uns in der Mitte des Beckens an dem leuchtenden Kreis aus Gwen-Petryl-Steinen, als der Diener Efferds wieder das Wort erhob. „Willst Du Viktor Dondoya d' Pelesario, umspielt vom Element des Herrn der Meere und Flüsse, dem Meister der Brandung, die Patenschaft für Miguel-Viktor di Garangor übernehmen, so antworte: „Ja, zu Ehren der Zwölf Götter will ich die Patenschaft übernehmen und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen getreulich erfüllen!“ Ich räusperte mich kurz, und sprach dann mit, so hoffte ich zumindest, gefasster Stimmte meinen Eid. „Ja, zu Ehren der Zwölf Götter will ich die Patenschaft übernehmen und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen getreulich erfüllen.“ Dann ergänzte ich noch aus eigenem Sinn. „Vor den launischen Herrn Efferd und die Zwölfe trete ich, Victor Dondoya d‘ Pelisario, Magus Probatus sinistre manus des arkanen Instituts der Academia universalis zu Al’Anfa. Dir, Miguel Viktor di Garangor verspreche ich, Deine Erziehung im guten Glauben an die heiligen Zwölfe zu fördern und Dir den rechten Weg zu weisen, auf das Deine Seele geschützt sei wider allem Übel, über Dich zu wachen damit dir kein Unbill geschehe und fürderhin wie auch bisher auf das Wohl deiner Eltern zu achten, damit du unbesorgt aufwachsen mögest im liebevollen Schoße deiner Familie.“ Wieder schien ich den Geweihten überrascht zu haben, indem ich mein Gelöbnis noch über die übliche Formel hinaus ergänzt hatte, aber nach einer kurzen Überlegung schien ihm zu gefallen was er gehört hatte und er lächelte, als er erneut sprach. „Vertraue nun den Jungen einmal gänzlich dem Element des Herrn Efferd an und lege ihn in den Segens-Ring!“ Von irgendwo auf der Steinbank hörte man ein kurzes schnäuzen, ich vermute das war wohl die zu Tränen gerührte Esmeralda. Miguel-Victor verzog kurz das Gesicht, als er für eine Sekunde unterging, aber dann sofort wieder mit einem leisen Prusten auftauchte und er beruhigte sich sofort, als er wie von Zauberhand im warmen Wasser an der Oberfläche getragen wurde. Ui Bennain breitete nun die Arme aus und sprach den Geburtssegen: „Herr Efferd, Launenhafter, sieh dieses schutzlose Kind, geschenkt durch die Gnade der ewig jungen Tsa: Herr, ich bitte Dich, diesen Jungen mit Deiner göttliche Kraft zu schützen, auf dass er in seiner Unschuld nicht dem Bösen anheimfalle, sondern auf immerdar auf deinen Pfaden und denen deiner göttlichen Geschwister wandle.“

 

Mit kritischem Blick auf mich fügte er hinzu: „Herr Efferd, halte insbesondere auch diesen jungen Mann, seinen Paten, auf dem rechten Pfad und lasse ihn allen Versuchungen widerstehen, die dem Vollzug seiner hier eingegangenen Pflicht entgegenstehen könnten.“ Das Licht der zwölf Steine das vorher in das ganze Becken ausgestrahlt hat, wirkte nun wie ein gemalter blauer Ring und umfing nur den Säugling.

 

Ui Bennain forderte mich nun auf: „Viktor Dondoya d' Pelisario überreiche mir stellvertretend für Miguel Viktor d'Garangor dein Patenschaftsgeschenk und erkläre den Anwesenden warum Du genau dieses ausgewählt hast!“ Herrin Hesinde, was war ich jetzt froh das Mutter mir die Idee mit dem Hesthot-Mobile ausgeredet hatte! Ich hätte mich ja komplett mindestens zum Idioten gemacht, wenn nicht gar schlimmeres! Stumm dankte ich ihr für ihre Umsicht, bevor ich unter meine Robe Griff und die beiden Geschenke in die Hände des Geweihten legte. „Als Zeichen dieses Versprechens schenke ich Dir diese Gaben. Ein Gewand, wie es auch allzeit Dein Patenonkel trägt, als Symbol unserer Verbundenheit. Während das meine die Zeichen Madas und arkane Symbole zieren um jedermann meinen Stand kund zu tun, sei das Deine mit den Insignien der Götter geschmückt, deren Pfaden wir dich anvertrauen und unter deren besonderen Schutz bisher auch mein Leben stand. Hesinde, die allweise Herrin deren Gelehrsamkeit mich bis hierher leitete. Boron, der Schutzgott meiner Heimat, dessen Schlaf uns Kraft für das Leben gibt. Und Phex, dessen Glück die Pfade unserer Familien sich kreuzen lies. Mögen auch Dich die Zwölfe auf dem dir vorbestimmten Weg und zu deinem Schicksal leiten, auf dass du dich selbst nie wirst verleugnen müssen, so wie ich, kenntlich durch mein Gewand uns nie verleugnen werde. Sei stets stolz auf das, was du bist. Und nimm hin diese Gabe meiner Familie, der heilige Onyx, gesegnet vom Vertreter des Raben zu Al’Anfa, auf das deine Träume süß und dein Schlaf ruhig sein möge, während Boron und Bishdariel über dich wachen und die Nerven Deiner Eltern geschont bleiben mögen. Leget diesen Stein in die letzte Milch die das Kind vor der Nachtruhe trinkt und unter sein Kopfkissen, und der Segen des Traumgottes wird mit ihm sein.

 

In nomine duodecim, Herr Efferd bitte ich dich, segne mein Versprechen, welches ich diesem Kinde und seiner Familie gebe.“ Nachdem ich geendet hatte legte der Geweihte Miguel-Victor und mir ein türkises Band um die Handgelenke und verflocht es um zu symbolisieren, dass wir beide auf immerdar verbunden sein würden. Ich fühlte mich erfüllt wie seit meiner Stableite und der Abschlusszeremonie an der Akademie nicht mehr, als die Festgemeinde den Hymnus St. Kenderans Hingabe anstimmte und Fabrizio und Esmeralda mich stolz anblickten. Beim Verlassen des Tempels warf ich, wohl noch erfüllt von der Stimmung des Augenblicks, 10 Dukaten in die Opferschale, die auch von den übrigen Gästen großzügig gefüllt wurde.

 

 

 

Nach dem Gottesdienst begaben wir uns zurück zu den Garangors. Es sollte einen kleinen Imbiss geben und die Gelegenheit sich noch einmal für die Feier aufzuhübschen, bevor das eigentliche Fest am Nachmittag beginnen sollte. Ich machte nach einem kurzen Happen dagegen einen kurzen Abstecher zu Fulvio, dem Buchhändler meines Vertrauens. Nach mehrmaligem Klopfen an der verschlossenen Tür sah er aus dem oberen Stock herab. Ich hatte in meinem Enthusiasmus ganz vergessen, dass in dieser Gegend am Praiostag die Geschäfte geschlossen waren… Trotzdem lockte ich ihn mit der Aussicht auf ein Geschäft herab und fragte, ob er zufällig die Werke „Alchemistische Exkurse“ und „Von der Entwicklung übernatürlicher Willenskraft“ im Bestand hätte. Er kam dann auch bald wieder an die Tür, aber leider nur meinem falschen Werk, das sich „Exkurse in die Alchemie“ nannte und sich nur sehr rudimentär mit dem Thema befasste. Das würde mir nichts bringen. Aber ich versprach, in den nächsten Tagen noch einmal zu ihm zu kommen, er könnte ja solange einmal sein Lager durchsehen.

 

 

 

Am frühen Nachmittag fanden wir uns dann im Speisesaal des Hauses zum Fest ein. Da wurden Erinnerungen wach an vergangene Tage. Bei der geplanten Hochzeit lief es ähnlich. Alle waren am Feiern, und dann passierte es… heute würde ich mich zumindest nicht überraschen lassen, falls erneut etwas geschah. Junasia trug nach wie vor ihre Robe, so wie ich. Da gab es ja auch nichts auszusetzen. Selbst Ansgar hatte anscheinend der Majordomus irgendwie in passende, ordentliche Kleidung gezwängt. Der Kerl wirkte zwar darin etwas steif, aber fiel immerhin nicht aus dem Rahmen. Nur das schmuddelige, orangefarbige Kopftuch passte nicht zu ansonsten soliden Garderobe. Und Azinajida… war nach wie vor in ihrem prächtigen Kleid unterwegs und trug jetzt noch ein wahrscheinlich ziemlich wertvolles Diadem auf dem Kopf. Die anderen Gäste begannen bereits zu tuscheln, was sie sich den einbildete. Solchermaßen herausgeputzt zu erscheinen und die Gastgeberin damit in den Schatten zu stellen, eine Frechheit… Nun, das Problem würde ich wohl lösen können. Azina dazu zu bewegen etwas einfacheres anzuziehen kam nicht in Frage, dazu war der anblick aber auch einfach zu wohlgefällig, und Esmeralda, die ein hübsches, aber wenig geschmücktes Kleid trug mit dem sie wohl auch besser mit klein-Victor klar kam so kurz nach der Geburt in ein Corsagenkleid zu zwängen käme wohl auch nicht in Frage. Aber wofür ist man denn ausgebildeter Leibmagus? Ich legte Esmeralda kurz vertraulich die Hand auf die Schulter und strich ihr den Rücken hinab. Leise so das nur sie es hörte ein „Aureolus Güldenglanz“ sprechend überzog sich ihr Kleid sofort mit einem goldenen Schimmer, der sie in ein sachtes strahlen hüllte, wie wohl auch die Aureole eines Alveraniers nicht hätte hübscher sein können. Ein Zauberkleid trug zumindest kein anderer Gast. Ein überraschtes Raunen ging durch die Menge, der ich damit dann wohl die Lästermäuler gestopft haben dürfte. Im Ballsaal befanden sich außer uns gut 30 Gäste, und das unvermeidliche „Wer ist wer“ begann. Fabrizio stellte mir die Anwesenden bei passender Gelegenheit vor, die ich nicht schon von der letzten Veranstaltung her kannte. Erwähnte ich schon einmal, dass ich dieses Schaulaufen hasste? Aber was ließ man nicht alles für einen Freund über sich ergehen. Außerdem wollten natürlich den Eltern und dem Paten auch alle ihre Glückwünsche zu dem kleinen Prachtkerl aussprechen. Fabrizio hatte sogar die Gräfin eingeladen, die sich aber entschuldigen ließ und stattdessen einen Gesandten mit einem Geschenk geschickt hatte. Zumindest das war hier nicht anders wie bei uns daheim. Natürlich wurde der Patriarch zu jeder wichtigen Feier der Grandenfamilien eingeladen. Aber in den seltensten Fällen nahm er diese Verpflichtung dann auch selber war, sondern schickte einen Emissär. Offensichtlich war Fabrizio doch noch nicht wichtig genug, damit ihre Hochwohlgeboren den Hintern zu einer Festivität im Hause Garangor schieben musste. Die Geschenke waren wohl im Großen und Ganzen, dass, was man zu solch einem Anlass erwarten durfte. Spielzeug für das Kind und anderer Tand, der mich nicht sonderlich beeindruckte.

 

Zwischen den ganzen Namen die ich lieber schnell wieder vergaß (zumindest bildlich gesprochen, tatsächlich konnte ich mir Namen dank meines hervorragenden Gedächtnisses natürlich sogar sehr gut merken…) stach nur einer aus der Menge heraus. Jagumil d’Treforika, der Leiter des Gerbelsteinkontors in Methumis. Er hätte ja schon zur Segenszeremonie heute Morgen anwesend sein wollen, aber sein Schiff aus Methumis hatte Verspätung gehabt. Eigentlich ungewöhnlich, den Verwalter eines fremden Handelshauses einzuladen, aber Fabrizio meinte, dieser hätte ihm in der schweren Zeit bei und nach seiner Verhaftung immer Fair behandelt und sogar die erzielten Gewinne zuweil 1:1 weitergegeben, um die Garangors zu stützen. Abgesehen davon unterhielt ich mich mit dem Mann, weil er wohl Interesse an Azinas Diadem hatte, diese ihm aber partout nicht verraten wollte, woher sie es hatte. Leider konnte ich ihm da auch nicht helfen. Im Laufe des Gesprächs kamen wir sogar darauf, dass man Leute nicht immer nach ihrem äußeren messen müsste, wobei er mich mehrdeutig ansah, und es wurde fast schon tiefsinnig. Ob ich ihn denn bedrohlich finden würde? Er hatte zwar eine Narbe, wirkte aber äußerlich auf mich wenig einschüchternd. Zur Sicherheit und weil ich die Frage seltsam fand wirkte ich noch einen „Sensibar, wahr und klar, Gefühle werden offenbar“. Aber auch unter Einfluss des Zaubers wirkte der Mann nicht bedrohlich auf mich, sondern einfach nur Neugierig. So verneinte ich seine Frage und er eröffnete mir, das er früher wohl als Leibwächter und Kämpfer deutlich einschüchternder gewirkt hatte als jetzt, aber doch hoffte, nichts von seiner Kunst verlernt zu haben. Ein seltsamer Geselle…

 

 

 

Ich hatte mich gerade Junasia zugewandt, die ziemlich gelangweilt in einer Ecke stand und das Treiben um sich herum beobachtete. Dieser gesellschaftliche Kram, der für mich war wie das Wasser für einen Fisch, wirkte auf sie als Magierin von einem entlegenen Bergkloster natürlich mehr als befremdlich. Mit ihrer sauertöpfischen Mine hätte sie gute Milch kippen lassen können, entsprechend wollte anscheinend auch keiner der anderen Gäste mit ihr reden. Ich wollte sie gerade mit einer kleinen, fachlichen Diskussion aufheitern, als ein Schrei durch den Saal klang. Bei Hesinde, ging es schon wieder los? Ich eilte mit Junasia an der Seite zu der Stelle wo sich eine Menschentraube bildete. Zumindest stürmten keine bewaffneten den Saal… Ein Mann lag am Boden, sabberte, und röchelte. In Al’Anfa würde ich sagen, jemand hatte ihn auf der Feier vergiftet, aber hier? Wenn ich mich recht an seinen Namen erinnerte hieß der arme Tropf Togyn. Seine Frau oder Freundin kniete jammernd daneben. Sie meinte, er habe sich doch nur eins der Canapes vom Buffet genommen, dass mit Meeresfrüchten darauf. Azina nahm unterdessen hier Handwerk auf. Wofür es doch immer gut war, eine ausgebildete Medica im Haus zu haben. Sie packte ihm Eis um den Hals, das sie einen Diener eilig herbeischaffen lies, legte ihn hoch, befreite seinen Mund vom erbrochenen (und saute sich dabei ihr gutes Kleid ein) und half dem armen Kerl so gut es ging, beobachtet von den gaffenden Schranzen drumrum. Es dauerte etwas, aber ihre Behandlung schlug wohl an. Die Krämpfe des Mannes ließen nach, mit der Zeit schwollen sein Gesicht und Hals ab und er bekam wieder Luft. Er wusste anscheinend, dass er keine Meeresfrüchte essen sollte, hatte sich aber am Esstisch einfach vergriffen, weil er nur Augen für seine hübsche Begleitung gehabt hatte. Wie ich immer sage, das Weib macht den besten Mann zum Tölpel. Aber nehmen wir das nicht gern in Kauf für ein wenig gute Gesellschaft? Da nichts passiert war wurde die Feier dann einfach Fortgesetzt. Ich legte mit Junasia, die sich erst etwas zierte aber dann überreden ließ, noch ein flottes Tänzchen, eine Kuslikana, aufs Parket. Nun ja, tanzen gehörte in ihrem Bergkloster wohl nicht zu Ausbildung (im Gegensatz zu meiner eigenen). Aber sie war grundsätzlich ja recht geschmeidig in der Hüfte und nicht gerade eine Bewegungslegasthenikerin, so dass wir unter meiner Führung recht ordentlich über den Tanzboden brausten ohne unangenehm aufzufallen. Irgendwie machte das mit ihr sogar richtig Spaß und ich grinste zufrieden innerlich  in mich hinein! Wer hätte das gedacht? Wir beide, einmal zum trauten Tänzchen vereint. Und die Roben in schwarz und weiß bildeten auch einen schönen Kontrast. Als ich am Abend ins Bett fiel, müde vom langen Tag, der Aufregung und auch dem ein oder anderen Gläschen Wein  war ich mit mir und der Welt doch sehr zufrieden.

 

 

 

Leider begann der nächste morgen weit weniger erfreulich. Nämlich mit einem markerschütternden Schrei, der wohl das ganze Haus aufweckte. Ich riss nur den Stab an mich, der eh immer neben dem Bett stand, und eilte noch im Lendenschurz aus meinem Zimmer um die Ursache des Lärms zu ergründen. Verdammich, ich hatte glatt vergessen, wie frisch es in Bethana im Phex ist. Sofort als ich die Tür öffnete schauderte ich und hatte eine Gänsehaut, die Travia neidisch gemacht hätte. Der Quell des Tumults war schnell gefunden. Es war Esmeralda, die klagend in klein-Victors Zimmer stand – ohne Kind. Das Zimmer war unordentlich, fast verwüstet, mein Patensohn fehlte und das Amulett meiner Eltern, das Esmeralda wohl gestern wirklich in die Wiege gelegt hatte, lag zerbrochen am Boden. Das würde Mutter sehr, sehr zornig machen. Also machte es mich ebenfalls sehr, sehr zornig.  Wer wagte es, ein Geschenk der Familie Peliasario zu zerstören! Dazu ein geheiligtes? Frevel! Ein kurzer Blick durch den Raum förderte einen Brief zu Tage, den Azina wohl an ihren Freund Hagar geschrieben hatte, und auf dem unten am Rand in anderer Handschrift eine Nachricht stand. „Maraskanerin, Du lebst also noch. Sei es darum. Wie ich Dir schon in der Wüste sagte, hat sich selten jemand so nützlich für mich erwiesen wie Du! Dein „Liebster“ und der Balg der Di’Garangors werden in Bälde die Gelegenheit bekommen, an etwas wahrlich Großem mitwirken zu dürfen. Sei Eingedenk, der Zirkel vergisst nie!“. Dabei lag noch ein Stück Menschenhaut, auf die ein Fuchskopf tätowiert war. Azina erkannte sofort das Hautbild, das normalerweise wohl Hagars Schulter zierte. Damit war die Drohung aslo tatsächlich echt, und hätte ich sie nicht eh schon ernst genommen, spätestens jetzt war klar, dass dies kein schlechter Scherz war. Zorn kochte in mir hoch, diesmal war dieses widerwärtige Pack eindeutig zu weit gegangen. Bisher hatte ich es ja noch jedesmal irgendwie beiseiteschieben können, aber jetzt wurde es persönlich. Azina und ich waren uns einig, dass diese Sache jetzt endgültig bereinigt werden müsste, auch wenn ich diesen Beschluss schon bei meiner Abfahrt aus Al’Anfa für mich gefasst hatte. Diesmal würde es keine Gefangenen geben, nur Tote. Und diesmal richtig und endgültig tot. Ich versuchte Esmeralda zu beruhigen und versprach ihr, alles in meiner Macht stehende – und das war ja eine Menge – zu tun, um mein Patenkind wieder zu finden. Azina meinte, da das Kind und Hagar wohl zusammen waren, wenn man von dem Brief ausging, müssten wir ja nur ihren Geliebten finden. Ob ich nicht „etwas tun“ könnte, wenn ich ein Stück von dem zu suchenden hätte, dabei wedelte sie mit dem Hautfetzen, um diesen aufzuspüren? Ich bejahte dies, für einen Thalon als Jäger war der Dienst etwas zu suchen, noch dazu mit so einem guten Referenzobjekt, eigentlich ein Kinderspiel. Aber da plusterte sich Junasia schon wieder auf, das dies eindeutig nicht der richtige Weg sei, weswegen Azina und ich  im Stillen diese Variante als Plan B einstuften und zurückstellten. Doch wo dann anfangen zu suchen?

 

 

 

Wer außerdem noch fehlte war der Händler Jagumil und die Amme des kleinen Viktor. Sollte dieser Schuft etwa falsches Spiel mit uns getrieben haben? So wie damals Duardo, der Verwalter Fabrizios, dies getan hatte?  Sein Zimmer war zumindest leer, das Bett unberührt. Das konnte kaum ein Zufall sein. Und hier in diesem Haus hatte ich schon zu viel Verrat erlebt, als das ich diesen Umstand abtun würde. Zu allem Übel kam auch noch dieser versoffene Pirat Ansgar daher, und fragte er mich, wofür man den Hirn gebrauchen könnte? Die naheliegende Antwort, nämlich „Zum Denken, deswegen habt ihr Thorwaler ja auch so Probleme damit“, verkniff ich mir angesichts der Umstände, führte kurz ein paar alchemistische Theorien aus, ging aber nicht näher darauf ein. Das wäre eh verschwendete Liebesmüh gewesen. Mangels Alternativen erkoren wir Jagumil zum Hauptverdächtigen und beschlossen uns aufzuteilen. Ansgar sollte bei den Stadttoren Nachfragen, ob dieser dort womöglich mit einer Frau und einem Kind, die Stadt verlassen hätte, Azina wollte sich kurz am Markt nach einem Kristall für mich umsehen, nur für den Fall, das wir doch auf den Plan mit dem Thalon zurück kommen müssten, dann wäre dies ein passendes Donarium. Und Junasia begleitete mich zur Hafenmeisterei, bei der wir nach Schiffen gen Methumis zurück zu seinem Kontor fragen wollten, was ja der schnellste und kürzeste Weg wäre.

 

 

 

Dem Hafenmeister war unser Anliegen schnell erklärt. Das ganze brachte uns zwei Erkenntnisse. Zum einen waren, leider oder zum Glück, je nachdem wie man es betrachtete, heute noch keine Schiffe gen Methumis aufgebrochen und würden auch keine mehr aufbrechen. Die heutigen Routen umfassten nur Schiffe nach Grangor und Havena. Und Passagiere, auf die unsere Beschreibung passte, hatten seines Wissens auch auf keinem Schiff eine Fahrt gebucht. Außerdem, und das war nun die wesentlichere Erkenntnis, war am gestrigen Tage überhaupt kein Schiff aus Methumis eingetroffen, ja es war überhaupt gar kein Schiff mit Verspätung eingelaufen! Jagumil hatte also auch was diesen Punkt seiner Geschichte anging gelogen, und damit wurde die ganze Sache langsam vom Verdacht zu einer fast sicheren Gewissheit. Er musste einfach unser Schuldiger sein. Konklusio: Wenn er nicht mit dem Schiff abgefahren war, befand er sich entweder noch in der Stadt, oder hatte den Landweg genommen. Als wir uns alle wenige Stunden später wieder bei Fabrizio einfanden und unser Wissen zusammen trugen, half uns das zunächst aber kaum weiter. An allen Toren war Ansgar negativ beschieden worden, dass seine Gesuchten die Stadt verlassen hätten. Er meinte noch, dann müssten Sie ja nachts vor dem Wachwechsel die Stadt verlassen haben. Aber da sind ja normalerweise die Tore verschlossen. Dagegen war Fabrizio als Einheimischer sich sicher, dass man gegen einen entsprechenden Obulus an die Wache auch nachts die Stadt würde verlassen können, alldieweil es gegen die Vorschrift sei. Auch hier muss ich leider sagen, sind wohl alle Gardisten gleich. Für etwas Gold vergessen sie sehr schnell einmal jede Moral und Zuverlässigkeit, hier wie daheim oder überall anders auf Dere. Dieses Korrupte Pack! Aber konnte ich es ihnen bei dem üblichen kargen Lohn verdenken? Eigentlich nicht, auch wenn in mir gerade eben eher die Wut vorherrschte. Arme Hunde waren sie ja meist. Zum Glück kannte Fabrizio einen der Gardehauptleute, einen Mann namens Custoso, der für das Kusliker Tor zuständig war. Den würden wir wohl als nächstes aufsuchen, mit seiner Unterstützung würden wir das Wachvolk schon zum Sprechen bringen. Diesmal nahmen wir Fabrizio gleich mit um allen Unbillen vorzubeugen.

 

 

 

In der Wachstube trafen wir erst einmal zwei Wachleute, die sich anscheinend ihre Wachfreie Zeit vertrieben und uns direkt an ihren Hauptmann verwiesen um nicht mit lästigen Fragen konfrontiert zu werden. Dieser wiederum war, da augenscheinlich recht gut mit Fabrizio bekannt, sofort kooperativ, nachdem wir unser Anliegen geschildert hatten, wies aber vehement darauf hin, dass man die Wache doch bitte nicht unter solchen Generalverdacht stellen solle. Die Wachen im Vorraum hatten wohl die Nachtschicht gehabt und deswegen jetzt Pause, also befragten wir sie zuerst, wo wir schon einmal da waren. Sie wiesen aber jeden Vorwurf glaubhaft von sich. Auf meine Menschenkenntnis konnte ich mich bei sowas normal sehr gut verlassen, und einen Schwarzmagier log freiwillig sowieso niemand an. Noch waren wir kein Stück weiter gekommen und etwas ratlos. An dieser Stelle schaltete sich wiederum Ansgar ein und meinte, jetzt wo er es sich recht überlege, könnte es sein, dass er in Methumis, woher dieser Jagumil ja komme, sogar Alves Efferdan da Costa gesehen habe. Er könne sich nur nicht mehr so recht daran erinnern, da er an dem Abend recht betrunken gewesen sei. Als wenn mich letzteres überrascht hätte… und dass er vorhin vom Gehirn eines Hesindepriesters sprach, der in Methumis vor seinen Augen gemeuchelt, skalpiert und enthirnt worden ist. Hätte er das vorhin schon gesagt, ich hätte noch ganz anders reagiert. Natürlich wusste ich, wofür man das Gehirn eines Hesindegeweihten missbrauchen konnte, bei Amazeroth. Welche fähige Dämonologe wüsste das denn nicht? Natürlich dazu, macht über Iribaars Diener zu erlangen. Dieser Narr! Ich hatte gute Lust ihm wie damals in der Mine meine Stab auf den Kopf zu schlagen, aber das wäre jetzt auch nur Zeitverschwendung gewesen und hätte auch kein bisschen mehr Verstand in diesen Thorwaler geprügelt, da würden auch keine Schläge auf den Hinterkopf mehr helfen. Unter diesen Umständen blieb natürlich nur das praioswärtige belhankaner Tor, das auch nach Methumis führte. Wir eilten uns, den Hauptmann Custoso im Schlepptau um unserem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Am belhankaner Tor bot sich uns in der Wachstube erst einmal der gleiche Anblick. Zwei Mann im Wachfrei und ein Hauptmann, den wir uns griffen. Diesmal aber mit deutlich mehr Erfolg, den aus den beiden Gardisten quetschten wir, einräumend das wir sie deshalb nicht zur Rechenschaft ziehen würden (sollte das doch ihr Vorgesetzter machen!) heraus, dass sie etwa zur Rondrastunde einen Mann mit Frau und Kind aus der Pforte gelassen hatten und kurz darauf das Klappern von Hufen gehört hatten. Bei Borons dunklen Schwingen und Aves flottem Fuß, so viel Vorsprung!

 

 

 

Unser Entschluss war schnell gefasst. Junasia war die einzige, die über ein Reittier verfügte, Azina konnte sich kaum auf einem Pferd halten, Ansgar würde das arme Tier wohl eher vergewohltätigen als zu wissen wie man darauf ritt und ich konnte mich zwar leidlich im Sattel halten, aber für eine wilde Verfolgungsjagd hätte es auch nicht gereicht. Also musste eine Kutsche her, die Fabrizio uns auftreiben wollte sobald wir zurück bei seinem Haus wären. Was aber leider wieder Zeit kosten würde, in der sich der Vorsprung des Entführers vergrößerte. Am garangorschen Anwesen erwartete uns dann auch noch die nächste Überraschung. Ein weiterer Gast Fabrizios mit Namen Farios Mansarez stellte sich uns vor und bot freimütig seine Hilfe an. Er war ganz in Rot gekleidet, mit einem Amazonensäbel gegürtet und stellte sich als Rahjakavalier vor, also eine Art Ordenskrieger. Ich war zunächst verdutzt, aber dann erst richtig verärgert. Er eröffnete uns, dass er diesen Jagumil schon länger beobachtete, da dieser bei der Kirche im Verdacht stand ein Scherge des Namenlosen zu sein. Des NAMENLOSEN! Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Er wäre wohl auch darin verwickelt gewesen eine Schivonella unter Nutzung falscher Papiere auf Rede zu kapern, aber seines Wissens nach über den Mann und seine Verbündeten dürfte sein Ziel in Belhanka liegen. Ja war ich denn nur von Idioten umgeben? Und damit kam diese rosafarbene Wurst uns jetzt? Nachdem wir schon Stunden verschwendet hatten? Ich hätte am liebsten mein nicht eingenommenes Frühstück an die Wand kotzen mögen vor Zorn, wäre das nicht so unschicklich gewesen. Wieso tolerierte man hier eigentlich alles und jeden? Wenn bei uns daheim jemand im Verdacht stand mit dem Namenlosen im Bunde zu sein, dann bekam er gleich Besuch von der Tempelgarde oder der Hand Borons. Die bekamen die Wahrheit in der Regel schnell ans Licht! Leider stellte sich heraus, dass wir auf die Hilfe dieses Geck angewiesen waren, denn wie wir feststellten konnte von uns auch, im Gegensatz zu ihm, keiner eine Kutsche lenken, die mittlerweile inklusive zweier Ersatzpferde eingetroffen war. Hesinde, warum strafst du mich so? Einmal mit jemandem zusammenarbeiten, der freiwillig mitdachte und dies nicht immer mir überlies… Wir machten es uns leidlich gemütlich in dem Gefährt, das langsam durch die Straßen Bethanas bis zum Tor rumpelte, bevor wir außerhalb der Stadt endlich Fahrt aufnehmen konnten. 12 Stunden betrug mittlerweile der Vorsprung Jagumils, aber loswerden würde er mich nun nicht mehr. So wie ein Zornbrechter Bluthund einer Fährte folgte, bis er seine Beute in den Fängen hielt würde ich diesen Kerl hetzen, bis ich endlich seinen Kopf hätte! Fabrizio überantwortete mir noch einen prall gefüllten Beutel mit 100 Dukaten, den wir wie auch immer falls notwendig nutzen sollten um den Verbrecher zu stellen und seinen Sohn zurück zu bringen. Ja, Geld spielte in diesem Falle wohl wirklich keine Rolle, aber es würde uns unsere Reise beträchtlich erleichtern. Wobei ich unter den gegebenen Umständen jederzeit bereit gewesen wäre die notwendigen Kosten aus meiner eigenen derzeit gut gefüllten Börse zu begleichen. Aber das war ja nun nicht mehr nötig.

 

 

 

Unsere Taktik würde, da wir das Ziel zumindest vermuteten, ziemlich einfach sein. Der gut ausgebauten Straße so schnell wie möglich folgen. In den Orten die wir durchquerten nach den von uns gesuchten Fragen und im Zweifel, so sie dort nicht angekommen waren, wohl umkehren und nach dem rechten Abzweig suchen. Die Idee meiner Gefährten auf einer gepflasterten Straße Spuren folgen zu wollen und im dichtbesiedelten Horasreich an jedem Abzweig anzuhalten um nach den Spuren zu suchen verwarf ich sofort wieder als völligen Unsinn. Abgesehen davon, das wir ja nicht einmal einen echten Fährtenleser dabei hatten würden wir erstens eh die Spur auf der Straße nicht finden und zweitens dadurch viel Zuviel Zeit verlieren. Für uns hieß es jetzt erst einmal, eilig Strecke zu machen und so schnell wie möglich vorwärts zu kommen. Die ersten Orte die wir durchquerten und in denen man uns in den  Gasthäusern bestätigte, dass wir auf der rechten Spur seien waren Horasia, Solstono und zuletzt Schelf, wo wir gegen die Ingerimmstunde ankamen. Wir hatten den Vorsprung trotz unserer Eile nicht verringern können. Andererseits hatten wir anscheinend auch keine Zeit verloren. Hier hatte Jagumil, der mittlerweile von zwei weiteren Männern begleitet wurde, vor 12 Stunden seine Pferde getauscht. Anhand der Beschreibung des Wirtes im Gasthaus konnten wir Alves Efferdan da Costa und den Magier Marwan identifizieren. Ich überlegten kurz, ob wir nicht jetzt noch in der Nacht weiter fahren sollten, aber selbst auf den guten Straßen des Horasreichs war das allenfalls eine langsame Angelegenheit und würde uns wahrscheinlich mehr Kraft kosten, als das wir dadurch Boden gut machen konnten. So beschlossen wir schweren Herzens hier eine Pause einzulegen, aber möglichst früh wieder aufzubrechen, gleich im ersten Morgenlicht.

 

 

 

Ansgar brachte ich im Schlafsaal unter, das musste reichen. Der Rosenkavalier und Junasia nahmen sich auf Fabrizios kosten Einzelzimmer und ich teilte mir eine Kammer mit Azinajida. Und das hatte einen besonderen Grund. Natürlich nicht amouröser Art, auch wenn die Vorstellung mit Azinajida durchaus nicht abwegig gewesen wäre. Aber sie war ja jetzt anscheinend vergeben wie sie einmal Nebenbei erwähnt hatte, insofern… nein. Der Grund war ein viel profanerer. Ich gedachte, mir jetzt noch kurz und in Ruhe die Echsenhaut näher zu betrachten, die sie mit sich führte. Ein kurzer Odem Arcanum, von dem ich mir sicher war das er gelungen sein musste, brachte keine arkane Strahlung zutage. Sehr seltsam, hatte ich doch die Wirkung des Objekts mit eigenen Augen gesehen? Vielleicht war es doch nur ein begrenzter Cadunom und hatte seine letzte Ladung verbraucht? Das würde wohl nur ein Versuch zutage fördern. Da ich außerdem ziemlich Neugierig war wie es sich anfühlen würde, und ob man, falls es noch funktionierte damit Zaubern konnte, warf ich mit die Schuppenhaut über. Augenblicklich setzte der am ganzen Leib zerrende und ziehende Transmutationsprozess ein. Ich spürte wie meine Glieder sich streckten, es riss an Fleisch und Knochen, ja selbst das herauswachsen des Schwanzes aus meinem Steiß und die Umbildung meiner 5 Finger zu 3 langen, krallenbewehrten Klauen spürte ich. Mit jeder Faser meines Leibes nahm ich bewusst die unangenehme Verwandlung war. Kein Wunder das so wenige Magier die Transmutation zu ihrem Lieblingsfeld erklärten. Angenehme Gefühle fühlten sich anders an. Zum Glück war meine Robe unten und hinten offen. So ging sie dabei wenigstens nicht kaputt, im Gegensatz zu Azinas Hose bei ihrer Verwandlung, die danach ein respektables Loch im Schritt aufgewiesen hatte. An aufgebrauchten Ladungen lag es also nicht, dass man keine arkanen Muster sehen konnte. Faszinierend. Ob das Objekt vielleicht eine getarnte Aura besaß? Darüber konnte ich jetzt nur spekulieren. Aber es gab ja noch eine Sache… ich wandte mich Azina zu, die mich aber nicht verstand als ich sie ansprach. Natürlich, wir hatten sie als Echse ja auch nur unverständlich zischeln hören. Die Fähigkeit zur Artikulation in der Muttersprache ging also verloren, dafür sprach man also Achaz und, das vermutete und hoffte ich zumindest, würde man vielleicht auch verstehen. Eine nützliche Sache um sich unerkannt in ein Echsendorf zu schleichen. Auf der anderen Seite… warum und wann sollte man so etwas schon einmal tun wollen? Also doch eher eine Spielerei aus vergangenen Zeiten. Da Azina mich nicht verstand, ich aber unbedingt noch ein Experiment machen wollte traf es sie völlig unvorbereitet, als ich meine Klauen in ihre Richtung streckte und ein gezischtes „Bltzzzzzz dch fnd“ von mir gab. An ihrer Reaktion, sie schlug irritiert die Hände über den Augen zusammen, konnte ich sehen, dass der Zauber gelungen war. Das wiederum war gut zu Wissen. Offenbar schränkte die Achazgestalt nicht die Fähigkeit ein, arkane Muster zu weben und Zauber zu sprechen. Es dauerte fast ein Stundenglas, bis die Verwandlung genauso unangenehm endete wie sie begonnen hatte. Aber immerhin war ich nun schlauer. Dann begaben wir uns zu Bett. Angesichts des kommenden wollte ich Ruhen, ein wenig Kraft hatte mich das Ganze ja dann doch gekostet.

 

 

 

Statt des ruhigen Schlafes den ich mir erhofft hatte, war ich die ganze Nacht über unruhig und fühlte mich unwohl. Ich meinte, eine bedrohliche Präsenz in meinem Kopf zu spüren, etwas, das die ehernen Festen meines Willens überwand und sich in meinem Kopf einnistete. Dann setzte ein Schädeltrommeln ein, das immer stärker wurde. So schlimm hatte es sich nicht einmal nach der berauschten Nacht mit den zyklopäischen Freibeutern angefühlt, und dort war ich ja sturzbetrunken gewesen zu meiner Schande.  Dann setzten die Träume ein. Ich hatte ja schon viele Träume, meistens recht angenehme von der Herrschaft über mein eigenes kleines Reich, ein neues Buch, die Macht eines neuen wahren Namens oder einfach nur von einer begehrenswerten Frau wie Junicera oder Visaria. Aber das war etwas ganz anderes, fühlte sich halb an wie ein Traum, halb wie Realität und halb wie eine Drohung. Auch wenn natürlich drei Hälften keine Sinn ergaben, wie mein gequälter Geist trotzdem in seiner unbestechlichen Logik feststellte. Aber trotzdem. Ich sah den nackten Rücken einer Frau, deren dunkle Haare ihr über die Schultern fielen, eine leichte Bewegung ihres Kopfes erinnerte mich an jemanden… Semira, die Dame mit der ich in Brabak so berauschende Stunden verbracht hatte! Aber dann wechselte die Perspektive, ein seitlicher Blick in den Spiegel vor der Frau, ein Gesicht, das ich sofort und mit Schrecken erkannte. Donata!  Sollte sie etwa…? Ein Mann trat neben sie. Jung, groß, gut gebaut. Der Hüne, mit dem Junicera sich davon gemacht hatte. Donata sprach ihn an. „Du wirst ihr gefallen, sie mag Männer mit Deinen Vorzügen“. Ein süffisanter Blick zu seinen Lenden. Dann setzte sie eine goldene Maske auf. Semira. Wieder wechselte das Bild in meinem Kopf. Semira auf mir, Leidenschaft, das Aufbäumen, ihr Griff in meine Haare, wie ich mich in sie verströmte. Der kurze Anflug eines gehässigen Lächelns das ihre Züge umspielte, dass ich so im Moment höchster Erregung nicht wahrgenommen hatte. Die Maske vor ihrem Gesicht verschwand langsam, löste sich auf in goldenen Rauch. Jetzt konnte ich sie sehen. Semira, nein, eindeutig Donata Efferdan da Costa. Sollte sie mich wirklich dermaßen getäuscht haben? Und wie hatte sie mich gefunden? Und warum? Fragen schossen mir durch den Kopf, auf die ich keine Antwort fand, weil sich die Szene vor meinem geistigen Auge schon wieder veränderte.

 

Erneut der Blick von hinten auf eine nackte, am Boden kniende Frau. Ein feiner Dolch lag vor ihr am Boden, rechts und links von ihr stehen zwei in Purpur gewandete Gestalten mit Masken vor ihren Gesichtern. Eine latente Bedrohung ging von der Szenerie aus. Vor ihr stand etwas, das einem Altar ähnelte, darauf eine längliche, goldene Schale über der goldener Dunst waberte und eine unheimliche Aura ausstrahlte. Der Rechte der beiden Männer sprach die Frau an. „Nichts von dieser Welt hat Bestand und wir müssen bereit sein uns von Vertrautem loszusagen, um SEIN Vertrauen zu erlangen. Bedenke, dass in der Zerstörung des Bestehenden eine reinigende Kraft liegt. Wenn der Mensch den aus Lüge, Falschheit und Niedertracht bestehenden Schleier der neidischen Götter durchschaut, dann offenbart sich ihm SEINE wahre Gestalt und Seine unbändige Liebe. Donata bist Du bereit für Deine Gabe an unseren Herrn, auf das Du geprüft und für würdig befunden werden kannst?“ Donata, sie schon wieder, nimmt den Dolch und führt einen kurzen, harten Schnitt, trennt sich das rechte Ohr ab. Hatte nicht Azina gesagt, dass Donata bei ihrer letzten Begegnung ein  Ohr fehlte? Das Blut, dass ihr über die Schulter rinnt ignorierend reicht sie das Ohr dem Mann rechts von sich. Dieser legt es in die Schale, der Dunst leuchtet purpurn auf, das Ohr schwebt in den Dunst und dematerialisiert sich. Der Mann neben Donata spricht wieder: „Es ist vollbracht, der Güldene akzeptiert dein Gabe, akzeptiert Dich. Möchtest Du noch etwas sagen Schwester?“ „Ja“, in ihren Augen ist ein Anflug von Wahnsinn zu sehen… Das leichte ziehen in meinem Kopf steigerte sich zu stechenden schmerzen, so stark, das ich kurz erwachte, bevor mich der Alp wieder in seine Fänge riss. Wieder sah ich Donata, anscheinend noch im gleichen Augenblick wie vor kurzem. … „Herr, das Ohr soll nur der Anfang sein. Ich trage das Kind meines Feindes in mir, Kind zweier Magier, auch in ihm wird dereinst die Magie stark sein. Nach der Niederkunft soll es als Beweis meiner unverbrüchlichen Treue an Dich gegeben werden, oh Herr, um von Kindesbeinen an den Dienst an Dir zu erlernen. Ich bitte Dich kraft Deiner Macht die Zeit bis zur Niederkunft zu beschleunigen, auf dass ich Dir dies Geschenk noch schneller darbringen kann!“ Der Mann neben ihr atmet hörbar durch, scheinbar hat er dies nicht erwartet! Hätte ich in diesem Augenblick schreien können, ich hätte es wohl getan. Oder schrie mein schlafender Körper vielleicht tatsächlich? Konnte das stimmen? Donata, schwanger von mir? Und mein, MEIN Kind sollte in die Fänge des Namenlosen geraten? Fassungslos, zu stummer Untätigkeit verbannt, sah ich wie die Szene sich fortsetzte. Die Farbe des Dunstes über dem Altar gewinnt an Intensität, die unheimliche Aura, so scheint es, wird noch durch ein kurzes, intensives Aufflackern von gieriger Freude verstärkt. Ein dünner, güldener Strahl löst sich aus dem Dunst und wandert sehr langsam auf Donatas Bauchgegend zu. Der Strahl berührt ihre nackte Haut direkt am Nabel und Donata bricht mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Mein Schmerz wurde unerträglich, und ich muss dann wohl zusammengebrochen sein, denn meine Erinnerung setzte in diesem Moment völlig aus. Delirierend und nur gelegentlich etwas mitbekommend wie ich war schienen sich meine Begleiter um mich zu kümmern.

 

Ich war wohl wirklich nicht ganz Herr meiner Sinne, nahm ich doch anscheinend von Azina um die Schmerzen zu betäuben Schnaps und Rauschkraut an, auch wenn ich mich nur bedingt daran erinnerte, wobei die nächsten Stunden, oder waren es Tage, für mich wie hinter einem grauen Schleier aus Schmerz lagen. Wir fuhren wohl noch im Morgengrauen weiter, so wie geplant, aber man hatte mich zum Ruhen hinten auf die Kutsche gelegt, während mein Dumpfschädel weiter an Intensität gewann. Eine sinnvolle Unterhaltung muss mir anscheinend nur bedingt möglich gewesen sein. Später erfuhr ich, dass wir an diesem Tag durch Salikum und Trebus fuhren, einmal die Pferde tauschten, aber es uns anscheinend trotzdem nicht gelang den Vorsprung zu verkürzen. Gegen Mittag wurden die Kopfschmerzen kurzzeitig etwas erträglicher, mein Geist ein wenig klarer und ich erzählte der entsetzten Azinajida von meinem Traumbild, oder sollte ich es eher Vision nennen, oder gar Botschaft? Leider war die Besserung nur von kurzer Dauer, da ich aus der Nase blutend bald wieder in Ohnmacht fiel. Meine Gefährten machten sich, wie sie später erzählten, ernsthafte Sorgen um mich – und wäre ich dazu in der Lage gewesen, ich hätte mir wohl auch selber Sorgen um mich gemacht. Es muss wohl auf Betreiben des Rosenkavaliers gewesen sein, dass sie mich in Efferdas in den Hesindetempel schleppten. Für mich unterschied sich der Moment hingegen von den dauernden Schmerzen nur darin, dass ich plötzlich auflodernden, puren Hass in meinem Kopf spürte der sich in unerträgliche Agonie steigerte und mich mit sich ins Dunkel riss, während, wie ich später erfuhr, mir das Blut nun auch aus allen anderen Öffnungen am Kopf zu strömen begann. Aus dem Dunkel schälten sich wieder Bilder die meinen Geist quälten. Donata blickt auf ein altes Buch, ein purpurn gewandeter Mann spricht zu ihr: „Schwester ich breche nun nach Bethana auf … die Feier ist in drei Tagen“ … Sie erhebt sich vom Tisch, der Schwangerschaftsbauch ist bereits zu sehen „Der Verheißene mit Dir Bruder, mit Deiner Rückkehr können die Vorbereitungen für die Wiederkehr der rechten Hand abgeschlossen werden.“ „Was ist mit Deinen Gegnern Schwester?“ „Was soll mit ihnen sein?“ „Sie könnten uns vielleicht gefährlich werden, wir sollten sie bald beseitigen lassen!“ „Nein, (purer Hass liegt in ihrer Stimme) … erst werde ich mich an ihrer Verzweiflung laben, wenn Sie versuchen das Unvermeidbare zu vermeiden …, dann werde ich ihnen einen langsamen, qualvollen Tod bereiten.“ Ich muss wohl ziemlich geschrien haben, wie man mir danach sagte. Dann nahm ich das erste Mal wieder etwas bewusst war. Der Geruch von Räucherwerk. Meine Robe, die mir schweißgetränkt am Körper klebte. Ein Mann in der grünen Robe eines Hesindegeweihten mit einem Schlangenhalsband aus Silber und Bronze, der sich über mich beugte und eine weitere grün gewandete Gestalt im Hintergrund. Ich wollte mich aufrichten, war aber zu schwach und fiel erneut um.

 

Als ich das nächste Mal erwachte befanden wir uns auf der Straße nach Belhanka und mir wurde erst einmal erzählt was geschehen war. Hesinde sei gepriesen für ihr eingreifen. Ich glaube, ohne diesen Priester würde ich jetzt nicht mehr leben. Jetzt wusste ich also aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlte, von einem H‘Levek besessen zu sein. Eine furchtbare Erfahrung! Und doch, was für ein machtvolles Instrument. Was muss ich für Donata für ein leichtes Opfer gewesen sein, hatte sich doch meine Haare als Zauberfokus, wie leichtsinnig war ich gewesen. Ich würde in Zukunft deutlich vorsichtiger sein müssen, Extase hin oder her. Und wie gern wäre ich bei diesem Exorzismus nicht als Opfer, sondern als Zuschauer dabei gewesen. Es musste eine faszinierende und erhebende Erfahrung sein, ein solches Wunder der allweisen Herrin aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Dann erzählte ich den anderen, diesmal nicht nur Azina, was ich gesehen hatte. Nach einer kurzen Diskussion zogen wir unsere Schlüsse daraus. Der andere Mann muss wohl Jagumil gewesen sein. Er war aufgebrochen mit der Aussage, die Feier sei in drei Tagen. Bezog man das auf die Geburtssegensfeier des kleinen Victor, so mussten sein Ausgangspunkt und Ziel also höchstens 3 Tage von Bethana entfernt sein, und damit irgendwo nicht allzu weit vor uns, denn so lange waren wir ja jetzt schon fast unterwegs. Mein Kind war dem Namenlosen versprochen. Das galt es um jeden Preis zu verhindern. Und Donata hatte sich dem Güldenen verschrieben, war also aus meiner Sicht nicht mehr zu retten und Azinajida war sowieso dafür, kurzen Prozess zu machen wenn wir sie fanden. Meine einzige Bedingung war, dass unter allen Umständen mein Kind zu retten wäre. Aber Azina meinte das sei kein Problem, sie habe schon Erfahrung als Geburtshelferin, sie würde das schon hinbekommen, egal wie. Und nun war auch klar, warum es keine Anschläge auf unser Leben mehr gegeben hatte. Donata hatte sich dieses Vergnügen selbst vorbehalten, diese Schlange. Das schlechte an der Sache war, ich hatte wohl nicht mehr viel Zeit.

 

Im Ergebnis bedeutete dass, das wir uns keine Ruhe mehr gönnten – außer ich mir hinten auf der Kutsche liegend, da ich noch recht geschwächt war von dieser mörderischen Erfahrung. Ich brauchte das Buch über die Entwicklung eiserner Willenskraft, irgendetwas musste man so einem Angriff ja entgegen setzen können, und wo wenn nicht dort würde ich die Lösung geschrieben finden. Den Tag über fuhren wir durch, nachts führten meine Begleiter die Pferde abwechselnd weiter auf der Straße im Schein von Lampen oder Fackeln, während der Rest mehr schlecht als Recht auf der Kutsche ruhte. Früh zur achten Stunde erreichten wir endlich Belhanka. Führ die sicher vorhandene Schönheit der Stadt und ihre Reize hatte ich allerdings keine rechten Augen. Zu dringlich waren die Dinge, die uns antrieben. Leider kannte sich keiner von uns selbst hier aus, so dass wir uns auf den Rosenkavalier Fario verlassen mussten, auch wenn mir dies immer noch widerstrebte, selbst jetzt, nachdem augenscheinlich sein Betreiben mich in den Hesindetempel zu bringen mir das Leben gerettet hatte. Er brachte uns am Hafen in der Taverne  „Heuers Grab“– was für ein passender Name für eine Hafenkaschemme -  unter, wo wir auf ihn warten sollten, er wolle schnell seine Kontakte hier in der Stadt nutzen. Diese Gelegenheit, oder eher Zwangspause, nutzten wir um ein Frühstück einzunehmen, welches wir mit reichlich Kaffee krönten. Der Charme der Kneipe konnte sich aus meiner Sicht nur Seeleuten erschließen. Schon zu früher Stunde war es voll, stickig, die Leute angeheitert bis betrunken und die Musik mehr als fragwürdig. Irgendeiner dieser versoffenen Bande stimmte das Lied von „Alrikur, dem Hafenarbeiter“ an, dem ersten Rauschkrauttoten Belhankas, in das bald vielstimmig eingefallen wurde. Der künstlerische Wert der Darbietung tendierte gegen Null und ich war schnell nur noch genervt von dem Gegröhle, hoffend, das Fario doch bald zurückkommen möge. Mein Leiden endete, als ein Bote Farios an unseren Tisch kam, wir mögen doch bitte zu ihm rauskommen. Mittlerweile hatte uns, insbesondre Azina und mich, aber in gewissem Maße auch Junasia, eine leichte Paranioa im Griff, weswegen Azina zuerst vorsichtig spähte, ob die Luft auch wirklich rein sei und es nicht schon wieder eine Falle war wie damals auf den Zyklopeninseln. Aber es schien alles in Ordnung. Mit Fario eilten wir durch Gassen, Tore, Lagerhäuser, so als wolle er den Weg vor möglichen Verfolgern vielleicht aber auch vor uns verbergen. Zumindest was mich anging hatte er damit auch Erfolg, ich hätte den Pfad mit Sicherheit nicht mehr gefunden, selbst wenn ich es hätte versuchen wollen. In einem der Lagerhäuser mussten wir durch eine Bodenluke unter einem Stapel Fässer, dann durch Gänge über Treppen bis zu einer Luke, die in ein weiteres Lagerhaus führte, wo uns 2 rotgewandete erwarteten und in einen Raum führten, wo hinter einem Tisch eine elegante, verschleierte Frau saß von der wir kaum mehr als ihre stechenden grünen Augen sahen.

 

Wir sollten sie mit Veranja ansprechen, auch wenn ihre Identität genauso geheim bleiben sollte wie der Orden dem sie vorstand. Das Gespräch war insgesamt geprägt von zwei Dingen. Zum einen unserer Ungeduld, hatten wir doch ein klares Ziel vor Augen und keine Zeit zu verlieren. Zum anderen von unserem Misstrauen gegenüber jemand, der sich uns nicht zu erkennen geben wollte, aber dafür im Gegenzug etwas von uns zu erwarten schien (wie aber auch wir uns natürlich Hilfe von der Unbekannten erwarteten). DeveCa hatte ich damals recht schnell und einfach entzaubern können. Hier war ich leider völlig ratlos. Wir sollten doch bitte die Geheimhaltung verstehen, die Gegner seien gefährlich – als wenn ich das nicht schon längst gewusst hätte – und hätten ihre Leute überall sitzen, so dass man kaum jemanden trauen konnte und höchste Vorsicht walten lassen musste. Zunächst fragte sie uns nach den Umständen und den Geschehnissen aus, wobei wir und insbesondere Junasia, die ja bekanntlich eine recht kurze Lunte hatte, das ganze sehr knapp hielten. Eigentlich hätte ich erwartet, dass dieser Fario schon ausreichend Bericht gegeben hätte, sonst hätte es dieses Treffen wohl kaum stattgefunden. Trotzdem schien es, als würde unser knapper Bericht der Verhüllten durchaus genügen, insbesondere, als von meinen Träumen und der Rückkehr der rechten Hand des Namenlosen die Rede war. Etwas in der Art schien auch diesen Geheimorden umzutreiben, da sie Junasia ein Pergament überreichten, das die Geschichte dieser „rechten Hand“ ein wenig näher beleuchtete, auch wenn es sich wie einer der Mythen aus der Vergangenheit las. Im kurzen Zusammengefasst hatte nach ganz, ganz furchtbaren Schlachten einer der alten Elfenkönige  den Feldherren des Namenlosen, auch seine immerwährend nachwachsende rechte Hand, genannt Maruk Methai vernichtet.

 

… die Spuren der jahrelangen Heerzüge und erbitterten Kämpfe gegen die Heerscharen des Namenlosen die von Riesland kommend in das heutige Bornland eingefallen waren gipfelten in einer -vorerst- entscheidenden Schlacht. Diese tobte Wochen, in denen viele der Nadelbäume des Bornwaldes von Feuer oder Magie verbrannt und versengt wurden, Steine zerbrachen und Felsen splitterten, die Luft war von Blutgeruch und Verwesung geschwängert. Edle Elfen lagen mit zerschmetterten und verrenkten Körpern auf Lichtungen und Feldern neben den Kadavern von Pferden, Hippogreifen, schwer gepanzerten Orks, wilden und barbarischen Menschen sowie tierhaft wirkenden Wesen mit ausgezehrten Körpern und grausamen Waffen. Der Kampf, dieser Fresser des Lebens, war von diesen Plätzen des Grauens auf der Suche nach neuer Nahrung weiter gezogen und Ruhe senkte sich auf die Gefallenen herab, doch die tobende Schlacht war nie weit entfernt.

 

Es begab sich, dass der Feldherr des Namenlosen selbst,  Maruk Methai oder auch seine immerwährend nachwachsende rechte Hand genannt, die Geduld mit seinen Truppen verlor und sich anschickte selbst auf seinem dämonischen Ross in die Schlacht zu reiten, um die Entscheidung herbeizuführen. Auf  seinem Feldherrenhügel, auf dem einige schwarze Zelte standen, wurden dutzende purpurne Standarten mit dem Wappen des Feldherrn gehisst um die Truppen des Namenlosen vom bevorstehenden Eingreifen Maruk-Methais zu unterrichten. Als die namenlosen Heere der Nachricht gewahr wurden stieg deren Rasserei ins Unermessliche und die Heere der Elfen gerieten in starke Bedrängnis. Doch auch dies genügte nicht um eine Wendung herbeizuführen.

 

Maruk Methai sprengte in seiner Wut über die, trotzdem noch ohne Entscheidung hin und her wogende, Schlacht  die sterbliche Hülle seines Wirts und offenbarte sich in seiner wahren Gestalt. Ein Dämon, der  drei Schritt maß und von unnatürlicher Dunkelheit umgeben war . Maruk Methai schwang sich auf sein ungeheueres dämonisches Schlachtross, riss seinen von purpurnen Blitzen umspielten Säbel in die Luft und befahl, mit einer Stimme die aus den Niederhöllen selbst zu kommen schien und sogar den Donner überdröhnte, den Angriff. Die in schwarze Plattenrüstungen gehüllte, mit Äxten und Spießen bewaffnete Leibgarde des Feldherren schloss sich ihm an, um ihn in die unbeschreibliche Schlacht zwischen Zehntausenden strahlenden Hochelfen und der unzählbaren Schar des Bösen zu folgen. Düstere, fast schwarze Wolken türmten sich als Geleit auf und bildeten einen riesigen Strudel in dessen Mitte sich der sternenlose Himmel zeigte. Immer wieder zuckten Blitze in das Schlachtfeld und trafen wahllos Freund und Feind. 

 

Die Schlachtenreiter Maruk-Methais stießen tief in die Flanke des elfischen Heeres und bezwangen die  strahlenden Heroen scheinbar mühelos. Wo auch immer der Heerführer erschien brach der Widerstand der Elfen binnen kürzester Zeit zusammen. Das Gemetzel war unbeschreiblich und die Hoffnung war schon fast gänzlich geschwunden, als plötzlich ein ergreifender, zweistimmiger Gesang ertönte. Die Kämpfenden beider Heere wurden von dem Gesang schier überwältigt, reihenweise schienen die Berserker zu sich zu kommen. Sowohl die Recken der Elfen als auch die namenlosen Horden streckten die Waffen als ein Elf im dunkelgrünen Gewand allein auf Maruk Methai zuschritt. Unter dem Einfluss des Friedensliedes beruhigte sich das dämonische Ross, wurde zahm und lies sich von seinem Reiter nicht mehr bewegen. Der Feldherr war gezwungen abzusteigen, um weiter zu kämpfen.

 

Das Friedenslied gab den Elfen wieder Hoffnung, so daß sie namenlosen Elitetruppen langsam zurück drängen konnten. Nur Maruk-Methai kämpfte in stiller Raserei dort wo er von seinem verfluchten Ross abgestiegen war, ohne einen Fuß breit zu weichen, bis Simia der-aus-dem-Licht-trat auf einem weißen Hippogreif reitend erschien. Der Sternenstein in der kristallenen Krone des Hochkönigs strahlte so hell, dass er sogar dass Dunkel Maruk Methais langsam zurück zu drängen vermochte. Simia suchte den direkten Kampf mit der immerwährenden rechten Hand des namenlosen Gottes und das Gefecht zwischen ihnen tobte hin und her, wobei der düstere Heerführer immer dämonischer wirkte, als das verhüllende Dunkel um ihn zunehmend aufriss.

 

Mit einem blitzschnellen Angriff schlug Maruk-Methai seine zur Klaue verformte Linke durch die weiße Tuchrüstung des Elfen. Simia-der-aus-dem-Licht-trat schrie unter Qualen auf, doch es drang kein Blut aus der Wunde: Nein, reines, gleißendes Licht schlug dem Feind entgegen und quälte diesen wie wahrscheinlich nie etwas zuvor. Wieder und wieder drang der nun aus mehreren Wunden strahlende Elf auf seinen Widersacher ein und schließlich obsiegte das Licht über die Finsternis als der leuchtende Hochkönig seinen Feind umarmte und alle Schläge Maruk-Methais ignorierend, nicht mehr auslies. Plötzlich brach der Himmel auf, der Säbel des Feldherren zersprang und der Heerführer des Namenlosen wurde von einer Welle intensiven Lichts verschlungen. Der Leib Simias hingegen welkte innerhalb von Augenblicken dahin. 

 

Zwar zerfiel sein Körper aber sein Lebenslicht fuhr strahlend zum Himmel auf, wo es mit der Praiosscheibe verschmolz. 

 

So wurde die rechte Hand des Namenlosen vorerst vernichtet und sein Heer in die heillose Flucht getrieben.

 

 

 

Man mochte ja von solchen Geschichten halten was man wollte, aber mit Dämonen hatte ich ja so meine Erfahrungen. Und auch wenn dies vielleicht nur dazu diente um uns den Ernst der Situation zu verdeutlichen, nämlich das eine fürchterliche Wesenheit beschworen werden sollte, der mir sowieso klar war, so brauchte es doch eh keine zusätzliche Motivation für uns. Wir hatten ein Ziel das sich anscheinend zufällig mit dem dieses Ordens deckte und davon würden wir nicht abweichen. Das Erwähnenswerteste an der ganzen Sache war, das uns die Frau noch einen weiteren Kämpfer neben Fario an die Seite stellte. Das war Begrüßenswert, war unsere Kampfkraft mit Ansgar doch nicht übermäßig groß. Der Kerl sah vielleicht beeindruckend aus, aber im echten Gefecht hatte ich noch nicht gesehen, dass er sich tatsächlich bewährt hätte. Und wir erfuhren, dass die von uns gesuchten weiter Richtung Methumis unterwegs waren, direkt auf der Straße durch die Sikram-Sümpfe, so dass wenig Möglichkeiten blieben den Weg zu verlassen. Wobei die 3 Tagesfrist dagegen sprach, dass sie bis Methumis reisen würden.

 

Ich hatte dann noch einen glorreichen Gedanken. In Belhanka gab es eine Magierakademie die sich auf Bewegung spezialisiert hatte. Vielleicht würde uns man dort unterstützen? Unsere Pferde waren durch die lange Fahrt zuletzt recht beansprucht. Tatsächlich erwiesen sich die Kollegen als recht kooperativ, nachdem ich sie über unsere Motive aufgeklärt hatte. Sie belegten unsere Zugtiere mit einem Zauber namens Movimento, der ihnen unendliche Ausdauer verleihen sollte und uns somit ein ziemlich zügiges weiterfahren ermöglichte. Sehr praktisch, das müsste ich auch irgendwann erlernen. Allerdings hätte es dessen überhaupt nicht bedurft, wie sich bald herausstellte. Schon im nächsten Dorf hinter Belhanke hatten die von uns verfolgten vor gut 12 Stunden die Straße verlassen um sich mit einem Kahn nach Salma Palustra bringen zu lassen, einer Torfstechersiedlung mitten im Sumpf. Wir hatten keine Zeit zu verlieren und wieder erwies sich Fabrizzios großzügige Reisekasse als recht hilfreich, brachte ich doch damit den Enkel des Wirts, einen ungewaschenen Kerl namens Salvino, dazu uns direkt und ohne Verzögerung ebenfalls dahin zu bringen und dort auf uns zu warten. Für das Gold welches ich ihm zahlte hätte er wohl sonst einen ganzen Mond arbeiten müssen, aber sei es drum. Eile tat Not, und es war eh nicht mein Gold. Die Fahrt war langweilig, ereignislos und unspektakulär. Und bald wusste ich wieder, warum ich keine Sümpfe mochte. Verdammte Mücken! Ich zog die Handschuhe an, einen Mückenschleier über und saß ergeben in dem schaukelnden Kahn. Wir erreichten die Siedlung, welche aus etwa 30 schäbigen Hütten bestand und guten Gewissens als Pickel auf Deres Arsch bezeichnet werden konnte nach mehreren Stunden Fahrt durch das Delta des Sikram. Am Fuße eines Hügels auf dem die „Häuser“ standen zog sich ein Schilfgürtel entlang und aus diesem ragte ein Steg an dem wir landeten. Der Dorfvorsteher, dem wir bald begegneten, war ein von der Verwaltung in Belhanka eingesetzter Kerl namens Danaio der uns mit einem Esel entgegenritt und den man wohl hierher Strafversetzt hatte. Armer Bursche. Ich erfuhren von einem Fischer der gerade seine Netzte flickte, dass die Gesuchten wohl Nachts hier durchgekommen waren, und der Dorfvorsteher erzählte, sie seien gleich wieder in den Sumpf abgereist. Überhaupt seien in letzter Zeit verdächtig viele Reisende in den Sumpf aufgebrochen. Aber hier stellt man keine dummen Fragen… ihr Götter,  werft Hirn vom Himmel! Meine Bemühungen, für uns einen Führer zu finden waren zunächst nicht von Erfolg gekrönt, nachdem endlich die Torfstecher von ihrer Arbeit zurückkamen. Noch nicht einmal für 4 Goldstücke wollte uns einer dieser feigen Hunde führen, und das musste hier draußen ein Vermögen sein! Erst später stellte sich in aller Heimlichkeit ein Mann namens Enrico bei mir vor, ein Jäger, der sich hier seinen Lebensunterhalt mehr schlecht als recht verdiente und schon lange fortkommen wollte. Ich bot ihm an vielleicht auf der Plantage meines Vaters eine Anstellung zu finden, wenn er uns nur gut führen würde, worauf er sich dann auch, in Verbindung mit den 4 Dukaten natürlich, einließ. Wäre ich doch zu diesem Zeitpunkt noch misstrauischer gewesen und nicht einfach zu froh, endlich jemand gefunden zu haben wie sich später zeigte. Aber ich konnte ja nicht jeden dahergelaufenen  Kerl mit einem Blick in die Gedanken prüfen, oder? Wir rüsteten uns erst noch mit allem nötigen beim örtlichen Schmied und Händler Agosto aus, als da waren lange Stangen für Sumpfgänger, zusätzliche Schläuche und Feldflaschen mit Trinkwasser, Moskitonetze für diejenigen die noch keine hatten, haltbare Nahrung und noch Lampen mit Öl.

 

Dann machten wir uns sofort auf den Weg. Unser Führer erzählte, es gäbe wohl nordöstlich des Dorfes tief im Sumpf abgelegen eine alte Echsenruine. Seiner Meinung nach waren die ganzen Reisenden sicher dorthin gegangen. Das war doch immerhin ein konkreter Anhaltspunkt. Das laufen im Sumpf aber war ziemlich beschwerlich. Man sank ein, es war nass, stinkig, ständig musste man Umwege gehen und jetzt wusste ich auch, wofür diese langen Stangen da waren. Man prüfte damit den Weg vor sich um nicht unversehens in einem bodenlosen Sumpfloch zu landen. Insgesamt eine recht unerfreuliche Angelegenheit. Als es begann dunkel zu werden machten wir Rast auf einer kleinen Erhebung, in deren Mitte ein ausladender Baum stand. Es wurde ein kleines Feuer geschürt, da unsere beiden Rosenkavaliere sogar etwas Feuerholz aus dem Dorf mitgenommen hatten und anschließend die Wachen eingeteilt. Den Führer nahm ich aber trotzdem explizit vom Wachdienst aus. Meinen Schlaf anvertrauen wollte ich nur Begleitern die sich schon ein bisschen bewährt hatten. Und wie Recht ich damit haben sollte zeigte sich dann leider auch noch direkt in dieser Nacht. Ein Schrei Azinas riss uns aus dem Schlaf. Wir waren umstellt von einer überwältigenden Anzahl von Sumpfrantzen, das Feuer fast erloschen. Junasias Stabfackel flammte auf und gewährte uns ein wenig Überblick über die Situation. Azina war mitnichten mit der Wache dran gewesen, sondern hatte geschlafen, war aber erwacht als sich eines der Monster über sie gebeugt hatte. Eigentlich hätte Fario Wachen sollen, der hatte seine Wacher aber an den dienstwilligen Enrico abgetreten, dieser Narr, mit der Folge, das nun von unserem Führer jede Spur fehlte, dafür aber ein blutiges Stück Fleisch über mir im Baum hing, das die Biester wohl angelockt hatte. Firunverdammdich, dieser Verräter! Sollte ich hier je heraus kommen und den Kerl erwischen, ich würde seine lügnerische Zunge bei lebendigem Leibe herausschneiden und bei der nächsten Blakharaz-Beschwörung als Donarium verwenden! Aber lange hatte ich nicht Zeit zu hadern, da die Rantzen sich organisierten und zum Angriff übergingen. Ein besonders großes Exemplar schien dabei die anderen wie ein Feldherr anzutreiben, schlug sich fortwährend auf die Brust und krakelte herum. Das nachfolgende Gefecht war dunkel, dreckig, für einige von uns schmerzhaft und kräftezehrend. Junasia verwandelte mit einer Flammenlanze die Chefranze in eine lebende Fackel, woraufhin sich einige der Monster verschreckt zurückzogen. Ich lenkte ein paar der Tiere ab indem ich ihnen das über mir im Baum hängende Fleisch vor die Klauen warf, worauf mehrere sich darum balgende Biester wieder im Dunkel verschwanden. Eine Seite unserer Insel hielten die Rosenkavaliere, die andere Ansgar, Azina, Junasia und ich. Azinajida bewies ihre Gewandtheit mit ihren Klingen und stach mehrere Feinde nieder. auch Ansgar hielt die Stellung, während Junasia sich mit ihrem Schwert in den Kampf stürzte und ich Hiebe mit dem Stab aus der zweiten Reihe austeilte. Am Ende hatten wir das Pack vertrieben, aber Azina musste sich doch um einige Wunden kümmern und Verbände anlegen. Und sie ließ es sich nicht nehmen, dem unglückseligen Fario ordentlich die Leviten zu lesen und ihn heftig zu beschimpfen mit Worten, die selbst einer Hafenhure die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten.

 

Nachdem wir nun so ganz ohne Führer und Wildniskundigen im Sumpf standen stellte sich am Morgen die Frage, wie wir weitermachen sollten. Allein der Weg bis hierher war schon umständlich gewesen, und ich würde den Rückweg sicher nicht wieder finden. Außerdem war „zurück“ auf Grund unserer Eile auch keine Option. Auf der anderen Seite konnten wir natürlich nicht sicher sagen ob die Geschichte von der Echsenruine überhaupt der Wahrheit entsprach. Das hätte auch glatt gelogen sein können um uns in die Irre zu führen. Wir beratschlagten, aber am Ende waren doch alle dafür, weiterzugehen und zu hoffen, dass es diese Ruine zumindest gab. Mangels besserer Alternativen übernahm Azina die Führung und stocherte sich mit ihrem Stab grob in die vermutete Richtung vor. Es war noch mühseliger als am Vortag und einmal versank Junasia sogar in einem der Sumpflöcher neben dem Weg. Auch wenn wir sie mit vereinten Kräften wieder herausbekamen, das kalte und stinkende Wasser trug nicht gerade dazu bei ihre Stimmung zu heben. Es vergingen mehrere Stunden, bis wir endlich, eher durch Zufall, auf ein paar Treppenstufen aufmerksam wurden, die sich auf dem Absatz einer Insel befanden. Wir wollten uns gerade daran machen die Stufen zu erklimmen, immerhin hätten wir dort wohl festen Boden unter den Füßen, da vibrierte die Erde und auf einem nahem Tümpel zeigten sich kleine Kreise. Dann kehrte gespenstische, unnatürliche Stille ein, so als sei das Land selbst verstummt. Wir hielten Inne und spähten herum, aber es war nichts zu sehen. Als nach mehreren Minuten immer noch nichts geschah, schickte ich Azina vor um zu spähen, die am Ende der Treppe tatsächlich eine schiefe, moosbewachsene Ruine fand.

 

Zumindest darin schien unser verräterischer Führer nicht gelogen zu haben, es gab hier also eine Ruine. Was natürlich noch nicht bedeuten musste, dass wir hier die Gesuchten tatsächlich finden würden. Wir wollten uns gerade daran machen die Stufen zu erklimmen, als wir von oben ein irgendwie hol klingendes poltern hörten das näher und näher kollerte. Es vergingen nur Augenblicke bis sich der Ursprung des seltsamen Geräuschs offenbarte. Der übergroße Panzer einer Landschildkröte kullerte und trudelte die Treppe herab auf uns zu, dann noch einer. Verwundert ob des seltsamen Anblicks blieben wir stehen, während die Panzer direkt vor uns zum liegen kamen – und wie von Zauberhand zum Leben erwachten. Aus den Öffnungen der Panzer schnellten Arme, Beine und Köpfe hervor, viel zu schnell für behäbige Schildkröten. Das, und die Tatsache, dass die Schildkröten sich auf die Beine aufrichteten und in HÄNDEN Kettenstäbe und Dolche hielten ließen und kurz starr vor erstaunen werden. Immerhin hatten sie keine farbigen Stoffstreifen um die Köpfe gewickelt. So etwas hatte ich, und wohl auch keiner der Anderen, bisher schon einmal gesehen. Unsere Starre löste sich aber gleich, als das bewaffnete Gezücht begann auf uns einzudringen. Und bei Rondra, was waren die Biester schnell, stark und dazu noch von ihren Panzern auf ganz natürliche Art und Weise gut geschützt. Die  meisten Hiebe prallten einfach an dem dicken Horn ab, nur gelegentlich gelang es einem von uns tatsächlich einen ordentlichen Treffer zu landen. Dafür teilten die beiden widernatürlichen Monstrositäten recht ordentlich gegen uns aus. So ordentlich, dass die Rosenkavaliere und Ansgar bald in arger Bedrängnis waren und ich schon überlegte, mit welchem Mittel ich den Kampf wohl am besten beenden würde können, auch wenn meine offensiven Kapazitäten doch arg begrenzt waren. Mit meinem Stab auf die Panzertiere einzudreschen konnte ich mir jedenfalls sparen, das wäre nicht mehr gewesen als eine Trommel zu spielen. Allerdings wurden diese Gedanken durch ein Röcheln Azinas unterbrochen die aus zahlreichen Wunden blutend zu Boden ging und offensichtlich schon recht nah an einer Fahrt übers Nirgendmeer war. Sofort stürzte ich an ihre Seite, ungeachtet der Gefahr in die ich mich dabei begab, während Ansgar versuchte das Monstrum von uns fernzuhalten. Ihre Haut nahm rapide einen aschgrauen Farbton an, während das Leben in Form roten Blutes aus ihrem Körper strömte. Das waren wirklich hässliche Wunden, die sie da eingesteckt hatte. Und ich verfügte leider nicht über ihr begnadetes Geschick in der Heilung. Das letzte Mal, als ich in so einer Situation war hatte ich mich in einer Mine befunden, den sterbenden Körper Gabrielles in meinen Armen. Das Gefühl der Ohnmacht und Machtlosigkeit hat mich nie ganz verlassen und kochte jetzt wieder in mir hoch. Aber halt! Hatte ich ihr nicht erst vor wenigen Tagen die Heiltränke überreicht, von denen ich mir sicher war das sie recht gut wirken würden? In fieberhafter Eile riss ich ihren Rucksack auf und tatsächlich waren dort die von mir hergestellten Phiolen mit Aqua Vitae. Ich riss eines der Fläschchen heraus, entkorkte es und schüttete seinen Inhalt in Azinas Mund. Der Schluckreflex war schwach und sie hustete etwas, aber der Trunk rann ihre Kehle hinab. Sie entspannte sich etwas, ich sah wie sich eine der Wunden zu schließen begann. Aber trotzdem verließ sie das Leben mehr und mehr, es hatte einfach nicht gereicht. Ich war mir nicht sicher, ob ein weiterer Trank überhaupt Wirkung zeigen würde, solange der erste noch sein Werk tat. Und ihr Zustand ließ nichts gute Vermuten. Ihr Leben stand auf Messers Schneide und es lag in meiner Hand. Diesmal würde ich nicht versagen. Natürlich, ein Balsamsalabunde würde hier das nötige bewirken, aber beherrschte ich diesen Zauber auch gut genug um das Leben einer Freundin darauf zu verwetten? Sollte ich versagen, es wäre ihr sicherer Tod gewesen. Und der Zweifel der in mir aufstieg lies mich zu dem Entschluss kommen dieses Risiko nicht einzugehen. Aber genau für diesen Fall hatte ich nach dem Erlebnis in der Mine ja vorgesorgt… ich zog das Amulett mit dem Storchenbildnis vom Hals und legte es auf Azinas Herz. „Peraine Hilf!“ flüsterte ich in den Lärm des um mich tobenden Kampfes. Nur am Rande nahm ich war, das eine der Schildkröten gerade unter den Hieben meiner Begleiter fiel und aus dem Panzer der anderen schwarzer Rauch aufstieg. Junasia hatte wohl wieder eines ihrer wütenden Feuerwesen entfesselt. Das Amulett sollte ja eigentlich meine eigene Lebensversicherung sein, aber Azina brauchte es heute einfach nötiger als ich. Die Kraft die ich in das Artefakt gebunden hatte sollte ausreichen, so hoffte ich zumindest, um in Verbindung mit dem vorher applizierten Heiltrank Azina von der Schwelle des Todes zurückzureisen, auch wenn es ihre Wunden nicht würde heilen können. Stumm betete ich zu Boron, dass er ihre Seele noch nicht zu sich rufen möge und zu Peraine, sie solle ihre gütige Gnade walten lassen, während ich das Medaillon weiter fest auf Azinas Brust drückte. Und tatsächlich, ein Husten, ihr Körper schauderte, und dann schlug sie, schwach aber bei Bewusstsein, die Augen auf. Ich hatte es vollbracht. Ich gebe zu, ich habe in meinem Leben bisher nicht viele Momente erlebt, in denen ich so froh gewesen war wie jetzt. Der Stein der mir vom Herzen fiel muss Zentner gewogen haben und Erleichterung bemächtigte sich meiner. Ich hatte diese junge Frau wirklich ins Herz geschlossen.

 

Wir nahmen uns erst einmal die Zeit unsere Wunden zu Verbinden und weitere Heiltränke zu konsumieren. Anscheinend verfügten die Rosenkavaliere da über einen eigenen Vorrat und mussten nicht von uns versorgt werden. Unsere Kampfkraft hatte Recht gelitten und so hätten wir sonst kaum weiter gehen können. Aber es war schon erstaunlich, was potente Alchemie zu bewirken vermag. Es dauerte zwar etwas, aber noch im Laufe des Nachmittags waren wir wieder soweit bei Kräften, dass wir uns zutrauten dieses unheimliche Gemäuer nun betreten und ausräuchern zu können. Einmal bebte in dieser Zeit erneut die Erde, intensiver diesmal wie es schien. Irgendetwas musste dort im Untergrund vorgehen, aber was blieb uns leider noch verborgen. Aber nicht mehr lange, beim neugierigen Nandus! Wir schlichen die Treppe hinauf, vorsichtig darauf bedacht uns nicht noch mehr anzukündigen. Andererseits… wenn der Lärm des Kampfes bisher noch keine weiteren Finsterlinge auf den Plan gerufen hatte konnte man wohl davon ausgehen, dass sie so tief im Inneren des Bauwerkes waren, dass sie tatsächlich nichts davon mitbekommen hatten. Oder, und das hielt ich leider für unwahrscheinlicher, dass sie Angst vor uns hätten und sich nicht trauten uns anzugreifen. Aber wo waren dann die vielen Reisenden, von denen im Dorf die Rede gewesen war? Auf einem der umlaufenden Absätze fanden wir an der Rückseite des Bauwerkes einen finsteren Eingang. Azina entschied sich dafür als erste voran zu schleichen, und in ihre Fähigkeiten hatte ich da durchaus vertrauen. Aber es schien erst einmal keine Gefahr zu drohen, so dass wir alle bald folgten. Der Gang führte leicht nach unten und in einen Kuppelraum in dessen Mitte sich ein Wasserbecken befand, darum gruppiert mehrere Statuen von Achaz. Also tatsächlich ein alter Echsentempel, sehr faszinierend. Die Statuen zeigen die Gestalten eines Kriegers, eines Priesters und eines (Frosch-)Königs, zumindest interpretierten wir die Gestalten so. Dahinter zweigte jeweils ein Weg von diesem Raum ab. Gerade wollten wir den Raum näher betrachten und durchqueren, als sich aus dem Wasserbecken eine mächtige, blubbernde, aber dreckig-schlammig-wirkende Gestalt erhob, die uns feindselig musterte und dazu veranlasste den Rückzug anzutreten. Wir waren kurzzeitig ratlos. Ein Dämon, so viel war ich mir sicher, war dies nicht. Der hätte uns auch gleich attackiert ohne sich die Mühe zu machen uns zu bedrohen. Junasia meinte, es könnte ein Djin sein. Aber ich hatte gedacht Djinne seien reine Verköperungen ihres Elementes, und dieser hier wäre, nun ja, irgendwie im besten Fall schmutzig zu nennen. Wie konnte man solch einer Kreatur beikommen? Ich hatte ja gesehen was Junasias Feuerdjin auf den Zyklopeninseln angerichtet hatte. Wenn dieses Wesen auch nur ansatzweise so mächtig sein würde, es täte uns aus der Ruine spülen wie ein Wasserwirbel Dreck aus einem Waschbecken. Einer Eingebung folgend legte ich Azinas Echsenhaut an. Sofort spürte ich wieder die Verwandlung. Aber war dies nicht ein Echsentempel? Vielleicht handelte es sich hier um einen uralten Wächter? Dann wäre es nur logisch das er Menschen als Eindringlinge empfand und verscheuchen würde, aber eine Echse wie mich müsste er ja dann passieren lassen. Soweit meine Hypothese. Leider erwies sich diese als nicht wirklich zutreffend, denn auch in echsischer Gestalt reagierte der Elementar sehr feindselig auf mich, so dass ich mich sofort wieder zurückzog, der Möglichkeit mich den anderen mitzuteilen vorerst beraubt. Am Ende hatte Junasia, die augenscheinlich die meiste Erfahrung mit dieser Art Wesen besaß, des Rätsels Lösung in der Tasche. Ich weiß nicht wie sie es getan hat, aber sie betrat den Raum und schien stumme Zwiesprache mit dem Djin zu halten. Zugern hätte ich ihre Gedanken vernommen. Dann zog sie eine Flasche aus ihrer Tasche. Hatte sie diese nicht auf den Zyklopeninseln von den Wächtern des Tores bekommen? Sie goss den Inhalt in das verschmutzte Becken, das sofort begann sich wie von selbst zu reinigen, bis statt Schlamm und Dreck nur noch klares, sprudelndes Wasser übrig war. Und auch der Djin machte diese Verwandlung mit, seine Gestalt wurde sauberer, klarer, durscheinend, bis er dem Bild entsprach, das ich mir selbst von einer reinen Verkörperung des Elementes Wasser immer gemacht hatte. Ein dankbares Gluckern hallte in der Kuppel wieder und Junasia schien recht zufrieden zu sein. Dann verschwand die Gestalt, und wir blieben allein zurück. Ich nickte Junasia mit meinem Echsenkopf anerkennend zu und zischte. Wirklich, die Frau hatte einfach ein Händchen für diese Wesen, so wie ich mich den Siebtsphärigen besonders gekonnt widmen konnte. Nun mussten wir nur noch entscheiden, welchem Gang wir tiefer in die Dunkelheit folgen wollten. Ein Blick im Raum herum offenbarte Wandmosaiken mit Bildern verschiedener echsengestaltigen. Kobraköpfige, Schlangenleibige, Froschhäuptige, deren menschliche Sklaven Arbeit verrichteten. Mir war gar nicht bewusst, dass die alten Echsenvölker so vielgestaltig waren. Aber man lernte ja nie aus… währenddessen wurden die Beben aus der Tiefe immer häufiger und intensiver. Staub und Steine rieselten ein ums andere Mal von der Decke. Ich glaubte, die Zeit drängte.

 

Ich wäre ja gern den Gang mit dem Froschkönig, oder wie man wohl in der Fachsprache sagen würde Leviathanim gegangen. Die froschgestaltige Statue mit Klauen und Schwanz eines Drachen war fein gearbeitet. Das hätte ich am passendsten für mich empfunden, schließlich denke ich bin auch ich irgendwann zum Herrscher bestimmt. Aber eine kurze Untersuchung auf dieser Seite zeigte, dass der Gang mit Wasser vollgelaufen war, dessen Tiefe Azina mittels ihrer Sumpfstange auf mindestens zwei Schritt bestimmte. Man hätte zwar ohne Probleme die paar Schritte hindurch schwimmen können, aber Junasia weigerte sich standhaft hier weiter zu gehen. Da half auch kein gutes Zureden. Ich konnte regelrecht die Panik in ihren Augen sehen bei dem Gedanken hier bis zum Hals ins Wasser eintauchen zu müssen. Und vermutlich konnte sie auch gar nicht schwimmen, auch wenn sich dafür sicher eine Lösung gefunden hätte. Schade, aber so heißblütig sie war, so starrsinnig war sie auch wenn es um Wasser ging, das hatte ich ja schon erlebt. Da war nichts zu machen, außer wir würden wohl in akuter Lebensgefahr schweben. Aber soweit war es zum Glück derzeit nicht. Den Gang mit der Krieger-Echse, die übrigens eine frapierende Ähnlichkeit mit meiner derzeitigen Gestalt aufwies, hätte ich wie sie einen Speer, Rüstung  und ein Schild getragen, versperrte leider eine Barriere aus reiner Energie, die von einem um den Gang laufenden Relief ausging, welches einige Abbildung von Achaz zeigte. Jeder von uns, der sie berührte zuckte von einem Schmerz durchfahren zurück. Wobei natürlich hier die Vermutung nahe lag, die alten Echsen mussten ja irgendwie auch hindurch gekommen sein, dass dieser Gang dann wohl den Kriegerechsen vorbehalten war. Also schnappte ich mir eine Axt von Ansgar und da ich noch die Echsengestalt hatte müsste ich ja einen ganz passablen Eindruck gemacht haben. Die Barriere sah das wohl genauso, denn ich konnte sie ohne Probleme durchschreiten, wobei sie um mich flirrte und flimmerte. Ich spürte dabei nur ein leichtes Kribbeln. Ich versuchte den Anderen mit Gesten und Zischen klar zu machen, dass sie kommen sollten, aber die Zauderhaften weigerten sich. Sie hatten zu viel Angst, dass ihnen dabei doch etwas geschehen könnte oder anschließend der Rückweg hier entlang versperrt wäre, wussten wir doch das die Echsengestalt nur eine temporäre Erscheinung war. Da ich aber auch nicht alleine dort weitergehen wollte, es war ja nicht abzusehen welche Gefahren dort noch lauern mochten, musste ich mich wohl oder übel fügen und wieder mit zurückgehen in den Kuppelraum, wo schließlich auch meine Verwandlung endete. Das war diesmal deutlich kürzer als beim letzten Mal! Interessant, man konnte also von einer variablen Temporalkomponente ausgehen und keiner starren Fixierung. Leider machte so eine Unberechenbarkeit das Objekt natürlich im Falle eines gezielten Einsatzes auch potentiell gefährlich!

 

 

 

Damit blieb uns nur noch der mittlere Gang, den wir auf Grund der Statue als Weg der Zauberer oder Priester interpretierten, zumindest anhand von Kopfbedeckung und langem Gewand die das Wesen trug. Was uns hier wohl erwarten mochte? Azina erklärte sich wieder bereit voraus zu spähen und wir folgten ihr mit einigem Abstand. Die ersten 25 Schritt waren kein Problem. Dann wurde es seltsam, denn im Gang lagen haufenweise tote Ratten herum und Azina flogen dutzendweise Geschosse entgegen die an eine Art Nesseln erinnerten, während vom Ende des Ganges ein pulsierendes Licht zu sehen war. Hastig zog sich Azina, die einen schmerzhaft brennenden Treffer abbekommen hatte, zurück. Gut, zumindest wussten wir jetzt was die toten Ratten verursachte. Aber wie sollten wir dort unbeschadet weiterkommen? Da wären die anderen beiden Gänge deutlich angenehmer gewesen aus meiner Sicht. Einen Schild hinter dem wir uns hätten verstecken können hatten wir nicht, Türen die man ausgehängt so hätte nehmen können hatte diese Ruine keine. Wir mussten einige Augenblicke überlegen, bis uns eine Lösung einfiel. Die Schildkrötenpanzer! Nutzten nicht sogar manche Dschungelstämme die Panzer von Schildkröten als eine Art Kriegsschilde, wie ich wusste? Natürlich. Ansgar und Azina schleppten einen der großen Panzer heran und ja, die Form passte. Allerdings musste erst einmal das Innenleben heraus, denn mit diesem Ballast würde es fast unmöglich sein den Panzer vor sich her zu tragen. Die nun folgende Sauerei die Azina anrichtete als sie das was von der aufrecht gehenden Schildkröte noch übrig war ausweidete würde ich bei meiner nächsten Erzählung daheim wohl aus Rücksicht vor Mutter und Schwester weglassen müssten. Sie war danach blutverschmiert und hatte mehr etwas von einem Metzger als einer Heilerin. Zum Teil bis zur Schulter verschwand ihr Arm mit dem Messer in den Öffnungen des Panzers um dann mit Fleisch, Gedärmen und anderen Ekligkeiten wieder heraus zu kommen. Der Gestank war atemraubend. Aber am Ende hatten wir einen tragbaren Schild-Panzer, den Ansgar in die Hand gedrückt bekam. Wofür hatten wir denn Muskeln dabei, wenn wir sie nicht nutzen würden. Hinein ging es in den Gang mit den toten Ratten, wo umgehend der Beschuss wieder einsetzte. Wir duckten uns hinter dem Schild zusammen und kamen dabei erstaunlich gut voran. Am Ende des Ganges fand sich die Ursache des Problems. Ein Teil des dort befindlichen Raums war mit Wasser gefüllt das sich einmal quer hindurch zog. Der einzige andere Ausgang befand sich auf der rechten Seite und knickte dort nach rechts ab. Ein kurzes Stück würden wir also auch hier durchs Wasser müssen, das aber nicht allzu tief aussah. Das müsste sogar Junasia schaffen. In dem Wasser wabbelte und pulsierte eine riesige Qualle, die mit ihren Tentakeln die Nesseln auf uns schleuderte. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und wohl auch kaum einer meiner Begleiter. Wir waren perplex. Wie sollten wir daran nur vorbei kommen ohne wie von den Salven einer Hornisse gespickt zu werden? Was ich natürlich wusste war, dass solche Weichtiere recht allergisch auf das Auftragen von Salz reagierten. Wir hatten das im Studium mit Schnecken, Seegurken, Quallen und ähnlichen Tieren probiert. Mangels einer echten, schützenden Haut verschrumpelten solche Wesen, weil das Salz ihnen das Wasser aus dem Körper sog. Und Azina, die nebenbei bemerkt noch die ungeahnte Qualität einer ganz passablen Köchin hatte, besaß sogar einen Beutel mit Salz. Wir lösten den Verschluss und ließen Ansgar, der auf Grund seiner Übung mit Wurfäxten der einzige von uns war der wohl einigermaßen Zielen konnte, den Beutel auf die Qualle schleudern. Was ich kaum zu hoffen wagte geschah. Der tölpelhafte Thorwaler traf! Allerdings war die Reaktion eine ganz andere als ich erhofft hatte. Statt einzuschrumpeln und elendiglich zu verenden oder sich zumindest zurück zu ziehen begann das Vieh auszudünsten und einen üblen Qualm zu verbreiten. Was war das? Wir zogen uns hustend und keuchend zurück um den Dunstkreis zu entkommen. Aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraus musste eine andere Idee her. Wovor konnte ein solches Wesen vielleicht noch Angst haben oder verletzt werden? Feuer lag da natürlich nahe, aber würde es helfen? Einzig der Versuch würde uns wohl klug machen. Azina hatte für ihre Abblendlaterne noch Öl dabei und auch ich besaß noch eine Flasche, die wir zusammen banden und mit einer Lunte aus Verbandszeug versahen. Wieder rückten wir vor und ich hieß den Thorwaler sein Glück zu versuchen. Wurf! Treffer! Auch wenn er dabei einen schmerzhaften Treffer durch eine Nessel einstecken musste. Meine Treu, die Dinger hatten die Durchschlagskraft einer Armbrust! Das brennende Öl breitete sich über die Qualle und auf der Wasseroberfläche aus. Ein unmenschliches Kreischen ertönte, das wohl von dem seltsamen Wesen kommen musste. Dafür trat es jetzt wirklich den Rückzug an, verließ den flammenden Bereich und floh ins hinterste Eck des Wasserbeckens. Ob das wohl reichen würde damit wir um die Ecke huschen konnten? Wie auf ein stummes Kommando stürmten wir los, Azina voran, ich hinterher. Wir sprangen, klatschten ins brusttiefe Wasser und wateten so schnell wir konnten weiter. Autsch! Was sollte das nun wieder? Um uns herum begann das Wasser zu kochen, wurde heißer und heißer und verbrühte uns die Körper. Wir hasteten weiter und erreichten mit zusammengebissenen Zähnen die andere Seite wo wir uns regelrecht auf das Trockene warfen. Kaum hatte ich Zeit durchzuschnaufen und einen klaren Gedanken zu fassen, schoss es mir auch schon wie ein Blitz durch den Kopf. Natürlich! Ein Dämon! Wie hatte ich das übersehen können, wo es doch so nahe lag. Das letzte Mal hatten sie versucht uns mit einem Ulchuchu zu stoppen. Nun setzten sie, was naheliegend war, einen weiteren Dämon aus der Charyptoroth-Klasse ein, einen Scylaphotai. Das kochende Wasser war das Puzzelstück, das mir zu dieser Erkenntnis gefehlt hatte, handelte es sich doch dabei um so etwas wie sein Markenzeichen. Man konnte so hervorragend Meerengen, Häfen, aber eben auch kleinere Gewässer mit diesen Dämonen verteidigen, quasi wie eine halbstationäre Bastion im Wasser. Blieb man von ihnen weg, wurde man vom Beschuss zermürbt. Näherte man sich ihnen wurden Schwimmer gekocht und selbst kleinere Boote konnte das maximal aufgeheizte Wasser wohl in Brand setzen. So zumindest die Geschichten die ich gelesen hatte, die praktische Erfahrung damit hatte ich bisher noch nicht gemacht – und konnte jetzt auch gerne darauf verzichten, solange das Ding nicht unter meiner Kontrolle stand, was sich aber wohl kaum bewerkstelligen lassen würde, kannte ich doch keinen wahren Namen. Die ganze Zeit bis hierher fragte ich mich, wie es die von uns Verfolgten soweit hatten schaffen können? Kannten sie gar einen anderen, einfacheren Eingang um diesen Wachen auszuweichen? Oder waren das etwa alles ihre für uns aufgestellten Fallen?

 

 

 

Mittlerweile war uns der Rest gefolgt. Wir befanden uns auf einer Art Kreuzung. Wir teilten uns auf uns erkundeten zunächst die Bereiche links und rechts, war der Gang geradeaus doch nur ein perfektes Schussfeld für die Nesseln des Scylaphotai, wir er uns bewies als einer von uns versuchte die Gangseite zu wechseln. Rechts, wo auch ich war, fand sich ein mit Brackwasser gefülltes Becken, das mir aber keine weiteren Erkenntnisse lieferte und außer mit moderigem Brackwasser auch keine Geheimnisse aufzuweisen schien. Auf der anderen Seite fand Azina eine Art Wohnbereich und eine Ebene darunter, die über eine turmartige Treppe zu erreichen war, wohl so etwas wie Gesindequartiere. Hier mussten sich früher die Priester mit ihren Dienern aufgehalten haben. Aber auch hier fand sich nichts bemerkenswertes, da wohl alles seit vielen, vielen Jahren verrottet war. Auf der unteren Ebene trieben sich dutzende Ratten herum, was nun auch deren Herkunft klärte und Azina von weiteren Erkundungen abhielt. Wie aber sollten wir nun den anscheinend recht langen Gang geradeaus weiter kommen, ohne von den Nesseln des Scylaphotai gespickt zu werden? Vielleicht wenn er uns nicht sehen konnte? Wir spannten an einem Seil eine Decke quer über den Eingang und verdeckten so die Sicht. Dann sprang einer der Rosenkavaliere einmal quer über den Gang, was aber nur dazu führte, dass durch die Decke dutzende Nesseln schossen und ihn fast erwischten. Das half nichts. Kein Wunder, Dämonen sehen ja auch nicht im eigentlichen Sinn  sondern haben eine ganz eigene Art der Wahrnehmung. Ich denke, sie erspüren eher unsere Lebenskraft, quasi die Matrix die unsere Körper in dieser Welt bilden. Vielleicht ähnlich wie ein Zauber den ich nicht beherrschte, der sogenannte Exposami Lebenskraft, oder vergleichbar einem universell wirkendem Odem Arcanum? Aber das war reine Spekulation. Einen Versuch war es zumindest wert gewesen. Also griffen wir auf bewährtes und unser letztes Öl zurück. Um nicht noch einmal den Platz wechseln zu müssen und damit Ansgar nicht beim Versuch mit seinen Wurstfingern etwas zu fangen die Flasche zu Bruch gehen würde warf Junasia diesmal selbst – und traf so in etwa. Aber es reichte aus, damit sich die Qualle vor der auflodernden Flammenwand erneut ein wenig zurückzog. Haken schlagend wie die Hasen rannten wir in den Gang der sich vor uns erstreckte hinunter, nur ein kurzes Stück weit verfolgt vom Beschuss des Scylaphotai. Wieder war es die arme Azina, die einen Treffer in den Rücken einstecken musste. Der Gang war lang. Länger als alle anderen bisher. Ich würde sagen so etwa 150 Schritt bis es wieder eine Treppe hinunter ging. Dort hatte sich in einem anscheinend etwas abgesackten Stück erneut Wasser gesammelt, diesmal aber eher eine Pfütze als etwas ernst zu nehmendes und auch ohne unliebsame Überraschungen. Rechter Hand ging ein kleinerer, kurzer Gang ab der in einem Raum mündete und der zusätzlich noch eine Tür aufwies hinter der wir Stimmen hörten. Hatten wir sie gefunden? Unser Lauschen ergab, dass es sich wohl um 3 Männer handeln musste, Donata war also schon einmal nicht dabei. Dafür erkannte ich eine der Stimmen. Alves! Weitergehen und sie hier in unserem Rücken zurück lassen wäre eine dumme Idee gewesen. Und wir waren mehr. Es gab nur eine Lösung, abgesehen davon, dass ich Alves aus ganz persönlichen Gründen den Tot wünschte. Ansgar voran, den ich als Gassenhauer benutzte, stürmte wir den Raum und begannen auf alles was sich bewegte einzudreschen. Das kleine Männchen in der schwarzen Robe war Marwan, wie ich Azinas Reaktion entnahm. Der Dritte wohl einfach ein Schlagetot, der hier mit zur Wache war. Wir machten dank unserer Übermacht kurzen Prozess mit ihnen, hier durfte keiner entkommen. Die Rosenkavaliere kämpften erstaunlich geschickt, mussten aber trotzdem ein paar Treffer einstecken, genau wie Ansgar, aber nach wenigen Augenblicken hatten wir die Schurken niedergestreckt. Und diesmal würden sie tot bleiben, dafür sorgte Azina unter meinen wachsamen Augen noch mit einigen gezielten Stichen und Schnitten. Den Kopf vom Körper zu separieren war ein abschließendes und untrügliches Zeichen, das sich dieser Tote nicht mehr erheben oder irgendwie überleben würde. Ich durchsuchte noch, allerdings nur oberflächlich und in aller Eile da die Erde schon wieder und noch heftiger bebte, die Toten und die Kammer, was einige Münzen, ein paar Fläschchen mit mir noch unbekanntem Inhalt und einige Bögen hochwertiges Papier zu Tage brachte. Ich verstaute alles in meiner Umhängetasche. Darum würde ich mich später kümmern, jetzt gab es dringlicheres. Ich musste weiter!

 

 

 

Das Wasser durch das wir mussten war knapp hüfttief. Die arme Junasia hatte heute wirklich viel zu ertragen. Dahinter fand sich Geröll, aber es war unmöglich zu sagen ob das nun schon länger dort lag oder erst durch die jüngsten Erdstöße herabgekommen war und dann eine weitere turmartig angelegte und nach unten führende Treppe. Wie tief mochten wir uns schon unter dem Sumpf befinden? Auf der anderen Seite war die Bauweise dieser alten Echsen bewundernswert. Ein menschliches Tiefbauwerk wie dieses wäre in so einer Umgebung wohl schon längst voll Wasser gelaufen und komplett versunken. Am Ende der Treppe kamen wir erneut an einen Gang von dessen Ende wir unheimliche Geräusche hörten. Azina schlich wieder vor obwohl sie auch schon einmal besser ausgesehen hatte. Und da waren wir angekommen. Ein titanisches Gewölbe, der Gang in dem ich stand endete auf einem Absatz gut 20 Schritt über dem Grund auf dem man entlanggehend einer weiteren Treppe erreichen konnte. Unten erstreckte sich ein Rondell wie ein Amphitheater. Auf den Boden gezeichnet das Symbol des Namenlosen, der Kreis mit den drei Strahlen. Darin drei Gestalten in purpurnen Roben. Zwei Altäre vervollständigten das schaurige Bild, von denen Röhren zu einer goldenen Schale führten. Und der Kelch den Azina bei ihrer Reise in die Wüste verloren hatte. Schlimmer war allerdings das was auf den Altären lag. Der arme kleine Viktor als lebloses Bündel, von dessen Armen und Beinen dünne Rinnsale Blut in den Kelch flossen und auf dem anderen eine Gestalt die mir Wage bekannt vorkam. Das musste Hagar sein, der Geliebte von Azina. Aber gut sah auch diese ausblutende Gestalt nicht mehr aus. Wir durften keine Zeit mehr verlieren! Der, oder besser das erste was auf uns Aufmerksam wurde war eine flammende Gestalt die sich Azina näherte. Eigentlich war sie ja wirklich gut darin sich zu verbergen, aber das Wesen hatte sie offensichtlich trotzdem gesehen. Es schwebte wie eine lebende Lohe auf sie zu und schleuderte einen Flammenstrahl nach ihr. Der Schmerzensschrei hallte laut durch die Kuppel, während ihre Kleider Feuer fingen. Junasia, die mittlerweile auch nach vorne gegangen war hatte sich daran gemacht das finstere Ritual zu stören. Mit faszinierender Präzision formte sie einen Motoricus Molitich und lies aus der Ferne den Kelch mit Blut schweben und kippte diesen dann um, so dass sich der rote Lebenssaft auf den Boden ergoss. Das zornige Geschrei der unheiligen Gesellen dort unten war für uns alle anderen das Zeichen ebenfalls vorzurücken. Zumindest schien das schlimmste erst einmal verhindert. Als ich auf der Balustrade ankam sah ich noch, wie sich aus den Schatten die im Zeichen des Namenlosen waberten eine Kralle formte und 2 der Geweihten zerfetzte. Das musste ein Teil Maruk-Methais sein, der rechten Hand des Namenlosen. Ich schauderte ob der kalten Macht, die von diesem zornigen Wesen ausging. Während sich die Klaue noch der dritten Geweihten, auf Grund der Schwangerschaft ganz eindeutig Donata, näherte, waberte ein goldener Dunst aus der Schale und schien sie einzuhüllen, ja regelrecht zu schützen. Mit einem zornigen Schrei verflog die Schattenklaue ohne ihr Ziel zu erreichen. Nun musste ich mich erst einmal den naheliegenden Gefahren widmen. Zuerst wob ich einen schnellen Armatrutz, um mich für alle Fälle ein wenig zu schützen. Unterdessen hatte das Feuerwesen nicht nur Azina schwer zugesetzt, sondern auch Junasia mit seinen Flammen traktiert, so dass diese ihre Konzentration verlor und kaum noch in der Lage schien auf den Beinen zu bleiben. Eigentlich konnte sie ja wirklich gut mit allem was feurig war, wie ich mittlerweile wusste. Aber hier hatte sie es mit etwas anderem zu tun, dass sich ihrem Erfahrungsschatz entzog. Im Gegensatz zu meinem eigenen. Nein, kein Elementar war hier zornig auf uns, auch wenn es auf den ersten Blick so wirken mochte. Was hier am Wirken war und offensichtlich als Wächter fungierte war ein Ivash. Etwas Besonderes, das mich wirklich faszinierte. Ein Dämon, ja, aber keiner der sich irgend einer der Domänen der Zwölf Antagonisten der Götter zuordnen ließe, als Feuerdämon eigentlich normal direkt Agrimoth zugeordnet, sondern außerhalb dieser Ordnung stehend ein Diener des Namenlosen, den normal auch nur dessen Geweihte herbei riefen. Das sah man nicht alle Tage! Wäre die Situation nicht so dringlich gewesen, ich hätte das Ganze gerne direkt an Ort und Stelle studiert. So aber musste ich handeln. Der Dämon war fast heran und setzte schon an erneut mit seinen Flammen Verheerung über uns zu bringen. Ich musste Junasia schützen, sie insbesondere würde ich in diesem Gefecht am meisten brauchen! Ich stellte mich direkt hinter sie, wirbelte meinen Stab über dem Kopf und rief „Gardianum Paradei“. Ich spürte, wie sich die schützende Kuppel um uns erhob, keinen Augenblick zu spät. Schon krachte die Flamme des Ivash auf uns nieder und hätte Junasia wohl niedergestreckt, hätte nicht die jetzt blau aufschimmernde Kuppel meines Schutzzaubers den Schaden von ihr ferngehalten. Sie ihrerseits riss die Augen auf und zwei kalte blaue Blitze schossen hervor. Ich vernahm ihre Stimme, verzerrt vor Anstrengung „Kulminatio Kugelblitz“ und die Strahlen vereinigten sich und schlugen knisternd in den Ivash ein. Noch einmal vermochte sie, den Zauber zu wirken, dann  schien sie die Kraft verlassen zu haben. Den Rest unserer Truppe hieß ich, den Dämon mit Wasser zu bekämpfen. Schlauch um Schlauch, Feldflasche für Flasche und Tropfen um Tropfen ergossen sie über das Wesen, das kreischte, dampfte, feurig zurück schlug aber am Ende erlosch und verschwand. Der Weg war frei!

 

 

 

Ich eilte in ungebührlicher hast die Treppe hinunter zu meinem Patenkind, Azina im Schlepptau die nach Hagar sehen wollte. Er lebte noch, den Göttern sei Dank, aber er war schwach vom Blutverlust. Azina gab mir einen ihrer Heiltränke, die ich dem Kleinen einflößte und seine Lebensgeister so neu weckte. Ich wickelte den Fratz in eine Decke und nahm ihn an mich. Um den Rest mochten sich erst einmal meine Begleiter kümmern, ich hatte den ersten Teil dessen was ich wollte. Donata war bewusstlos zusammengebrochen, und das war auch gut so. Das Weib hätte uns ansonsten nur noch mehr Unannehmlichkeiten bereitet. Ich hieß die Rosenkavaliere sie mitzuschleifen bis in den Aufenthaltsraum wo wir schon ihre Mitverschwörer erledigt hatten. Auch Hagar und der Kelch wurden von Azina und Ansgar mitgeschleift. Wobei letzterer es natürlich nicht unterlassen konnte sein Glück an der goldenen Schale zu versuchen. Im besten Fall hätte er sich wohl einen Bruch gehoben, aber es kam natürlich schlimmer als das. Mit einem lauten Knall detonierte etwas als Ansgar das Objekt seiner Gier berührte, schleuderte ihn fort und verletzte ihn nicht unerheblich. Törichter Thorwaler. Aber was hätte ich erwarten sollen. Gold wirkte auf diese Kerle wie Licht auf eine Motte, egal ob sie sich daran verbrannte oder nicht. Im Aufenthaltsraum beschlossen wir, uns erst einmal auszuruhen. Wir mussten nur abwechselnd Wachen um sicher zu gehen, dass Donata auch wirklich ohnmächtig blieb. Und wenn es notwendig war auch einfach mit einem Hieb auf den Kopf um sie zurück ins Traumland zu schicken. Kein Risiko. Diese Frau war mehr als gefährlich, egal in welchem Zustand. Um genau zu sein hatte ich die Ruhe gar nicht so dringend nötig wie der Rest. Körperlich ging es mir noch recht gut, ich hatte nur ein paar Kratzer abbekommen. Und selbst meine Astralmacht war noch lange nicht erschöpft. Um genau zu sein hatte ich mich noch gar nicht so richtig verausgabt sondern ganz bewusst für den Notfall, wäre mein Eingreifen erforderlich geworden, noch meine Reserven zurück gehalten. Wer konnte schon sagen was für hinterhältige Tricks Donata und ihre Gesellen noch vorbereitet haben mochten? Ich wäre jetzt noch mit Leichtigkeit in der Lage gewesen einen Dämon zu rufen, jemandem das Leben zu retten oder was auch immer notwendig gewesen wäre. Und nach einer Nacht Ruhe sah das ganze sogar noch besser aus. Zum Glück, wie sich zeigte. Der kluge Magier baut eben vor!

 

 

 

Zwar war der Rückweg aus den Ruinen nun unversperrt, aber draußen stellte sich die Frage wie wir mit unserem Trupp Halbinvalider, Verstümmelter, einer Ohnmächtigen und einem kleinen Kind von hier fortkommen sollten. Durch den Sumpf hätten wir es kaum geschafft, dazu waren die meisten von uns zu lädiert. Alleine losziehen und Hilfe holen hätte ich vielleicht gekonnt, allein, ich hätte nie aus dem Sumpf heraus gefunden. Für einen Transversalis, der mir als erstes in den Sinn kam, war die Entfernung einfach zu weit. Und einen Dämon der uns hier hätte heraus bringen können kannte ich nicht, abgesehen davon, das Junasia natürlich sofort interveniert hätte. Die Lage war vertrackt. So vertrackt, dass ich zu einem unerwarteten Schritt bereit war – ich bot Junasia an von meiner Kraft zu nehmen, was ich sonst eigentlich nie tat, falls sie dazu in der Lage wäre, einen ihrer Diener herbeizurufen der uns heraustragen könnte. Halb erwartete ich schon, dass sie dieses Angebot ablehnen würde, meine Kraft als unrein einstufend oder irgend so einen Blödsinn. Aber zu meiner Überraschung schien sie selbst so verzweifelt zu sein - oder hatte sie mich schon ein wenig mehr akzeptiert? – dass sie auf dieses Angebot bereitwillig einging. Sie würde versuchen einen Djin der Luft zu rufen der uns der Reihe nach Salma Palustra zurück bringen sollte. Als Donaria stellte Azina ein Seidentuch und Federn zur Verfügung. Ihr Rucksack brachte doch immer wieder die erstaunlichsten Dinge zu Tage. Ich verband meinen Geist mittels Unitatio mit Junasia – ein seltsames Gefühl, ihr mit einem mal so nahe zu sein, wie es nur Magier untereinander sein konnten. Natürlich beherrschten wir beide diesen Cantus, so wie es jeder vernünftige Zauberer tun sollte. Ich spürte, wie ihre tastenden Geisterfinger den Born meiner Macht erkundeten. Sondierend, prüfend, taxierend. Sie schien überrascht ob meiner Machtfülle zu sein. Ich spürte auf der anderen Seite, dass von ihrer Kraft nach dem gestrigen Tag nicht viel geblieben war. Alleine hätte sie dieses Opus nicht vollbringen können. Es war das erste Mal, das ich so innig dabei war wie ein elementares Wesen beschworen wurde. Es war…. Anders. Geordnet. Harmonischer, als wenn ich eine der Wesenheiten des Chaos rief. Williger. Einen Dämon musste man unter seine Macht zwingen. Hier war es mehr wie ein freundlicher Dialog. Diese Wesen waren freiwillig bereit zu helfen, man musste sie nur auf die richtige Art und Weise bitten, so schien es mir. So viel einfacher… fast hätte ich Junasia beneidet. Aber natürlich zeigt sich wahre Macht nur dann, wenn man selbst in der Lage war seinen Willen auch dem störrischsten Dämon aufzuzwingen. Aber auch hier… was für ein Kraftakt! Mit einem Mal war weit über die Hälfte meiner Macht verpufft. Ich stöhnte auf. Als so anstrengend hatte ich es nicht erwartet. Das zumindest war wohl gleich. Am besten arbeitete man dabei einfach im Zirkel um sich die Anstrengung zu teilen, so wie wir jetzt, auch wenn ich den Eindruck hatte, die Hauptlast getragen zu haben. Der Djin der Luft der erschien, war eine wunderschöne Erscheinung aus Wirbeln, durchscheinend und majestätisch. Und er entsprach Junasias lockender Bitte, auch wenn er erst ihre Aussagen prüfte, dass wir gerade Wesenheiten des Chaos von Dere verbannt hatten. Einen nach dem anderen trug er uns nach Salma Palustra, wo ich als zuerst Milch für den kleinen Viktor organisierte. Der Fährmann wartete noch auf uns so wie ich es ihm aufgetragen hatte, und wir verloren keine Zeit und ließen uns sofort hinaus fahren. Noch hatte ich etwas ungemein Wichtiges zu erledigen. Auf dem Weg nach Belhanka hielten wir, noch am Rande des Sumpfes, auf dem Weg an. Die Rosenkavaliere ließ ich wohlweislich als Wachen bei unserer Kutsche zurück, als ich mit Azina und Donata ein wenig Abseits ging. Ich weiß, das was wir taten war grausam. Mancher mochte sagen es wäre unmoralisch, verwerflich, ein Frevel vielleicht. Aber ich und Azina, wir  waren uns einig. Und wenn diese Geschichte jemals enden sollte auch unumgänglich. Manchmal musste man Dinge tun, auf die man später vielleicht nicht einmal stolz sein konnte. Zum Glück war Azina eine so hervorragende Heilerin und ich noch mit ausreichend magischer Kraft ausgestattet um ein solches Unterfangen anzugehen. Wir schnitten der bewusstlosen Donata mein Kind aus dem Leib, brachten es zur Welt wie sonst wohl kaum ein Kind das Licht Deres erblickte. Warum hatte es so enden müssen? Als ich sie kennen lernte hätte ich mich ihr mit Freude freiwillig hingegeben. Und jetzt, da ich das Ergebnis unserer unfreiwilligen Vereinigung in Händen hielt war ich Vater – eines Halbwaisen. Denn direkt nachdem wir sicher waren, dass das Kind wohlauf war schlugen wir Donata den Kopf ab und versenkten ihren Leichnam in den Sümpfen des Sikram. Diese Schlange hatte ihr Gift zum letzten Mal verspritzt. Und, so hofften wir, würde nun weder für uns noch Fabrizio und seine Familie jemals wieder Ungemach bringen. Hier und jetzt endete die Geschichte von La Facia Seconda, beendet von meiner und Azinas Hand. So kam es, dass ich nach einem ansonsten recht unspektakulären Rückweg mit zwei kleinen Schreihälsen statt einem Kind wieder nach Bethana zurückkehrte. Es war vorbei…

 

Dieser Eintrag wurde am 20.01.2019 (23:06) verfasst und 609 mal aufgerufen.
Kommentare:

Hi, toll geschrieben, echt gut zu lesen. Einzig die Stirnbänder bei den Schildkröten haben nicht existiert. Kann Du bald als die Tagebücher des Viktor P. An Ulisses schicken (grins)

Thomas
16
Geschrieben:
24.01.2019 (09:52)
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