06. Peraine 1020 BF
Am Abend finden wir alle uns in der Taverne Am Badehaus ein. Neben Ifrundoch, Pjerow und Ugdan ist auch Natascha hier und Ucurian erwartet uns bereits. An einem Nebentisch kann ich vier Magier, Pfeile des Lichts, ausmachen, die uns ebenfalls freundlich zunicken.
Ucurian eröffnet das Gespräch damit, dass er sich für unser Erscheinen bedankt und erklärt, weshalb er hier ist, weshalb er uns alle auf ein Gespräch eingeladen hat. Er erklärt, dass er nicht hier sei für politische Ränkespiele, vielmehr gehe es ihm darum, hier ein Bollwerk des Glaubens zu errichten um dem Winter zu trotzen, der aus dem Norden kommt. Er erzählt, dass das Orakel der Praioskirche ihnen prophezeit hat, dass es einen dämonischen Winter geben würde. Es hat von den Eisspiralen und dem Theriak gesprochen und laut Hesindekirche würde es wohl nur noch etwa 50 Götterläufe dauern, bis der Winter alles bis Vallusa in seinem eisigen Griff hat. Er weiß, dass Ilonen in Kolkja feststeckt und dass der weiße Mann, der oberste Heilige der Firunkirche, verschwunden ist.
Uns hat er hier zusammengerufen um festzustellen, was notwendig sei, damit wir alle an einem Strang ziehen. Damit wir gemeinsam dieses Bollwerk des Glaubens errichten können.
Das mit dem Theriak und den Eisspiralen hätten wir ihm auch sagen können, das flüstere ich auch Rondrasil zu, allerdings fällt es mir schwer, mich auf das Gespräch zu konzentrieren, zu sehr bin ich noch damit beschäftigt zu verarbeiten, dass ich auf einmal Spektabilität bin. Als ich meinem Mann sage, dass ich das nie gewollt habe, ich wollte nie so viel Verantwortung tragen müssen, meint er, dass Maschdawa sich wohl genau aus diesem Grund für mich entschieden hat. Sollte sie zurückkommen, kann sie sich sicher sein, dass ich ihr diesen Platz nicht streitig machen werde. Sie muss einfach zurückkommen.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, weil Natascha Ucurian fragt, wie es mit der Besetzung des Stadtrats aussähe, woraufhin dieser antwortet, dass er sich aus den politischen Ränkespielen heraushalten werde. Er fährt fort, dass die Stadt ja bereits einen kirchlichen Vertreter habe, der über einen guten Leumund verfüge und schlägt vor, dass Rondrasil als ständiger Vertreter der Kirchen einen Sitz im Rat erhalten solle. Mein Gatte wird bei diesen Worten etwas blass und ich kann sehr gut nachvollziehen, was gerade in ihm vorgeht. Wenngleich ich zugeben muss, dass ich mich gerade beherrschen muss um mir ein schmunzeln zu verkneifen.
Auf die Frage Ucurians, was wir wollen, sind wir alle uns ziemlich einig. Sowohl Natascha, Pjerow als auch ich wollen, dass unsere Familien in Sicherheit aufwachsen können. Ucurian pflichtet uns bei, dass er diese Beweggründe sehr gut nachvollziehen könne, habe er seine Familie selbst doch erst vor kurzem verloren. Seine Frau starb beim Einfall der schwarzen Horden in Warunk und musste dann auch noch von ihm selbst erneut niedergestreckt werden, da sie sich wieder erhoben hatte und sein Sohn starb an der Roten Keuche, als er diesen mit einem Zug Flüchtlingen aus dem lieblichen Feld eskortierte.
Bei der Erwähnung der roten Keuche werde ich hellhörig, habe ich von dieser Krankheit im Vorfeld doch noch nie wirklich etwas gehört. Ucurian erzählt, dass sie bereits weite Teile des Mittelreiches befallen hat und dass es bislang kein Heilmittel dafür gäbe. Für Perainegeweihte verläuft diese Krankheit immer tödlich, während andere Kranke, die es bis nach Festum schaffen, unmittelbar genesen. Die, die die Krankheit überleben, scheinen danach immun dagegen zu sein. Als Symptome beschreibt Ucurian, dass sich die Partie um Mund, Nase und Augen nach und nach scharlachrot verfärben würde und ein wenig an den blutigen Rotz erinnern würde.
Die Tatsache, dass die Leute in Festum genesen, macht mich äußerst stutzig. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, was in Festum bereits geschehen ist. Diesen Verdacht äußere ich laut und offenbar habe ich auch laut gedacht, dass mein Zauber vielleicht helfen könne, weil Ucurian meint, dass er unter anderem deswegen die Pfeile des Lichts dabei habe. Sie sollen meinen Zauber prüfen und, sollte er sich als nützlich erweisen, dafür sorgen, dass er möglichst bald verbreitet würde, um gegen die Krankheit vorzugehen. Ich entgegne ihm, dass ich mir nicht zur Gänze sicher bin, ob mein Zauber bei dieser neuen Krankheit wirklich helfen kann, weil ich die Befürchtung habe, dass sie eine dämonische Komponente aufweisen könnte, aber wenn sich dadurch wenigstens der Verlauf etwas verzögern lässt, damit die Erkrankten nach Festum reisen können, dann wäre ja schon ein wenig geholfen damit.
Aufgrund der Erkenntnis, dass eine neue Krankheit auf Dere wütet, muss mir entgangen sein, dass Ucurian auch vorgeschlagen hat, dass die einzelnen Parteien, um ihre Loyalität zu beweisen, gegenseitig die Bücher der anderen prüfen sollen. Dies fällt mir erst auf, als Natascha und Pjerow sich beide gegen diesen Vorschlag aussprechen und mitteilen, dass sie keinen wirklichen Nutzen in dieser Aktion sehen. Auch Ugdan meldet sich zu Wort, allerdings verfolgt er offenbar gänzlich andere Ziele. Er schlägt doch tatsächlich vor, dass neben der Halle des Lebens noch eine weitere Akademie angebracht wäre, um die Norburger mit kampfkräftigerer Magie zu unterstützen. Dabei beschränkt er sich jedoch nicht auf Kampfmagie, vielmehr schlägt er vor, dass es Magier bräuchte, die hinter die feindlichen Linien gelangen und dort ihren Einfluss geltend machen sollen.
Ich bin mir ziemlich sicher, wen er damit meint und platze damit auch heraus, bevor ich mich selbst zur Räson bringen kann. Auch Natascha fährt Ugdan über den Mund und erklärt, dass es in Norburg seit jeher nur eine Akademie gegeben habe und dass dies auch so bleiben solle, während Pjerow fragt, wie lange denn ein Adept lernen muss, bevor er überhaupt von Nutzen sei. Weiter bietet er Ugdan an, dass dieser gerne eine Akademie in Wosna bauen könne, wenn er wolle. Natascha meint derweil, dass sie von Ucurian verlange, dass er diesem unsinnigen Vorschlag Einhalt geböte, woraufhin dieser antwortet, dass sie von ihm nichts zu verlangen habe. Vielmehr mache er Vorschläge und die Tatsache, dass der Vorschlag mit den Büchern nicht angenommen würde, ließe schon tief blicken. Ich verstehe nicht so ganz, worauf er hinaus will, aber meine Aufmerksamkeit wird bereits wieder von dem nächsten Vorschlag, den er macht, in Beschlag genommen.
Er erzählt, dass er einen Zug tobrischer Flüchtlinge nach Festum begleitet habe und dass sich darunter auch die letzten überlebenden Bannmagier aus Ysilia befänden, deren Akademie dem Erdboden gleich gemacht worden sei. Er schlägt vor, dass ich als Spektabilität darüber entscheiden solle, ob diese hier in Norburg ein neues Zuhause bekommen könnten. Zum einen sind sie ebenfalls aus der weißen Gilde und zum anderen wären sie uns damit sicherlich zu Dank verpflichtet und könnten dafür sorgen, dass die Norburger Adepten etwas wehrhafter wären. Er hätte dafür sogar den Dispens für die Akademie dabei, die uns dazu berechtigen würde, die Nutzung wahrer Namen von Dämonen für Bannzwecke zu erlauben. In Anbetracht der Tatsache, gegen wen wir bislang gekämpft haben, ist dieser Gedanke tatsächlich nicht von der Hand zu weisen, aber ich muss mir das alles erst noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen und am besten mit den anderen Magistern in der Akademie besprechen.
Ifrundoch findet diesen Vorschlag ebenfalls gut, was er auch kund tut und mit einem Mal sind sämtliche Blicke auf mich gerichtet. Eine Situation, die ich nicht wirklich gewohnt bin, aber ich befürchte, dass ich mich daran gewöhnen werde müssen. Aber wenigstens sagt Ucurian, dass ich dies nicht sofort entscheiden müsste und dass er dies eigentlich privat mit mir besprechen wollte. Er entschuldigt sich dafür, dass dies jetzt so öffentlich und plötzlich zur Sprache kam und wendet sich an die anderen mit der Frage, ob diese nicht auch noch ein paar tobrische Flüchtlinge aufnehmen könnten, da Festum aus allen Nähten platzen würde.
Ifrundoch spricht sich dafür aus, dass er gerne ein paar Flüchtlinge bei sich aufnehmen würde, insbesondere Handwerker und Bauern könnte er in Hexenhus sehr gut gebrauchen. Und auch Ugdan meldet sich zu Wort. Er bedankt sich bei Pjerow für das Angebot, meint aber, dass dies jetzt nicht Kern des Themas sei. An mich gewandt fährt er fort, dass er sich auch gerne als Dozent an der Akademie zur Verfügung stellen würde und dass er mitnichten davon gesprochen habe, eine weitere Akademie zu bauen. Wenn nicht Natascha ebenfalls so vehement dagegen argumentiert hätte, hätte ich jetzt glatt an meinem Gedächtnis gezweifelt und gedacht, dass ich vielleicht etwas falsch verstanden habe aber so? Ich vermute, dass Ugdan sich seine Worte einfach so zurechtbiegt, wie er sie gerade benötigt, das machen Beherrschungsmagier doch häufig so, denke ich.
Er erzählt Natascha doch tatsächlich die Geschichte seiner Akademie, die es wohl anfangs schwer hatte, einen geeigneten Standort zu finden. Ich frage mich, worauf er mit dieser Geschichte genau hinaus will, aber ich denke, für zwei Akademien wäre hier einfach kein Platz, wir würden uns gegenseitig die Schüler streitig machen. Aber nun gut, darüber sollte ich mir jetzt wohl noch keine Gedanken machen, andere Dinge sind wichtiger.
Ucurian beschließt, dass vorerst alles gesagt worden sei, was notwendig war und verabschiedet sich von uns allen mit den Worten, dass er sich jetzt zum Gebet zurückziehen werde. Auch Natascha nutzt die Gelegenheit um aufzubrechen und ich schließe mich den beiden an. Ich brauche etwas frische Luft und während ich vor die Tür trete überlege ich, ob ich jetzt noch in die Akademie gehen sollte oder nicht. Es dürfte etwa die neunte Abendstunde haben und schlafen könnte ich jetzt vermutlich eh noch nicht, weshalb ich meinem Mann mitteile, dass ich mich noch ein wenig mit meinem neuen Posten vertraut machen werde.
In Maschdawas Büro angekommen habe ich sofort das Bild vor Augen, wie sie an ihrem Schreibtisch sitzt, ein paar letzte Unterlagen ordnet, bevor sie alles für den Aufbruch am nächsten Tag vorbereitet. Nachdem ich dieses Bild beiseitegeschoben habe, sehe ich mich etwas genauer um. Dies war das Büro von Mendilion und danach von Maschdawa und jetzt ist es also meins. Vorübergehend versteht sich, denn Maschdawa muss einfach zurückkommen, ich bin noch nicht bereit für diese Verantwortung, weiß nicht, ob ich es jemals sein werde.
Alles ist penibel aufgeräumt, sortiert und geordnet. Die Ordner und Unterlagen sind sowohl alphabetisch als auch numerisch geordnet. Dies macht es mir immerhin ein klein wenig einfacher, mich zurechtzufinden. An dem ersten Ordner, den ich aus dem Regal ziehe, hängt noch eine Notiz für mich, in der mir Maschdawa mitteilt, dass sie den Lehrplan für die nächste Woche erstellt hat und dass alles weitere dann an mir hängt. Mir war gar nicht bewusst, dass der Lehrplan jede Woche neu festgelegt worden ist, vielleicht kann man dies ja ein wenig optimieren oder anpassen.
Ich stelle auf alle Fälle fest, was auch immer das für ein Sitzmöbel ist, welches hier steht, wirklich bequem darauf sitzen kann man nicht, aber wenigstens sitzt man aufrecht und bekommt nicht so schnell Rückenschmerzen. Mir fällt auf, dass Maschdawa keinen einzigen persönlichen Gegenstand in ihrem Büro zurückgelassen hat. Ich versuche mich gerade daran zu erinnern, ob überhaupt jemals solche Gegenstände hier drin waren von ihr, aber so sehr ich mich auch bemühe, meine Gedanken kehren immer nur zu jenen letzten Momenten zurück, die wir hatten.
Als ich mir die Übersicht der verbliebenen Schüler und Lehrkräfte ansehe, bemerke ich erst, wie viele der Drittklässler mit in die Schlacht gezogen sein müssen, es sind nur noch vier Scholaren übrig, die demnächst ihren Abschluss bei uns machen. Die erste Klasse ist mit 15 Scholaren etwas besser besetzt und 19 Scholaren in der zweiten Klasse sind auch ein guter Schnitt. Neben den elf Magistern, die hier unterrichten, habe ich auch noch acht Adepten, die ich für diverse Dienste einteilen sollte. Ich sollte mir Notizen machen, damit ich nichts vergesse.
Die erste Änderung, die ich einführen werde in der Akademie, in meiner Akademie (das hört sich immer noch so fremd für mich an) ist die, dass ich einen monatlichen Lehrplan erstellen werde. Die wöchentlichen Stunden kann man so zwar immer noch variieren und anpassen, aber man spart doch eine gewisse Zeit, weil das Grundkonstrukt gleich bleibt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Krieg näher und näher rückt, sollten wir die Schüler vielleicht am Besten in der Selbstverteidigung unterrichten. Es reicht nicht mehr aus, nur die Ausdauer zu stärken und auch wenn wir eine pazifistische Ausrichtung verfolgen, so sollten wir uns dennoch selbst schützen können. Ich denke, wenn die Klassen im Wechsel mit dem Ausdauersport Selbstverteidigungsunterricht bekämen, dann wäre allen damit geholfen. Ich selbst habe ja bereits feststellen müssen, dass die Heiler im Lazarett ein lohnendes Ziel für den Gegner darstellen. Oh ihr Götter, bitte gebt Acht auf Maschdawa und die anderen.
Auch wenn ich das Grundkonstrukt belasse, so hat es dennoch einige Stunden gedauert, bis ich den neuen Tagesablaufplan zu Papier gebracht habe, welchen ich dann noch aushängen sollte, damit alle Bescheid wissen. In Zukunft werden sich der Ausdauersport mit dem Selbstverteidigungskurs abwechseln, ich hoffe, dass Rondrasil letzteren übernimmt, und die Erstklässler werden gemeinsam mit den Drittklässlern trainieren, dann sind diese beiden Klassen genauso stark wie die zweite Klasse. Zu viele Schüler auf einmal wäre einfach zu unübersichtlich.
Nach dem Frühsport, der von sechs bis sieben Uhr stattfinden wird, gibt es ein gemeinsames Frühstück aller Akademiebewohner, auch ich werde daran teilnehmen, bevor von acht bis zwölf Uhr die erste Lerneinheit stattfinden wird. Die beiden ersten Klassen werden von je zwei Adepten zusätzlich betreut, um eine noch individuellere Betreuung zu ermöglichen. Vor dem Mittagessen übernimmt die erste Klasse wie gewohnt Aufgaben in und um die Akademie oder hilft in der Küche. Nach dem Mittagessen folgt die zweite Lerneinheit von zwei Uhr bis sechs Uhr, bevor die erste Klasse erneut ihren Aufgaben nachgehen kann. In dieser Zeit kann die zweite Klasse jeweils ihre Hausaufgaben erledigen.
Das gemeinsame Abendessen wird abgeschlossen von der allgemeinen Lernzeit, bei der die Lehrkörper jeweils eine Hälfte der Zeit beim Lernen unterstützen werden, während sie die andere der beiden Stunden auch einen Selbstverteidigungskurs besuchen werden. Ich befürchte jetzt schon, dass diese Anordnung auf nicht viel Gegenliebe stoßen wird, aber wir haben keine andere Wahl. Nicht, wenn wir überleben wollen.
07. Peraine 1020 BF
Ich bin erst spät im Bett gewesen, hatte zuvor noch einen Abstecher zu Uuhs Oduhn in seinen Keller gemacht, aber er hat sich nicht blicken lassen. Ich hoffe nur, dass er auf Maschdawa und die anderen aufpassen kann.
Bereits früh bin ich wieder in der Akademie und ich sehe, dass die Änderungen, die ich ans schwarze Brett gehängt habe, unterschiedlich aufgenommen werden. Während die Scholaren sich beinahe darüber zu freuen scheinen, dass sie sich in Selbstverteidigung üben dürfen, bekomme ich direkt von zehn der elf Magister eine Beschwerde. Auch die Änderungen des Lehrplanes fassen acht von ihnen nicht so gut auf, sie befürchten, dass dies die Schüler faul und berechnend machen wird, aber ich sehe da weniger ein Problem.
Laut meinem Terminkalender, ich habe tatsächlich einen Terminkalender, der die nächsten Tage auch gut befüllt ist, habe ich heute nicht viel zu tun, aber das kommt mir nur gelegen, schließlich gibt es noch so viele Unterlagen, die ich mir ansehen muss, noch so vieles, über das ich mir einen Überblick verschaffen sollte. Dennoch komme ich nicht zu wirklich viel, da alle paar Minuten erneut ein Magister um ein Gespräch mit mir bittet und seinen Unmut über die Änderungen kund tut. Zwar akzeptieren sie es alle zähneknirschend aber dennoch lassen sie mich genau wissen, dass sie damit nicht einverstanden sind. Manche werfen mir sogar vor, dass ich die Angriffe auf mich, die ich als Argument für diese Änderung vorgebracht habe, selbst zu verantworten hätte, da ich ja auf Abenteuer ausgezogen bin. Dass ich nicht freiwillig gegangen bin, das ignorieren sie gekonnt.
Aber nun gut, wenigstens die Schüler scheinen Spaß zu haben, zumindest sehe ich auf dem Hof bereits die ersten mit ihren blauen Flecken von der ersten Stunde prahlen. Ich sollte alle noch einmal darauf hinweisen, dass ein blauer Fleck nichts ist, mit dem man prahlen sollte und dass sie lieber hoffen sollen, niemals in eine Situation zu kommen, in der sie ihre neuen Kenntnisse anwenden müssen.
Gegen Nachmittag erreicht mich die Nachricht, dass einer der Scholaren von den Bütteln festgenommen worden ist, weil er auf dem Marktplatz beim Klauen erwischt worden sei. Ich sollte wohl morgen mal nach ihm sehen, aber eine Nacht darf er ruhig darüber nachdenken, was er getan hat. Auch eine Anfrage von Ugdan wird mir von einem Boten gebracht, der mich um einen Termin bittet. Übermorgen auf der Stadtratssitzung werde ich einen mit ihm vereinbaren.
Zwei Magister, die gerade an meinem Büro vorbeigehen, reden offenbar extra so, dass ich sie durch die offene Tür hören kann, denn sie spekulieren darüber, dass mein Gatte mich zu diesem gewaltbereiten Individuum gemacht hat, welches ich jetzt wäre. Dies würde sich ja auch dadurch zeigen, dass er den Kurs leiten würde. Ich beiße mir auf die Zunge und erwidere erst einmal nichts weiter, das wäre nur weiteres Wasser auf ihren Mühlen. So lange sie ihrer Arbeit gewissenhaft nachgehen, sollte ich das wohl vorerst tolerieren und ignorieren.
08. Peraine 1020 BF
Heute sehe ich, dass wir noch zwölf Bewerbungen für das nächste Schuljahr haben, die noch auf ihre magische Tauglichkeit hin geprüft werden müssen. Da zwei Magister pro Klasse und Tag ausreichend sind, schicke ich die verbliebenen drei Magister zu den Bewerbern, sie sollen den restlichen Monat damit verbringen, zu prüfen, ob die Kinder magisch sind und ob sie magisch genug sind, um an der Akademie ausgebildet zu werden.
Bevor die Magister sich auf den Weg machen, befrage ich noch alle einzeln zu ihrer Meinung, was die Magier aus Ysilia angeht. Auch hier gehen die Meinungen weit auseinander. Fünf Magister sprechen sich für eine Aufnahme der Bannmagier aus, begrüßen die Unterstützung, die die Akademie dadurch erhalten würde, während drei dagegen sind. Sie befürchten, dass die Akademie mit ihrer Tradition brechen würde als reine Heilakademie und auch, dass die Bannmagier zu lange dämonischen Einflüssen ausgesetzt waren, wohlmöglich selbst Kriegstreiber sind. Die anderen enthalten sich einer konkreten Meinung und sagen, dass man erst einmal prüfen müsste, ob die Ysilier geeignet wären für Norburg.
Auch ich bin der Meinung, dass wir sie aufnehmen sollten, vorausgesetzt sie wollen dies überhaupt und, was noch wichtiger ist, sie identifizieren sich mit den Prinzipien der Halle des Lebens. Denn dies wird nach wie vor eine Akademie sein, die sich der Heilung verschrieben hat.
Laut meinem Kalender habe ich heute auch noch ein Treffen mit der Perainekirche. Auch wenn ich nicht genau weiß, was sie von mir will, so freue ich mich trotzdem, in den Tempel zu gehen, da mir Peraine immer am nächsten war. Die Geweihten versichern mir, dass sie sich auf eine weiterhin äußerst gute Zusammenarbeit mit der Akademie freuen und dass sie die Kooperation wie gehabt beibehalten wollen. Sie bekommen von der Akademie seltene Heilkräuter zur Verfügung gestellt, die Uuhs Oduhn für uns wachsen lässt und im Gegenzug übernehmen sie einen großen finanziellen Teil der Steuern, die wir abführen müssen.
Dies ist mir gestern schon aufgefallen, dass die Akademie die laufenden Kosten nicht aus eigener Kraft decken kann, da einfach zu viele unserer Patienten mittellos sind. Ohne die großzügigen Spenden von anderen, wie eben auch der Perainekirche, wären wir schon längst pleite.
Im Anschluss suche ich Rufenik, so heißt der Scholar, der beim Stehlen erwischt worden ist, in der Garnison auf. Der Junge ist in sich gekehrt und still, offenbar wurde er von den Bütteln ordentlich verprügelt. Aber er gibt den Diebstahl sofort zu, sagt, dass er selbst nicht so genau weiß, warum er das Glas Honig gestohlen hat. Auch wenn der Junge schuldig ist, so ist er doch noch immer ein Mitglied der Akademie und hat vor einem weltlichen Gericht nichts zu suchen. Ich beschließe daher, ihn auszulösen und ihn selbst zu bestrafen. Alles ist besser als dass er gebrandmarkt wird, damit würde er niemals eine vernünftige Anstellung finden.
Zurück in der Akademie erhalte ich auch bei dieser Entscheidung wieder Gegenwind, drei der Magister meinen, dass der Junge so nichts lernen würde, während fünf Magister mir sogar anbieten, das Bußgeld selbst zu übernehmen. Ich vermute, dass ich es niemals allen Recht machen können werde, aber nun gut, ich sollte mich so entscheiden, wie ich es immer getan habe. Ich will anderen Menschen helfen, ich will der Akademie helfen.
Die Zeit vergeht schneller, als mir lieb ist. Wieder ist ein Tag vorbei, an dem ich meinen Mann nur in der Früh kurz gesehen habe, den restlichen Tag war ich in der Akademie oder im Perainetempel und der Garnison. Ob das jetzt immer so sein wird?
09. Peraine 1020 BF
Für heute hat Natascha eine Stadtratssitzung anberaumt und als Spektabilität obliegt es mir, die Interessen der Akademie zu vertreten. Natascha teilt uns mit, dass sie heute folgende Punkte besprechen will. Zum einen die Frage, ob und wenn ja, wie viele tobrische Flüchtlinge Norburg aufnehmen soll. Ucurian wünscht sich diesbezüglich ja, dass es so viele wie möglich sind. Dann steht zur Debatte, ob die Zölle an den Stadttoren zur Sommerzeit gesenkt werden sollen und ob sich ein neuer Außenposten eines Pelzhändlers ansiedeln dürfe. Laut Natascha handelt es sich hier um Wilde, die jedoch mit außergewöhnlichen Stücken handeln würden. Des Weiteren soll entschieden werden, ob die Akademie anstatt dem zehnten Teil für jede Heilung lieber einen pauschalen Steuerbetrag entrichten soll und aufgrund der Tatsache, dass Ifrundoch und Pjerow nicht regelmäßig in Norburg weilen, schlägt Natascha vor, dass wichtige Entscheidungen in Zukunft immer am 15. eines Monats getroffen werden sollen, wenn alle anwesend sind, während sie in den restlichen Wochen vorläufige Entscheidungen treffen könne.
Ugdan, der Tsadan vertritt, wie er sagt und heute mal komplett ohne Katzen anzutreffen ist, spricht sich dafür aus, dass wir Flüchtlinge aufnehmen und auch die Zollsenkung hält er für erstrebenswert, vorausgesetzt die Stadt bleibt dadurch weiterhin liquide, wie er sagt. Gegen die Pelzhändler hat er auch nichts einzuwenden, er wünscht sich lediglich, dass die Pelze erschwinglich für jedermann wären, damit im Winter möglichst wenige frieren müssen. Was die Sitzungen des Stadtrats angeht, schlägt er vor, dass alle Anwesenden die Entscheidungen treffen sollen und einzig wenn Ifrundoch und Pjerow zum 15. des Monats dabei sind und etwas gegen eine getroffene Entscheidung haben, noch einmal nachverhandelt werden soll.
Nachdem Ugdan geendet hat, ergreife ich das Wort. Ich frage in die Runde, ob zufälligerweise jemand weiß, wie viel Platz wir in Norburg für Flüchtlinge haben, schließlich haben wir in dem Krieg einige Verluste hinnehmen müssen und dürften dadurch etwas Platz haben. Auf meine Frage, was für Wilde das sein sollen, antwortet Natascha mir, dass es sich um Fjarninger handeln würde, die vor dem Winter geflohen seien. Dies macht mich zwar skeptisch, aber nun gut, mal sehen, was die anderen davon halten. Natascha sagt, dass sie bereit wäre, für die Fjarninger zu bürgen, regt jedoch an, dass sich Rondrasil als Respektperson um die Aufsicht kümmern solle, was jedoch von Pjerow abgelehnt wird, da sie nicht einfach so die Verantwortung weiterschieben könne, wie er sagt. Wenn sie diese Menschen in die Stadt holt, dann muss sie auch selbst ein Auge auf sie haben.
Was die Senkung der Zölle angeht, damit kenne ich mich nicht gut genug aus, um eine Entscheidung zu fällen, aber ich hoffe, dass der Rat im Sinne Norburgs entscheiden wird.
Auf meine Frage, was für ein Betrag Natascha gedenkt zu erheben, wendet Ugdan ein, dass er gegen eine Pauschalbesteuerung ist, da diese ungerecht den anderen Betrieben in Norburg gegenüber wäre, woraufhin ihm mitgeteilt wird, dass die Akademie gemeinnützige Arbeit leistet und durchaus etwas Unterstützung gebrauchen könnte. Jetzt meldet sich auch Pjerow zu Wort, der ebenfalls fragt, welcher Betrag Natascha vorschweben würde, was in diesem Fall sinnvoller sei.
Er spricht sich ebenfalls für das Aufnehmen von Flüchtlingen aus und ist für die Senkung der Zölle. Auch Rondrasil stimmt für die vorgebrachten Punkte Nataschas, einzig bezüglich der Steuern der Akademie enthält er sich. Bruder Marbotreu von den Marbiden ist gegen das Ansiedeln dieser neuen Pelzhändler, dem Rest stimmt er zu, allerdings fordert er, dass die traumatisierten Flüchtlinge im Marbidenkloster untergebracht werden sollten. Natascha und ihre vier Händler stimmen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, aber dem Rest stimmen sie zu und Wahnfried von Ask enthält sich sowohl bezüglich der Flüchtlinge als auch zum Thema Steuern. Die Ansiedelung dieser neuen Pelzhändler lehnt er vollkommen ab, gegen eine Steuersenkung und eine große Stadtratssitzung am 15. jeden Monats hat er nichts. Er bittet mich auch noch um einen Termin in seiner Akademie und wir einigen uns auf den 14. Peraine.
Bereits kurz nachdem Natascha die Punkte genannt hat, die sie heute besprechen wollte, habe ich einen Boten zur Akademie geschickt, der mir die Finanzbücher bringen sollte, damit ich mir einen Überblick darüber verschaffen kann, welche Ausgaben wir im Moment haben und was die Akademie sich leisten kann. Nachdem ich mir die Ausgaben der letzten zwei Götterläufe angesehen habe, komme ich zu dem Schluss, dass eine Pauschale von 30 Batzen pro Monat machbar wäre, da wir dies im Schnitt regelmäßig bezahlt haben. Im Winter etwas mehr, dafür im Sommer weniger, was ich den anderen Ratsmitgliedern dann auch mitteile.
Ich teile ihnen weiterhin mit, dass, sollte die Pauschale wesentlich höher ausfallen, die Akademie sich dazu gezwungen sieht, ihre magischen Heilungen auf ein Mindestmaß herunter zu regulieren und die Preise anzuheben, um die Kosten halbwegs zu decken, da wir bereits jetzt auf Spenden angewiesen sind. Wahnfried von Ask pflichtet mir bei, dass meine Ausführungen nachvollziehbar seien und dass er sich anbietet, den Differenzbetrag zu den 30 Batzen pro Monat zu übernehmen.
An Bruder Marbotreu gerichtet fahre ich fort, dass die Aufnahme traumatisierter Flüchtlinge doch viel eher denen zusteht, die sich auf diesem Gebiet spezialisiert haben, namentlich wir, woraufhin dieser sich auf einen früheren Beschluss bezieht, dass die Marbiden zukünftig die psychisch Krankenbehandeln dürften und wenn dies nicht mehr der Fall sei, dann müsse die Akademie zukünftig auch die Seelenheilkunde versteuern und mindestens 50 Batzen pro Monat zahlen. Natascha erklärt, dass sie noch nie ein Freund der Marbiden war und dass sie die Kosten auch gerne jeweils zur Hälfte auf die Akademie und die Marbiden legen könne. Weiter erklärt sie, dass es von Vorteil wäre, würden wir zusammenarbeiten und dass sie uns gerne ein neues Grundstück zur Verfügung stellen würde für die psychisch Kranken, da das Gut Nuppenkehmen dafür ja nicht mehr infrage käme.
Als einzige Bedingung knüpft sie daran, dass die Ratsmitglieder, sollten sie Behandlung benötigen, einen warmen Tee bekommen und vorrangig behandelt würden. Den Tee kann ich zusichern, nicht jedoch die vorrangige Behandlung, da die Reihenfolge sich an der Schwere der Krankheit festmacht und nicht an Rang und Namen. Natascha erwidert daraufhin, dass sie nichts anderes von mir erwartet habe.
Da ich mich mit Bruder Marbotreu nicht streiten will, mache ich ihm den Vorschlag, dass wir die Behandlung der Kranken Hand in Hand durchführen sollten, gemeinsam an einem Strang ziehen sollten, schließlich wollen wir beide ja nur, dass es unseren Patienten wieder besser geht. Ich lehne daher auch ab, dass die Akademie alleine die Leitung über das neue Gut haben soll, auch wenn Natascha dies angeraten hat in Anbetracht der Geheimniskrämerei der Marbiden, wie sie sagt.
Im Anschluss wendet sie sich an Ifrundoch, der bislang noch gar nichts gesagt hat und fragt ihn, wie er sich denn entscheiden wird. Weiter sagt sie, dass er doch Grüße an seine neue Haushofmeisterin Hemidane ausrichten solle, woraufhin Wahnfried von Ask aufspringt und ansetzt, etwas zu sagen, bevor er sich dann doch wieder still hinsetzt.
Ifrundoch antwortet daraufhin auf die Frage, die Natascha ihm gestellt hat. Er ist für die Aufnahme von Flüchtlingen, will auch welche in Hexenhus aufnehmen und für eine Senkung der Zölle. Was die Fjarninger angeht, so spricht er sich gegen einen Handelsposten aus, mit einer monatlichen Sitzung wäre er einverstanden. Bezüglich der Pauschalbesteuerung der Akademie sagt er, dass die Akademie immer den Kranken und Schwachen geholfen hat und sicherlich keine Reichtümer anhäufen wolle, seiner Meinung nach sollte sie daher gar keine Steuern zahlen müssen. Ich weiß zwar, dass dies so schnell nicht passieren wird, bedanke mich aber dennoch bei ihm für die Zusprache.
Nachdem geklärt worden ist, dass wir Flüchtlinge aufnehmen werden, bleibt nur noch die Frage, wie viele wir aufnehmen sollten. Rondrasil meint, dass rein theoretisch Platz für 4000 Menschen mehr wäre, da Norburg im Winter bis zu 6000 Menschen beherberge, im Sommer dann aber nur noch 2000, jedoch schlägt er vor, dass man nicht so viele Tobrier aufnehmen sollte und die, die kommen dürfen, in kleineren Gruppen zuziehen sollten. Ich stimme meinem Mann diesbezüglich zu und gebe zu Bedenken, dass das Verhältnis Norburger – Tobrier nicht über 2 zu 1 steigen sollte, da dies zum einen die Norburger verunsichern könnte und zum anderen, es ist unsere Stadt, nach wie vor.
Pjerow wirft die Zahl von 500 Flüchtlingen in den Raum, woraufhin Ugdan meint, dass dies zu wenige seien, dass man vielmehr 1000 Flüchtlingen Raum geben sollte. Davon dann 250, die eine Behandlung von uns benötigen und 750 Gesunde, die unsere Stadt unterstützen können. Er fährt damit fort, dass, sollten wir tatsächlich so viele Tobrier bei uns aufnehmen, diese in unserer Schuld stünden, vielmehr Festum, die wir damit ja entlasten würden, weshalb wir uns vielleicht aussuchen könnten, wer in die Stadt kommen darf und wer nicht. Nehmen wir hingegen weniger auf, bekommen wir vielleicht nicht die Menschen, die wir brauchen.
Hier geht es aber vorrangig nicht darum, wen wir brauchen können oder nicht, vielmehr müssen wir diesen Menschen helfen, egal ob sie uns später nützlich sein können oder nicht. Mir fällt gerade ein, dass ich noch einen Termin mit Ugdan ausmachen sollte und da ich am 13. Peraine noch nichts im Kalender stehen habe, einige ich mich mit ihm darauf, ihn an diesem Tag in der Burg aufzusuchen. Im Anschluss stimmen wir alle darüber ab und es wird entschieden, dass wir ab Ingerimm monatlich 50 Tobrier nach Norburg holen werden, bis wir 500 Flüchtlinge aufgenommen haben. Sollten diese sich gut in die Stadt integrieren, dann kann man immer noch darüber nachdenken, weitere Menschen aufzunehmen, so dies dann noch notwendig ist.
Im Anschluss an die Sitzung, es tat gut, meinen Mann wieder einmal mehr als nur morgens und abends zu sehen, gehe ich zurück zur Akademie, schließlich muss ich noch mit Rufenik sprechen. Ich weise ihn darauf hin, dass er mir die Wahrheit sagen muss, da ich sonst auch magische Schritte einleiten kann, um diese herauszufinden, schließlich gehört er rein rechtlich gesehen während seiner Ausbildung der Akademie.
Bei dem Gespräch finde ich heraus, auch mittels Blick in die Gedanken, dass Rufenik seine Mutter in der Schlacht auf den Vallusianischen Weiden verloren hat und dass er sehr um sie trauert. Diese Trauer versucht er mit Süßigkeiten, die er stiehlt, zu kompensieren, er gibt zu, dass er auch in der Akademie bereits mehrere kleinere Diebstähle begangen hat. In seinen Gedanken habe ich einen Brief gesehen, den er mir dann auch zeigt. Es ist eine Beileidsbekundung von Vito von Persanzig, in der er dem Jungen mitteilt, dass seine Mutter, die Imkerin Jaschwena, in der Schlacht gefallen sei und dass er ihm die Leibschuld erlassen würde. Der Brief wirkt recht lieblos, aber vermutlich musste Vito in diesen Tagen etliche solcher Briefe schreiben. Rufenik hat seine Mutter sehr geliebt, hat sie ihm doch immer Honig gegeben, wenn er mal wieder von den anderen Kindern wegen seiner angeblichen Dämonenkraft gehänselt worden ist. Wann wird das nur aufhören, dass Kinder wegen ihrer magischen Begabung gehänselt werden?
Ich weise den Jungen an, dass er als Strafe für seine Taten den restlichen Peraine über die Nachtbereitschaft ableisten muss. Des Weiteren darf er das Akademiegelände vorerst nur in Begleitung verlassen und muss einen Aufsatz mit mindestens vier Seiten und in Schönschrift geschrieben abliefern, in dem er aufzählt, warum seine Taten schlecht waren. Als weitere Auflage verfüge ich, dass er eine Trauerbewältigungsgruppe aufsuchen muss, die ich ab Ingerimm, wenn die Flüchtlinge kommen, regelmäßig abhalten will und bis dahin soll er sich regelmäßig zur Therapie bei mir einfinden. Ich teile Rufenik auch noch mit, sollte er nicht weiter wissen oder die Trauer ihn übermannen, dass er jederzeit mit mir sprechen könne, denn es tut gut, mit jemandem darüber zu reden, das lindert den Schmerz.
Abends im Bett spreche ich mit Rondrasil darüber, ob er denkt, dass meine Strafe zu milde oder gar zu harsch ausgefallen ist, jedoch meint er, dass sie der Tat angemessen sei. In der Rondrakirche würde man einen Jungen in solch einer Situation bis zum Umfallen strafexerzieren lassen, weshalb das mit dem Bereitschaftsdienst durchaus eine gute Sache sei. Den Zuspruch meines Gattens zu hören ist Balsam für meine Seele.
10. Peraine 1020 BF
Heute habe ich den Termin mit Ucurian, ich bin gespannt, was er von mir will.
11. Peraine 1020 BF
Die Nachtwächter rufen gerade die vierte Morgenstunde aus und soeben ist auch Ucurian wieder gegangen. Der Tag war lang, sehr lang und ich weiß nicht, wie ich das Ganze deuten soll.
Pünktlich auf die Minute kam Ucurian mit seinen vier Pfeilen des Lichts und wir haben lange über meinen neuen Zauber gesprochen, ich habe den Magiern die Thesis zur Sichtung gegeben, während ich mich weiter mit Ucurian unterhalten habe. Er hat mir mitgeteilt, dass Obduktionen in Vinsalt ergeben haben, dass sich das Innere der Erkrankten nach und nach auflösen würde und dass die Vermutung nahe liegt, dass irgendwo im Lieblichen Feld ein Duglum beschworen worden sein könnte. Ich weiß nicht, ob mein Zauber dann überhaupt etwas ausrichten kann, aber wir müssen es wenigstens versuchen.
Ucurian hat mir weiter mitgeteilt, dass er der Akademie einen Dispens für Studien bezüglich Dämonologie erteilen würde, zusätzlich zu dem Erhalt einiger wahrer Namen, die aber vermutlich daran gekoppelt sein dürften, ob die Ysilier Bannmagier hier unterkommen dürfen oder nicht. Ich habe ihn diesbezüglich über meine Entscheidung informiert, dass wir sie auf alle Fälle versorgen werden und prüfen werden, ob sie sich in unserer Akademie integrieren können, dies scheint Ucurian bereits zu reichen. Er bietet mir aber auch an, dass ich Zutritt zu den Bleikammern in Festum erhalten könne, so ich das wolle. Natürlich in Begleitung eines Priesters, aber alleine das Angebot zeigt mir, wie verzweifelt die Praioskirche in Anbetracht der momentan vorherrschenden Situation zu sein scheint.
Nachdem gegen Abend alle Formalitäten den neuen Zauber betreffend geklärt sind, bittet Ucurian mich noch auf ein Gespräch unter vier Augen. Darin teilt er mir mit, dass er, auf Anraten Heliodans, Friedbert erneut untersucht habe und dass er dabei festgestellt habe, dass der Junge nicht magisch sei, dass aber ein Zauber auf ihn gewirkt worden sei und er fragt mich, ob ich wüsste, wer dies dem Jungen angetan haben könnte.
Ich kann und will einen Praiosgeweihten nicht anlügen, also blieb mir nichts anderes übrig als Ucurian alles zu erzählen. Ich habe ihm wirklich alles erzählt, sämtliche Umstände, die ich für wichtig erachtet habe. Die Tatsache, dass Natascha nur weitere Truppen mobilisiert hat, weil wir ihr Friedbert versprochen haben. Die Tatsache, dass dies das Seelenheil Garis erheblich verschlechtert hätte, hätte sie den echten Friedbert bekommen. Den Vorschlag Algundes, einem Waisenjungen mittels Zauber neue Erinnerungen einzupflanzen, so dass er ein gutes Leben haben wird. Alles.
Ucurian hat sich das Ganze schweigend angehört und als ich ihn zaghaft gebeten habe, dies nicht Natascha zu erzählen, weil dies ein großes Chaos nach sich führen würde, meinte er, dass er als Praiosgeweihter nicht lügen dürfe, dass er aber auch die Wahrheit nicht verschweigen dürfe. Es sei denn, das allgemeine Wohlbefinden wäre besser, wenn gewisse Dinge nicht laut gesagt würden. Und in Anbetracht der Tatsache, wie er Natascha einschätzt, hat er tatsächlich zugesagt, nichts zu sagen. Wenngleich er Natascha nicht anlügen kann, wenn sie ihn explizit fragen würde, aber warum sollte sie dies tun? Er fordert im Gegenzug jedoch zum einen, dass Gari Norburg auf Lebzeiten verlässt, das sollte einfach sein, sie wollte sowieso mit den Waisenkindern aus Moorwacht nach Wosna ziehen und zum anderen soll ich, soll die Akademie dafür sorgen, dass das Ansehen der Praioskirche in Norburg etwas steigt. Ich weiß zwar nicht, wie ich das anstellen soll, aber vielleicht hat mein Gatte eine Idee.
Ich sollte nach Hause gehen, er wird sich bestimmt schon Sorgen um mich machen, aber vorher frage ich Robak noch, ob er einen Wachtrunk für mich hat, sonst ist dieser Tag mehr als anstrengend für mich.
Den Göttern sei Dank drückt mir Robak ohne Umschweife einen Wachtrunk in die Hand, bevor er mir euphorisch von seinen weiteren Forschungen bezüglich seines Anti-Verwandlungselixiers berichtet. Er würde gerne wissen, wie es Fredo ginge, da er sich sicher ist, dass dieser noch am Leben sei, dass er ihn spüren könne. Er erzählt, dass der Lykantroph während der Wirkungszeit des Elixiers auf einige Fähigkeiten verzichten würde, dass der Ableiter, wie er den anderen Teil dieser Verbindung nennt, jedoch einige Vorteile genießen würde. Zum Beispiel die schnelle Regeneration, aber auch der unbotmäßige Haarwuchs und die Empfindlichkeit gegenüber Silber. Ein großer Nachteil, den ich in der ganzen Sache sehe ist jener, dass Lykantrophen jetzt noch schwerer zu erkennen sein werden. Ich muss unbedingt meine Variante des Gardianums in Angriff nehmen, die vor Gestaltwandlern schützen soll.
Es ist spät oder früh, je nachdem, wie man es nimmt, ich sollte nach Hause. Ich schleiche mich leise in unser Haus, um meinen Mann nicht zu wecken. Doch diese Vorsicht wäre nicht nötig gewesen, er hat nicht geschlafen, er hat auf mich gewartet. Mir fällt zum ersten Mal auf, dass die Zeit auch vor meinem Mann nicht Halt macht. Er bekommt graue Strähnen in seinem Haar, selbst sein Bart weist einige kleinere graue Stellen auf und um die Augen herum hat er kleine Fältchen bekommen. Mir wird schwer ums Herz, einige dieser Falten sind sicherlich Sorgenfalten, die er meinetwegen bekommen hat.
Während ich mich an ihn schmiege und ihm von dem Gespräch mit Ucurian erzähle, stelle ich den Wachtrunk auf den Nachttisch, er kann ihn jetzt besser gebrauchen als ich, die Scholaren kommen bald zum Training. Danach drückt er mir einen Brief mit einem schwarzen Siegel in die Hand. Teborian hat mir geschrieben. So neugierig ich auch bin, ich habe keine Zeit, den Brief sofort zu lesen, für heute ist das Treffen mit Väterchen Heimeran von der Hesindekirche geplant.
Im Hesindetempel werde ich bereits erwartet. Väterchen Heimeran steht neben einem Tisch, auf dem insgesamt 30 dicke Bücher liegen. Laut seiner Aussage sind dies zum einen die sechs Bücher, die Rondrasil und ich vor einigen Monden bei ihm bestellt hatten und zum anderen die neuen Lehrbücher für die Akademie, die noch von Maschdawa bestellt worden sind. Es handelt sich hierbei um sechs verschiedene Fachbücher, die jeweils in vierfacher Auflage besorgt worden sind. Ich lasse alles in die Akademie in mein Büro schaffen und mache mich auf einen langen Tag gefasst.
Ich muss prüfen, ob alle Abschriften der Bücher die gleichen Inhalte aufweisen und nach Themenschwerpunkten sortieren, damit ich diese Bücher dann entsprechend den Magistern und Lehrstunden zuweisen kann. Ich sollte mir Notizen machen, damit ich nichts vergesse. Vorher werde ich aber noch den Brief Teborians lesen.
Darin gratuliert er mir zu meiner Schwangerschaft und zu meiner Beförderung. Dass er die Schwangerschaft spüren kann, würde mich jetzt nicht wundern, aber wie hat er von meiner Beförderung erfahren? Oder kann er auch das spüren? Er schreibt weiter, dass in Warunk eine goldene Pyramide erbaut worden ist, welche sich komplett mit Blut fluten lassen soll und dass der untote Drache Razzazor, einer von Borbarads Befehlshabern, häufiger darin baden soll.
Von Maraskan schreibt er, dass Helme Haffax, ehemals oberster Befehlshaber dort, übergelaufen sei und dass dort seitdem tagtäglich Menschen abgeschlachtet würden. Auch sollen uralte Legenden dort erwacht sein, Teborian schreibt von einem Schmetterlingsmann, der gezielt den Haffaxschen Templern in den Tiefen des Dschungels auflauern würde und nur die blutleeren und gehäuteten Leichen zurücklassen würde.
Von Aranien berichtet er, dass es zur Hälfte besetzt sei und dass dort gerade eine Magierakademie gebaut würde. Teborian entschuldigt sich in dem Brief auch aufrichtig bei mir, dass er nicht selbst erschienen ist, aber meine Begleitung, damit wird er Kolkja meinen, sei auch für ihn, einen Untoten, einfach zu gefährlich. Allerdings hat Teborian wohl in den letzten Wochen ein angeregtes Gespräch mit Golgarah geführt und wohl auch etliche Treffen mit Wilmaan gehabt, der ihm offenbar immer wieder gezielt aufgelauert habe, vermutlich um ihn anzubeten oder einfach nur in seiner Nähe zu sein.
Teborian berichtet weiter von einer Prophezeiung der Boronkirche, nach der sich die Tränenlose, eine Tochter Borons, zeigen würde, wenn der Bote ausgelöscht sei. Die Tränenlose solle sich dann offenbaren und die Welt wieder in ihre Fugen bringen, aus denen sie so rücksichtslos herausgerissen worden ist. Damit würde sich dann auch für ihn eine Prophezeiung erfüllen, nämlich dass Boron ihm einen letzten Tag schenkt, an dem er das Sonnenlicht nicht fürchten bräuchte und dass er danach direkt in Borons Paradies eingehen und auf ewig vergessen würde.
All diese Informationen überfluten meinen Geist geradezu, ich weiß gar nicht, wie ich sie deuten, mit ihnen umgehen soll, ich denke, ich werde diesen Brief heute Abend meinem Gatten zeigen, vielleicht kann er mir weiterhelfen, aber erst einmal sind die Bücher dran.
Mittlerweile ist es Abend und ich bin noch lange nicht mit der Sichtung der Bücher fertig, weshalb ich einen Boten zu meinem Mann schicke mit einer Nachricht, in der ich ihm mitteile, wie sehr ich ihn liebe und vermisse und mich dafür entschuldige, dass es wieder spät werden wird. Wenn das so weiter geht, dann macht mir dieser Posten noch meine Ehe kaputt. Maschdawa, bitte komm bald zurück.
12. Peraine 1020 BF
Kurz nach Mitternacht konnte ich mich endlich zu meinem Mann ins Bett kuscheln, auch wenn die Nacht, wie so oft, wieder sehr kurz war. Rondrasil liest sich den Brief durch und schweigt eine ziemlich lange Zeit. War es wirklich so lang oder bin ich ungeduldiger geworden? Letztlich erhebt er dann aber doch das Wort und meint, dass sich vorerst bei uns alles um unser Kind drehen sollte. Auch ist er im Moment unschlüssig, ob man tatsächlich einen weiteren Alveraniar hierher holen sollte, gerade wegen Kolkja und seinem Fluch. Er meint auch, dass man wehrloser nicht sein könnte wie Kolkja und fragt, was ich darüber denke, doch auch ich kann ihm nicht wirklich eine klare Antwort geben.
Heute habe ich ausnahmsweise nicht ganz so viel in der Akademie zu tun, da ich bereits eine gewisse Vorarbeit geleistet habe, weshalb ich mich von meinem Mann mit den Worten verabschiede, dass ich heute früh zu Hause sein werde.
Die Bücher sind schnell verteilt und der neue Lehrplan mit den Magistern besprochen, doch als ich mich mittags zum Gehen aufmache, steht Rufenik mit verweintem Gesicht vor meiner Tür und ich bitte ihn herein. Der Junge trauert sehr um seine Mutter, er vermisst sie stark und ich kann gut nachfühlen, wie es ihm gehen muss, auch ich vermisse meinen Vater jeden Tag, jede Stunde. Ich vermisse auch die vielen Freunde, die gefallen sind. Gerade weil wir alle Verluste hinnehmen mussten, weiß ich, wie wichtig es ist, dass ich dem Jungen zuhöre, weshalb ich die gesamte Mittagspause mit ihm im Büro sitze und mich mit ihm unterhalte.
Nachdem er dann wieder im Unterricht ist, beschließe ich, noch zu Uuhs Oduhn zu gehen, die Stille und Friedlichkeit dort unten tat mir schon immer gut. Auf meine Frage, ob ich ihm etwas Gutes tun könnte, schweigt er vehement, weshalb ich mich gegen vier Uhr nachmittags dann aufmache und meinen Gatten im Rondratempel aufsuche. Ich werde ihm heute nicht mehr von der Seite weichen und jede Sekunde seiner Anwesenheit in mir aufnehmen, wer weiß, wie oft ich diese Gelegenheit noch haben werde. Mir ist aufgefallen, dass mein Bauch langsam aber sicher tatsächlich zu wachsen beginnt. In mir wächst ein neues Leben heran und ich werde alles, aber auch wirklich alles tun, um es zu beschützen.
13. Peraine 1020 BF
Heute ist das Treffen mit Ugdan und gleich nach dem Frühstück begebe ich mich deshalb zur Burg, er kann ja schlecht zu mir in die Akademie kommen. Er fragt mich gleich zu Beginn, ob ich auf eine förmliche Anrede bestehe, was ich verneine. Wir können uns, wie sonst auch, ganz normal anreden, mit Respekt und Höflichkeit.
Auf meine Frage, wie es Kolkja und Tsadan geht, ich habe einfach nicht genug Zeit, um dies im Moment wirklich zu wissen, meint er, dass es Kolkja blendend ginge und Tsadan den Umständen entsprechend. Ich frage mich, was er damit genau meint, seine Gesundheit? Würde Ugdan überhaupt erkennen, wenn Tsadan krank wird? Nun gut, das ist nicht mehr meine Aufgabe.
Ugdan reißt mich aus meinen Gedanken, er teilt mir nämlich mit, dass der Anlass dieses Gesprächs Kolkja sei. Tsadan hat ja verfügt, dass wir beide uns um ihn kümmern sollen und immer mindestens einer von uns auf ihn aufpassen soll. Jetzt ist es so, dass er nach der nächsten Stadtratssitzung ein Ritual durchführen will, welches ihn etwa einen Mond lang in Anspruch nimmt, weshalb er mich darum bittet, in dieser Zeit auf Kolkja aufzupassen. Ich hoffe nur, dass es sich lediglich um eine große Meditation handelt und nicht um ein schwarzmagisches Ritual oder dergleichen.
Auf meinen Einwand, dass ich im Moment viel zu tun hätte und nicht garantieren könne, dass er sich davon stiehlt, wenn er sich langweilt, meint er, dass dies schon nicht geschehen werde, vielmehr sagt er, dass Tsadan sicherlich nicht kontrollieren wird, ob ich selbst auf ihn achte oder ob ich das jemandem auftrage.
Ugdan fragt mich weiter, ob ich während der Namenlosen Tage mit ihm nach Jarrlak kommen werde, da er vorhat, den Geist von Meister Firnfrost zu befragen ob der Lage Oblomons und dass er ihn, wenn möglich, erlösen wolle. Ich lasse ihn ausreden, teile ihm dann jedoch mit, dass ich bereits vor einer Woche gegen den Vorschlag war, während der Namenlosen Tage nach Jarrlak zu reisen und dass ich zum einen nicht glaube, dass ich als Spektabilität so lange der Akademie fernbleiben sollte und zum anderen werde ich wohl schon nicht mehr ganz so gut zu Fuß sein, schließlich ist es bis dahin noch gut zehn Wochen hin.
Ich frage Ugdan, warum er mich dabei haben wolle und auch, ob er mich vielleicht vielmehr indirekt fragt, ob ich hier bleibe und auf Kolkja aufpasse, denn wer weiß, was passiert, wenn er in Jarrlak ist, wenn dieser Geist auftaucht. Daraufhin erwidert Ugdan, dass er nicht darauf bestünde, dass ich mitkomme, dass es jedoch auch für mich interessant sein sollte, herauszufinden, wie wir Oblomon finden können. Entweder wird der Geist ihm diese Fragen beantworten, er ist sich dabei sicher, dass er ihm mehr als nur eine Frage beantworten wird oder aber, wenn Kolkja mitkommen und den Geist sammeln würde, würde er sich als Geist mit ihm unterhalten können und so an die Informationen rankommen.
Ugdan fragt daraufhin Kolkja, wie das denn so sei mit Geistern, die schon etliche Götterläufe tot wären, woraufhin dieser antwortet, dass er sie sammeln würde, wenn sie da seien. Er sagt weiter, dass die im Keller gerade nicht da wären und dass in dem falschen Dorf niemand gewesen sei. Auf meine Frage, was er mit gerade nicht da meint, antwortet er mir, dass die beiden Dämonenbälger wiederkehren würden, das sei nur eine Frage der Zeit. Diese Antwort beunruhigt mich sehr, jedoch muss ich erst noch in Erfahrung bringen, welches Dorf Kolkja meint.
Nach einigen Fragen finde ich heraus, dass er Jarrlak meint und dass er wohl schon vier oder fünfmal dort gewesen ist, um den Geist zu sammeln, dass dieser jedoch nie da gewesen ist. Er kann sich jedoch nicht mehr daran erinnern, weshalb er so häufig dort gewesen ist und warum er diesen Geist so unbedingt haben möchte.
Ugdan fasst unser Gespräch abschließend zusammen und überlegt, welche Variante die bessere für ihn wäre. Die, dass er den Geist persönlich befragt oder die, dass er Kolkja erst den Geist sammeln lässt und ihn dann befragt. Er fährt damit fort, dass er mir mitteilt, dass er es begrüßen würde, wenn Rondrasil ihn auf dieser Reise begleiten würde, da etwas göttlicher Beistand sicherlich nicht schaden könnte und endet damit, dass ihn die Sache mit dem Keller ebenfalls beunruhigt und bittet mich, ob sich die Bannmagier, wenn sie da sind, der Sache annehmen könnten, was ich gerne an sie weitergeben werde.
Es ist Mittagszeit, als das Gespräch mit Ugdan beendet ist und ich beschließe, mit Rondrasil zu Mittag zu essen, der ist sicherlich im Tempel mit meiner Mutter, die wieder vorzüglich und hoffentlich viel zu viel gekocht hat. Als ich eintrete, höre ich, wie Rondrasil und Mama gerade miteinander spaßen, jedoch verstummt das Gespräch sofort, als sie mich bemerken und während Rondrasil sich vor den Tisch schiebt, mir die Sicht darauf versperrt, bittet Mama mich, noch ein paar Eier aus der Kammer zu holen. Offenbar komme ich gerade etwas ungelegen, weshalb ich mich daran mache, die Eier zu holen und bei meiner Rückkehr möglichst auffällig und hörbar einzutreten.
Während dem Mittagessen erzähle ich Rondrasil von meinem Gespräch mit Ugdan und auch von dessen Bitte, ihn zu begleiten. Ich bin sehr erleichtert zu hören, dass auch mein Gatte dieser Idee wenig abgewinnen kann. Auch er traut einem Geist nicht, der sich nur an den Namenlosen Tagen zeigt und der bereits zu Lebzeiten nicht der war, der er vorgegeben hat zu sein. Er hält auch nichts davon, Kolkja mit weiteren Seelen zu füttern, wir wissen alle, welche Auswirkungen das beim letzten Mal hatte, als er zu viele Seelen in sich aufgenommen hatte und wer weiß, was für eine Art Seele das dieses Mal ist.
Rondrasil schlägt vor, dass wir mit Golgarah reden sollten, schließlich ist sie die Fachfrau für solche Angelegenheiten. Ich frage mich, wie es ihr geht, sie wird vermutlich immer noch vor Vallusa sein und die vielen Toten beerdigen. Ich sollte ihr mal einen Brief schreiben. Aber nicht jetzt. Jetzt gibt es wichtigere Dinge. Ich sage Rondrasil, wie erleichtert ich bin, dass er nicht gehen wird und dass ich mir schönere Dinge vorstellen könnte, als während dieser Tage in Jarrlak zu sein. Ich sage ihm aber auch, dass ich ihn begleiten würde, würde er sich dazu entschließen, Ugdan doch zu begleiten, schließlich muss ja irgendjemand auf ihn aufpassen.
Als ich ihn frech angrinse und sage, dass ich den restlichen Tag frei habe, antwortet mir mein Mann mit einem verschmitzten Lächeln, dass die vielen Gläubigen, dabei deutet er auf die leere Gebetshalle des Rondratempels, heute wohl ohne ihren Geweihten auskommen müssten, da dieser ein wenig Zeit mit seiner Frau verbringen will, da dies im Moment ein sehr rares Gut geworden ist. Wie Recht er damit doch hat. Kichernd nehme ich ihn an der Hand und wir lassen Mama in der Küche zurück.
14. Peraine 1020 BF
Heute steht das Treffen mit Wahnfried von Ask an, ich frage mich, was er von mir will.
Auch er ist auf die Minute pünktlich in meinem Büro, ähnlich wie Ucurian, und er kommt gleich zur Sache. Er sagt mir, dass er ursprünglich nur wegen einem Anliegen hierhergekommen sei, dass dieses jedoch seit der Stadtratssitzung und der Information, die er dort bekommen hat, um ein weiteres Anliegen gesteigert worden sei.
Sein erstes Anliegen betrifft einen Jungen, den er in seinem Gefolge hat. Er erzählt mir, dass ein früherer Knappe von ihm vor knapp zehn Götterläufen offenbar einer seiner Leibeigenen Gewalt zugefügt hat und dass aus dieser Tat ein Junge hervorgegangen sei, welcher an den Namenlosen Tagen das Licht der Welt erblickt hat. Er versichert mir, dass er diesen Knappen angemessen bestraft hat, nachdem die Tat bekannt geworden ist und dass er ihn davongejagt hat. Er erzählt weiter, dass die Mutter des Jungen, sein Name ist Bishdarius, bei seiner Geburt gestorben ist und dass seine Leibeigenen den Jungen am Liebsten aufknüpfen wollen.
Auf meinen fragenden Blick erklärt er mir, dass der Junge kleinwüchsig und verwachsen sei und feuerrotes Haar besäße. Er habe den Beinamen Goblin von seinen Leibeigenen bekommen und wäre wohl schon etliche Male gelyncht worden, wenn etwa die Kühe eine Totgeburt zur Welt gebracht haben oder die Ernte schlecht ausfiel, weil die Bevölkerung ihn dafür verantwortlich gemacht hat. Einzig der Schutz Wahnfrieds hat dem Jungen bislang das Leben gerettet. Ich hätte ihn, ehrlich gesagt, gar nicht so gutherzig eingeschätzt, aber offenbar ist Wahnfried zwar hart, aber doch sehr gerecht.
Wahnfried fährt fort, dass der Junge vermutlich magische Fähigkeiten besäße, weil er Licht in seiner Hand entstehen lassen könne und bittet mich darum, ihn an unserer Akademie zu einem Magier ausbilden zu lassen. Er bittet mich weiter darum, dass, sollte die magische Fähigkeit nicht zu einem Magier reichen, wir ihn zu einem Schreiberling oder dergleichen ausbilden lassen sollen. Hauptsache er kann der Akademie nützlich sein. Wahnfried würde für sämtliche Kosten, die anfallen, aufkommen, so lange nur sichergestellt ist, dass der Junge nicht mehr nach Ask zurück muss, wo er um sein Leben fürchten muss.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie sich der Junge fühlen muss, ich wurde schließlich in meiner Kindheit auch zur Genüge gehänselt. Deswegen erkläre ich mich natürlich gerne dazu bereit, den Jungen persönlich auf seine Fähigkeiten zu überprüfen. Je mehr Schüler wir ausbilden, umso mehr Leben können wir in Zukunft retten.
Nachdem Wahnfried meine Entscheidung diesbezüglich gehört hat, lässt er einen Boten nach Bishdarius schicken, denn diesen hat er gleich mit nach Norburg gebracht, da er ihn niemals ruhigen Gewissens alleine in Ask lassen könnte. Während der Bote unterwegs ist, erklärt mir Wahnfried sein zweites Anliegen.
Es geht dabei um Hemidane, die ja jetzt die neue Haushofmeisterin bei Ifrundoch ist. Er erklärt mir, dass er sehr wohl um den Ruf des Barbarenbronnjaren als Schürzenjäger wisse und dass er Hemidane diesbezüglich nicht ausreichend vorbereitet hat. Er scheint sich ernsthaft um sie zu sorgen, denn er fragt mich, was es ihn kosten würde, wenn er einen Leibmagier für den Bronnjaren bezahlen würde, der zusätzlich noch ein Auge auf Hemidane haben kann, quasi als Anstandsmagier fungieren soll. Noch bevor ich ihm auf diese Frage überhaupt eine adäquate Antwort geben kann, schlägt er bereits vor, dass er monatlich 40 Batzen bezahlen würde, wenn ich einen geeigneten Kandidaten mit einem Empfehlungsschreiben nach Hexenhus schicken würde.
Ich sage Wahnfried zu, dass ich mich nach einem geeigneten Kandidaten umsehen werde und kaum habe ich geendet, klopft es bereits an der Türe und ein kleiner Junge mit karottenrotem Haar, einem Buckel und einem viel zu großen Kopf verbeugt sich vor mir, so formvollendet wie es sein schiefer Körper zulässt und stellt sich mir als Bishdarius vor. Ich teile Wahnfried mit, dass mich die Prüfung etwas Zeit in Anspruch nehmen wird und dass ich ihm umgehend einen Boten zukommen lasse, wenn ich damit fertig bin. Er verabschiedet sich von mir und teilt mir mit, dass er in Norburg bleiben wird, bis beide Angelegenheiten geklärt worden sind.
Auf meine Bitte hin versucht Bishdarius Licht in seiner Hand entstehen zu lassen, jedoch will es ihm nicht gelingen. Aus Nervosität, wie ich vermute. Mir fällt jedoch auf, dass bei seinem dritten Versuch, bei dem er schon etwas wütend aber auch verzweifelt wirkt, die Bilder anfangen zu wackeln. Ich beruhige den Jungen und sage ihm, dass ich noch mittels Zauber prüfen werde, wie weit seine magischen Fähigkeiten ausgereift sind und tatsächlich stelle ich fest, dass der Junge sämtliche Voraussetzungen erfüllt, die es braucht, um ein fähiger Norburger Heilmagier zu werden. Bishdarius nimmt dies erfreut zur Kenntnis und bittet mich darum, es Wahnfried selbst mitteilen zu dürfen, er würde danach umgehend zurückkehren in die Akademie.
Ich lasse ihn laufen und nutze die Mittagspause, die gerade begonnen hat, damit, mit den Adepten zu sprechen, die für die Aufgabe in Hexenhus infrage kommen könnten. Dabei tut sich Adepta minora Tione Mischwiz sehr deutlich hervor. Sie ist gebürtige Norburgerin, intelligent, fleißig, man könnte beinahe sagen karriereorientiert und besitzt eine nüchterne, rasche Auffassungsgabe der verschiedensten Situationen. In den Unterlagen Maschdawas ist zu lesen, dass sie zu Studienzeiten den Beinamen Petze hatte, da sie Verfehlungen stets an die Obrigkeit gemeldet hat. Dies hat sie zwar unbeliebt bei den anderen gemacht, sie hat jedoch immer ihren Standpunkt vertreten und sich nicht beirren lassen. Außerdem hat sie ein eher unscheinbares Äußeres, eine relativ schmale, kleine Figur, die aschgrauen Haare streng zurückgebunden, das könnte hilfreich sein.
Nachdem ich mich versichert habe, dass Tione diesen Auftrag annehmen wird, ich habe ihr zuvor verschwiegen, wie viel sie verdienen wird, um zu verhindern, dass jemand den Auftrag nur des Geldes wegen annimmt, vereinbare ich mit ihr, dass sie nächsten Monat nach Hexenhus reisen wird. Ich schicke einen Boten zu Wahnfried, der ihn über diese Entscheidung in Kenntnis setzen soll und dieser kommt mit einer Antwort zurück, dass sich um das Finanzielle gekümmert würde und dass er es begrüßen würde, wenn Bishdarius bereits jetzt in der Akademie wohnen könne. Dies lässt sich bewerkstelligen, wir haben ausreichend Platz im Moment.
18. Peraine 1020 BF
Jeden Tag kamen bislang Bürger Norburgs in die Akademie. Die einen beschweren sich bei mir darüber, dass sie nicht adäquat genug behandelt worden seien und ich finde auf Nachfrage heraus, dass sie eben nur profan und nicht magisch behandelt worden sind, weil eben keine Notwendigkeit für eine magische Heilung bestanden hat, während die anderen sich überschwänglich für die gute Versorgung bedanken.
Ich nutze die wenige Zeit, die ich im Büro habe, damit, dass ich mich in die Verwaltung der Akademie, in die Buchhaltung einlese und lasse mich dabei von einem Magister unterstützen, der sich damit etwas besser auskennt. Wie sehr sehne ich mich zurück zu den Anfängen meiner Arbeit im Gut. Ich sehne die endlosen Nachtdienste herbei, das ständige geweckt werden, weil Rik wieder einmal sämtliche Brennholzvorräte verbraucht hat. Diese Zeiten waren anstrengend, aber ich war sorglos. Zumindest sorgloser als jetzt.
Rufenik wurde erneut beim Klauen erwischt. Dieses Mal hat er die Norbarden bestohlen und es ist der Muhme Elra zu verdanken, dass die Büttel davon nichts erfahren haben. Was soll ich nur mit dem Jungen machen, er scheint einfach nicht zu lernen, dass er dies nicht tun darf. Ich werde dem Jungen eine intensivere Therapie verordnen müssen. Zweimal die Woche vorerst, das kann so nicht weitergehen.
19. Peraine
Bishdarius hilft so gut es geht in der Akademie mit. Er sammelt die dreckigen Teller ein, bringt sie zum Spülen in die Küche und macht sich nützlich, wo er nur kann. Allerdings fällt mir auf, dass der Junge ein wenig vom Pech verfolgt zu sein scheint. Mal wird die Küchentüre gerade aufgestoßen, während er einen Stapel Teller hineinbringen will, mal rangeln hinter ihm zwei Scholaren und schubsen ihn um. Ständig gehen Dinge zu Bruch, so sehr er sich auch bemüht, aufzupassen.
Ich sollte heute Abend einmal mit Rondrasil darüber sprechen, ob er eine Idee hat, woran das liegen könnte. Aber vorher werde ich Robak wieder einmal besuchen, wenn ich schon etwas Zeit zur Verfügung habe, dann sollte ich diese auch nutzen.
Robak ist weiterhin sehr vergnügt und teilt mir mit, dass er ohne eine zwangsläufige Verwandlung war und er ist sich auch nach wie vor sicher, dass er Fredo spüren kann, dass es ihm gut gehen würde, er nur eben gerade verschollen sei. Seine Ruhe hätte ich gerne. Aber nun gut, wenn er das sagt, dann wird das schon stimmen, hoffentlich. Mir fällt ein, dass ich ja mit dem neuen Labor auch wieder anfangen könnte, Tränke zu brauen, meine Vorräte gehen langsam aber sicher zur Neige. Vielleicht sollte ich mir mittels Ritual eine Alchemieschale erstellen, damit diese mich dabei unterstützen kann, denn Wasser von Noumiza habe ich jetzt nicht mehr zur Verfügung.
Ich frage mich, wie es Funkenhuf geht, ich sollte ihn mal suchen, ihn besuchen. Aber nicht mehr heute, es ist schon wieder spät geworden, ich habe mich mit Robak verschwatzt. Ich neige in letzter Zeit viel zu sehr dazu, Dinge zu vergessen und muss mir einfach alles notieren, damit ich daran denke.
Bei Rondrasil angekommen frage ich ihn, was er dazu sagt, dass Bishdarius so viel Pech zu haben scheint und er antwortet mir, dass Kinder, die während der Namenlosen Tage auf die Welt gekommen sind, tatsächlich meist ihr Leben lang vom Pech verfolgt zu sein scheinen und dass sie deswegen auch gerne als Unglücksbringer bezeichnet werden. Ich schätze, wir werden einfach lernen müssen, damit umzugehen, dass dem Jungen ab und an ein Unglück passiert und ich kann nur hoffen, dass ein göttergefälliges und gutes Verhalten dem Ganzen vielleicht irgendwann ein wenig entgegenwirken kann.
23. Peraine 1020 BF
Ich konnte Funkenhuf nirgendwo finden. Entweder versteckt er sich vor mir, vor uns allen oder er ist weitergezogen. Ich könnte es ihm nicht verdenken, schließlich ist ein Einhorn kein Stadtbewohner und gerade nachdem dieser Alchimist hier nach ihm gesucht hat. Der Alchimist, ich bete zu den Göttern, dass er Funkenhuf nicht erwischt hat. Funkenhuf ist klug, er wird sich bestimmt nach einer neuen Heimat umgesehen haben, wo er sich ansiedeln kann. Aber ich werde ihn dennoch vermissen. Zumindest dann, wenn ich gerade etwas freie Zeit habe, in der ich an ihn denken kann. Die Akademie hält mich durchaus gut auf Trab.
Aber es ist schön zu wissen, dass Bishdarius hier nicht in Gefahr ist. Ich habe ihn, die Scholaren und auch die Magister beobachtet und konnte keinerlei Aberglaube oder Misstrauen erkennen. Ich denke, so lange auch nur ein Magister noch etwas Energie besitzt, wird Bishdarius hier in Sicherheit sein.
02. Ingerimm 1020 BF
Die drei Magister, die ich geschickt hatte, um die Bewerber für das nächste Schuljahr zu prüfen, sind heute endlich wieder zurück zur Akademie gekommen. Insgesamt sechs der zwölf Kinder sind in der Tat magisch genug, dass sie an unserer Akademie zu einem fähigen Heilmagier ausgebildet werden können. Damit wird die erste Klasse nächstes Jahr aus vierzehn Schülern bestehen. Die sieben, die bereits vor meiner Tätigkeit als Spektabilität geprüft und für fähig befunden worden sind, Bishdarius und die neuen Kinder. Nicht gerade die größte unserer Klassen, aber dennoch eine ausreichende Zahl, denke ich.
03. Ingerimm 1020 BF
Mein Mann hat mir erzählt, dass Ugdan in der Früh bei ihm gewesen ist. Aber nicht nur bei ihm, er hat wohl sämtliche Geweihten, die im Moment in Norburg ansässig sind, in die Burg geholt, um den Keller und die komplette Burg einsegnen zu lassen. Auf meinen irritierten Blick erklärt er mir, dass Ugdan wohl des Nächtens die beiden Dämonenbälger bei Tsadan vorgefunden habe. Diese hätten ihn zwar bemerkt und das sogar, obwohl er Tsadan als Geist aufgesucht hat, und seien verschwunden, aber Ugdan erklärt sich den schlechten Gesundheitszustand des Grafen mit der Anwesenheit dieser Kreaturen.
Tsadan geht es schlecht und niemand holt einen Heilmagier? Das ist typisch für Ugdan, hat er gedacht, dass er das alles alleine regeln könnte? Er ist ein Beherrschungsmagier und kein Heilmagier, er sollte lernen, dass man nicht alles im Alleingang regeln kann. Jetzt, wo ich diese Zeilen niederschreibe, fällt mir auf, dass ich früher ähnlich gedacht habe und wohl auch ähnlich gehandelt hätte, es auch mit Sicherheit des Öfteren getan habe. Ich habe einmal gedacht, dass ich jedes Problem im Alleingang lösen könnte und musste erst lernen, dass man sich manchmal Hilfe holen muss und dass man deswegen nicht schwach ist.
Nun gut, wie dem auch sei, Rondrasil erklärt mir, dass er den kompletten Tag mit den anderen Geweihten damit zugebracht hat, die Burg zu segnen und dass laut Ugdan die Bälger auch nicht mehr anwesend seien. Kolkja hatte also Recht damit, dass diese Kreaturen zurückkehren werden. Die Segnung hält jetzt für ein Jahr und einen Tag, bevor sie erneuert werden muss. Bis dahin haben sich hoffentlich ein paar der Bannmagier aus Ysilia dafür entschieden, an unserer Akademie zu unterrichten. Vielleicht haben wir dann eine effektivere Lösung für das Problem, auch wenn ich es so schlecht gar nicht finde, dass die Burg gesegnet ist. Gerade während der Namenlosen Tage dürfte dies sicherlich nicht von Nachteil sein.
05. Ingerimm 1020 BF
So ruhig die letzte Woche gewesen sein mag im Verhältnis, so turbulent sind es die letzten Tage. Zwar habe ich jeden Tag genug zu tun, aber nicht alles brauche ich im Moment niederschreiben. Allerdings ist heute erneut ein Tag, an dem etwas außer der Reihe passiert ist. Rufenik wurde als Patient in der Akademie behandelt. Als man mir davon erzählt, suche ich den Jungen persönlich auf und mache mir ein Bild von seinen Verletzungen.
Er ist über und über mit blauen Flecken übersät und auf meine Frage, was geschehen sei, antwortet er mir, dass er in der Nacht wach geworden sei, weil ihm ein Sack über den Kopf gestülpt worden sei. Danach hat er lediglich gespürt, wie man ihn mehrmals mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen hat. Mir entgeht nicht, dass die Schläge präzise platziert worden sind. Sie werden keine bleibenden Schäden hinterlassen und haben keine lebenswichtigen Organe verletzt, allerdings sind sie außerordentlich schmerzhaft.
Ich weiß, dass Rufenik wegen seiner Klauerei, die leider immer noch nicht besser geworden ist, von den anderen Mitschülern gemieden und geschnitten wird, aber dass die Situation so eskaliert, das hätte ich nicht gedacht. Als ich mit den anderen Schülern spreche, die im gleichen Schlafsaal geschlafen haben, will niemand etwas gesehen haben. Ich weise dennoch alle noch einmal darauf hin, dass wir in der Akademie eine große Familie sind und dass wir zusammenhalten müssen, ganz gleich, welch widrige Umstände uns begegnen mögen.
Ich bezweifle zwar, dass meine Ansprache auch nur etwas gebracht hat, aber so wissen die Scholaren immerhin, dass mir das Ganze nicht egal ist.
14. Ingerimm 1020 BF
Es ist mir gelungen, die alchimistische Schale fertigzustellen. Ich habe mir bewusst etwas mehr Zeit gelassen als eigentlich veranschlagt ist für dieses Ritual, aber die Tatsache, dass ich die Schale mit meinem eigenen Blut auswaschen muss, war dafür verantwortlich, dass ich auf einen Tag gewartet habe, an dem ich mich besonders ausgeruht und fähig gefühlt habe. Rondrasil habe ich von diesem Vorhaben lieber nicht detailliert erzählt, damit er sich keine Sorgen um mich macht. Aber jetzt kann ich dann noch besser Tränke brauen, ich sollte im Rahja probeweise mal zwei, drei Tränke versuchen.
Ich mache mir eine kleine Liste, welche Tränke ich brauen will und schreibe eine Bestellung an Kräutern, die ich dafür brauche, auf. Zuerst sollte ich Uuhs Oduhn fragen, vorher am Besten im Keller nachsehen, ob etwas davon bereits wächst und danach den Rest bei Robak bestellen.
Im Keller grünt und blüht es außerordentlich schön, viel schöner als all die Jahre zuvor, die ich hier unten war. Auf meine Frage, ob etwas Besonderes vorgefallen sei, zeigt sich Uuhs Oduhn seit langem endlich einmal wieder und antwortet mir, dass dies im Angesicht dessen, was kommt, vielleicht der letzte Sommer sein könnte. Diese Antwort stimmt mich traurig, nein, nicht traurig, ich habe Angst. Große Angst sogar. Ich ertappe mich dabei, wie ich meine Hände schützend über meinen Bauch halte. Nicht, dass dies etwas ausrichten könnte, schließlich besteht die Gefahr, die sich uns nähert, aus einem dämonischen Winter. Den werde ich nicht mit meinen Händen abhalten können. Aber dennoch kann ich nicht anders.
Auf meine Frage, ob Uuhs Oduhn mir sagen könnte, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen bekomme, was genau in mir heranwächst, antwortet er vielsagend mit Leben. Das wusste ich auch schon, aber nun gut, dann werde ich mich eben gedulden müssen.
15. Ingerimm 1020 BF
Heute ist wieder große Stadtratssitzung und ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass wir in den nächsten Tagen die ersten tobrischen Flüchtlinge aus Festum erwarten oder ob es einfach allgemein weniger zu besprechen gibt, aber Natascha hat lediglich drei Punkte, die sie für heute durchsprechen will.
Zum einen will sie eine Wehrübung einführen, die für jeden Bürger Norburgs verpflichtend ist und zum anderen will sie auch die Brandschutzübung zur Pflicht erklären lassen. Mindestens einmal pro Mond soll jeder Bürger an beiden Übungen teilgenommen haben. Hat er dies nicht, dann soll er eine Strafe zahlen müssen, damit man sich nicht einfach davor drücken kann. Die Übungen selbst finden natürlich häufiger als nur einmal im Mond statt, so dass jeder die Gelegenheit haben sollte, sich an einem dieser Tage beziehungsweise eben an zwei Tagen etwas Zeit freizuschaufeln.
Da ich für die Akademie ja bereits ähnliche Maßnahmen getroffen habe, spreche ich mich selbstverständlich für eine Wehrübung aus. Wir müssen uns, in Anbetracht der Tatsache, was auf uns zukommt, so gut wie nur irgend möglich vorbereiten. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass eine Strafe, auch wenn sie schmerzhaft ausfallen soll, nicht pauschal festgelegt werden sollte. Vielmehr sollte man sie an das Einkommen des Jeweiligen koppeln.
Dieser Vorschlag findet die allgemeine Zustimmung und Ugdan schlägt vor, dass man einen vollen Monatslohn veranschlagen sollte. Zwar bedeutet diese Regelung auch, dass man etwas mehr Aufwand bei der Berechnung hat, schließlich muss man erst noch das Einkommen bestimmen, aber so kann sichergestellt werden, dass jeder gleich tief in die Tasche greifen muss.
Im Anschluss an die Sitzung übergibt Ugdan mir Kolkja und teilt mir mit, dass er ihn nach der nächsten Sitzung im Rahja wieder übernehmen werde. Ich bin gespannt, wie Kolkja sich in der Akademie benehmen wird.
16. Ingerimm 1020 BF
Kolkja huscht immer wieder durch die Akademie und beobachtet alles und jeden sehr genau. Zu den Mahlzeiten setzt er sich an einen der Tische, an dem außer ihm nur noch Bishdarius und Rufenik sitzen. Rufenik wird von den anderen Scholaren weiterhin gemieden und ich vermute, dass Bishdarius sich zu ihm gesellt hat, um den anderen gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, über ihn zu spotten. Dieses Verhalten erinnert mich an meine Kindheit, an die Zeit vor der Akademie, als ich mich ebenfalls zurückgezogen habe.
Jetzt sitzen da also drei Jungs an diesem Tisch und ich sehe, wie Kolkja Rufenik etwas Süßes zusteckt. Heute ist auch wieder eine Therapiesitzung mit dem Jungen und ich komme zu der Erkenntnis, dass der Junge sehr wohl weiß, dass er nicht stehlen darf. Aber allein der Geschmack von Süßem scheint ihm kurzzeitig über die tiefe Trauer hinwegzuhelfen, unter der er leidet. Er erzählt mir, dass seine Raubzüge ganz und gar nicht aus dem Affekt heraus geschehen, vielmehr plant er sie teilweise äußerst akribisch. Letztens sei es ihm gelungen, drei seiner Mitschüler so gekonnt abzulenken, dass er ihnen Abführmittel in den Tee geben konnte, um an deren Süßigkeiten zu gelangen. Ich muss also intensiv an seiner Trauerbewältigung arbeiten, wenn ich will, dass das Stehlen aufhört.
18. Ingerimm 1020 BF
Heute ist mein 35. Tsatag und jetzt weiß ich auch, was mein Mann damals vor meinen Blicken verbergen wollte, weshalb meine Mutter mich Eier holen geschickt hat. Die Magister haben darauf bestanden, dass ich mir heute frei nehme, die Akademie würde auch mal einen Tag ohne meine Anwesenheit auskommen und außerdem wäre ich ja nicht weit entfernt. Die Akademie selbst grünt und blüht, als gäbe es kein Morgen mehr, selbst Uuhs Oduhn scheint mir eine Art Geschenk machen zu wollen.
Zu Hause überreichen mir meine Mutter und Rondrasil ein Paket, welches liebevoll in ein weiches Tuch eingeschlagen worden ist. In dem Paket ist ein kleiner Hosenanzug, den meine Mutter selbst gestrickt hat und der, wie sie sagt, ihr Enkelkind im Winter schön warm halten wird. Auch ein von Mutter selbstgeschriebenes Kochbuch schenkt sie mir. Ich weiß, dass ich nicht gut kochen kann und ich frage mich, wie ich mit diesen Angaben besser werden soll, dennoch freue ich mich sehr über diese Geste. Ich sollte Mama wirklich öfter beim Kochen helfen, damit ich mit „man neme ayn bischen wasser dazu ayn wenyg mel und füge ayn paar eyer hinzu“ etwas anfangen kann.
Mein Mann schenkt mir einen Schaukelstuhl, den er selbst gebaut hat und den er an meine Größe angepasst hat. Ich sehe mich gedanklich bereits mit unserem Kind darin sitzen. Dieser Stuhl ist großartig und Rondrasil sagt mir, dass dies eigentlich ein Geschenk von meinem Vater sein sollte. Nachdem dieser ihn mir nicht mehr schenken kann, hat er sich die Pläne organsiert, die Maße umgerechnet und den Bau übernommen. Der Gedanke an meinen Vater sorgt dafür, dass ich kurz ein wenig wehmütig werde, ich vermisse ihn so sehr.
Bislang war es mir gelungen, meine Tränen zurückzuhalten, doch als Rondrasil mir sein Geschenk überreicht, kann ich mich nicht mehr halten. Es ist ein schlichter Ring aus Metall, doch ich erkenne ihn sofort als den Ring meines Vaters. Meine Mutter legt ihren Ring dazu und während mir die Tränen die Wangen herunterlaufen, erklärt mir Rondrasil, dass er lange mit meiner Mutter gesprochen habe. Außerdem habe er einen Briefwechsel mit Golgarah geführt und diese habe ihm dann den Ring von Vater zukommen lassen. Meine Mutter gibt uns ihren Segen, dass wir beide, Rondrasil und ich, die Ringe von ihr und Vater in der nächsten Generation tragen dürfen, ja sie besteht beinahe darauf. Die beiden Ringe wurden damals von Papa selbst geschmiedet und auch wenn sie schlicht sind und ihre Ecken und Kanten haben, so sind sie für mich doch die schönsten Ringe auf Dere. Es macht mich glücklich, den Ring meiner Mutter zu tragen, während Rondrasil den von Papa tragen wird. Als wäre es göttliche Fügung passen die Ringe wie angegossen.
Rondrasil erzählt mir weiter, dass er von Golgarah erfahren hat, dass diese dafür gesorgt hat, dass Papas Körper in der Stadt der Toten begraben worden ist, damit sich niemals finstere Mächte seines Körpers bedienen werden. Dies rührt auch meine Mutter zu Tränen und gemeinsam feiern wir meinen Tsatag damit, dass wir an unsere Familie und Freunde denken, dass wir gemeinsam trauern aber uns auch gemeinsam freuen über die, die noch am Leben sind, über das, was wir haben.
20. Ingerimm 1020 BF
Bishdarius, Rufenik und Kolkja haben sich offenbar angefreundet, ich sehe sie quasi ständig zusammen. Also zumindest immer dann, wenn Rufenik keinen Unterricht hat und Bishdarius auch gerade nicht arbeiten muss. Wenn beide keine Zeit haben, dann erwische ich Kolkja sehr oft bei Uuhs Oduhn im Keller. Die beiden unterhalten sich dabei über Kolkjas letzten Besuch bei ihm, damals, als Mendilion noch Spektabilität hier war. Kolkja selbst scheint sich daran nicht mehr erinnern zu können, so gebannt, wie er dem Elementar lauscht.
23. Ingerimm 1020 BF
Als ich in der Früh Kolkja in den Keller bringe, fällt mir sofort auf, dass das Holz der Akademie, das Holz Uuhs Oduhns spröde geworden ist und im Keller selbst sehe ich, wie die Ranken reißen. Es wirkt so, als befände sich das Elementar in einem Todeskampf. Ich bin nicht die Einzige, der das aufgefallen ist, auch andere Scholaren und Magister suchen panisch den Keller auf. Offenbar hat gerade eben die Schlacht an der Trollpforte begonnen und Uuhs Oduhn hilft unseren Kameraden vor Ort. Ich versuche einen möglichst kühlen Kopf zu bewahren und überlege, was jetzt zu tun ist, wir müssen Uuhs Oduhn irgendwie helfen können.
Ich steche mir in den Finger und vergieße etwas von meinem Blut im Keller um zu prüfen, ob dies Uuhs Oduhn Kraft spendet, jedoch kann ich keine Veränderung wahrnehmen. Vielmehr beginnen mehr und mehr Pflanzen zu verwelken, auch mein Blatt, welches ich an der Kette immer bei mir trage, verliert seine grüne Farbe. Noch während ich das Blatt ansehe, bekomme ich eine Vision von der Schlacht. Ich sehe immer wieder Schemen, die ich als Norburger Heilmagier ausmachen kann, die im Lazarett heilen, teilweise sich selbst versorgen und ich höre Maschdawa, die Befehle über den Schlachtlärm hinweg brüllt.
Ohne Unterlass werden Verletzte in die Zelte getragen und viel zu oft stehen diejenigen, die eigentlich tot sein müssten, wieder auf und wenden sich gegen die Magier. Ich kann erkennen, dass die Norburger immer wieder von purer Lebenskraft durchflutet werden, dass sich tödliche Wunden sofort wieder schließen und sie verbissen weitermachen. Dies muss das Werk Uuhs Oduhns sein. Jedoch kann er nicht allen helfen, seine Kräfte schwinden, es bleiben nach und nach auch immer mehr Magier von der Akademie leblos liegen.
Die Gefallenen werden aus den Zelten geschafft um Platz für neue Verletzte zu machen. Vor meinem geistigen Auge erkenne ich verzweifelte Adepten, die nach Überlebenden suchen. Ich sehe groteske Scheußlichkeiten, die über das Schlachtfeld wandeln und ich sehe, dass alles voll ist von den Seelen der Gefallenen. Ich sehe überall diese grünen Lichter, auf die Kolkja so fixiert ist und als ich mich mühsam aus dieser Vision reiße, erkenne ich, dass Kolkja neben mir steht. Seine Augen sind verdreht, sein Mund ist zu einem stummen Schrei aufgerissen und um ihn herum leuchtet es grün.
Ich spreche einen Balsam auf mein Blatt, welches daraufhin tatsächlich wieder zu grünen beginnt und ein weiteres Bild blitzt vor meinem Auge auf. Rajan, der sich, eigentlich hätte er tot sein müssen, gerade aufrappelt und auf eine Leiche vor ihm einprügelt, die sich gerade erheben will. Der Balsam hilft also! Ich rufe einen Scholaren herbei und weise ihn an, dass er alle Scholaren, alle Magister in den Keller rufen muss. Danach soll er Rondrasil holen, denn dieser muss Kolkja hier wegbringen. Er soll auf dem Weg gleich noch sämtliche Astraltränke mitbringen, die Robak entbehren kann.
Ich weise die anderen an, ebenfalls Balsamzauber auf Uuhs Oduhn zu zaubern, wir müssen unsere Kameraden auf dem Schlachtfeld unterstützen, und zaubere selbst ebenfalls mit. Als Rondrasil den Keller betritt, überreicht er mir fünf Astraltränke und wendet sich dann Kolkja zu. Doch als er ihn packt, um ihn aus dem Keller zu zerren, schreit dieser laut „Nein!“ und mein Mann wird, samt seines Kettenhemds und Rondrakamms, durch die Luft geschleudert, bevor er am anderen Ende des Raumes, etwa fünf Schritt entfernt, auf dem Boden liegen bleibt. Als ich zu ihm eile, erkenne ich, dass er eine flache Atmung aufweist, sein Blick ist leer. Körperlich ist er unversehrt, aber er erinnert mich stark an den Zustand Libussas, ich meine Shafirias, als wir sie im Gut behandelt hatten.
Ich laufe auf Kolkja zu und schreie ihn verzweifelt an, befehle ihm, die Seele meines Mannes wieder in seinen Körper zu stecken, doch er nimmt mich einfach nicht wahr. Danach knie ich mich neben Rondrasil, rede auf ihn ein, dass er mich nicht alleine lassen kann, nicht hier, nicht jetzt. Die Luft um Kolkja scheint zu flirren und jeder, der ihm zu nahe kommt, erleidet Schaden. Die Roben reißen auf und auf der Haut erscheinen blutige Buchstaben. Ich weise alle an, Abstand zu Kolkja zu halten, während ich, erschöpft und leer gezaubert, immer noch neben meinem Mann sitze.
Mir fällt auf, dass einige der Scholaren anfangen zu weinen, alle scheinen sie ähnliche Visionen zu haben, wie ich sie zu Beginn hatte. Wer kann es ihnen verdenken, die meisten sind noch Kinder und haben nie etwas Schlimmeres gesehen als ein gebrochenes Bein oder ein aufgeschürftes Knie. Ich schreie alle an, die Magister, die Scholaren, sie müssen sich jetzt zusammenreißen, sie müssen weiterzaubern, unseren Freunden auf dem Schlachtfeld helfen.
Während ich Befehle brülle, ich sehe mich gerade selbst aus einer anderen Perspektive, es erinnert mich an die Vision vorhin, an Maschdawa, die ebenfalls ihre Magier angetrieben hat, höre ich, dass Rondrasil kurz aus seiner Lethargie erwacht. Er sagt "Wenn diese Akademie nicht auf einem Kraftknoten gebaut worden wäre, würden wir jetzt Zeuge einer arkanen Überladung werden und vermutlich würde die Stadt gleich mit in den Limbus gerissen werden! Wenn ich..." bevor sein Blick wieder leer wird.
Ich weiß nicht, wie lange wir gezaubert haben, wie lange ich neben Rondrasil gekniet und Befehle gebrüllt habe, aber plötzlich fällt das Blatt, welches ich von Uuhs Oduhn bekommen habe, von der Kette herunter. Die Magister und Scholaren brechen dort, wo sie standen, zusammen und ganz zaghaft beginnt im Keller wieder etwas zu wachsen. Auch Kolkja scheint seine Umgebung wieder Stück für Stück wahrzunehmen und Rondrasil sieht mich mit seinen klaren Augen an, fixiert mich. Er ist wieder da. Ich erkenne, dass Uuhs Oduhn die Verbindung zum Schlachtfeld getrennt haben muss und als ich nach draußen trete, erkenne ich, dass es bereits später Abend ist.
Nachdem ich mich vergewissert habe, dass es meinem Mann gut geht, weise ich ihn an, im Keller zu bleiben, bis ich ihn holen komme und auch Kolkja soll dort unten warten. Danach beginne ich damit, jeden Magister und jeden Scholaren in sein Bett zu bringen, wir alle müssen uns ausruhen. Ich gebe die Order raus, dass am morgigen Tag niemand arbeiten müsse, ich würde mich selbst um die Schwerstverletzten kümmern, sollten welche unsere Hilfe benötigen. Alle anderen werden einen Tag ohne die Akademie auskommen müssen.
Als ich zurück in den Keller gehe, um meinen Mann und Kolkja zu holen, bemühe ich mich, nicht die Beherrschung zu verlieren, aber ich muss wissen, was und vor allem warum Kolkja getan hat, was er getan hat. Kolkja springt euphorisch im Keller umher und streichelt die kleinen Blumen, die zaghaft sprießen, während er erzählt. Er sagt, dass er sammeln musste, dass sonst „sie“ die Seelen bekommen hätte. Er sagt weiter, dass Herr Efeu, wie er Uuhs Oduhn nennt, ihm dabei geholfen hätte, dass er gesagt hätte, dass es besser sei, wenn er sie bekäme. Kolkja erzählt weiter, dass er durch Uuhs Oduhn direkt mit an die Trollpforte gelangt sei und dass dort mehr Seelen gewesen seien als vor Vallusa. Er wirkt regelrecht klar im Kopf auf mich. Auch, als er erzählt, dass er etwas ganz wichtiges erfahren habe, jedoch lässt er danach die Schultern hängen und meint, dass es ihm schon wieder einfallen werde, wenn es wichtig sei, bevor sein Blick wieder stumpfer wird und die Worte langsamer, zäher über seine Lippen kommen.
Ich weiß, dass ich gar nicht weiter nachfragen brauche, was er erfahren hat. Ich weiß, dass ich darauf keine vernünftige Antwort bekäme. Deshalb bringe ich Kolkja und meinen Mann nach Hause und lege beide ins Bett. Im Anschluss nehme ich den Wachtrunk, den Rondrasil damals nicht genommen hat und gehe zurück in die Akademie. Dort setze ich ein Schreiben auf, welches ich an die Tür hängen werde. Darin erkläre ich, dass am morgigen Tag nur Notfälle versorgt werden können, weil es einen kraftzehrenden Notfall innerhalb der Akademie gegeben habe. Sämtliche Aktivitäten des nächsten Tages in der Akademie fallen aus, alle sollen sich ausruhen.
24. Ingerimm 1020 BF
Dieser Tag wird in die Geschichte der Akademie eingehen als der Tag, an dem sie das erste und hoffentlich einzige Mal geschlossen war. Den Göttern sei Dank ist im Frühling allgemein weniger zu tun, weshalb es mir gelingt, die anfallenden Arbeiten auch alleine auszuführen.
26. Ingerimm 1020 BF
Heute haben wir den Betrieb wieder normal aufnehmen können, nachdem gestern noch nur eingeschränkter Dienst möglich war. Pünktlich kommen heute auch die ersten fünfzig Flüchtlinge aus Festum in Norburg an und werden umgehend zur Akademie gebracht. Es handelt sich hier um 29 Kinder, 11 Alte, 7 arbeitsfähige Tobrier und drei Bannmagier aus Ysilia.
Nachdem die meisten lediglich unterernährt sind und nur einige von Dumpfschädel und Kerkersieche betroffen sind, machen wir uns daran, die Kranken zu behandeln, während die Gesunden auf ihre Unterkünfte verteilt werden sollen. Während der Untersuchung biete ich sämtlichen Flüchtlingen an, dass sie an der einmal in der Woche stattfindenden Trauergruppe teilnehmen können, um mit ihrer Trauer umgehen zu lernen.
Die drei Adepten aus Ysilia bitte ich im Anschluss noch zu einem Gespräch in mein Büro, wo ich ihnen anbiete, dass sie, sofern sie es wollen, gerne in Norburg bleiben dürfen. Zum einen müssen wir in der weißen Gilde schließlich zusammenhalten und zum anderen würden sie sicherlich das Gleiche für uns Norburger machen, hätten wir unsere Akademie verloren. Natürlich muss niemand hier bleiben, der es nicht auch will, das betone ich dennoch noch einmal ausdrücklich.
Auch wenn die Magier einige Verluste und Entbehrungen hinnehmen mussten, so haben sie ihre Manieren dennoch nicht verloren. Zwar wirken sie etwas eingeschüchtert auf mich, aber sie überreichen mir tatsächlich ein kleines Geschenk. Ein Armband aus geflochtenen Gräsern, welches, wie sie mir sagen, beim Zerreißen für kurze Zeit einen Nihilogravo wirken würde. Diese Geste ist außerordentlich großzügig.
Als ich den dreien erläutere, dass ich sie gerne an der Akademie aufnehmen würde, vorausgesetzt, sie wollen dies überhaupt und auch vorausgesetzt, ihre Ideologie passt zu der der Halle des Lebens, sagen diese mir sofort, dass sie gerne bleiben würde. Zum einen wüssten sie nicht, wo sie sonst hin sollten und zum anderen würden sie gerne den Kampf gegen das Widernatürliche gewaltlos fortsetzen. Einen Dispens und die entsprechenden Thesen für Bannzauber hätten sie dabei und sie wären auch bereit, diese Zauber zu lehren.
Ich beschließe, dass ich mit jedem Magier einzeln ein längeres Gespräch führen sollte und dass auch einige der Magister, die sich für die Aufnahme ausgesprochen hatten, mit ihnen sprechen sollten. Zwar habe ich bislang nicht vor, einen zweiten Lehrzweig zu eröffnen, ich möchte nicht, dass sich ein Scholar für oder gegen die Heilung entscheiden muss, aber als Aufbaustudium könnte ich mir durchaus vorstellen, dass man noch diverse Bannzauber lernen kann.
Die Gespräche nehmen den ganzen Tag in Anspruch und so erfahre ich erst Abends, dass den Flüchtlingen, die auf die Unterkünfte in Norburg verteilt worden sind, von den Bütteln sämtliche Wertgegenstände und alles, was sie am Leibe getragen haben, abgenommen worden ist. Ihnen ist nur noch die Kleidung geblieben, die sie gerade getragen haben, mehr nicht.
Erbost darüber mache ich umgehend einen Termin bei Natascha für den nächsten Tag in der Früh aus, dies kann so nicht sein.
27. Ingerimm 1020 BF
Natascha empfängt mich in ihrem Haus und bietet mir einen Tee an. Sie lässt mich ausreden, mich meiner Wut entledigen und hört sich geduldig an, dass dieses Verhalten genau das Gegenteil bewirke von dem, was wir eigentlich bezwecken wollen. Wenn wir den Flüchtlingen sämtliche Gegenstände nehmen, die sie bei sich hätten, würde das weder für Vertrauen sorgen noch wären sie in der Lage, für sich selbst zu sorgen.
Nachdem ich geendet habe, sagt sie mir ruhig, dass sie keinerlei Verfügungsgewalt mehr über die Büttel habe, seit Heliodan damals in Norburg gewesen ist und dass ich mich mit meiner Beschwerde wohl besser an meinen Mann richten sollte, weil die Büttel der Kirche unterstellt sind. Mir wird bewusst, dass ich das schon wieder vergessen hatte, weshalb ich mich bei Natascha entschuldige. Ich bedanke mich bei ihr für ihre Zeit und suche im Anschluss umgehend meinen Mann im Rondratempel auf.
Als ich ihm schildere, was vorgefallen ist und frage, wer diesen schwachsinnigen Befehl ausgegeben haben könnte, antwortet er mir, dass er dies selbst nur zu gerne wüsste und dass er dem nachgehen werde. Ich schließe mich ihm an, immerhin fühle ich mich mitverantwortlich für die Flüchtlinge. Gemeinsam suchen wir die Garnison gleich hier am Tempel auf, da dort die Büttel den verschiedenen Aufgaben zugeteilt werden.
Dort erfahren wir, dass die Südgarnison für die Flüchtlinge zuständig gewesen sei, da diese durch das Südtor gekommen sind. In der Südgarnison angekommen erklärt man uns, dass die Zuständigkeit bei der Ostgarnison läge. Zwar hätte man die Flüchtlinge hier untersucht, jedoch nur auf Waffen. Die Wertgegenstände und Bargeldsummen wurden schriftlich festgehalten, damit man einen Überblick darüber hat, was die Leute mit sich führen. Das Buch mit den Aufzählungen wurde ebenfalls an die Ostgarnison geliefert.
Als wir in der östlichen Garnison ankommen, erklärt man uns, dass hier momentan nur ein Notbetrieb herrschen würde, weil viele aufgrund von flinkem Difar erkrankt seien. Deshalb hätte man einen Läufer zur Nordgarnison geschickt mit den kompletten Unterlagen, damit diese sich darum kümmern können. Diese, laut dem Büttel hier, faulen Säcke hätten ja schließlich nichts weiter zu tun als ein Auge auf Wosna zu haben.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass man uns von A nach B schickt und keiner verantwortlich sein will. In der Nordgarnison wird uns gesagt, dass man den Boten gar nicht empfangen, sondern ihn umgehend zurück zur Ostgarnison geschickt hätte, weil man genug zu tun hätte mit den kriminellen Elementen in der Stadt. Zurück in der Ostgarnison jedoch teilt man uns mit, dass niemand etwas davon wüsste, dass der Bote zurückgekommen sei.
So langsam macht mich die Sache noch wütender als ich es eh schon bin. Niemand will es gewesen sein und keiner scheint uns ernst zu nehmen. Als ich Rondrasil frage, ob er glaubt, ob Pjerow uns vielleicht helfen könnte, schließlich hat er hier einige Leute, die Augen und Ohren offen halten, meint er, dass es nicht schaden könnte, ihn zu fragen. Wir sollten nachsehen, ob er gerade in Norburg weilt. Auf dem Weg dorthin wollen wir noch bei der Unterkunft des Boten nachsehen, dessen Name und Adresse Rondrasil sich hat geben lassen und die auf dem Weg zu Pjerows Tavernen liegt.
Schon von weitem hören wir einen Mann etwas rufen und als wir näher kommen, sehe ich einen Büttel, der auf einem Fass steht und offenbar eine wütende Ansprache vor etwa zwanzig Norburgern hält. Ich kann hören, wie er sich darüber beschwert, dass die tobrischen Flüchtlinge besser gestellt wären als die alteingesessenen Norburger. Dabei hält er einen Sack hoch und sagt, dass er diese Münzen und Schmuck einem einzigen Tobrier abgenommen hätte und beginnt damit, den Inhalt in die Menge zu werfen.
Weiter behauptet er, dass die Norburger Obrigkeit sich einen feuchten Dreck um die Alteingesessenen scheren würde und dass er dies belegen könnte. Seit Jahren würden diverse notwendige Baumaßnahmen verschoben, weil kein Holz da sei und jetzt, wo die Tobrier kommen, wäre sogar genug Holz da, dass man ihnen eigene Wohnungen baut. In der Akademie müsste jeder warten, der nicht lebensgefährlich verletzt sei, während die Tobrier direkt behandelt worden wären. Er behauptet sogar dreist, dass die Magier vor drei Tagen sogar noch geschlossen hätten, um sich mit Häppchen und Wein auf die Flüchtlinge vorzubereiten.
Weiter fährt er fort, dass die Bürger künftig einmal im Monat an den Brandschutz- und Wehrübungen teilnehmen müssten und die Tobrier nicht und dass diese auch keine Strafe zahlen müssten, wenn sie nicht teilnehmen.
Aus der Menge kommen einige Zurufe, die unter anderem aussagen, dass die Tobrier ihrer Heimat ordentlich hätten verteidigen müssen, damit ihnen dieses Unglück nicht geschehen wäre. Auch dass die Tobrier ihnen die Frauen oder Schafe wegnehmen würden, dass sie schlimmer als die Raben seien und alles klauen würden und dass vermutlich mehr als die Hälfte aller Tobrier mit Borbarad unter einer Decke stecken würde.
Noch bevor Rondrasil einen Schritt auf den Büttel zugehen kann, überkommt mich bereits meine unbändige Wut und ich stelle mich vor die Menge und erhebe das Wort. Ich sage dem Büttel, dass er vielleicht den anwesenden Bürgen auch davon erzählen sollte, was er sich alles ausgedacht und erlogen hat, dass dies die Bürger mit Sicherheit auch interessieren würde.
Ich kläre die Anwesenden darüber auf, dass das Geld und die Schmuckstücke hier nicht von einem einzelnen Tobrier sondern von allen fünfzig Flüchtlingen kommt und dass ihm niemand den Befehl erteilt hat, diese armen Menschen, die eh schon alles verloren haben, auch noch auszurauben.
Des Weiteren kläre ich die Menge darüber auf, dass die Obrigkeit sich sehr wohl um das Wohlergehen ihrer Bürger kümmert, sonst hätten wir bei der Sitzung entschieden, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als wir es jetzt tun. Auch über die Vorkommnisse in der Akademie setze ich die Menschen in Kenntnis. Zumindest so weit, dass wir niemals einfach so auf der faulen Haut liegen würden und dass wir bislang noch immer jeden behandelt haben, der unserer Hilfe bedurfte.
Und auch wenn die Tobrier vielleicht nicht dazu verpflichtet sind, an den Übungen teilzunehmen, so bin ich mir sicher, dass sie es gerne freiwillig täten, nur um zu verhindern, dass Norburg das gleiche Schicksal ereilt, wie ihrer Heimat. Schließlich bieten wir ihnen hier die Möglichkeit, sich eine neue Heimat aufzubauen. Ich versuche an die Menschlichkeit zu appellieren, daran, dass wir alle geliebte Menschen verloren haben und dass wir füreinander Verständnis haben sollten, bevor ich den Büttel frage, was ihm das Recht gibt, Lügen zu verbreiten und andere Menschen auszurauben.
Nachdem ich geendet habe, suchen einige der anwesenden Norburger tatsächlich das Weite, während andere offenbar Zweifel an meinen Aussagen hegen und Parolen rufen, wie zum Beispiel „Alles Holz für Norburg.“ Danach zerstreut sich aber auch diese Menge nach und nach und mein Mann übernimmt es, den aufwieglerischen Büttel zur Garnison zu bringen. Dort kann er dann erst einmal die eigenen Zellen testen. Demnächst wird Rondrasil dann noch einen Prozess anstreben, da der Büttel im Grunde genommen desertiert ist.
Während sich mein Mann um den Büttel kümmert, sammle ich die Münzen und Schmuckstücke auf, die noch auf dem Boden liegen, auch wenn mit Sicherheit nicht mehr alles vorhanden ist, um sie später den Flüchtlingen zurückzugeben. Auch die Gesichter derjenigen, die die Parolen gerufen haben, versuche ich mir etwas besser einzuprägen, allerdings bin ich mir unsicher, ob mir das gelingt, so viel wie ich in letzter Zeit immer wieder vergesse.
Auf meine Frage, was wir jetzt am besten machen sollten, antwortet mir Rondrasil, dass es vermutlich tatsächlich das Beste wäre, die Tobrier unter den Schutz eines Patrons zu stellen und dass Pjerow da vermutlich die beste Wahl wäre, da dieser nicht an das Recht gebunden ist, wie er und die Kirchen allgemein es sind. Weiter fragt er mich, wann die Kirchen aufgehört haben, diejenigen zu sein, die die Menschen ansprechen, wenn sie Hilfe brauchen. Die Zeiten haben sich in der Tat mehr als gewandelt.
Gedankenverloren streiche ich mit meinen Händen über meinen Bauch und frage Rondrasil, ob er mich eigentlich zu dick findet, woraufhin er nur antwortet, dass er mich immer schön finden wird, ganz gleich, wie ich aussehe. Eine diplomatische Antwort, das muss ich ihm lassen.
In der Taverne Am Badehaus teilt man mir mit, dass Pjerow gerade nicht in Norburg weilt, dass er jedoch hier durchkommen wird, wenn er nach Hexenhus reist zu Ifrundoch, um dessen Einladung zum Fest der Freuden nachzukommen. Die Einladung. Rondrasil und mich hat Ifrundoch ja ebenfalls eingeladen, das war mir schon wieder ganz entfallen. Dann sollten wir vielleicht, wenigstens für ein paar Tage, ebenfalls nach Hexenhus reisen. Zum einen könnten wir dort mit Pjerow sprechen und zum anderen bin ich ja nicht weit weg, sollte man mich in der Akademie brauchen. Etwas Abwechslung könnte uns beiden gut tun, uns dreien.
01. Rahja 1020 BF
Heute reisen wir nach Hexenhus. Tsadan oder Ugdan scheinen nicht mitzukommen, zumindest kann ich keinerlei Reisevorbereitungen erkennen. Aber so wie ich die Situation einschätze, wird Tsadan weiterhin sein eigenes Süppchen kochen, während Ugdan sein Ritual vollzieht. Dann reisen mein Gatte und ich eben nur mit Kolkja und Mutter nach Hexenhus.
Dort angekommen herrscht bereits reges Treiben auf dem Marktplatz und uns wird von Hemidane, die uns begrüßt, ein Tuch überreicht, auf dem sie, vermutlich in mühevoller Arbeit, das Programm der nächsten Tage gestickt hat. Darauf ist zu lesen, dass heute neben der Ankunft der Gäste diverse Ansprachen des Gastgebers und einiger Gäste geplant ist. Dazu gibt es einen Umtrunk sowie Speis und Trank. Sogar was es zu essen gibt, hat Hemidane auf das Tuch gestickt. Hammel am Spieß.
Für morgen hat sie vormittags Tagesfreizeit geplant, gefolgt von einem gemeinsamen Mittagessen auf dem Marktplatz und nachmittags soll dann ein Gesangs- und Poesiewettbewerb der anwesenden Barden stattfinden. Gefüllte Mastgans soll es morgen geben.
Am 03. Rahja haben wir erneut vormittags frei, so viel Freizeit bin ich von den letzten Wochen gar nicht mehr gewöhnt, gefolgt von einem gemeinsamen Mittagessen, es soll bornländisches Allerley geben. Am Nachmittag wird die Ankunft der Rahjageweihten Imjenska „Rahjafreud“ Borgerski erwartet, die einen Göttinnendienst abhalten wird. Tags drauf soll es vormittags eine Boltanrunde und abends ein Tanzturnier geben, zu dem gespickter Wildschweinrücken in Rotweinsoße gereicht werden soll. Ifrundoch fährt mächtig auf, das muss man ihm lassen. Und was ich so hören kann, dürfen die Leibeigenen abends dann auch mitfeiern, das freut mich besonders.
Für den 05. Rahja ist ganztägig eine Jagd geplant und tags drauf ein großer Göttinnendienst von früh bis spät. Am letzten Tag der Festlichkeiten erfolgt dann noch die Wahl der Hexenhusener Wildrose, für die sich alle, die sich wählen lassen wollen, am Vormittag im Herrenhaus einfinden sollen. Ich bespreche mich kurz mit meinem Mann und gemeinsam beschließen wir, dass wir den Tag der Jagd dazu nutzen werden, zurück nach Norburg zu reisen. Zum einen ist die Jagd momentan nicht wirklich etwas für mich und zum anderen können wir so zu Hause unseren Jahres- und Hesindebundstag gemeinsam begehen. Außerdem dürfte es den anderen hier gut tun, wenn sie nicht die gesamte Zeit durch Kolkjas Anwesenheit von Albträumen geplagt werden.
Apropos Kolkja, als ich mich nach ihm umsehe, entdecke ich ihn in der Nähe des Essens, wo Hemidane auf ihn einredet. Nach ein paar Minuten nimmt er tatsächlich eine Gabel in die Hand und versucht, einen Pfannkuchen möglichst manierlich zu essen. Ich bin immer wieder erstaunt über diese Frau. Als ich mich zurückdrehe, steht bereits die Adepta Tione Mischwitz vor mir und begrüßt mich herzlich. Sie bedankt sich bei mir dafür, dass sie hier sein darf und freut sich, uns zu sehen. Sie erzählt, dass es bislang nichts Gravierendes zu berichten gäbe, vielmehr, dass Ifrundoch hier hochgeschätzt würde und dass niemand über die Stränge geschlagen hätte. Offenbar kursiert über ihn das Gerücht, dass er die Schlacht auf den Vallusianischen Weiden im Alleingang gewonnen hätte, dem schenkt Tione jedoch keinen Glauben, wenngleich sie zugibt, dass in den Legenden, die sich um Ifrundoch ranken, viel Wahres zu stecken scheint. Im Anschluss an ihre Schilderungen reicht sie uns beiden jeweils einen Humpen Bier und meint, dass wir genug geredet hätten, schließlich seien wir ja hier, um das Fest der Freuden zu feiern.
Ich lehne das Bier dankend ab, aber allein beim Gedanken daran wird mir flau im Magen und just als ich den Humpen auf einem Tisch abgestellt habe, kommt auch schon Ifrundoch auf uns zu, begrüßt uns herzlich und fragt, wie es uns ergangen ist in letzter Zeit. Ich will gerade ansetzen, ihm von den letzten Ereignissen zu erzählen, als ich Pjerow entdecke, der mit geschäftiger Mine Bier ausschenkt. Ich rufe ihn zu uns und erkläre den beiden, dass ich diese Information sowieso beiden mitteilen wollte und gleichzeitig ist das weitaus effizienter als einzeln.
Im Anschluss erzähle ich ihnen von dem Büttel, den mein Mann und ich ausfindig machen konnten und auch davon, dass er den Flüchtlingen sämtliche Besitztümer abgenommen hat, dass er die Norburger aufwiegeln will. Als ich geendet habe, frage ich Pjerow, ob er nicht vielleicht etwas für die Flüchtlinge tun könne, woraufhin dieser antwortet, dass er zum einen seine Männer in Norburg die Augen und Ohren offenhalten lasse, vielleicht können diese mit ein paar unnötig besorgten Norburgern und räuberischen Gardisten mal ein Gespräch führen. Weiter will er aber auch verlauten lassen, dass er über sämtliche Flüchtlinge seine Hand halten würde, denn ohne Geld könnten diese sich ja schlecht beim Bierbaron etwas Bier oder eine Unterkunft leisten. Laut Pjerow sollte dies alleine schon dafür sorgen, dass so mancher Hitzkopf zweimal überlegt, was er tut.
Ich will einwenden, dass im ersten Flüchtlingszug hauptsächlich Kinder waren, belasse es dann jedoch dabei, mich bei ihm dafür zu bedanken, dass er sich ebenfalls kümmern will, wer weiß schließlich, woraus der nächste Flüchtlingszug bestehen wird. Pjerow wendet sich im Anschluss Rondrasil zu und fragt ihn, wie ihm sein Bier schmecken würde. Er erzählt, dass er es eigens gebraut habe und dass dies das erste Arghail überhaupt sei. Er sagt, dass er das Bier nach unserem Kampfgefährten benannt habe, der unter der Norburg im Kampf gegen den Laraan gefallen ist. Zwar kennen die Norburger ihn nicht, aber sein Name wird bald in aller Munde sein. Sprichwörtlich. Eine sehr schöne Geste.
Auch meinen Mann scheint sie zu rühren, er spricht einen Trinkspruch auf alle die, die wir verloren haben. Arghail, Thulvje, Bruder Aahren, Brack. Nachdem sich alle zugeprostet haben, verwickelt Tione, die sich wie selbstverständlich zu uns gesellt hat, Pjerow in ein Gespräch, will mehr über Arghail erfahren. Sie scheint sich sehr gut integriert zu haben, das freut mich. Dennoch wird mir der ganze Trubel gerade ein bisschen zu viel, weshalb ich meinem Mann mitteile, dass ich ein wenig spazieren gehen wolle.
Ich gehe an den Rand des Dorfes und atme ein paar Mal tief durch. Hier ist es ruhiger, friedlicher und dennoch zieht es mich weiter weg, in den Wald. Ich gehe ein paar Schritte und achte dabei peinlich genau darauf, nicht in irgendwelche Pilzkreise zu treten, ich will nicht aus Versehen in der Globule dieser Hexe landen. Die würde mich am Ende noch als gefüllten Leckerbissen ansehen. Allein der Gedanke lässt mir einen Schauer über den Rücken rieseln.
Kurz darauf finde ich mich mitten im Wald auf einer Lichtung stehend wieder und während ich noch überlege, aus welcher Richtung ich gekommen bin, spüre ich, dass ich nicht alleine bin. Jedoch ist dies kein unangenehmes Gefühl, vielmehr kommt es mir sehr bekannt vor und als sich aus dem Dickicht ein weißer Kopf schiebt, erkenne ich mit Freuden, dass Funkenhuf vor mir steht. Ich kann es mir nicht nehmen, ihn zu umarmen und er senkt dafür extra seinen Kopf auf meine Höhe, als würde er sich ebenfalls freuen.
Ich muss die Zeit völlig vergessen haben, denn ich werde aus meinen Gedanken gerissen von Rondrasil, der sanft seine Hand auf meine Schulter legt. Neben ihm stehen Ifrundoch und Pjerow und als ich mich umblicke, erkenne ich, dass es bereits dunkel geworden ist. Wie lange habe ich hier neben Funkenhuf gestanden? Als das Einhorn die anderen drei mustert, spüre ich eine Welle der Zuneigung über mich hereinbrechen und ich bin mir sicher, die anderen spüren sie ebenfalls. Neben der Zuneigung spüre ich aber auch eine latente Neugier darüber, was wir hier im Süden machen, weshalb ich beschließe, Funkenhuf zu erzählen, warum wir hier sind. Ich erzähle ihm von dem Fest der Freuden, davon, dass Ifrundoch hier in Hexenhus wohnen würde und ich erzähle auch, dass ich froh bin, dass der Alchemist in Norburg Funkenhuf nicht finden oder gar fangen konnte. Ich erzähle auch, dass wir, mein Mann und ich, in ein paar Tagen bereits wieder abreisen werden und dass auch Pjerow wieder nach Wosna reisen wird, weil er jetzt dort wohnen würde und offenbar muss ich angefangen haben, vom Hölzchen zum Stöckchen zu kommen, denn Ifrundoch meint nach einer Weile, dass es schon sehr spät sei und dass ich auch am nächsten Tag noch mit Funkenhuf reden könne, wir jetzt aber besser mal zurück zum Fest gehen sollten.
Als ich mich umdrehe, erkenne ich ein Lächeln auf dem Gesicht meines Mannes, welches ich erwidere. Ich verspüre eine so unendlich tiefe und innige Liebe zu meinem Mann, der mich hier sicherlich noch die ganze Nacht über hätte reden lassen. Dennoch hat Ifrundoch Recht und ich verabschiede mich von Funkenhuf mit dem Versprechen, dass ich versuchen werde, ihn öfter zu besuchen, auch wenn das im Moment schwierig werden könnte. Zum einen habe ich als Spektabilität nicht mehr ganz so viel Zeit wie vorher und zum anderen wird mir in ein paar Wochen der Weg hier in den Wald auch nicht mehr ganz so leicht fallen. Andererseits, wenn unser Kind dann da ist, dann kann ich es ja vielleicht auch einmal mitnehmen.
Rondrasil nimmt mich in den Arm und schiebt mich sanft Richtung Hexenhus, sonst stünde ich wohl wirklich noch die ganze Nacht hier. Es fällt mir manchmal einfach viel zu schwer, mich auf eine Sache zu fokussieren. Zwar war das schon früher nicht immer leicht für mich, aber im Moment lasse ich mich noch viel leichter ablenken. Aber nun gut, ich muss ja im Moment auch für zwei denken und reden, mein Kind kann das ja schließlich noch nicht. Und ich muss für zwei essen, zumindest mal für einen, mir fällt auf, dass mein Magen knurrt.
Zurück beim Fest und mit vollem Magen blicke ich mich um und frage, was wohl aus Cidris geworden sein mag, den habe ich jetzt schon länger nicht mehr gesehen. Pjerow antwortet daraufhin, dass dieser wohl gerade das täte, was er meistens getan hätte, wenn er in Schwierigkeiten war. Gut, Pjerow hat es etwas unschicklicher formuliert und gemeint, wenn die Scheiße am Dampfen wäre, aber das ist mir dann doch zu vulgär. Jedenfalls meint Pjerow, dass Cidris wohl weggelaufen und untergetaucht sei, anstatt sich denen zu erklären, die eine Ahnung davon hätten, was wirklich passiert sei. Er sagt weiter, dass seine Leute die Augen offenhalten würden nach ihm, unter anderem auch deshalb, damit er nicht an eine Horde rachsüchtiger Maraskaner gerät, aber dass es bislang keine Spur von ihm gäbe.
Hoffentlich geht es ihm gut, genauso wie es hoffentlich auch Fredo gut geht oder Doram. Was aus dem wohl geworden ist? Ich konnte mich nie richtig bei ihm dafür bedanken, dass er das Leben meines Mannes gerettet hat. Wenn der wüsste, dass wir mittlerweile verheiratet sind und ein Kind erwarten, der würde Augen machen. Hat er mich doch immer als prüde Freundin der geilen Haushofmeisterin bezeichnet. Ich muss schmunzeln bei dem Gedanken, werde aber auch traurig, weil ich an Nadira denken muss. Auch wenn wir unsere Meinungsverschiedenheiten hatten, so war sie mir doch eine gute Freundin. Wie es wohl Narena geht? Nach der Schlacht an der Trollpforte hat sie ja ihre Schuldigkeit ihrer Akademie gegenüber getan, meinte sie. Ob sie weiß, dass es Moorwacht nicht mehr gibt? Ich würde zu gerne einen Madas Spiegel auf sie wirken, habe aber Angst davor, dass sie gefallen sein könnte. Wer weiß, was der Zauber dann bewirkt. Ich werde wohl abwarten müssen und hoffen, dass sie zurückkommt. Gemeinsam mit Maschdawa, Bisminka, Rajan und den anderen, die ausgezogen sind. Hoffentlich haben unsere Bemühungen bei Uuhs Oduhn geholfen.
Erneut werde ich von meinem Mann aus meinen Gedanken gerissen, der mir erneut eine Hand sanft auf meine Schulter legt. Offenbar stand ich wohl mehrere Minuten regungslos neben ihm und er hat sich Sorgen gemacht, aber ich versichere ihm, dass alles in Ordnung sei, ich lediglich ein paar Gedanken nachgehangen habe. Es ist spät, wir sollten uns zu Bett begeben, wenigstens werden wir, wenn wir schon nicht gut schlafen können werden, ausschlafen können. Ein bisschen dösen in dem Wissen, dass wir liegen bleiben können, dass wir keine Verpflichtungen haben.
02. Rahja 1020 BF
Nachdem wir tatsächlich etwas länger liegengeblieben sind, beschließe ich, Funkenhuf noch einmal aufzusuchen, wir sind gestern gar nicht fertig gewesen mit erzählen. Also gehe ich wieder in den Wald und auf die Lichtung, auf der ich ihn gestern verlassen habe. Nachdem ich kurz etwas gewartet habe, tritt er wieder aus dem Dickicht und ich spüre, dass er sich freut, mich zu sehen. Ich sage ihm gleich zu Beginn, dass er keine Energie aufwenden müsse, um mir zu antworten, aber dass ich ihm gerne noch so viel erzählen will und fange an, einen Monolog zu halten. Ich erzähle von meiner Schwangerschaft, von der Schlacht an der Trollpforte und der Hilfe Uuhs Oduhns, ich erzähle, dass ich Spektabilität bin und von Bishdarius. Ich erzähle wild durcheinander von allem, was sich in letzter Zeit so ereignet hat und habe das Gefühl, dass mir Funkenhuf sehr geduldig zuhört.
Nachdem ich so sicherlich einige Stunden zugebracht habe, fällt mir auf, dass es an der Zeit ist, zurück nach Hexenhus zu gehen, der Wettbewerb der Barden fängt sicherlich bald an. Ich verabschiede mich von Funkenhuf und trete den Rückweg an. Ich komme genau pünktlich auf dem Marktplatz an, mein Mann winkt mich zu sich herüber, er hat mir einen Stuhl in den vorderen Reihen freigehalten, damit ich eine gute Sicht auf die aufgestellte Bühne habe.
Insgesamt treten fünf verschiedenen Künstler auf. Den Anfang macht Juppo von Hexenhus, ein Leibeigener, der mit deftigen Zoten singt und sich dabei selbst auf einer Fidel begleitet. Danach tritt eine halbelfische Bardin auf, die sich Eimear Mondensang nennt und von sich selbst sagt, dass sie ihre Reisemöglichkeit verschlafen hätte. Sie singt zweistimmig auf Isdira und auch sie begleitet sich auf einer Fidel. Ich frage mich, ob außer mir überhaupt jemand versteht, wovon sie singt. Es klingt wunderschön und sie singt davon, dass sie die Stimme des Windes sei. Die Stimme in den Feldern, wenn der Sommer endet und die Stimme der Blätter, die im Wind umherwirbeln. Die Stimme, die während des Winters niemals schläft und die den Frühling zum Erwachen bringt. Sie schafft es, dass ich mich in ihrem Lied verliere, dass vor meinem geistigen Auge Bilder zum Leben erwachen und ich den Wind sehen kann.
Im Anschluss tritt ein Zwillingspaar auf, beide heißen sie Aurelie. Ob das ein Künstlername ist? Auch sie haben selbstgemachte Lauten dabei und singen eher traurige Melodien, die eng an die Mysterien und Legenden des Bornlands angelehnt sind. Wie lange es wohl dauern wird, bis es Lieder über Ifrundoch gibt? Die Legenden sind hier in Hexenhus ja offenbar schon da. Ein junger, sommersprossiger Mann, der sich uns als Hauk vorstellt, hat zwei Handpuppen dabei, Mendel und Wetzel, die recht vorlaut sind und für eine angenehm gelockerte Unterhaltung sorgen. Alle lachen und auch ich kann für einen Moment vergessen, dass das Bornland in großer Gefahr ist. Ich sollte mir auch ein oder zwei Handpuppen machen oder machen lassen, wenn unser Kind größer ist, das könnte ihm gefallen. Oder ihr?
Zum Schluss tritt noch ein Spielmannszug mit allerlei Blasinstrumenten auf, der sich als die Ouvenmaser Ofenkäser vorstellt. Ich weiß nicht, aber mir gefallen die ruhigeren Einlagen der anderen irgendwie besser.
Während Pjerow für Juppo stimmt und Rondrasil für die Zwillinge stimmt, ich finde, sie ähneln ein wenig Kiminska und Karjeschka, spricht Banja ihre Stimme für Hauk und die Handpuppen aus. Ich habe mein Herz an die Halbelfin verloren und auch Ifrundoch gibt ihr seine Stimme, weshalb sie tatsächlich das Preisgeld von einem Batzen gewinnt und sich sehr darüber zu freuen scheint.
03. Rahja 1020 BF
Den heutigen Vormittag habe ich mit meinem Mann verbracht. Wir haben im Grunde genommen ziemlich viel nichts getan, um es mal so auszudrücken. Wir sind lange im Bett liegen geblieben und haben uns unterhalten. Wir haben versucht, uns unsere Zukunft mit einem Kind vorzustellen. Dabei habe ich mich in die starken Arme meines geliebten Rondrasils gekuschelt, während er meinen Bauch gestreichelt hat. Am liebsten wäre ich heute gar nicht aufgestanden, aber irgendwann muss ich dann doch auch wieder nach Kolkja sehen. Zwar ist er hier keine Sekunde unbeaufsichtigt, alleine schon deswegen nicht, weil Hemidane dafür sorgt, dass er sich anständig benimmt, aber trotzdem, ich habe die Verantwortung für ihn. Genau wie ich bald die Verantwortung für noch ein Kind haben werde. Ein Kind, welches auf wesentlich mehr Hilfe angewiesen sein wird. Ich frage mich, wie sich das mit meiner, mit unserer Arbeit vereinbaren lässt. Wenn doch nur Gari und ihr Waisenhaus in Norburg sein könnten, dann wüsste ich, dass ich unser Kind jederzeit, wenn ich gerade viel zu tun habe, zu ihr bringen könnte.
Am frühen Nachmittag kommt die Rahjageweihte Rahjafreud in Hexenhus an. Sie ist eine dralle Mittzwanzigerin mit langen, bis zur Hüfte reichenden, braunen Haaren und grauen Augen. Und auch, wenn ich weiß, dass sie der Göttin Rahja huldigt, so finde ich dennoch, dass ihre Geweihtentracht vielleicht ein bisschen zu wenig bedeckt. In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns hier trotz allem im Bornland befinden, möchte ich nicht wissen, was sie macht, wenn die Nächte kälter werden.
Nach einem beinahe schon züchtigen Göttinnendienst, zu dem sie auch Tharf ausgeschenkt hat, sitzt sie mit uns zusammen auf dem Marktplatz beim Essen und lässt verlauten, dass sie für heute Nacht noch jemanden suche, der ihr ihr Bett wärmen würde, da es alleine doch reichlich kühl sei. Dabei sieht sie zuerst meinen Mann und Pjerow an, bevor sie ihren Blick schweifen lässt. Mein Gatte erwidert ihr daraufhin, dass er zwar durchaus gedenke, der Göttin zu huldigen, dass er dies jedoch lieber mit seiner Frau tun wolle. Ich muss diesen Mann einfach lieben, er ist so gutherzig und liebevoll und anbetungswürdig.
Auch Pjerow teilt der Geweihten mit, dass er bereits eine Verabredung mit einer äußerst trinkfesten Dame habe, damit kann er nur Banja meinen und mir fällt auf, dass seine Worte tatsächlich etwas schwerfällig aus seinem Mund kommen. Offenbar hat er seinem Arghail Bier heute auch schon mehr als reichlich zugesprochen. Er sagt der Geweihten jedoch, dass sein guter Freund, der Bronnjar Ifrundoch, ihr, natürlich im Sinne der Gastfreundschaft, sicherlich weiterhelfen könne.
Dieser antwortet, diplomatischer, als ich es von ihm erwartet hätte, dass das Fest der Freuden hier nicht für ihn stattfinden würde, sondern für die Hexenhusener, die so viele Entbehrungen erleiden mussten und dass es hier mit Sicherheit einige gäbe, die gerne das Bett mit ihr teilen würden. Die Geweihte entgegnet ihm, dass sie ihm ansehe, dass er in seiner Seele tief verletzt sei, dass diese eine klaffende Wunde sei und dass es ihr dementsprechend nie in den Sinn gekommen wäre, dies auszunutzen. Ifrundoch möge ihr ihre direkte Anfrage verzeihen, aber dort, wo sie herkäme, würde man das Ganze wesentlich offener besprechen. Dann wählt sie sich einen noch recht jungen Mann aus der Menge aus, mit dem sie dann verschwindet.
Die Worte der Geweihten machen mir bewusst, dass Ifrundoch sich noch nicht wieder wegen einer Therapie bei mir gemeldet hat und ich erneuere mein Angebot, ihm sowohl bei seiner Totenangst als auch bei seiner Trauer um Jaminka behilflich zu sein, so er das möchte, bevor ich mich dann auch verabschiede und das Bett mit meinem Mann aufsuche.
04. Rahja 1020 BF
Die Boltanrunde heute Vormittag haben mein Mann und ich doch glatt verpasst. Man könnte beinahe meinen, wir wären nie in unserem Leben früh aufgestanden, so leicht fällt es uns beiden im Moment, länger liegen zu bleiben. Zum Tanzwettbewerb am Abend werden wir aber definitiv erscheinen, das nehme ich mir fest vor, auch wenn ich selbst nicht tanzen kann.
Als wir gegen Mittag dann doch aufstehen, erfahren wir, dass das Boltanturnier gar nicht stattgefunden hat, sondern dass es auf den morgigen Tag verschoben worden ist. Jeder, der nicht an der Jagd teilnehmen möchte, kann stattdessen dem Turnier beiwohnen oder mitspielen. Mein Mann scheint von dieser Lösung äußerst angetan zu sein und teilt mir mit, dass er gerne am Turnier teilnehmen wolle und dass es auch mir gut täte, noch ein paar Tage hier in Hexenhus zu verbringen. Die Akademie wird auch noch zwei weitere Tage ohne mich auskommen können, sagt er.
Offenbar ist ihm nicht ganz klar, dass ich gar nicht vorhatte, in Norburg gleich wieder mit der Arbeit zu beginnen, vielmehr wollte ich eigentlich einfach nur ein paar Stunden mit ihm zu zweit verbringen, aber nun gut, ich glaube, es macht meinen Mann glücklich, wenn ich bis zum Ende der Feierlichkeiten bleibe, also werde ich das tun. Für ihn würde ich in die Niederhöllen und zurück gehen.
Abends suche ich mir einen Platz am Rande des Marktplatzes, von dem aus ich den Wettbewerb verfolgen kann. Ich selbst kann nicht tanzen, könnte es jetzt, selbst wenn ich wollte, sicherlich noch weniger und auch mein Mann meint, dass er in vollem Ornat mit Kette sicherlich mehr einem Tanzbären gleichen würde. Ich lächle Rondrasil an und mir fällt, wieder einmal, auf, wie gut ihm sein Ornat steht, wie stattlich er darin ist.
Auch Ifrundoch zieht es vor, nicht mitzutanzen, er kommt jedoch während des Wettbewerbs zu mir, und teilt mir mit, dass er nach den Feierlichkeiten gerne die Therapiesitzungen in Angriff nehmen würde, weil er selbst auch bestrebt ist, dass es ihm wieder besser geht. Ich teile ihm mit, dass er mindestens einmal die Woche eine Sitzung aufsuchen müsste und dass sowohl ich dies übernehmen könnte, dafür müsste er jedoch nach Norburg kommen, als auch Tione diese durchführen könnte. Jedoch weiß ich, dass Tione sich primär auf die Behandlung von Krankheiten spezialisiert hat, weshalb eine Therapie bei ihr etwas länger dauern dürfte. Ich kann und werde ihr jedoch, sollte Ifrundoch sich für Tione entscheiden, supervisorisch zur Seite stehen.
Unsere Unterhaltung wird von Pjerows Auftritt mit Banja unterbrochen, die beide, im Vergleich zu den Leibeigenen, tanzen, als würden sie durch die Luft schweben. Es wundert mich daher nicht, dass die beiden diesen Wettbewerb für sich entscheiden können. Ich wende mich wieder Ifrundoch zu und blicke ihn fragend an, auf eine Antwort von ihm wartend.
Nach einiger Zeit des Überlegens antwortet er mir, dass er die Therapie bei mir vorzöge. Zwar wäre Tione ganz in Ordnung, aber über solche Seelendinge will er dann doch lieber mit mir sprechen. Das schmeichelt mir sehr und ich vereinbare mit ihm, dass er ab jetzt jede Woche einmal zu mir in die Akademie kommen soll, damit wir eine Doppelstunde Therapie abhalten können. Bei dieser Gelegenheit teile ich ihm auch gleich mit, dass wir die restlichen Tage der Feierlichkeiten jetzt doch in Hexenhus verbringen werden, was ihn sehr zu freuen scheint.
05. Rahja 1020 BF
Heute findet das Boltanturnier dann tatsächlich statt. Zur Jagd gehen nur Ifrundoch und seine Moorwächter, die anderen ziehen es bei dem Wetter, es nieselt leicht, vor, beim Turnier zuzusehen. Ich bin jetzt zwar kein Experte, was Boltan angeht, aber entschließe mich dennoch, mitzuspielen.
Anfangs werden die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Männer spielen an einem Tisch und die Frauen an dem anderen. Neben mir sitzen noch Tione und Banja am Tisch, bei Rondrasil sehe ich Pjerow und Hecker sitzen. Mir fällt auf, dass Banja sich über jede Karte zu freuen scheint, ganz gleich, ob sie ein gutes oder schlechtes Blatt auf der Hand hat. Ob das der Tatsache geschuldet ist, dass sie nach jeder Runde einen großen Humpen Bier und einen Schnaps trinkt, das weiß ich nicht. Tione ist da für mich schon ein wenig einfacher zu lesen. Sie bemüht sich zwar, ihr Mienenspiel neutral zu halten, aber mir entgeht das leichte Zucken ihres Mundwinkels dann doch nicht. So gelingt es mir tatsächlich, neben Banja, eine Runde weiter zu kommen.
Am Nebentisch ist Hecker nicht weitergekommen, weshalb jetzt quasi die beiden Paare, Banja und Pjerow sowie Rondrasil und ich, übrig bleiben und gemeinsam spielen. Mir fällt auf, dass Pjerow das Ganze sehr leicht nimmt, sich gar nicht so sehr zu konzentrieren scheint, während mein Mann beinahe schon verbissen spielt, äußerst ehrgeizig wirkt, als verfolge er eine Strategie. Das ist typisch für ihn, für einen Rondrageweihten. Jeder Wettbewerb muss verbissen gewonnen werden, wenn das nur irgendwie möglich erscheint.
Pjerow und Banja haben beide einen ziemlichen Lauf, während Rondrasil und ich beide nur ein Spiel gewinnen können. Jedoch ist es mir gelungen, das Spiel mit den höchsten Einsätzen zu gewinnen, weshalb es quasi meine Schuld ist, dass mein Mann ausgeschieden ist. Allerdings kann ich mit den beiden anderen dennoch nicht lange genug mithalten, weshalb das Finale zwischen den beiden stattfindet. Gegen Mitternacht gelingt es einer ziemlich betrunkenen Banja, Pjerow entscheidend zu schlagen und das Turnier für sich zu gewinnen.
Dem Finalkampf konnte sogar Ifrundoch noch beiwohnen, der eine sehr erfolgreiche Jagd gehabt hat und mit reichlich Beute etwa um die zehnte Abendstunde zurück im Dorf war. Es ist sehr spät geworden und ich bin müde und erschöpft obwohl ich die meiste Zeit des Tages sitzend zugebracht habe. Mein Bauch grummelt immer wieder ein wenig, es fühlt sich beinahe so an, als hätte ich Schmetterlinge darin. Ob das unser Kind ist, das ich da spüre?
06. Rahja 1020 BF
Heute ist unser Jahrestag aber gleichzeitig auch unser dritter Hochzeitstag. Heute vor sechs Jahren bin ich neben Rondrasil in Peraines Heimstatt aufgewacht und er hat mich gefragt, ob das für mich eine einmalige Sache wäre oder nicht. Ob ihm damals bereits bewusst war, in welche Schwierigkeiten er durch mich kommen würde?
Rondra lehnt Magie ab, sie lehnt Heilmagie auf dem Schlachtfeld ab. Wenn man Magie oder magische Unterstützung benötigt, ist man zu schwach und sollte lieber auf dem Schlachtfeld sterben, in einem ehrenhaften Kampf. Und Rondrasil ist Rondrageweihter aus tiefster Überzeugung, das weiß ich. Ich weiß auch immer noch, als sei es gestern gewesen, dass genau heute vor neun Jahren Rondriane gestorben ist. Rondrasils Partnerin und ebenfalls Rondrageweihte. Ich weiß auch, dass sie gestorben ist, weil ich unfähig war. Unfähig, ihr Knie vollständig zu heilen.
Ob Rondrasil sich etwas beweisen will mit der Beziehung zu mir? Hegt er vielleicht einen Groll gegen Rondra, weil diese ihm Rondriane genommen hat? Ist er aus Trotz eine Beziehung mit mir eingegangen, um ihr eins auszuwischen?
Was auch immer der Grund für Rondrasil war, eine Beziehung mit mir einzugehen, er scheint mich zu lieben, wirklich zu lieben, denn ich weiß, dass mein Mann klug ist. Ich weiß, dass ihm bewusst sein musste, damals vor sechs Jahren, dass ich seinem Ansehen in der Rondra-kirche nicht wirklich gut tun würde. Sicher, ich weiß auch, dass er es sich auch vor mir schon mit einigen Oberen verscherzt hatte, aber das wäre vermutlich alles zu verschmerzen gewesen im Gegensatz zu seiner Ehe mit einer Heilmagierin.
Ich gebe zu, auch wenn mir das anfangs vermutlich weniger bewusst war, dass ich froh über seinen Hausarrest bin. Ich will gemeinsam mit meinem Mann alt werden, ich will unser Kind aufwachsen sehen, vielleicht ein zweites Kind mit ihm bekommen. Ich will ihn einfach in Sicherheit wissen. Er kann neue Geweihte ausbilden, die dann ihr Talent in Schlachten beweisen können, aber mein Mann soll für immer an meiner Seite bleiben.
Nachdem ich vermutlich mit offenen Augen im Bett gelegen habe, während mir all diese Gedanken durch den Kopf gingen, drückt mir Rondrasil einen sanften Kuss auf die Wange und wünscht mir einen wunderschönen guten Morgen. Er fragt mich, was wir heute machen wollen und sagt gleichzeitig, dass wir uns wenigstens zu einer der Aktivitäten der Rahjageweihten blicken lassen sollten, da alles andere mehr als unhöflich wäre.
Das ist der Grund, weshalb ich eigentlich nach Norburg zurückreisen wollte, aber nun gut. Ich beschließe, dass wir am besten gleich den Vormittag beim Göttinnendienst verbringen sollten, dann haben wir den Nachmittag und die Nacht für uns.
Für den Vormittag philosophieren alle Anwesenden darüber, was Rahja gefällt und was nicht. Der Geweihten gelingt es, alle Anwesenden in ein Gespräch zu verwickeln und nimmt sogar meinen Gatten als eines der Beispiele her, was der Göttin wohlgefällig ist. Sie sagt, dass seine Waffenübungen, so sie mit Herzblut ausgeführt werden, durchaus die Göttin Rahja erfreuen würden und ich muss zugeben, sie hat da nicht ganz Unrecht. Jedes Mal, wenn ich Rondrasil bei seinen Übungen zusehe, verliere ich mich in diesem ästhetischen und tatsächlich äußerst rahjanischen Anblick. Gut, ich gebe zu, ich sehe meinem Mann einfach unglaublich gerne bei allem zu, was er macht, aber insbesondere die Waffenübungen, die er auch immer wieder mit freiem Oberkörper vollführt, verschaffen mir regelmäßig weiche Knie.
Zu unserem Gespräch reicht die Geweihte uns Tharf, den heiligen Wein der Göttin und selbst ich nehme einen kleinen Schluck zu mir. Auch wenn ich Alkohol in den letzten Wochen eher gemieden habe, eine regelrechte Abscheu ihm gegenüber entwickelt habe, nicht dass ich früher sonderlich viel getrunken hätte, aber Tharf zu trinken an diesem heutigen Tage erscheint mir irgendwie dann doch richtig.
Als die Rahjafreud gegen Nachmittag das Thema wechselt und anfängt, den Leuten zu erklären, wie Mann und Frau miteinander jede Menge Spaß haben können, nehme ich meinen Gatten bei der Hand und ziehe ihn vom Dorfplatz weg. Wir wissen beide ziemlich gut, wie wir miteinander Spaß haben können und kichernd teile ich dies Rondrasil auch mit. Dieser folgt mir mit einem verschmitzten Lächeln und stimmt mir dabei zu.
Wir gehen in den Wald und unternehmen einen langen Spaziergang, der mich an unsere beginnende Beziehung damals in Moorwacht erinnert, wo wir uns jeden Tag die Zeit für einen Spaziergang genommen hatten. Als wir auf einer Lichtung ankommen, auf die die Praiosscheibe ihre warmen Strahlen sendet, lassen wir uns dort nieder. Es gelingt mir, mir für einige Momente eine Welt auszumalen, in der kein unheiliger Winter das Leben aller bedroht. Eine Welt, in der keine Shakagra durch die Wälder ziehen und Leichen zwischen die Bäume hängen.
Ich unterhalte mich mit Rondrasil und erzähle ihm von dem Bauchflattern, dass ich immer häufiger spüre. Vielleicht macht sich unser Kind auf diese Weise bereits in meinem Bauch bemerkbar? Was es uns wohl sagen will? Ich frage Rondrasil, was er glaubt, nach wem es mehr kommen wird und er antwortet mir darauf, dass er es lieben wird, egal wem es mehr ähneln wird. Allerdings spüre ich, dass ihn etwas belastet und als ich nachfrage, was er auf dem Herzen hat, sagt er mir, dass er Angst davor hat, dass unser Kind während der Namenlosen Tage auf die Welt kommen könnte.
Ich versuche ihn zu beruhigen, sage ihm, dass das viel zu früh wäre, dass unser Kind so früh vermutlich gar nicht lebensfähig wäre. Nicht umsonst dauert eine Schwangerschaft neun Monde, aber diese Aussage scheint ihn nicht zu beruhigen, vielmehr scheint sie seine Angst nur zu verstärken. Ich muss gestehen, gerade nach der Sache mit Narena damals, habe auch ich durchaus Angst, aber wir werden diese Tage im Rondratempel oder der Akademie verbringen. Einen sichereren Ort kann ich mir nicht vorstellen. Gerade in der Akademie, wo es so viele fähige Leute gibt, die dafür sorgen können, dass es unserem Kind gut geht, dass es noch warten wird, bevor es das Licht der Welt erblicken wird.
Ich ertappe uns beide dabei, wie wir auf dieser Lichtung sitzen, beide die Hände schützend auf meinen Bauch gelegt und fange an, in mich hinein zu lächeln. Dieser Mann liebt mich und er liebt unser ungeborenes Kind. Er liebt uns mehr als sich selbst, mehr als seinen Weg innerhalb der Kirche und er ist für uns bereit, große Einbußen und Verluste hinzunehmen. Ich frage mich, ob ihm bewusst ist, dass ich das Selbe auch für ihn tun würde?
Wir schleichen uns zurück nach Hexenhus, vorbei am Marktplatz, auf dem die Geweihte gerade einen Tanz aufführt und andere zum Mittanzen animiert, in unser Zimmer. Wir machen gar nicht erst das Licht an, konzentrieren uns vielmehr mit den restlichen Sinnen auf den anderen. Oh Rahja und die anderen elf Götter, für diesen Mann bin ich bereit, alles zu geben.
07. Rahja 1020 BF
Heute steht die Wahl zur Rose von Hexenhus an und neben Banja und Hemidane hat sich auch Tione zur Wahl gestellt. Sämtliche Frauen von Hexenhus haben sich, so gut es geht, herausgeputzt und ich komme mir ein wenig fehl am Platz vor. Ich passe nicht mehr in meine Festtagsrobe mit den roten Flügeln und der silbernen Stickerei vorne drauf, die den Riss, der dort war, so kunstvoll verdecken, dass nichts mehr an den Eklat mit Elkjow erinnert. Und auch allgemein fühle ich mich nicht schön. Klar, eine Schönheit war ich noch nie und mit den Narben, die meinen Körper zieren und bei denen ich mich weigere, sie zu entfernen, werde ich auch keine mehr werden, aber immerhin konnte ich immer stolz auf meine Figur sein.
Ich frage mich, wie das in ein paar Wochen aussehen wird, ich werde mit Sicherheit mehr einer Kugel als einem Menschen gleichen. Was passiert eigentlich, wenn unser Kind der Größe nach mehr nach Rondrasil kommt? Wird es in meinem Bauch genügend Platz haben oder wird es am Ende früher als von der Natur vorgesehen geholt werden müssen?
Ich schiebe diese Gedanken beiseite und bewundere die Kleider der drei Frauen, die sich vor uns aufgestellt haben. Tione trägt eine Festtagsrobe, die ihre körperlichen Vorzüge ziemlich gekonnt in Szene setzt, gerade so, dass sie noch dem Codex entspricht, während Banja ein hautenges weißes Kleid trägt, ihre Haare hochgesteckt. Auch die Haare Hemidanes sind hochgesteckt und sie trägt ein blutrotes Kleid, welches maßangefertigt zu sein scheint und tiefe Einblicke gewährt, ohne dabei obszön zu wirken. Ich frage mich ehrlich gesagt, wie Wahnfried ihr solche Kleider geben konnte, sie dabei aber nicht auf den Umgang mit Männern vorbereitet hat.
Ich kann mich nicht so recht entscheiden, wen ich schöner finde. Zwar ist Tione hübsch, sie kann jedoch nicht mit Banja und Hemidane mithalten, die beide außerordentlich gut aussehen. Als ich Rondrasil frage, wen er hübscher findet, antwortet er mir damit, dass beide auf ihre ganz eigene Art schön seien. Banja strahle richtig von innen heraus und Hemidane sei wohl zum ersten Mal richtig glücklich. Er erhebt die Stimme und schlägt vor, dass auch die inneren Werte der Damen geprüft werden sollten, dass jede eine kleine Vorführung geben solle, damit die Anwesenden es einfacher mit ihrer Stimmvergabe hätten.
Nachdem die drei Frauen sich besprochen haben, klettert Banja als erste auf einen der Tische und erklärt, dass sie beschlossen hätten, dass jede von ihnen sich kurz vorstellen würde und dann ein kleines Kunststück aufführen würde. Sie stellt sich selbst im Anschluss darauf vor und erwähnt, dass das Bier, welches hier alle trinken, von ihrem Mann, Pjerow, gebraut worden ist und dass es einem sehr guten Mann, Arghail, gewidmet sei. Dann meint sie, dass Hecker aufhören solle zu weinen, das würde ihm nicht stehen, bevor sie sich drei volle Bierkrüge nimmt und anfängt, mit ihnen zu jonglieren.
Zwar geht während ihrer Vorstellung einer der Krüge kaputt und auch allgemein ist sie weitab von jeglicher Perfektion, aber die Vorstellung scheint den Anwesenden zu gefallen. Ob es daran liegt, dass sie ein weißes Kleid trägt und ganz eindeutig nichts darunter, während sie durchnässt vom Bier auf dem Tisch steht oder ob es ihre offene Art ist, das vermag ich nicht zu sagen.
Als Hemidane an der Reihe ist, stellt auch diese sich noch einmal vor und meint dann, dass sie zwar nicht jonglieren könne, aber sie könne Poesie rezitieren und ihr Glück mit dem Bogen versuchen. Weiter hinten in der Menge wird insgesamt fünfmal ein leerer Tonkrug in die Höhe geworfen und jedes Mal trifft Hemidane ihn mit einem Pfeil, woraufhin ein bunter Funkenregen entsteht. Ich tippe auf alchemistische Pulver, die mit im Spiel waren.
Im Anschluss rezitiert sie noch ein Gedicht aus dem Bornland, das davon handelt, wie die Bronnjaren einen Pakt mit den Bären hier geschlossen haben, um sich hier anzusiedeln. Ein passendes Gedicht in Anbetracht der Tatsache, dass Ifrundoch den Beinamen „Der Bär“ von der Bevölkerung bekommen hat.
Als die Reihe an Tione ist, bekommt diese einen hochroten Kopf und weigert sich, auf den Tisch zu klettern. Ich will ihr etwas Mut zusprechen, doch diese meint nur, dass sie gegen Banja und Hemidane sowieso nicht gewinnen würde und dass sie außer Magie nichts vorzutragen wüsste. Sie fährt fort, dass Magie nichts sei, was man zur Schau stellen sollte und dass sie nicht weiß, ob sie ihre Kräfte nicht in den nächsten Tagen noch brauchen wird, weshalb ich es unterlasse, sie zur Teilnahme zu drängen. Ich muss gestehen, sie handelt sehr klug, auch ich versuche nach Möglichkeit immer mit meinen Kräften zu haushalten, weil ich stets von einem nächsten Tag ausgehe, der schlimmer sein kann als der heutige. Irgendwie erinnert mich Tione an mich selbst, an meine Anfänge damals in Moorwacht. Auch sie hilft den Leibeigenen und kümmert sich sogar um die Tiere. Ich mag diese Frau.
Während Pjerow und Hecker für Banja stimmen, entscheide ich mich dafür, dass mir der Beitrag Hemidanes etwas besser gefallen hat. Allgemein bevorzuge ich in letzter Zeit mehr und mehr ruhigere, besinnlichere Episoden, ob das mit meiner Schwangerschaft zu tun hat? Auch Ifrundoch stimmt für Hemidane, während Rahjafreud Banja ihre Stimme gibt. Rondrasil überlegt lange, bevor auch er Hemidane wählt, was in einer Pattsituation mündet. Ich frage Tione, für wen sie sich entscheidet, da sie ja jetzt auch wählen kann, nachdem sie ihre Teilnahme zurückgezogen hat und mit einer Stimme Vorsprung wird Hemidane zur Rose von Hexenhus gewählt.
Es ist später Nachmittag, bevor die Wahl abgeschlossen werden konnte. Zu spät, um heute noch zurück nach Norburg zu reisen, weshalb wir gleich morgen früh aufbrechen wollen. Ich vereinbare mit Ifrundoch, dass er für seine erste Sitzung am 14. Rahja zu mir kommen soll, wenn er wegen der Stadtratssitzung am 15. Rahja eh nach Norburg muss.
08. Rahja 1020 BF
Wir sind bereits früh am Morgen aufgebrochen und als ich gegen Mittag in die Akademie komme, wird mir mitgeteilt, dass sich während meiner Abwesenheit keine Besonderheiten ergeben hätten, außer der Tatsache, dass Bisminka zurückgekehrt sei. Als ich das höre, eile ich umgehend in mein Büro, wo ich sie vorfinde, ein paar Bücher studierend. Ich begrüße sie freudig und freue mich so sehr, dass es ihr gut geht, auch wenn ich mich direkt erschreckt habe, als ich gesehen habe, wie alt sie geworden ist.
Meine Fragen prasseln förmlich auf sie ein, ich frage sie, ob sie bei der Schlacht dabei war, ob sie weiß, wie es Maschdawa und den anderen geht und was sie mir alles erzählen kann. Sie antwortet mir ruhig, dass wir gesiegt hätten, dass Borbarad vernichtet worden sei. Sie sagt weiter, dass Maschdawa noch am Leben sei und zwei oder drei andere wohlmöglich auch noch, dass unsere Verluste jedoch schrecklich gewesen sind. Sowohl der Reichsbehüter als auch der Schwertkönig wären beide tot und sie konnten den Todeswall nicht einnehmen. Sie endet damit, dass andere kommen werden, die das Werk Borbarads fortführen würden.
Während ihre Worte noch in mein Gehirn vordringen, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ob ich mich über ihr Überleben freuen oder über die großen Verluste weinen soll, falle ich ihr um den Hals und kann die Tränen irgendwann nicht mehr zurückhalten. Bisminka nimmt mich in den Arm und lässt mich weinen, bis die Tränen versiegt sind, bevor ich ihr von allem erzähle, was während ihrer Abwesenheit in der Akademie und in Norburg passiert ist. Ich schließe damit ab, dass ich mir über den Bauch streiche und sage, dass ich ihr hiervon nicht erzählen müsste, es lässt sich schließlich nicht mehr übersehen.
Als ich das sage, erkenne ich, dass in ihren Augen ein paar Tränen glänzen, während sie mir antwortet, dass ich mir dunkle Zeiten ausgesucht hätte um schwanger zu werden, insbesondere bei all dem Leid, welches mir noch bevorstünde und dass ein Kind ja vielleicht helfen würde. Diese Aussage verwirrt mich und ich frage sie, was sie über mich, meine Zukunft weiß, was ich nicht weiß. Irgendetwas muss sie in Erfahrung gebracht haben, warum sonst sollte sie sich so komisch ausdrücken?
Bisminka antwortet mir, dass ich ihr sehr ans Herz gewachsen sei, dass sie mich mehr lieben würde als alle anderen auf der Welt. Mehr als ihre Familie, ja sogar mehr als ihre eigene Schwesternschaft. Und deswegen habe sie eine Schwester gebeten, meine Zukunft zu lesen und auch wenn diese sich in ihren Aussagen bedeckt gehalten habe, so hätte sie ihr dennoch prophezeit, dass meine Zukunft jede Menge Schmerzen und Leiden für mich bereithalten würde und dass ich da durch müsste. Jedoch würde am Ende dieses Weges auch eine besondere Belohnung auf mich warten.
Meine Zukunft, Schmerzen, Leiden. Ich brauche ein paar Minuten, um diese Informationen zu verarbeiten. Als ich Bisminka erzähle, dass man seine Zukunft, sein Schicksal doch auch ändern könnte, so wie damals, als Ilonen mir prophezeite, dass ich nur entweder Gari oder Thulvje würde retten können, antwortet diese mir, dass sie keine Seherin sei, dass sie jedoch der Meinung ist, dass man nicht immer alles zu genau wissen sollte. Denn gerade wenn man dann versuchen würde, seiner Prophezeiung zu entgehen, würde man wohlmöglich genau dafür sorgen, dass sie erst einträfe.
Ich vermute, Bisminka hat Recht, aber ich werde nicht kampflos aufgeben. Ich werde mein Schicksal nicht einfach nur hinnehmen. Aber ich weiß auch, dass ich jeden Schmerz, jedes Leiden klaglos hinnehmen werde, so lange es nur meinen Liebsten gut geht. Verdammt, ich würde mich sogar von Rondrasil trennen, wenn ich wüsste, dass ein Zusammenbleiben mit mir ihn zerstören würde.
Ich sollte später dennoch mit ihm über diese Prophezeiung sprechen und auch über den Ausgang der Schlacht. Aber vorerst sollte Bisminka sich ausruhen, sie ist selbst noch gar nicht so lange zurück in Norburg. Jedoch teilt sie mir mit, dass sie sich noch genug ausruhen könne, wenn sie tot sei und dass sie sowieso noch einigen hier den Kopf waschen müsste, dass einige Magister mir sicherlich das Leben schwer machen wollten. Sie wolle auch sehen, ob sie sich hier nützlich machen könne und sagt, dass ich mir gerne den restlichen Tag freinehmen könnte, sie hätte die Situation hier im Griff.
Nachdem ich mich noch einmal vergewissert habe, dass ich Bisminka guten Gewissens alleine in der Akademie lassen kann, suche ich Rondrasil auf, den ich, wie immer, im leeren Rondratempel finde. Von den Übungen mit den Scholaren in der Früh und mit den Magistern am Abend abgesehen hat er momentan nicht wirklich viel zu tun. Ich hoffe sehr, dass sich bald wieder Anwärter für die Rondrakirche finden lassen.
Ich erzähle ihm von der Prophezeiung, die Bisminka über mich in Erfahrung gebracht hat, davon, dass meine Zukunft viel Leid und Schmerz bereithalten würde und er meint, dass wir abwarten müssten, sehen sollten, was auf uns zukommt und dass wir uns nicht zu viel von dem, wie er sagt, Geschwätz irgendwelcher Hexen beeinflussen lassen sollten, da wir im Moment wichtigere Dinge haben, auf die wir uns konzentrieren sollten. Ich weiß, was er meint, nehme mir dennoch vor, neue Heiltränke zu brauen. Die restlichen Flaschen, die ich noch habe, dürften in den nächsten sechs bis sieben Monden ihre Wirkung verlieren, weshalb ich sie der Akademie zum zügigen Verbrauch übereignen werde.
11. Rahja 1020 BF
Ich komme gut mit dem Tränke brauen voran. Auch wenn mir das Wasser aus Noumizas See fehlt, so habe ich, gerade bei den Heiltränken, ausreichend Routine entwickelt, dass ich sogar aus einem exzellenten Trank zwei sehr gute extrahieren kann und so meine Produktivität quasi verdoppele. Nachdem ich mir vorgenommen habe, meine Kräfte zu schonen, braue ich nämlich nur einen Trank pro Tag. Ich bin gespannt, ob Ifrundoch sich daran erinnert, dass er vor der Stadtratssitzung zu seiner ersten Therapiesitzung zu mir kommen wollte.
14. Rahja 1020 BF
Ifrundoch hat sich daran erinnert. Heute Mittag stand er vor meiner Bürotür und meldete sich zum Dienst, wie er es formuliert hat. Ich habe mir daraufhin den restlichen Nachmittag frei gemacht und eine Doppelstunde mit ihm verbracht. Dass er neben seiner Totenangst hauptsächlich von der starken Trauer um Jaminka belastet ist, hatte ich ja bereits feststellen können und um diese Trauer sollte ich mich, ob der schweren Ausprägung, auch zuerst kümmern.
Mit seinem Einverständnis arbeite ich auch bei ihm mit magischer Unterstützung mittels Bannbaladin und Ängste lindern und ich denke, für die erste Sitzung haben wir gute Fortschritte machen können.
15. Rahja 1020 BF
Heute ist wieder Stadtratssitzung und neben den üblichen Teilnehmern sind auch zwei neue Gesichter anwesend, die uns Natascha als Alrik von Blautann und Alwine von Gareth-Streizig vorstellt. Während Alwine recht ruhig ist, fängt Alrik von Blautann gleich an mit seiner Rede und richtet das Gespräch gezielt an Ifrundoch, Pjerow, Ugdan und mich.
Er erzählt, dass die Schlacht an der Trollpforte zwar gewonnen werden konnte, dass es aber ein teuer erkaufter Sieg gegen Borbarad gewesen sei. Zwar wurde Borbarad selbst vernichtet und seine siebenzackige Dämonenkrone zerstört, jedoch gingen die Splitter selbiger wohl verloren. Mittlerweile ist bekannt, dass sie an sogenannte Heptarchen übergegangen sind, die damit im Bereich ihrer Domäne wohl über unbekannte Macht verfügen würden.
Der Charyptorothsplitter soll an Xeraan geliefert worden sein, welcher sich die Orte an der Ostküste sowie die Blutige See zu Eigen gemacht habe. Der Belkelelsplitter wurde Dimiona von Zorgan überbracht, die eine Hälfte Araniens erobert und auf den Namen Oron getauft haben soll. Der Thargunitothsplitter ging nach Warunk an den untoten Drachen Razzazor und seinen Berater Sulman al Wenisch, von dem ja gemutmaßt wird, dass dieser von Nirraven beseelt sei, während der Nagrachsplitter hier im Bornland an die Hexe Glorana gegangen sein soll. Der Agrimothsplitter soll an Gaius Cordovan Eslam Galotta gegangen sein, der Ysilia besetzt hält und sich selbst Dämonenkaiser nennt, während der Belhalharsplitter im Besitz von Helme Haffax sein soll, der sich auf Maraskan zurückgezogen hat. Der Verbleib des Asfahlothsplitters ist bislang unbekannt.
Alrik von Blautann fährt fort, dass die meisten Teile Aventuriens sich an der Schlacht beteiligt haben, so dass neben Liebfeldern, Thorwalern und Zwergen aus verschiedenen Bergreichen auch Al’Anfaner anwesend waren und Menschen, die ähnliche Kleidung getragen haben wie Ifrundoch und die auf Wollnashörnern in die Schlacht geritten sind. Einige hundert Elfen sowie fünfzig novadische Schattenkrieger waren ebenfalls dabei, genauso wie eine kleine Gruppe Orks, die gegen den Dämonenmeister in die Schlacht gezogen sind. Leider ist bereits vor der Schlacht Prinz Brin einem Attentat zum Opfer gefallen und während der Schlacht selbst sind viele tapfere Helden, wie auch der Schwertkönig Raidri Conchobair oder Teremos Kabaki gefallen.
Nach der Schlacht gelang es leider nicht, den sogenannten Todeswall dauerhaft zu besetzen, da sich nach Einbruch der Nacht nicht nur die gefallenen Kameraden wieder erhoben, sondern auch die Oger, die nach dem Zug der 1000 Oger dort begraben worden waren, weshalb als einzige Option der Rückzug geblieben war. Abschließend teilt uns Alrik mit, dass die Rondrakirche beinahe aufgelöst sei, da drei von vier Geweihten tot sind oder als vermisst gelten, während der Orden der Golgariten sich von nun an der Bekämpfung der Untoten verschrieben hat, nachdem etwa die Hälfte von ihnen zum Feind übergelaufen ist und auch die Praioskirche hat erhebliche Verluste erlitten. Alriks Anliegen an uns ist jetzt, dass wir Truppen entsenden, um die Trollpforte zu sichern, damit von dort aus keine Invasion ins Mittelreich stattfinden kann.
All diese Informationen sind ein Schock, nicht nur für mich, ich kann an den Gesichtern der anderen ablesen, dass es auch sie schwer erschüttert, dies zu hören. Als ich, eigentlich mehr zu mir selbst, murmele und mich frage, wie man die Dämonensplitter zerstören kann, antwortet mir mein Mann darauf, dass man das nicht wisse, weil man im Vorfeld davon ausging, dass sowohl die Dämonenkrone als auch das komplette Frevlergewand Borbarads ein Mythos wäre.
Auch Pjerow ist recht blass, als er das Wort erhebt und meint, wenn der Anführer, also Borbarad, tot sei, dass dann doch die Wahrscheinlichkeit bestünde, dass die Anhänger sich gegenseitig bekämpfen würden, um die Nachfolge zu klären. Zumindest sei das in den Straßen von Festum, in denen er aufgewachsen ist, der Fall gewesen. Alrik antwortet ihm daraufhin, dass es wohl möglich sein sollte, die Anhänger in ein bis zwei Götterläufen zu vernichten, immerhin sei ihnen das mit Borbarad ja auch gelungen. Jedoch müsste sich ihr Heer erst neu aufstellen und damit bis dahin die Grenzen gesichert seien, würden sie im Moment in jedes Reich Herolde schicken, die von ihrem Sieg verkünden und die gleichzeitig um Unterstützung bitten.
Auf meine Frage, woher wir Truppen nehmen sollten, wir haben doch selbst erst vor kurzem massivste Verluste erlitten, erhebt auch Ugdan das Wort und sagt, dass er Alrik gerne Streitmächte zusagen würde, dass jedoch die gesamte bornische Streitmacht stark dezimiert worden sei und dass diejenigen, die noch übrig wären, dafür gebraucht würden, um sich vor dem unheiligen Winter zu schützen, der von Norden kommend unser Land bedroht.
Alrik reagiert darauf beinahe mit Unverständnis und meint, dass ihm durchaus bewusst sei, dass wir Verluste erlitten hätten, fügt aber hinzu, dass die Schlacht vor den Vallusianischen Weiden sicherlich auch anders ausgegangen wäre, wenn das Mittelreich uns dort nicht beigestanden hätte. Er macht klar, dass er nicht nur Soldaten nehmen würde, sondern auch Kinder und Alte, die man in eine Rüstung steckt. Er sucht, das glaube ich zumindest, nach Opfern, die den Feind etwas beschäftigen, damit seine Truppen sich ausruhen können.
Auf erneutes Nachfragen Ugdans, wo und wann sich die Truppen melden sollen, antwortet er, dass bis spätestens Ende Praios alle in Vallusa sein müssten, von wo aus sie dann weitergeleitet würden.
Im Anschluss lässt Natascha alle abstimmen, ob wir Truppen entsenden oder nicht und stimmt sogleich gegen das Entsenden. Auch die vier Händler und Bruder Marbotreu sind dagegen, während Rondrasil sich enthält. Noch während der Abstimmung wird Alrik von Blautann persönlich, meint, dass in alle Teile des Landes Herolde entsandt worden sind und dass er in die Stadt der Helden gekommen sei und sich erhofft hat, hier auch Helden vorzufinden und nicht nur ein paar bornländische Bauern, die allzu schnell in den Stand eines Bronnjaren erhoben worden sind.
Während Ifrundoch diese Beleidigung ignoriert und gegen das Entsenden von Truppen ist, erwidert Pjerow, dass er seine Zunge hüten sollte, denn nicht jeder Bornländer sei so umgänglich, wie wir es hier gerade wären und dass er mit Freuden ein paar Freiwillige aus Wosna an ihn verweisen würde, wenngleich er nicht denkt, dass sich sonderlich viele melden würden.
Ugdan richtet im Anschluss das Wort an Alrik, doch während grinst, passt sein Tonfall ganz und gar nicht dazu. Zum einen sagt er zwar zu, dass er Truppen entsenden wird, sagt aber im gleichen Atemzug, dass es garantiert nicht viele sein werden, da die Zeit bis Ende Praios einfach zu knapp bemessen sei. Im Gegenzug verlangt er die gleiche Anzahl an Soldaten für die Nordgrenze, sobald die Südgrenze gesichert ist, spätestens jedoch in zwei Götterläufen.
Im Anschluss spricht er Alrik auf seine Äußerungen bezüglich der, wie er sie genannt hat, Bauern an und rät ihm, aus ehrlichem Interesse an seinem Leibeswohl, wie er es formuliert, dazu, seine Aussage noch einmal zu überdenken. Er sagt, dass es zwar durchaus sein mag, dass die Methoden des Grafen unkonventionell seien, dass jedoch jeder Bronnjar hier Großes geleistet habe und sich jeder seinen Stand verdient habe. Er legt Alrik nahe, dass er sich während seines Aufenthalts hier noch ein paar Geschichten erzählen lassen solle und dann das Körperteil zwischen seinen Ohren gebrauchen solle, um dies mit seinen Taten zu vergleichen. Und erst, wenn seine Taten wenigstens halb so heldenhaft gewesen sind oder er halb so viel für das Mittelreich getan hat, dann stünde es ihm zu, sich so zu äußern.
Noch bevor Alrik von Blautann darauf etwas erwidern kann, erhebt Ugdan die Stimme und schmeißt ihn förmlich hochkant aus dem Stadtrat. Ich bin überrascht, dass Ugdan sich so für Ifrundoch und Pjerow eingesetzt hat, bislang hatte ich ihn immer als etwas distanzierter eingeschätzt, aber offenbar habe ich mich diesbezüglich geirrt. Dieser Mann überrascht mich immer wieder aufs Neue.
Auch Alwine verlässt, nachdem sie eine kurze Entschuldigung für das Benehmen Alriks gemurmelt hat, die Sitzung und Natascha fragt, wie wir es in Norburg mit den Namenlosen Tagen halten sollten, die bevorstehen. Sie schlägt vor, dass die Tore und Läden geschlossen bleiben und dass die Büttel in doppelter Stärke patrouillieren sollten. Ich bin mit diesem Vorschlag einverstanden, halte es für das Beste, wenn man während dieser fünf Tage zu Hause bleibt, möglichst wenig macht und viel zu den Göttern betet.
Auch Pjerow und Ifrundoch schließen sich dieser Meinung an, jedoch meldet sich Ugdan zu Wort und gibt an, dass er zu dieser Zeit auf Reisen sei. Er habe zwar nicht vor, während dieser Tage nach Norburg zurückzukehren, wolle jedoch für den Fall der Fälle sichergehen, dass er dennoch eingelassen würde, weshalb nach einigen Überlegungen beschlossen wird, für ihn eine Ausnahme zu machen. Im Anschluss bittet er noch meinen Mann sowie Ifrundoch und Pjerow auf ein privates Gespräch zu sich.
Im Anschluss erzählt mir Rondrasil, dass Ugdan die drei gebeten hat, mit ihm nach Jarrlak zu kommen. Er wolle versuchen, mit dem Geist zu reden, während die anderen derweil in sicherer Entfernung ein Lager aufschlagen sollen, in dem sie mit Kolkja warten sollen. Wenn sie dann eine Flammenlanze gen Himmel aufsteigen sehen, sollen sie mit ihm nach Jarrlak kommen und entweder hat der Geist bis dahin bereits geredet und ist erlöst oder aber Kolkja soll die Seele aufnehmen.
Ifrundoch hat sofort zugestimmt, mitzukommen und mitgeteilt, dass er Tione mitnehmen wolle, da dies ein guter Zeitpunkt sei, dass diese sich beweisen könne und auch Pjerow hat seine Unterstützung zugesagt. Noch bevor Rondrasil fortfährt, weiß ich bereits, dass auch er mitgehen wird, er ist schließlich ein Rondrageweihter und würde niemals seine Hilfe verweigern, wenn er darum gebeten wird.
Als er mich fragt, ob ich mitkommen werde, merke ich bereits an seinem Tonfall, dass er mich lieber nicht gefragt hätte, weil er mich nicht abhalten könnte, wenn ich zusagte. Ich weiß auch, wie viele Sorgen er sich um mich und unser ungeborenes Kind macht. Ich weiß, dass ich für ihn nur eine Last wäre, dass er Angst um mich hätte und dass ihn das dann wohlmöglich von seinen Aufgaben ablenken würde.
Ich weiß, dass ich ihm eigentlich versichert habe, ihn nie alleine zu lassen, aber ich habe ihm auch gesagt, dass ich ihn niemals in Schwierigkeiten bringen wolle und ich glaube, in dieser Situation ist es wohl besser, wenn ich ihn alleine gehen lasse und selbst in der Akademie bleibe. Mir fällt es unglaublich schwer, ihm diese Entscheidung mitzuteilen und ich habe große Angst, dass Rondrasil das falsch verstehen könnte oder dass er enttäuscht oder sauer auf mich sein könnte, doch die Erleichterung, die ich ihm anmerke, zeigt, dass er froh darüber ist, dass ich hier bleibe.
Er teilt mir mit, dass er mit den anderen am 25. Rahja aufbrechen wird und ich sage ihm, dass ich ihnen die Heiltränke, die ich bislang gebraut habe, mitgeben werde, nehme ihm das Versprechen ab, dass er davon auch Gebrauch machen wird, wenn es nötig ist. Er muss mir auch versprechen, dass er nach Hause zurückkehren wird und damit er auch daran denkt, binde ich ihm meine Kette mit dem Bärenreißzahn um. Ich habe sie damals von Ilonen bekommen und auch wenn ich nicht weiß, was sie bewirkt, so denke ich mir trotzdem, dass sie ein guter Talisman für meinen Mann sein könnte. Gerade wenn es um Jarrlak geht.