Tagebuch von Cileham Curtius
Auf dem Weg nach Weiden

 

Kunchom ist eine wirklich schöne Stadt. Aber mittlerweile sind einfach wieder so viele Jahre ins Land gezogen, dass einem selbst das schönste irgendwann überdrüssig werden kann. Ich vermisse die Tage, in denen ich frei und ungebunden durch Dere ziehen konnte. So muss es sich wohl anfühlen, alt zu werden. Wobei ich mich nicht beklagen kann, das Klima in Kunchom scheint mir in dieser Hinsicht wirklich gut zu tun. Die Zipperlein und Gebrechen, die normal mit dem älter werden einher gehen haben mich bisher noch völlig verschont. Im Gegensatz zu dem ein oder anderen Magus den ich hier mittlerweile recht gut kenne oder auch den Händlern am Basar scheint Satinav es gut mit mir zu meinen. Oder es liegt an den regelmäßigen Übungen mit den Rittern des immerwährenden Kampfes, dass mein Körper sich so gut hält.

 

Überhaupt sind mir die Ritter hier in der Akademie eines der wenigen verbliebenen Vergnügen. Nicht das die Tätigkeit als Hilfslehrer nicht sinnvoll oder spannend wäre. Aber sie ist irgendwie im Laufe der Zeit immer frustrierender geworden. Einen um den anderen Jahrgang habe ich kommen und gehen sehen und es ist immer das gleiche. Erst bringst du ihnen bei die Kraft zu formen, dann sind sie noch stolz auf ihr erstes kleines mickriges Ignifäxchen, und ehe du dich versiehst haben es diese kleinen Bastarde schon besser drauf als ihr Lehrer. In solchen Situationen trauerte ich der vertanen Chance hinterher selbst eine akademische Ausbildung an einer Akademie absolviert zu haben. Nicht das sich einer trauen würde mich deswegen auszulachen oder mir dumm zu kommen. Ich verstand mich ja ansonsten wirklich gut mit den Kindern, und sie hatten wohl auch einen gewissen Respekt vor dem seltsamen, vernarbten Lehrer mit dem großen Streitkolben am Gürtel. Aber meine eigenen Fortschritte was die Magie anging waren im Vergleich zu den Gigantenschritten die diese jungen Burschen und Mädels in der Ausbildung machten schon ausnehmend deprimierend. Dabei lag es noch nicht einmal am theoretischen Wissen, da machten mir an der ganzen Akademie höchstens eine Handvoll Magister Konkurrenz und wenn es dann sogar um drachische Magie ging war ich wohl unbestritten die größte Koryphäe in Kunchom, das war mir seit ich Träger der  Drachenchronik war im wahrsten Sinn des Wortes in Fleisch und Blut übergegangen – was wiederum die Inhaberin des Lehrstuhls für echsische und drachische Magie regelmäßig zur Verzweiflung trieb, die mich aber dafür umso öfter auch bereit war um Rat zu fragen oder mit mir schwierige Sachverhalte zu erörtern, was dann wiederum einer der schönen Teile des Lebens in Kunchom war.

 

Mit den Rittern des immerwährenden Kampfes wiederum verband mich nach all den Jahren schon so etwas wie Waffenbrüderschaft. Die Teilnahme an ihren Übungen hatte meine Kampffertigkeiten fast vollendet. Ich spüre, dass nicht mehr viel fehlt um selbst einer der legendären Meister zu werden. Und auch in ihre Philosophie und dem Glauben an Kor, dem ich ja schon immer in gewissem Maße zugetan war, war ich im Laufe der Jahre tiefer eingedrungen. Einmal hatten sie mich sogar gefragt, ob ich nicht vielleicht sogar Lust hätte die Weihen zu empfangen, aber dieser Schritt ging mir dann doch noch zu weit. Aber an meinem ganzen Habitus konnte man merken, dass ich vom einfachen Söldner der auf Rache für seine verlorene Heimat aus wahr mehr und mehr zu einem Kämpfer aus Überzeugung wurde. Was wohl aus Marno, Bardan, Nuri und den anderen geworden war? Ich wünschte, ich könnte erneut an ihrer Seite in eine epische Schlacht ziehen! Und dann waren da außerhalb der Akademiemauern noch so viele unerledigte Dinge. Die Oase Ymris, Thykradane auf Burg Tobelstein, wieder einmal Wellenglanz besuchen, die ich schon wieder viel zu lange nicht gesehen hatte, wieder einmal in Gareth und der Heimat nach dem Rechten sehen. Oder mich doch endlich in den Kampf werfen und die schwarzen Lande zurück drängen. An den finanziellen Möglichkeiten mich aus dem Dienst an der Akademie freizukaufen würde es noch nicht einmal liegen. Auf meinen Reisen hatte ich so viele wundersame Gegenstände gefunden, allein einer davon würde schon reichen um den alten Okharim mich entlassen zu lassen. Auf der anderen Seite war es an der Akademie auch nicht so schlecht, im Gegenteil war es ja auch ein schönes und bequemes Leben, so dass ich immer hin und her gerissen war zwischen dem Teil von mir, der hier eine neue Heimat gefunden hatte und dem Teil, der melancholische Sehnsucht nach neuen Abenteuern hatte.

 

Den entscheidenden Anstoß mich endlich wieder auf den Weg zu machen hatte dann eine Stimme aus längst vergangenen Zeiten. Es war einer dieser typischen lauen Abende in Kunchom die ich nach dem Unterrichtsende auf einer der Dachterrassen der Akademie verbrachte, ein Glas gekühlten Weins in der Hand und über einem Buch brütend, das ich mir aus der Bibliothek ausgeliehen hatte. Curriculum der Magica Destructiva, verfasst von einem früheren Lehrstuhlinhaber für hermetische Magie, um für die nächsten Unterrichtseinheiten vielleicht noch ein paar neue Ideen zu finden, aber das Ganze war so trocken, da würden mir die Schüler eher einschlafen… als einer der Akademiediener eine Botschaft brachte, verschlossen mit einem roten Siegel, das ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Das Haus derer zu Löwenhaupt, die Herzogenfamilie von Weiden. Nach so langer Zeit und auf diese Entfernung? Schlagartig war ich wieder völlig wach und neugierig. Eine kribbelige Vorfreude erfasste mich, als ich das Siegel brach und die Nachricht entrollte. Eine Einladung! Nach Weiden zu einem Turnier und der Volljährigkeitsfeier von Prinz Arlan von Weiden. Den kleinen Jungen hatte ich schon fast wieder vergessen, wie viele Jahre war das jetzt schon her? Nebelhafte Erinnerungen stiegen in mir auf. Meine erste Begegnung mit einem leibhaftigen Azzitai, Aldare von Donnerhal, Arlan selbst, mein erster Flug (und Absturz) mit einem Hexenbesen, schattenhafte Wölfe und nächtliche Schrecken… irgendwo ganz weit hinten in meinem Kleiderschrank musste noch das Gunstband derer zu Löwenhaupt hängen, dass sie mir damals verliehen hatten. Der Entschluss zu gehen traf mich unmittelbar und mit der Wucht eines Korhammers – ich hatte meinen faulen Arsch schon viel zu lange an diesem Ort festgekettet. Es wurde Zeit wieder ins Land zu ziehen, und welcher Anlass war besser geeignet als eine Einladung zur Feier eines Prinzen?

 

Die Formalitäten (die eigentlich nur daraus bestanden mich beim zuständigen Magister abzumelden und zu versprechen, der Akademie nach Möglichkeit dafür irgendeinen interessanten Gegenstand mitzubringen) waren schnell erledigt. Meine Reisesachen zu entstauben dauerte da fast schon länger, aber in das eine Zimmer das ich an der Akademie hatte ging eh nicht so viel hinein, dass es schwer gewesen wäre alles gleich bei der Hand zu haben. Mein treuer Brauner Rasputin war schnell gesattelt und Wenzeslaus, das olle Maultier direkt beladen. Bildete ich mir das ein, oder spannte meine Rüstung etwas um die Leibesmitte? Das Essen an der Akademie war ja wirklich gut, aber ich hätte wohl doch den ein oder anderen Dauerlauf mehr machen sollen… Der Seeweg ist einfach der schnellste, selbst mit Reittieren dabei, wobei der direkte Weg über Beilunk dann durch Tobrien versperrt war. Verdammter Borbarad! Aber bis Vallusa fand sich schnell eine Passage und so konnte ich auch noch schnell in den Drachensteinen bei Wellenglanz vorbei schauen.

 

Eigentlich hatte ich ja gedacht, sie würde mir Vorwürfe machen, weil ich so lange nicht bei ihr aufgetaucht bin. Aber da zeigte sich dann einfach wieder, dass Drachen Satinavs Fluss anders empfinden als wir Menschen. Für sie war seit unserer letzten Begegnung kaum mehr vergangen als ein Wimpernschlag, in dem eben ein paar mal die Jahreszeiten gewechselt hatten, nichts weswegen man sich sorgen musste. Wir verbrachten mehrere Tage miteinander dabei, durch die Drachensteine zu fliegen und Neuigkeiten auszutauschen. Wobei der Schwerpunkt eigentlich beim fliegen und einfach gemeinsam Zeit verbringen blieb, Neuigkeiten gab es bei uns beiden nur wenige. Dafür genossen wir es, gemeinsam durch den Himmel, über die Gipfel der Drachensteine und die steilen Schluchten zu gleiten. Kor und Hesinde, hatte ich dieses Gefühl der Freiheit vermisst. Ich merkte direkt, dass mir seltsamerweise der Flug auf einem Drachen leichter fiel, als mich auf einem Pferderücken zu halten, wir verrückt war das denn! Das Band zwischen uns war nicht schwächer geworden. Im Gegenteil hatte ich den Eindruck, dass unser Verständnis füreinander instinktiv noch gewachsen war, seit ich den Splitter aus dem Karfunkel der ersten Perldrachin in mich aufgenommen hatte. Wir waren nicht nur Freunde, ein Teil von uns war sozusagen aufeinander eingestimmt. In der Nacht vor meiner Abreise hatte ich wieder diesen verrückten Traum, auf dem Rücken von Wellenglanz reitend Burg Tobelstein anzugreifen und dem Erdboden gleich zu machen… aber ich musste weiter, wollte ich die Feier von Arlan nicht verpassen. Auf dem Rückweg vielleicht…

 

Bis zum Neunaugensee war es keine Woche Reise mehr die mich wenig Mühe kostete. Wer wohl noch alles bei diesem Zusammentreffen auf mich wartete? Mit Sicherheit Sindaya, die war ja jetzt fest an Arlans Seite, sozusagen seine Kinderfrau. Felian wohl leider nicht mehr, er war soweit ich wusste im hohen Norden heldenhaft in einer Schlacht gefallen – Berufsrisiko sozusagen. Und was aus Murano geworden war konnte ich nicht einmal mutmaßen. Aber ich war gespannt!

 

Dieser Eintrag wurde am 1.06.2019 (00:32) verfasst und 524 mal aufgerufen.
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