Tagebuch von Victor Dondoya Aureumresistis Stellamane D'Pelisario von Al'Anfa
Interludium ( 1029)

Wir hatten es geschafft, wenn auch auf andere Art und Weise als ich es mir erhofft hatte. Die wenigen Feinde die noch verblieben waren befanden sich auf der Flucht, aber ich war mir sicher das alle, vielleicht außer Samar al Regilor auf ihrem Dämonenross, die Elfenwälder nicht lebend verlassen würden. Zumindest wenn die Geschichten über das alte Volk stimmten, die man sich erzählte. Aus dem Zirkel der die Globule verschlossen hatte lebten alle, bis auf die Elfe Moorlied, noch, was ich als Erfolg werten würde. Das hätte vermutlich, so wie in unserem Traum, auch völlig anders ausgehen können. Dafür hatte ich jetzt eine recht genaue Vorstellung, was die Elfen meinten, sie würden bei ihrem Tot „ins Licht gehen“, denn es war tatsächlich so, dass sich Moorlied vor meinen Augen im Zentrum der Kraft die sie gebündelt hatte, Stück um Stück vergangen war, bis sie sich selbst im wahrsten Sinne der Worte in Licht aufgelöst hatte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Aber sie schien dabei nicht gelitten zu haben, also ist vielleicht dieser elfische Weg zu sterben nicht einmal der schlechteste.

Auch erst im Nachhinein wurde mir die Gefahr voll bewusst, in die ich mich hier fortwährend begeben hatte. Das Risiko so nah an der Globule mittels des Transversalis durch den Limbus zu springen war mir ja noch bewusst. Aber was hätte auf dem Nodix hier noch alles geschehen können. Nun war der Transversalis im Vergleich zu den sonstigen dort während der Rituale freigesetzten Kräfte vergleichsweise irrelevant, wenn auch nicht völlig risikofrei. Aber wie ich meine Kraft in das Ritual integriert hatte hätte durchaus zu einer spontanen Überschreitung der kritischen Essenz führen können! Ich habe ja schon von Magiern gehört, bei denen dies zu akuter Entleibung, vorübergehendem Aufheben der Grenzen Deres oder dauerhaftem Wahnsinn geführt hatte. Oder kannte Moorlied tatsächlich auch hier ein uraltes Geheimnis, um den Kraftfluss in der Balance zu halten mit der Umgebung? Ich werde es wohl nie erfahren…

Der Rückweg nach Donnerbach durch die Elfenwälder war eine einzige Verwirrung aus verschiedensten Grüntönen. Wir waren alle geistig und körperlich ausgelaugt und die mitzunehmenden Blutopfer erleichterten uns den Weg auch nicht gerade. Das Einzige was ich halbwegs sicher sagen konnte, da wir ja als Fixpunkt mit dem 12. Travia den Tag des Rituals kannten, war das wir noch einmal etliche Tage in den Bergen und Wäldern verbrachten und erst am 20. Travia Donnerbach erreichten. Bis wir dort ankamen war schon recht sicher, dass unser gemeinsamer Weg hier zunächst sein Ende finden würde. Sari und Faramud wollten unbedingt weiter in den Norden. Sari um mit ihrer Sippe wieder vereint zu sein und von den Schamanen ihres Volkes unterrichtet zu werden. Und Faramud erzählte irgendetwas davon den nördlich der Salamandersteine lebenden „Uralten“, damit meinte er Riesen, seine Aufwartung machen zu wollen, wenn er schon einmal ohne weitere Aufgaben hier oben war. Pamina, das konnte ich nachvollziehen, hatte ein dringendes Anliegen ihre Familie im Horasreich zu besuchen, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte. Und da es Surina ebenfalls zurück in ihre Heimat zog würden die beiden wohl zusammen reisen. So blieb ich also alleine zurück um ebenfalls den Heimweg anzutreten, denn ein Umweg über das Horasreich würde mich Wochen, wenn nicht gar Monate kosten auf dem Weg nach Al’Anfa.

Allerdings schien sich unser Erlebnis zumindest unter den Elfen schneller verbreitet zu haben, als wir laufen konnten, denn in Donnerbach wurden wir bereits erwartet. Wir waren am Abend, noch erschöpft von der Wanderschaft, gerad erst eingekehrt, als eine Elfe wie ich sie noch nie gesehen hatte – ich hatte ja allgemein noch nicht viele Elfen kennengelernt – an uns herantrat, ein großes, schmales Päckchen unter dem Arm. Die Elfe hatte, ich kann es nicht anders nennen, eine für ihr Volk geradezu düstere Ausstrahlung. Ihr schwarzes Haar und die ebenfalls schwarzen Augen wären einem jedem Magus meiner Zunft hervorragend gestanden und ihr kühles Wesen machte sie nicht gerade zugänglicher. Dennoch bestand sie darauf, uns den Inhalt ihres Päckchens, ein Gemälde von ebenfalls finsterer Ausstrahlung, zu zeigen und von uns aus erster Hand zu erfahren, was wir erlebt hatten.

Eigentlich wollte ich nicht jedem dahergelaufenen Elf die Geschichte auf die Nase binden. Aber nachdem ich das Bild betrachtet hatte, konnten wir gar nicht anders. Die Elfe nannte sich Morvay sieht-schwarze-Federn-fallen aus der Krähenruf-Sippe und war eine Malerin, die ihre Visionen für die Welt in ihren Bildern festhielt. Auf dem Bild war eine elfische Gestalt auf einem Hügel gesplitterten Eises zu sehen. Der Himmel dahinter war dunkelviolett und bedrohlich, das nebelweise Haar flatterte in einem nicht zu sehenden Sturm. Die Gestalt erinnerte mich frappierend an Navahon Luchsweiser. Die Arme hatte der Elf beschwörend erhoben und aus den Fingern zuckten rote Blitze in den Himmel. Die Augen leuchteten regelrecht golden und zornig aus dem Bild und schienen den Betrachter gefangen nehmen zu wollen, während zu Füßen der Gestalt schwarzer Nebel wallte. Ich schauderte, als ich die Szene sah, die mehr als nur ein bisschen Ähnlichkeit mit dem gerade erlebten hatte. Also erzählten wir ihr, was vor kurzem in dem abgelegenen Tal geschehen war. Sie sagte nicht viel dazu, nickte nur immer wieder bestätigend und wissend, was mich noch mehr irritierte, bevor sie sich von uns mit einem freundlichen Dank verabschiedete. Seltsamerweise wirkte sie dabei erleichtert. Welche Last diese Elfe wohl für sich tragen mochte?

Wir gönnten uns noch ein paar Tage Ruhe in Donnerbach, bevor wir aufbrachen, jeder in eine andere Richtung gehend. Aber ich war mir, bei allen außer Sari, relativ sicher, dass wir uns früher oder später wiedersehen würden, immerhin wartete in Al’Anfa ja noch ein unermesslicher Schatz auf sie, den sie dann in meines Vaters Kontor würden abholen wollen. Nur Sari, die sich ja nichts aus Gold machte war ich mir da wirklich nicht sicher, ob sie den langen Weg für einen Haufen Metallscheiben auf sich nehmen wollte. Aber wir würden sehen… in einer seltenen Gefühlsaufwallung umarmte ich die treuen Gefährten noch einmal zum Abschied, selbst Faramud. Sie waren mir alle irgendwie ans Herz gewachsen in den letzten Monden und bei den gemeinsam überstandenen Gefahren. Insbesondere Sari und Pamina würde ich herzlich vermissen, aber auch Faramud als sicheren Schutz an meiner Seite und selbst Surina die uns ja noch nicht so lange begleitete hätte ich lieber noch mit mir genommen, statt sie jetzt ihrer Wege ziehen zu lassen. Aber das wollte Aves mir offensichtlich nicht vergönnen.

Die entstandene Zuneigung und das Vertrauen schienen jedoch auf Gegenseitigkeit zu beruhen, zumindest bei einigen. Das eindrücklichste Beispiel dafür lieferte mir Pamina, als sie sich von mir verabschiedete. Ich meinte sogar, ein paar Tränchen in ihren Augenwinkeln zu sehen, als sie mir versprach mich bald in Al’Anfa zu besuchen. Aber dann überraschte sie mich – in zweierlei Hinsicht. Denn zum einen schien sie mir nicht nur immer wieder gut zugehört und sogar anscheinend manches verstanden zu haben. Nein, sie schenkte mir auch einen immensen Beweis ihres Vertrauens in mich, indem sie ein Taschentuch und ihren Dolch zückte, sich sacht in den Arm schnitt, das austretende Blut auffing und mir dann das Tuch reichte. „Hier, das ist für Dich. Du hast gesagt, mit so etwas kannst Du mich immer finden oder mir Nachrichten zukommen lassen.“ Dann schienen ihr die Worte zu fehlen, aber mir ging es nicht anders. Damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet, das war wahrlich einer der innigsten Beweise von echtem Vertrauen sowohl in meine Integrität als auch meine Fähigkeiten, die mir jemals jemand entgegengebracht hatte. Ich musste heftig schlucken, um meine Rührung zu verbergen. Bei Hesinde, dieses Vertrauen würde ich niemals mehr verspielen wollen! Und sollte sie mich jemals brauchen… nun, gerade war sie in den Kreis der Personen aufgerückt, die ich wie meine Familie bedingungslos beschützen würde. Ich nickte ihr stumm zu und umarmte sie noch einmal, einfach wortlos, weil ich nicht wollte, dass sie möglicherweise die Rührung in meiner Stimme hörte, wenn ich dazu etwas sagen würde.

Sari und Faramud verabschiedeten sich bereits in Trallop von uns, während Pamina und Surina mir zumindest noch bis Trallop erhalten blieben. Aber da ihr Weg nun nach Efferd aber meiner gen Rahja führte hieß dies nun endgültig Abschied nehmen. Ich gebe zu, ich fühlte mich in den ersten Tagen schon ein wenig allein gelassen, als ich so meiner Wege ohne jegliche bekannten Gesichter ging. Ich war natürlich selten allein, denn so viele Straßen gab es hier ja nicht. Meist fand sich in den Gasthäusern und Schänken am Morgen jemand, der in die gleiche Richtung ging und mit dem man sich für einen oder mehrere Tage zu einer spontanen Reisegruppe zusammenschließen konnte. Aber das war einfach nicht dasselbe…

Über Braunsfurt nach Salthel, über einen Bergpass der schwarzen Sichel hinüber ins Tobrische und dann von Kleinwardstein über Perainefurt bis nach Vallusa führte mich der Weg, dessen länge ich offenbar unterschätzt hatte. Ich hätte gedacht, ich könnte die Küste in vielleicht einer Woche oder 10 Tagen erreichen. Das hätte ich mit einem Pferd vermutlich – ich verfluchte Faramud an dieser Stelle noch einmal herzlich – auch geschafft. So aber benötigte ich für den Weg, zu Fuß oder manchmal auf einem Karren mitfahrend, über zwei Wochen. Wenigstens hatte ich dadurch abends, und später auf dem Schiff, genügend Zeit mich mit dem in Punin erworbenen Buch „Von der Entwicklung übernatürlicher Willenskraft“ zu beschäftigen. Dabei waren in der ganzen Zeit, das Reisewetter war im Allgemeinen gut und es bildete sich auch niemand ein mich überfallen zu wollen, nur zwei Dinge wirklich erwähnenswert.

Das erste geschah, als ich, noch zwischen Braunsfurt und Braunenklamm, alleine reisend die Mittagsrast im Schatten eines Baumes am Ufer des Braunwasser machte und mir gerade ein Stück Brot mit dem herzhaften weidener Käse, der ein recht starkes Aroma hatte, einverleibte. Niemand störte die Ruhe weit und breit, als sich ein mir bereits vertrautes Kribbeln im Nacken einstellte und der wohlbekannte leicht schwefelige Geruch verbunden mit einer Woge der niederhöllischen Kälte aufwallte. Neben meinem Lager manifestierte sich, wie aus dem Nichts, im dunkelsten Schatten der Baumkrone der niederhöllische Bote Karunga mit einem leisen, irren Kichern. Ich spannte mich innerlich, denn wirklich sicher ob ich diesmal gelobt würde oder bestraft, weil ich den letzten „Auftrag“ nicht erfüllt hatte, war ich mir bei den Niederhöllischen ja nicht. Aber ich schien mir keine Sorgen machen zu müssen, denn die flüsternde Stimme des Dämons war auch nicht bedrohlicher, als sie es bisher gewesen war, soweit man bei Dämonen von „freundlich“ sprechen konnte. „Du hast meiner Herrin Iribaar ordentlich gedient, auch wenn Du ihren Willen nicht erfüllt hast, Mensch. Aber Du hast ihr Geschenk zu einem Zweck verwendet, der ihren Zielen diente und du hast die Rückkehr des sechsten Tagherrschers vereitelt. Denn dies wäre auch meiner Herrin ein Gräuel gewesen… so Empfange nun also ihr Geschenk.“ Ich wartete neugierig, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, und entspannte mich etwas, als mir der Dämon in grünem Schimmer die letzten Buchstaben enthüllte und noch einmal zu sprechen begann. „Der Feind, den du unter dem falschen Namen Samar al Regilor kennst, heißt in Wahrheit Perizel Al’Balam Saba Mordai. Diese früher als dümmliche Novadi und jetzt Dienerin des Namenlosen verblendete treibt ihr Spiel schon viel zu lange und ist meiner Herrin ein Dorn im Auge, deswegen sollst Du nun mehr erfahren. Sie ruft die Kinder des Abgrunds, deren wahre Namen sie kennt, nach ihrem Belieben und will die Macht des Namenlosen mehren, um ihn am Ende in eure Sphäre zurück zu rufen und seine Gunst zu erlangen. Diesmal plante sie, dies mit der Rückkehr des Tagherrschers zu erwirken, aber sicher sind ihre finsteren Pläne und Ränken noch nicht erschöpft. Sie ist dem Wahn verfallen, als ihr Mann sie für eine jüngere Verstieß und hat nicht nur ihre Familie ermordet und ihr Heim angezündet, sondern dem Rattenkind all ihre Haare geopfert. In Ihren Lehren verschmilzt sie auf perfide Art und Weise den Glauben der Novadis an einen einzelnen Gott mit den Ränken des Güldenen, um sich dort eine Machtbasis zu schaffen und die leichtgläubigen Kameltreiber für ihr Zwecke zu missbrauchen oder zu ihren Lehren zu bekehren. Dort solltest Du sie suchen… meine Herrin hätte nichts dagegen, wenn dieser Dienerin des Namenlosen ein Unfall geschieht. Und falls Du mehr erfahren möchtest… Du weißt ja, wer gegen eine kleine Gabe immer bereitwillig sein unermessliches Wissen mit den Menschen zu teilen bereit ist…“ Dann kicherte der Dämon noch einmal auf seine irre Art und verschwand, genauso schnell wie er gekommen war. Natürlich würde ich diesen Köder nicht schlucken, auch wenn es verlockend war. Aber ich wusste nun erst einmal genug, um mir meine eigenen Gedanken machen zu können, wie ich meine Rache noch bekommen würde. Und ob ich Perizel dann im Tot zu den Göttern oder vielleicht doch in die siebte Sphäre als Geschenk senden würde… das konnte ich mir ja immer noch überlegen. Iribaar würde mich sicher nicht unentlohnt lassen, wenn ich dies täte. Und von den Zwölfen, dass muss man zugeben, blieben solche guten Taten ja doch meist unvergolden. Also wollte ich da einfach einmal nichts von vornherein ausschließen…

Das zweite was ich nicht unerwähnt lassen möchte, auch wenn es eher eine Randnotiz ist, war ebenfalls eine kleine Versuchung, wenn auch ganz anderer Art. Bei Kleinwardstein hätte ich von meinem Weg abweichen können, denn dort führte eine Straße gen Praios nach Yol-Ghurmak, der letzten Wirkstätte von Meister Galotta. Es juckte mich den ganzen Abend und die Nacht in der Festungsherberge über, mir diesen sagenumwobenen Ort einmal mit eigenen Augen anzusehen. Angeblich ja die größte und mächtigste Dämonenschmiede des Kontinents, voll von niederhöllischen Wundern und unermesslichen Möglichkeiten für denjenigen der stark genug wäre das Schicksal beim Schopf zu packen. Aber als ich mich am Morgen endgültig entscheiden musste, siegte meine Sehnsucht nach der Heimat und der Familie. Und der Aussicht wieder mit Visaria vereint zu sein! Bei ihr würde ich ohnehin Abbitte leisten müssen, dass ich schon wieder so lange verschwunden war, wo ich doch nur eine kurze Fahrt unternehmen wollte. Aber ich hatte mir schon überlegt, wie ich es bei ihr wiedergutmachen wollte. Zumindest wenn ihre Familie mitspielen würde. Ich müsste ja später noch ins Horasreich reisen um meine Schulden bei Fabrizio zu begleichen und mein Patenkind Miguel zu besuchen. Und nur dort würde ich wohl auch einen ausreichend kompetenten Lehrer des Aureliani finden, sei es in Bethana, Vinsalt oder gar Kuslik. In jedem Fall würde mir da noch eine Reise bevorstehen, und im besten Fall würde ich Visaria auf diese mitnehmen und sie nicht nur zum Studium, sondern gleich als gemeinsame Urlaubsreise nutzen können. Ich war mir nur noch nicht ganz sicher, wie ich ihre Familie von diesem Ansinnen überzeugen sollte. Denn die Reise mit einem zusätzlichen Anstandswauwau der Ulfharts zu verbringen käme natürlich auch nicht unbedingt in Frage…

Also setzte ich meinen Weg weiter fort um am Ende der Straße endlich Vallusa zu erreichen um mir dort eine Schiffspassage zu suchen.

Vallusa betrat ich über die tobrische Brücke und musste eine, angesichts der nähe zu den schwarzen Landen nicht verwunderlich, recht strenge Befragung und Visitation über mich ergehen lassen. Das Zutrauen in Magier jeglicher Couleur, selbst mit der Reputation eines Abschlusses und der Gilde im Rücken, schien hier nachhaltig erschüttert zu sein – oder sie sagten sich einfach, Vorsicht sei die Mutter der berühmten vallusaner Porzellankiste. Quartier nahm ich dann bis zur Abfahrt vom Hafen 4 Tage später in der Brückstube. Einem ordentlichen Haus, in dem ich mich in Ruhe meinen eigenen Angelegenheiten widmen konnte. Es gingen von hier immer wieder einmal einzelne Schiffe nach Festum und Konvois durch die blutige See gen Süden. Es war tatsächlich überhaupt kein Problem auf dem nächsten Konvoi eine Passage zu bekommen, nachdem ich erbot mich als Schiffsmagus nützlich zu machen, solange ich dafür die Fahrt samt Verpflegung unentgeltlich bekommen würde. Die Schivonella „Stern von Terubis“, die unter liebfeldischer Flagge auf dem Rückweg von Festum war nahm mich gern an Bord und so konnte ich unter Efferds wohlwollenden Augen meine Reise fortsetzen.

Unsere Passage war von wechselhaftem, aber nicht allzu schlimmen Wetter geprägt. Bei der Durchfahrt der blutigen See hatten wir mit den üblichen Unannehmlichkeiten zu kämpfen. Ein xeraanischer Pirat meinte, einen Nachzügler der Flottille überfallen zu müssen, dem wir zu Hilfe kamen und die blutrünstigen Bastarde wieder vertrieben. Einen dichten Algenteppich, bei dem ich durch Betrachtung mit dem Oculus Astralis eine Ulchuchu-Verseuchung vermutete, mussten wir umfahren und verloren etwas Zeit. Und einen nächtlich aufziehenden stinkenden Nebel überstanden wir durch das verstärken der Positionsbeleuchtung und regelmäßige Signale, die wir uns gegenseitig mit den Schiffsglocken gaben. Ansonsten bestand meine Aufgabe eher darin, leichtere Blessuren der Matrosen zu kurieren, soweit das abergläubische Seemansvolk überhaupt einen Magier an sich heranließ. Aber im Großen und Ganzen waren die 10 Tage bis Khunchom eine der angenehmeren Seereisen, die ich bisher absolviert hatte.

Eigentlich hätte ich ja einen mehrtägigen Aufenthalt in Khunchom geplant. Aber da die „Stern von Terubis“ schon in zwei Tagen nach der Löschung der Fracht und Neubeladung und einem Landgang für die Besatzung schon weiterfuhr und mich sogar noch bis Al’Anfa mitnehmen würde, stellte ich diese Pläne hintenan. Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, bei Yunasia an der Akademie vorbeizusehen. Ich wollte ihr unbedingt von den letzten Erlebnissen berichten, insbesondere von meinen Erlebnissen mit dem elementaren Meister im Kalifat und der hexaelementaren Verschmelzung bei dem Ritual zur Bannung des Tagherrschers. Sie schien tief beeindruckt von den Möglichkeiten, die die Zauberwirker der Nivesen zustande brachten und ich sie fragte mir eine Nacht lang ein Loch in den Bauch, auch wenn ich nicht alle ihrer Fragen zur Zufriedenheit aufklären konnte. Mir war ja selbst das meiste davon ein Rätsel geblieben – mit ihrem Wissen um den Elementarismus wäre der Erkenntnisgewinn auf der Reise sicherlich ungleich größer gewesen. Deswegen versprach ich ihr auch, sollte ich noch einmal mit Sari in ihrer Nähe vorbeikommen, würde ich die beiden sicherlich bekannt machen. Sie würden sich bestimmt prächtig verstehen!

Und schon ging es weiter in Richtung der Heimat, ehe ich mich versah. 14 Tage segelten wir nun entlang der Küstenlinie, sogar mit dem Studium meines Buches war ich fertig bevor wir ankamen so dass ich begann mich zu langweilen, bis wir endlich die vertrauten Umrisse der schönsten Stadt Deres sahen. Ich stand schon eine ganze Zeit erwartungsfroh an der Reling, seit wir das Kap in die Bucht von Al’Anfa passiert hatten. Mir konnte es nun gar nicht mehr schnell genug gehen und ich hatte mich vom Kapitän bereits verabschiedet, als wir endlich am Kai anlegten. Die Planke hatte kaum den Boden berührt, als ich schon von Deck stürmte und mich in das geschäftige Treiben des Hafenviertels stürzte. Bereits die letzten Tage hatte ich überlegt, was ich hier in welcher Reihenfolge erledigten wollte. Und egal wie ich es drehte und wandte, es war mir alles so wichtig, dass ich mich am liebsten zerteilt hätte.

Der erste Weg, einfach weil es der kürzeste war, führte mich zu Vaters Kontor um dort zu verkünden, dass ich wieder zuhause war und mich spätestens zum Abend in der Villa einfinden würde. Ich hatte Glück, dass Vater zu einem Geschäft im nahen Phextempel war, denn sonst wäre ich sicher nicht so schnell wieder fortgekommen. So konnte ich mir aber sicher sein, dass ein Diener die Nachricht schon überbringen würde und ich den Gang erledigen konnte, der mir fast noch wichtiger war, bevor ich meine Familie wiedersehen wollte.

Auf dem Weg durch die Stadt in Richtung des Silberbergs machte ich eine ganz kurze Station bei einem Barbier um mein Haar richten zu lassen, mich bei einem Bader zu reinigen und in meine gute dunkle Robe zu wechseln. Solcherart aufgehübscht traute ich mich nun auch, bei den Ulfharts vorstellig zu werden um Visaria nach der langen Zeit meine Rückkehr zu verkünden und sie, wenn sie es denn so spontan würde einrichten können, zur heute sicher wieder stattfindenden abendlich Erzählstunde in die Villa meiner Eltern einzuladen. Es war schon seltsam, wie ich, der ich ja ansonsten wenig befangen war und mich den größten Gefahren der Welt mit sicherem Stand stellte, dem Wiedersehen mit meiner süßen Visaria mit einem Kloß im Hals, einem Knoten im Magen und leicht unsicheren Knien entgegensah als ich die Tore des ulfhartschen Anwesens durchschritt in den Sklaven hieß, mich anzukündigen.

 

Wobei ich das Portal der Villa, geschweige denn die Mauer des Anwesens nicht einfach so überwand, man war ja schließlich auf dem Silberberg. Vier gut gerüstete Wachen mit dem Wappen der Ulfharts auf der Brust, einer silbernen Galeere auf Meerblau, musterten mich trotz meiner eindeutigen Erkennbarkeit als Magus von Stand misstrauisch, und ich musste mich dem Majordomus gegenüber vorstellen bevor ich eingelassen wurde. Glücklicherweise schien ihm mein Name bekannt zu sein, was mich verwunderte aber erfreute, so dass ich nicht noch einer näheren Überprüfung unterzogen wurde. Man bat mich in das Foyer, prächtig ausgestattet mit dem neuesten Pomp der für Geld zu erwerben war, und ließ mir als Erfrischung für die Wartezeit gekühlten Wein und Früchte reichen.

Ich bekenne, ich war ein wenig angespannt ob der freudigen Erwartung Visaria endlich wiederzusehen. Ob sie mich wohl schelten würde, weil ich wieder so lange fortgeblieben war? Ich jedenfalls würde das mit mir selbst tun. Eine Gute Erklärung hin oder her, das Weltenretten ist ja ganz schön, aber ein wenig fürchtete ich mich davor, mir ihren Zorn zugezogen zu haben. So wartete ich also wie ein nervöser Schuljunge auf der Bank und sprang eilends auf, als ich die Schritte mehrerer Personen näherkommen hörte. Der freudige Knoten, den ich gerade noch im Magen gespürt hatte, wanderte unversehens hinauf in meinen Hals, als die kleine Gruppe um die Ecke kam, meine Vorfreude schmolz wie Neuschnee in der Khom. Das war nicht Visaria, die da heranschritt. Ich machte eilig eine höfliche Verbeugung, bevor ich mich wieder sammelte.

Dort vor mir stand, begleitet von einer Entourage aus zwei Wachen, einer Leibdienerin einem Sekretarius und einer Kollega in aufregend eng geschnittener Robe, die Herrin des Hauses Ulfhart, Tsaiane höchstselbst. Eine strenge Schönheit, welche die 50 Götterläufe sicher schon überschritten hatte und, soweit ich das wusste, Visarias Tante oder Großtante war. Ich schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals breit gemacht hatte hastig hinunter, straffte mich und gab mir größte Mühe, ein gewinnbringendes Lächeln zustande zu bringen. Damit, direkt von der Hausherrin empfangen zu werden hatte ich nun absolut nicht gerechnet, aber das sollte mich nicht davon abhalten, mein Anliegen vorzutragen.

Ich wollte mich gerade vorstellen, zu einer Erklärung ansetzen und darum bitten, zu Visaria vorgelassen zu werden, da Schnitt mit die Dame Ulfhart schon mit einer autoritären Handbewegung das Wort ab. Obwohl sie dabei ebenfalls lächelte hatte ich das Gefühl, wie eine Sardine vor dem Maul eines lauernden Haifischs zu schwimmen. Sie erklärte mir ohne große Umschweife, anscheinend war sie bestens im Bilde was mich anging, das Visaria derzeit zu einer kleinen Kaffeegesellschaft mit anderen Damen aus gutem Hause in der Stadt weile und nicht vor dem Abendmahl zurückerwartet würde. Bei Phex, war es denn zu viel verlangt, sie direkt wieder sehen zu dürfen nach der langen Zeit? Andererseits… es wäre wohl tatsächlich ein Zufall gewesen sie heute hier müßig anzutreffen. Sie würde ja kaum tagein tagaus zuhause sitzen und auf meine unsichere Rückkehr warten, nicht wahr? So betrachtet, kam mir mein Verhalten schon fast töricht vor. Aber dann änderte sich der Tonfall der Dame Ulfhart, unmerklich zwar, aber für den aufmerksamen Zuhörer grade noch erkennbar. „Uns ist zu Ohren gekommen, ihr hättet nicht unwesentliche Anteile an einem kürzlich der Phexkirche erwiesenen Dienst gehabt und seid dabei zu einem gewissen Wohlstand gelangt“. Ich war mir nicht sicher, ob das eine Feststellung oder Frage war und wollte gerade Antworten, da fuhr sie auch schon fort. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass mich die Kollega in ihrer Begleitung eindringliche und konzentriert musterte und die Lippen bewegte. Reiß dich zusammen, Victor, und denk jetzt an nichts Falsches! „Nun ist ein solches natürlich noch keine Eintrittskarte in unser Anwesen, aber ihr habt zumindest meine Neugier geweckt, wenn der Vogtvikar der Kirche wohlwollend von Euch spricht, junger Mann.“ Dabei lächelte sie wieder dieses Haifischlächeln und ich hatte das Gefühl, eine bereits ausgelegte Schlinge zöge sich um meine Füße zu. „Ich gestatte Euch, Euren Wunsch vorzutragen.“ Und dabei sah ich in ihren Augen, dass sie bereits genau wusste, was ich wollte. Kurz war ich versucht, nur aus Prinzip und um sie zu überraschen, etwas völlig anderes vorzutragen, als das weswegen ich gekommen war. Aber andererseits… im besten Fall würde ich ein Spiel mit ihr beginnen, dass ich unmöglich gewinnen konnte und um schlimmsten Fall mochte ich damit das bisschen Wohlwollen verspielen, das ich derzeit anscheinend zu genießen schien und mir und Visaria alles unnötig verkomplizieren. Ich räusperte mich noch einmal, bevor ich in, so hoffte ich zumindest, halbwegs selbstsichern Ton meine Bitte vorbrachte, die ich auf die Schnelle improvisierte. „Hochverehrteste Dame Ulfhart, wie ihr sicher wisst, ist es im Hause meiner Familie mittlerweile gute Tradition, das ich am Abend nach meiner Rückkehr die Geschichte meiner Reise Vortrage um allen einen unterhaltsamen und spannenden Abend zu bieten. Das mindeste, mit dem ich meine gelegentlichen Abwesenheiten wett machen kann. Ich wäre Euch überaus verbunden, wenn ihr es der verehrten Dame Visaria ausrichten lassen und ermöglichen würdet, dass ich über ihre Anwesenheit dabei überaus entzückt wäre.“ Vor lauter hochgestochenem geschwülzte bekam ich fast einen Knoten in die Zunge. Wäre meine Hautfarbe heller, hätte man mich wohl erröten sehen, aber ich war mir fast sicher, dass die Kollega an der Seite der Herrin Ulfhart sich dessen nur zu bewusst war, auch wenn ich die Bilder in meinem Geist bewusst neutral gehalten hatte.

Sie schien einen Augenblick zu überlegen – fast hatte ich den Eindruck, nur der Form halber – bis sie mit der Zunge ein schnalzendes Geräusch machte und dann nickte. „Ich will einmal nicht so sein. Ihr jungen Leute seid einfach so berechenbar…“ sie machte eine huldvolle Geste. „Ich werde einen der Diener zu ihrer Kaffeegesellschaft schicken und sie über die Bitte in Kenntnis setzen.“ Bei diesen Worten machte mein Herz einen kleinen Luftsprung und ich riss mich zusammen, damit dieser sich nicht auf meine Beine zu einem unziemlichen Hopser übertrug. Ich wollte mich gerade bedanken und abwenden, um der Dame Ulfhart nicht noch mehr ihrer Zeit zu stehlen, da unterbrach sie mich schon wieder mit einem leichten Winken. Und was sie dann sagte, ließ mir das Herz regelrecht in die Robe rutschen. „Ich gehe davon aus, dass sich Eure Einladung anstandshalber auch auf mich selbst erstreckt. Ihr dürft Euren Eltern ausrichten, dass ich mich sehr über die Einladung zum abendlichen Dine und den Ausblick auf eine spannende Geschichte im Anschluss danach freue. Ihr dürft Euch nun Absentieren, junger Mann, wir sehen uns später.“

Es war, als würde mir Eiswasser durch die Adern strömen, als ich mich umdrehte und ging. Hier hatte ich es ganz eindeutig mit einer Frau zu tun, die die Zügel in der Hand hatte – und ich war gerade das Pferd, das sie mit strenger Hand geritten hatte. Mit einem gewissen Gefühl der Hilflosigkeit, sie hatte mir eindeutig das Szepter des Handelns aus der Hand genommen, verließ ich die Villa Ulfhart um mich eilends zu meinem Elternhaus zu begeben. Wie viele Stunden noch bis zum Abendmahl? Gefühlt viel zu wenige! Mutter würde ob dieser Ankündigung rotieren! Wie Vater reagieren mochte, war ich mir allerdings nicht sicher.

Solcherart vor die Tür komplementiert machte ich mich hurtig auf hinab vom Silberberg zur Villa meiner Eltern. Der Weg war zwar nicht besonders lang, aber ich brauchte ihn tatsächlich, um wieder halbwegs zu klaren Gedanken zu kommen. Ich kam nicht umhin den Eindruck zu haben, dass in meiner Abwesenheit etwas geschehen war, von dem andere wussten, was mir aber noch entgangen war. Dere hatte sich hier eindeutig ohne mich weitergedreht und ich hing den Entwicklungen unerfreulicherweise hinterher. Das Gefühl ein Spielball von Dingen zu sein, auf die ich nicht direkt Einfluss nehmen konnte mochte ich ja überhaupt nicht. Das würde ich möglichst zügig ändern müssen. Aber jetzt galt es erst einmal den kommenden Abend zu überstehen, ohne sich dabei zu blamieren.

Als ich das Anwesen erreichte hatte ich mich wieder halbwegs im Griff und war auch nicht verwundert, dass man meine Heimkehr von Vaters Kontor aus auch hier bereits verkündet hatte. An den sich eifrig verbeugenden Dienern uns Sklaven vorbei eilte ich auf mein Zimmer um mir noch einmal schnell etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen und mich zu erfrischen. Ich hatte mich zwar erst vor dem Besuch bei Ulfharts frisch gemacht, aber zu sagen das mich das Auftreten Tsaiane Ulfharts ins schwitzen gebracht hatte, abgesehen von den Temperaturen auf dem Heimweg, war nicht untertrieben. Ich war nun hin und her gerissen, zuerst nach Nandurin zu sehen und meinen kleinen Liebling endlich wieder in die Arme zu nehmen, oder doch umgehend bei Mutter Rapport zu erstatten. Ich entschied mich für letzteres. Nandurin dürfte es kaum auffallen, ob er mich nun sogleich oder erst ein Stundenglas später sehen würde. Er würde mich deswegen auch kaum schimpfen. Mutter hingegen konnte solcherlei Dinge durchaus differenzieren und wäre höchstwahrscheinlich ungehalten über jede Minute Vorbereitungszeit, die ich ihr mit schuldhaftem Verzögern rauben würde. Heimzukehren und mir gleich Ungemach einzuhandeln wäre nicht die beste aller Ideen.

Also suchte ich Mutter auf, die gerade im Salon dabei war eine Sklavin zurechtzuweisen, die dem polieren des Sets bergkristallener Kelche ihrer Meinung nach nicht mit der gebotenen Sorgfalt nachgekommen war – und ich möchte anmerken, dass die Kelche in meinen Augen durchaus schon wie klares Eis funkelten. Aber ich schweife ab… Nachdem ich Mutter mit dem gebotenen Respekt und meiner ehrlichen für sie empfundenen Liebe eines Sohnes begrüßt hatte, hielt ich mich daher auch gar nicht lange mit irgendwelchem Geplauder auf, sondern setzte sie kurz und knapp darüber in Kenntnis, dass wir heute einen weiteren hochgestellten Gast zum Abendessen würden erwarten dürfen. Halb hatte ich erwartet, dass sie einen spitzen Schrei ausstoßen und mit wirbelndem Rock sofort Richtung Küche eilen würde, so wie es früher immer wieder einmal geschehen war – und schon wieder wurde ich überrascht, bereits das zweite Mal am heutigen Tage.

Ein nachdenklicher Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht, als sie mich prüfend musterte. „Folge mir“, sie nickte mir knapp zu. Ich ging ihr, überrumpelt von der ungewohnten Reaktion, folgsam hinterher. Sie eilte – gemessenen Schrittes möchte ich betonen – davon und betrat ohne zu zögern das Heiligtum des Hauses, also Vaters Arbeitszimmer, wo sie sich sicher, als wäre es das normalste der Welt, auf dem Schreibtischstuhl niederließ. Ein seltsam anmutender Anblick, meine zierliche Frau Mutter hinter dem wuchtigen Schreibtisch in dem ebenfalls wuchtigen, thronartigen Lederstuhl meines Vaters sitzen zu sehen. Mit sicherem Griff öffnete sie eine der Schubladen des Schreibtischs, nahm wie selbstverständlich Pergament, Feder und ein Tintenfass heraus und begann zu schreiben. Als sie fertig war lass sie mir kurz vor, bevor sie das Pergament zusammenrollte und mir überreichte:

"Die Praefecta Thesauri wird sich heute zum Dinnieren einstellen. Es scheint sich schneller als erwartet herumgesprochen zu haben, dass nicht nur Viktors „Reisegefährten“, sondern auch die junge Zeforika einen erklecklichen Anteil des Familienschatzes in Deine Obhut zur Verwaltung gegeben hat. Der Rat richtet sein Auge auf uns. Ich werde wie gewohnt vorbereiten und Viktor instruieren, dass er bei seinen Erzählungen keine zu großen Nägel in die Schiffsplanke treibt. Sei mit angemessenem Zeitvorlauf hier um Dich vorzubereiten“ 

Ich wollte Mutter schon fragen, was das zu bedeuten hatte, aber wieder kam ich nicht zu Wort – warum hatten heute alle Frauen anscheinend den Drang, mich herumzukommandieren? „Eile zu deinem Vater, überbringe es ihm persönlich und sorge dafür, dass er es liest und nicht auf die Seite legt.“ Das Mutter mich und nicht irgendeinen Diener damit beauftragte, ließ mich die Tragweite und ihre Erwartungshaltung an das heutige Ereignis erahnen, auch wenn ich mir immer noch keinen Reim darauf machen konnte. Aber zumindest konnte ich aus den geschriebenen Worten etwas mehr erahnen, was in meiner Abwesenheit geschehen war. Daher nickte ich nur gehorsam und erwiderte ihren Auftrag mit einem „Wie Du wünschst, Mutter, ich mache mich gleich auf den Weg.“ Bisher hatte ich ja angenommen, dass die Rolle meiner Mutter sich auf unser Heim und den Haushalt beschränkte. Mochte etwa an dem Spruch „hinter jedem starken Mann…“ auch bei uns etwas dran sein?

Was ich mir nun erlaubte, war zweierlei Dingen geschuldet. Zum einen wollte ich keine weitere Zeit verlieren, denn offenbar würde auch mir nicht viel Raum bleiben mich auf den kommenden Abend vorzubereiten. Und ich wollte endlich wieder das Gefühl haben, Herr meiner eigenen Handlungen zu sein. Mutter erwartete also, dass ich nun im Schweinsgalopp Richtung Hafen rennen würde? Ha! Nichts verschaffte einem mehr an eigener Initiative, als wenn man das Gegenüber überraschte – so wie mir es ja heute schon zweimal geschehen war. Als ich mich nicht umgehend in Richtung Tür in Bewegung setzte sah ich noch, wie Mutter die Stirn runzelte und dann selbst überrascht in das plötzlich leere Zimmer starrte, als ich meine Arme vor der Brust kreuzte und mit einem sacht gesprochenen „Transversalis“ von einem auf den anderen Augenblick verschwunden war.

Ja, es fühlte sich gut an, wieder das Heft des Handelns in der Hand zu halten, auch wenn mich bei der Durchquerung des Limbus ein kleiner körperlicher Schmerz durchzuckte – ich hätte mir vielleicht die Sekunden für einen vorbereitenden Gardianum nehmen sollen, aber manchmal war ich doch etwas impulsiv. Zum Glück war ich heute schon einmal im Kontor gewesen und hatte gesehen, dass die Galerie vor Vaters Büro frei war. Es wäre nichts ärgerlicher gewesen, als in einem Haufen gestapelter Waren zu apparieren und wieder zurückgeworfen zu werden – abgesehen von den damit verbundenen Schmerzen wäre es vor Mutter überaus peinlich gewesen. So aber stand ich nach einem Wimpernschlag im Kontor auf der Galerie, von der aus Vater gern einmal die Arbeiten seiner fleißigen Sklaven beaufsichtigte. Hinter mir hörte ich ein erschrockenes Keuchen, das stumpfe poltern eines schweren Gegenstandes und ein schmerzhaftes stöhnen. Als ich über die Schultern blickte sah ich einen der besagten Sklaven, dem mein unvermitteltes Auftauchen wohl einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Ich zuckte die Schultern, keine Zeit für solche Kleinigkeiten und ging zu Vaters Schreibstube.

Mutters Anweisung ließ ja nicht eben viel Interpretationsspielraum – manchmal war man einfach besser bedient, wenn man Aufträge Buchstabengetreu ausführte. Und genau das tat ich jetzt auch. Vater war auch nur ganz kurz ungehalten, als ich ihn beim Durchgehen einer Frachtliste störte und Mutters Nachricht übergab. Er wollte sie sogar, wie Mutter es geahnt hatte, auf den Papierstapel neben sich legen um sich dem Pergament später zu widmen, bis ich darauf insistierte, die Herrin des Hauses habe betont, er möge es bitte sofort zur Kenntnis nehmen. Mit einem tiefen Seufzen, das andeutete „was will sie denn nun wieder so Dringliches – benötigen wir schon wieder eine neue Sänfte?“ entrollte er das Schreiben. Zweimal huschten seine Augen über die Zeilen, dann runzelte er die Stirn und sah mich mit dem „Was hast Du jetzt schon wieder angestellt, Sohn?“ Blick an. Dann nickte er, mehr zu sich selbst als zu mir, bevor er mir in Augen sah. „Ich habe verstanden, sag meiner lieben Frau, ich werde die Arbeit heute früher beenden und bald nach Hause kommen.“ Als ich zögerte blickte er noch einmal von seiner Liste auf und zu mir hinüber. „Falls du dich fragen solltest, was du verpasst hast, eine Menge. Du warst ja auch wieder eine halbe Ewigkeit fort. Du hättest ruhig einmal eine Nachricht schicken können. Deine Mutter und Schwester haben sich sehr um dich gesorgt. Wie dem auch sei. Deine Freundin Melissa Zeforika war noch einmal in der Stadt und hat mithilfe der Kirche des Grauen und der Unterstützung meiner Wenigkeit eine Dschungelexpedition aufgestellt. Ich habe den Aufwand und das Ausmaß, das sie gefordert hatte ja für übertrieben gehalten. Aber bei Phex! Mit den Schätzen die sie auf das Schiff verladen hat und die nun sicher verwahrt hier liegen hätte man eher Waldelefanten statt eine riesige Kolonne Maultiere mehrmals beladen sollen! Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen… ich habe Deine letzte Erzählung ja für maßlos übertrieben gehalten. Aber bei Phex… Nun ja, auf jeden Fall bleibt eine solche Fracht den gut informierten Kreisen dieser Stadt natürlich nicht verborgen. Wir haben den Zöllnern und dem Hafenmeister zwar eine ordentliche Summe gezahlt, damit sie den Mund halten, aber du weißt wie das ist. Die Geschichte über den unerwarteten Geldsegen pfeifen, wenn auch nicht immer richtig, in den Kreisen der Granden und Händler mittlerweile die Spatzen von den Dächern. Also gib auf dich acht und versuche, nicht zu viele Dummheiten mit dem Reichtum zu machen. Bis wir das weitere in den nächsten Tagen geklärt haben werden ich das Gold sicher verwahren, so wie die letzten Monde auch.“ Meine Knie waren ein wenig wackelig geworden ob dieser Enthüllung. Das erklärte natürlich, warum die Dame Ulfhart mich so angesehen hatte – ich war keine Sardine vor ihrem Haimaul gewesen, ich war ein Goldfisch.

Für den Rückweg nahm ich mir diesmal die Zeit eines Gardianum vorweg, bevor ich mich in mein Zimmer transversalisierte. Diesmal war niemand da, der sich darüber erschrak, was mir endlich die Gelegenheit gab kurz innezuhalten und zu überlegen, was das nun für mich bedeuten mochte. Aber natürlich fehlten mir noch entscheidende Details, zum Beispiel wusste ich noch gar nicht, wie groß mein persönliches Vermögen jetzt genau war. Die nächsten Tage würden sicher noch spannend werden was das anging. Nun ließ ich mich allerdings nicht mehr aufhalten, ich wollte endlich Nandurin wieder sehen! Vermutlich würde ich ihn mit Ulmjescha im Garten finden. Sogleich machte ich mich auf den Weg durchs Haus. Kurz bevor ich den Laubengang erreichte, der in den Garten führte, hörte ich verstohlene Stimmen hinter der nächsten Ecke. Weiblich, eindeutig. Ich meinte, die Stimme zu kennen und schnell kam es mir. Das war Nandurins alte Amme. Und die andere musste einem der Waschweiber gehören. „Ich sag’s Dir, Nanne, das wird nicht gut gehen. Der junge Herr hat uns mit den beiden das schlimmste ins Haus geholt, was es gibt. Das Gör“, damit schien sie Ulmjescha zu meinen, “hat Phex persönlich im Leib. Vor der ist nichts sicher. Und der kleinen Dämonenbrut ist das Böse ja schon in die Wiege gelegt. Die beiden sind zusammen schlimmer als jede Naturkatastrophe“. Was musste ich da hören? Betont fröhlich pfeifend umrundete ich die Ecke, und das Geläster verstummte schlagartig. Die beiden Weiber, die da die Köpfe zusammen gesteckt hatten warfen mir einen furchtsamen Blick zu als ich, sie völlig ignorierend aber innerlich grinsend, an ihnen vorbei Schritt. Meinen Sohn als Dämonenbrut zu bezeichnen… der alte Kratzbesen würde sich noch wundern, wenn ich einmal Zeit finden sollte mich um sie zu kümmern!

Als ich im Garten ankam bot sich mir ein wunderbarer Anblick. Im hellen Licht der Nachmittagssonne planschte Nandurin mit Ulmjescha im Becken des Atriums und die beiden spritzten jauchzend das Wasser in alle Richtungen. Meine Güte, war Nandurin im letzten halben Jahr wieder gewachsen – schlimmer als Bambus, dem man ja auch beim in die Höhe schießen regelrecht zusehen konnte. Mittlerweile tapste er nicht mehr, sondern rannte schon mit sicheren Schritten zielgerichtet durch die Gegend. Und auch Ulmjescha, kam ich nicht umhin unter ihrem nassen Hemdchen zu erkennen, hatte wohl einen kleinen Entwicklungsschub hingelegt. Zeigten sich da etwa die ersten Erhebungen kleiner Brüstchen und hatte ihr Hintern etwa begonnen ein wenig Form anzunehmen? Aus dem halbverhungerten dürren Kind das ich aus Festum mitgenommen hatte schien bei ausreichender Ernährung erstaunlich schnell eine junge Frau zu werden. Meine versonnene Betrachtung der beiden war jedoch nur kurz, denn die beiden brauchten nicht länger als wenige Sandkörner die durch eine Uhr rannen, bis sie mich erblickten. Kreischend rannte Nandurin auf mich zu „Dada!“ Als ich die patschnasse kleine Gestalt in die Luft schleuderte und in die Arme schloss wurde ich von einem Sprühregen an Wassertropfen eingehüllt. Ich drückte und knuddelte meinen kleinen Fratz, der nur noch lachend und prustend auf mich einplapperte um mir zu erzählen, was er zuletzt Wichtiges erlebt hatte. Ich verstand zwar kaum ein Wort, aber das war ja auch egal, so sehr freute ich mich über unser wiedersehen. Auch Ulmjescha war mittlerweile aus dem Becken gestiegen und kam mit einem schüchternen Lächeln zu uns herüber. Mit Nandurin auf dem Arm wand ich mich zu ihr um. „Danke, dass Du so gut auf meinen kleinen Augapfel aufgepasst hast, während ich weg war.“ Dabei legte sich ein strahlen über ihr Gesicht, das der Sonne am Himmel Konkurrenz machte. Anscheinend wurde sie nicht allzu oft gelobt. Dann streckte ich meinen anderen Arm aus und ging in die Hocke. Sie verstand das Angebot, und ein weiterer nasser Körper drückte sich an mich, als sie die Arme um meinen Hals legte. So standen wir zu Dritt einige wunderbare Augenblicke da, bis mich ein unmissverständliches Hüsteln hinter uns aufhorchen ließ.

„Ich störe ja nur ungern Eure kleine Zusammenkunft,“ machte sich Mutter bemerkbar, „aber wir haben in kürzester Zeit noch einiges vorzubereiten und zu bereden. Für alles andere ist morgen Zeit…“ Wir drehten uns zu Dritt in Mutters Richtung um, die trotz der kühlen Worte ein freundliches Lächeln im Gesicht hatte, das auch ihre Augen erreichte. „Ulmjescha, Kleines, du gehst mit Nandurin jetzt hinein, ihr macht Euch für das Abendessen fertig und zieht Eure besten Gewänder an. Wir bekommen hohen Besuch. Und Du, Victor, kommst mit mir. Es gibt etwas, das wir geklärt haben sollten, bevor unsere Gäste kommen.“

Pflichtschuldig kamen wir Mutters Aufforderung nach. Ich folgte ihr ins Dormitorium, wo sie uns zwei Gläser geeisten Traubensaft bringen ließ, bevor sie fortfuhr. „Nur in aller Kürze, denn mir fehlt dank dir jetzt die Zeit mich lange aufzuhalten. Wenn du heute Abend Deine Geschichte vor der Präfekta erzählst, sei so gut und übertreibe nicht zu sehr“ – als wenn ich das jemals hätte, meine Geschichten mochten zwar fantastisch anmuten, entsprachen aber doch der Wahrheit! – „und halte Dich mit allzu schaurigen oder blutrünstigen Schilderungen zurück.“ Ich fragte mich jetzt schon angesichts des erlebten, wie ich das anstellen sollte und muss dabei etwas ratlos gewirkt haben. „Ich meine es ernst Victor, verdirb es heute nicht“, mahnte sie mich noch einmal eindringlich. „Dafür scheinen die Götter uns hold zu sein, was Nandurin betrifft. Er hat die letzten namenlosen Tage im Borontempel, wie haben ihn da zur Sicherheit trotzdem untergebracht, gut überstanden, ohne irgendwelche Anfälle. Dieses Problem scheint tatsächlich gelöst zu sein, und auch seine Wutausbrüche sind weniger geworden. Ulmjescha scheint einen guten Einfluss auf ihn zu haben, die beiden verstehen sich blendend. Ich habe die alte Amme in deiner Abwesenheit von ihrer Aufgabe entbunden und wieder zu den Küchenweibern geschickt.“ Das freute mich jetzt zu hören, ich lächelte erleichtert. „Aber was fällt Dir eigentlich ein, so lange fortzubleiben ohne uns wenigstens eine Nachricht zu schicken? Du hast gesagt es würden nur wenige Wochen! Jetzt ist ein halber Götterlauf vorbei, und Du kommst so mir nichts, Dir nichts einfach wieder an! Wir haben uns Sorgen um Dich gemacht! Liliana hat sogar im Tempel alle paar Tage eine Kerze angezündet für deine sichere Rückkehr. Und Visaria war uns bei jedem Besuch in den Ohren gelegen, ob wir nicht etwas von dir gehört hätten. In den letzten Wochen sogar noch mehr als sonst, ich glaube, das liegt ja an ihrer Tante.“ Ich setzte vorsorglich eine, so hoffte ich zumindest, schuldbewusste Miene auf. „Wie dem auch sei, du solltest Wissen, dass es in einigen Kreisen mittlerweile bekannt ist, dass Du kein armer Schlucker mehr bist. Sollten sich also in den nächsten Tagen irgendwelche Töchter unserer Konkurrenten oder kleine Grandessas vom Berg auffällig für Dich interessieren und mit ihren Reizen locken wollen… bilde Dir nicht zu viel darauf ein und bei Rahja, ich hoffe ich muss das nicht extra betonen, lass Dich auf nichts ein. Die kleinen Schlangen wollen nichts von Dir, sie wollen an uns und Dein Geld. Hast Du das verstanden?“ Ich war ein wenig geschockt. So klare Worte war ich von Mutter überhaupt nicht gewohnt. Und bei diesem Thema schon gleich gar nicht! Ich meine, ich hatte ja ein Auge auf Visaria geworfen und nicht auf irgend eine dahergelaufene Hafenmöwe. „Victor“, riss mich Mutter wieder aus meinen Gedanken. „Ich meine es ernst! Ich weiß, wie Männer denken. Nämlich nicht immer mit ihrem Kopf! Und du bist der Sohn deines Vaters. Muss ich dich daran erinnern, dass ich dir was solche Dinge angeht einiges an Erfahrung voraushabe? Ich erwarte von Dir, dass du wenn in der nächsten Zeit irgendwelche Dirnen und Gören dir mehr Bein oder Busen zeigen, als es sonst üblich ist, du genau in die andere Richtung schaust – und am besten an irgendwelche Rechentabellen denkst und nicht an den Anblick der sich dir bietet.“ Mutter hatte sich richtig in Rage geredet, weil sie anscheinend den Eindruck hatte, ich hätte sie nicht richtig verstanden. Aber mir dämmerte langsam, was mich demnächst in diesem Piranhabecken, dass sich Al’Anfa nannte, erwarten könnte. Ich nickte pflichtschuldig. „Ja Mutter. Versprochen, ich werde einen kühlen Kopf und meine Hände bei mir behalten…“ Sie legte den Kopf schief, anscheinend immer noch skeptisch, bevor sie seufzte. „Das hoffe ich für dich, Junge. Und jetzt mach dich frisch und leg deine beste Garderobe für das Abendesse an. Wir wollen bei der Präfekta einen guten Eindruck machen.“ Damit schickte sie mich auf mein Zimmer, als wäre ich wieder ein Eleve auf Heimatbesuch während der Akademiezeit. Aber es war Mutter, also durfte sie das wohl, oder nicht? Ich würde jedenfalls einen Dämonen tun, ihr zu widersprechen und trollte mich, nun ganz mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Lange blieb mir dafür jedoch nicht Zeit. Aus dem Nebenzimmer hörte ich Ulmjeschas kichern und Nandurin fröhlich krächzen während ich in meinem Zimmer kaum die immer noch feuchte Robe ausgezogen und gewechselt hatte als ohne anklopfen die Tür aufgerissen wurde. Ich drehte mich mit bloßem Oberkörper um und wollte schon ungehalten den törichten Diener zusammenstauchen, als ich innehielt. Wie ein leibhaftiger Rondrikan stürmte meine Schwester Liliana durch die Tür. „Victor, du bist wieder da!“ jubelte sie, fiel mir um den Hals und warf mich dabei fast von den Füßen. Aus ihrer sorgsam gerichteten Frisur hatten sich ein paar Strähnen gelöst, ihr Gesicht war gerötet, so als wäre sie gerade unziemlich gerannt. Das luftige Kleid das sie trug deutete an, dass sie geradewegs von einer Gesellschaft gekommen war, vermutlich die gleiche auf der auch Visaria gewesen war, und dort von meiner Rückkehr gehört hatte. Ich drückte mein Schwesterchen liebevoll an mich und spürte ihren flatterhaften Herzschlag, während sie in meinen Armen lag. Sie hatte wieder dieses Orchideenparfüm aufgetragen und duftete wie ein kleiner Blumengarten. Ich hielt sie auf Armeslänge Abstand von mir, um sie zu betrachten und lächelte. Mein kleines Schwesterchen wurde zweifellos zu einer jungen Frau – und einer ausgenommen hübschen, möchte ich betonen. Mich würde es ja wundern, wenn sie nicht auch schon jemand hätte, der ihr den Hof machte. Ich würde unbedingt auf die nächste Kaffeegesellschaft mitgehen und mir da einen Überblick verschaffen müssen. Und wenn sie einen Galan hatte, würde ich diesem einmal ordentlich auf den Zahn fühlen und in die Gedanken blicken, ob er auch lautere Absichten hatte. Wehe wenn nicht! Aber Liliana riss mich aus diesem Tagtraum zurück in die Realität, als sie schon begann zu erzählen was ich die letzten Monde zuhause verpasst hatte. Nach wenigen Augenblicken schwirrte mir schon der Kopf und ich vermochte mehr als einmal ihren Gedankensprüngen von Familien und Freunden, Feiern und Gesellschaften, Klatsch und Tratsch aus dem Haus und der ganzen Stadt und ihren Freundinnen und deren Brüdern nicht mehr zu folgen. Ich lächelte, während ich meine Robe fertig anzog und ihrem fröhlichen Geplapper zuhörte.

Als der Gong uns in den Speisesaal rief war es soweit. Ich schluckte, langsam stellte sich wieder diese ungewohnte Nervosität ein. So hatte ich mich zur abendlichen Geschichtsstunde nach meiner Rückkehr noch nie gefühlt. Die Stimmung im Haus war merklich anders als sonst – fast lag eine greifbare Spannung in der Luft. Ich riss mich zusammen. Was sollte das? Da stellte ich mich den mächtigsten Dienern und Dämonen des Namenlosen entgegen, aber scheute mich vor einem Abendessen? Ich straffte mich und versuchte mit möglichst selbstsicherem Schritt den Speisesaal zu betreten. Mit einem kurzen Blick verschaffte ich mir einen Überblick. Die Dame Ulfhart und Visaria waren noch nicht da, vermutlich wurden sie gerade von Mutter in der Eingangshalle in Empfang genommen und würden gleich kommen. Der Rest der Familie war schon da und sah mich erwartungsvoll an. Sie wussten wohl schon, dass es wieder ein spannender Abend werden würde. Kurz blieb mein Blick an der grinsenden Ulmjescha hängen, die bei Nandurin saß um ihm mit dem essen zu helfen, und ich runzelte die Stirn. Das süße schwarze Samtkleid, das ich ihr gekauft hatte, würde ich dringend zu einem Schneider bringen müssen. Es spannte tatsächlich schon etwas um ihre Brust und Hüfte, so als ob sie ihm im letzten halben Jahr entwachsen wäre. Aber sie sah einfach trotzdem zuckersüß darin aus, wie eine richtige kleine Adepta, nur eben sechs oder sieben Jahre vor ihrer Prüfung. In einigen Jahren würde ich auf sie genauso aufpassen müssen was die Kerle anging, wie ich jetzt wohl auf Liliana achten musste.

Ich hatte mich kaum zu meinem Platz begeben, da betrat Mutter mit unseren Gästen plaudernd den Raum und Vater begrüßte die Dame Ulfhart mit einer ehrerbietigen Verbeugung. Ich hingegen hatte nur Augen für Visaria. Bei Rahja, eine schönere Blüte konnte es im Rosengarten der lieblichen Göttin nicht geben. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid aus Seide, das wie ein Wasserfall an ihrem schlanken Körper herabfiel und ihre sanften Kurven betonte. An ihren zarten Armen trug sie dezente Armbänder die bei jeder Bewegung sanft klimperten, die Nägel an ihren langen Fingern waren in einem dunklen rot gefärbt. Die rabenschwarzen Haare hatte sie hochgesteckt und leicht gelockt – die Frisur ähnelte der Lilianas und ich vermutete schwer, dass die beiden vor kurzem beim gleichen Friseur gewesen waren. Ihre sinnlichen Lippen, mit einem sanften Roseton betont, wahren zu einem leichten lächeln in meine Richtung geöffnet und ihre Wangen zart gerötet. Vom Hals hing die Kette, die ich ihr geschenkt hatte, hinab in ihr Dekolleté, und zogen meinen Blick auf die kleinen Rahjahügel, von denen ich so oft geträumt hatte. Aber verloren war ich am Ende in ihren Augen, die sie mit dezenten schwarzen Strichen betont hatte. Aus diesen Augen blitzte es mich an wie Gewitterwolken mit dem zornigen Vorwurf, wo ich gewesen sei und gleichzeitig der sehnsuchtsvollen Verheißung des kommenden Regens auf verdorrtem Land und dem versprechen endlicher Erlösung von der Dürre. Wäre gerade neben mir ein Karakil erschienen, ich hätte es vermutlich nicht einmal bemerkt. Erst ein verstohlener Ellbogenstoß von Liliana holte mich wieder in das hier und jetzt zurück, und auch ich begrüßte unsere Gäste nun mit einer tiefen Verbeugung, die mein rotwerdendes Gesicht verbarg. Was gäbe ich alles dafür mit Visaria direkt jetzt von hier zu verschwinden. Aber das kam natürlich nicht in Frage…

Normalerweise warteten wir ja mit meiner Erzählung bis nach dem Abendessen und zogen uns dann in den Salon zurück. Aber heute war anscheinend alles anders, als sonst üblich. Als das Essen aufgetragen wurde, nahm mich die Dame Ulfhart in den Blick und forderte mich zwischen zwei gezierten Bissen von ihrem Fisch auf, ich möge doch alle Anwesenden nicht so lange auf die Folter spannen und solle ruhig schon einmal beginnen, da ja mein getreulicher Bericht sicher recht lange dauern würde. Und da man Gästen ja solch einen Wunsch schlecht abschlagen konnte und Mutter mir mit einem dezenten Wink zu verstehen gab, ich sollte ruhig anfangen, begann ich also meine Erzählung. Was dazu führte, weil sich Essen und Erzählen zur gleichen Zeit ausschlossen, es sei denn man wollte unziemlich mit vollem Mund sprechen, dass zwar alle anderen ein hervorragendes Mahl genossen, ich aber kaum dazu kam einen Bissen zu mir zu nehmen. In lebhaften Bildern berichtete ich, was seit meinem letzten Aufbruch geschehen war und ließ nur hier und da einmal eine Kleinigkeit aus – es musste ja niemand wissen, dass ich über einen Karunga Kontakt zu einer erzdämonischen Wesenheit hatte. Oder dass wir nun auf Grund eines Flammeninfernos in Teilen des Kalifats nicht mehr so gut gelitten waren. Aber ansonsten hielt ich mich mit meiner Erzählung sehr nahe an der Wahrheit, hatte aber immer Mutter im Blick, die mir mit verstohlenen Gesten zu verstehen gab, wann ich besser bei meinen Erzählungen nicht zu sehr ins Detail gehen sollte. Ich gebe zu, ich ließ mich da manchmal ein wenig hinreißen und Mutter bremste mich aus, als ich von der Tötung des Vampirs erzählte oder mich bei der Beschreibung der Kadaverbestie zu sehr in nicht ganz tischtaugliche unappetitliche Details bei der Darstellung verstieg. Es dauerte einige Stunden, bis ich mit meiner Erzählung zum Ende kam, wir waren schon weit über den Nachtisch und den Digestif hinaus, als ich ein Bild des Tals, der sich öffnenden Globule und des Dämons mittels Auris, Nasus Oculus über dem Tisch erscheinen ließ um die Situation zu verdeutlichen und ein erschrockenes Raunen durch meine Zuhörer ging. Jedem Geschichtenerzähler in den Tavernen der Stadt, der diese Geschichte zum Besten gegeben hätte, hätte ich zu seiner blühenden Fantasie gratuliert. Und doch hatte ich dies alles ja selbst erlebt.

Aber noch etwas war anders als sonst. Bisher hatte ich immer erzählt und alle hingen wie gebannt an meinen Lippen. Das war auch diesmal so. Allerdings hatte die Dame Ulfhart die verwirrende Angewohnheit, immer wieder einmal an bestimmten Stellen interessiert und aktiv nachzufragen, wenn ihr etwas nicht ganz klar schien. Nicht das sie nicht ebenfalls gebannt und neugierig meinen Worten gelauscht hätte, aber die Art wie und was sie fragte ließ mich irgendwann stutzig werden. Im Gegenteil. Aber ihre Fragen waren… erstaunlich präzise. Fragen, die eine bloße Gesellschaftsdame so niemals hätte formulieren können. Und sie schien dabei meine Worte niemals in Zweifel zu ziehen oder mich einer Lüge oder Übertreibung bezichtigen zu wollen, sondern vielmehr tatsächlich daran interessiert zu sein, bestimmte Zusammenhänge besser zu verstehen. Das war irritierend, aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Und an den Stellen, an denen sie nachfragte hielt mich Mutter auch nicht zurück, wenn die Details vielleicht etwas zu erschreckend waren oder meine Worte einen Praiospfaffen zum Husten gebracht hätten. Aber trotz dieser ungewohnten Umstände gelang es mir, den Abend spannend zu gestalten, auch wenn ich ihn wohl hungrig beenden würde.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich eine Kleinigkeit, wenn diese auch nur eine seltsame Randnotiz war. Ich hatte während der Erzählung mein Publikum immer wieder wechselnd im Blick, wie es ein guter Erzähler eben macht, auch wenn das meiste meiner Aufmerksamkeit auf Visaria – und wegen ihrer Rückfragen auch immer häufiger auf ihrer Tante lagen. Aber als ich einmal Ulmjescha im Blick hatte erschrak ich fast. Ulmjescha hatte einen Ausdruck in ihren Augen, den ich niemals erwartet hätte. Sie sah immer wieder zwischen Visaria und mir hin und her, wenn sie meinte ich würde sie gerade nicht bemerken. Aber ich hatte mir auf meinen zurückliegenden Reisen nicht nur ein gerütteltes Maß an geschärfter Wahrnehmung angeeignet, sondern auch eine recht beachtliche Menschenkenntnis, wie ich festhalten möchte. Und diese zeigte mir unmissverständlich, dass mich die kleine Ulmjescha mit einem bewundernden, verträumten, fast schmachtenden Blick ansah, der zu einem zornigen, neidischen, ja regelrecht eifersüchtigen Funkeln wurde, wenn sie Visaria in den Blick nahm. Aber dem konnte ich nur eine kurze spanne meiner Aufmerksamkeit widmen, da mich schnell meine eigene Geschichte weiterriss und ich mich immer wieder in Visarias Augen verlor…

Als ich geendet hatte nahm der Abend noch einmal eine unerwartete Wendung. Ich hatte mich schon darauf gefreut nun in den Salon zu wechseln und vielleicht noch die ein oder andere Stunde in ruhiger Umgebung mit der Familie, insbesondere aber mit Visaria und Liliana verbringen zu können, aber die Dame Ulfhart schien andere Pläne – und die schien sie zweifellos zu haben - voranzutreiben. Gerade als die Diener das letzte Geschirr abtrugen verkündete Tsaiane mit seufzender Stimme „Oh, meine Nichte scheint müde, ich denke Sie wird sich nun empfehlen,“ und warf Visaria dabei einen strengen Blick zu, der keinerlei Widerworte duldete. Sehnsüchtig blickte ich ihr nach, als meine persönliche Vision der inkarnierten Rahja in Begleitung meiner Schwester das Speisezimmer verließ. Nicht ohne mir, in einem unbemerkten Moment, will ich anmerken, einen flüchtigen Handkuss zuzuwerfen, der mein Herz einen Augenblick lang aussetzen ließ. Ich wäre ihr am liebsten auf der Stelle nachgerannt, aber ich hätte vermutlich keine drei Schritte geschafft, bevor Mutter mich eingefangen hätte. Die Bitte Tsaianes, diesen „schönen Abend mit einem guten Bosparaner im kleineren Kreis“ abzuschließen bekam ich kaum mit. Erst als uns auch der Rest der Familie bis auf Vater verlassen hatte und auch die Sklavin welche uns die kühlen Gläser gebracht hatte hinausgeschickt worden war, wurde mir bewusst, dass wir nur noch zu dritt am Tisch saßen.

Dann Ergriff die Präfekta das Wort, und was ich da vernahm zog mir im wahrsten Sinne den Boden unter den Füßen fort. „Unser Herr Phex“, und das betonte sie auf eine seltsame Art und Weise“, ist mit Euch, wie mir scheint. Ihr habt neue Handelsbeziehungen ins Horasreich geknüpft in der letzten Zeit. Und Eurer Familie wurden beträchtliche Finanzmittel anvertraut… Es scheint Eure Umtriebigkeit wird vom Grauen gewürdigt. Möglicherweise könnte ich Euch unterstützen diese Mittel solide zu mehren und Eure Position in der Stadt zu stärken.“ Dabei sah sie Vater und mich wieder mit diesem Blick an, den ich heute schon einmal gespürt hatte. „Was ich Euch nun mitteile ist zwingend unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit zu halten. Unsere Stadt wurde vor einem drohenden Angriff der Stoerrebrandt-Allianz auf Port Stoerrebrandt gewarnt. Gesetzt dem Fall dies würde geschehen, würden wir gesichtswahrend eine Entsatzflotte entsenden müssen. Derlei Flottenbewegungen und Mobilisierungen belasten in der Regel die Stadtfinanzen sehr stark. In Verbindung mit dem Haus Stoerrebrandt bleibt zudem zu fürchten, dass die Reduzierung der potenziellen Geldgeber mit einem Anstieg beim Zins für Geliehenes einhergehen wird. Hier kommt ihr ins Spiel: Euch wurden jüngst erhebliche Mittel zur Verwaltung anvertraut, die Euerseits sicherlich Phexgefällige Vermehrung erfahren sollen. Unsererseits besteht ein erhebliches Interesse daran, ein Gegengewicht zur bisherigen Struktur zu etablieren, aus der wir unsere finanziellen Bedarfslagen decken. Kurz, wir denken darüber nach die Vergabe einer neuen Lizenz für die Einrichtung eines Bankhauses zuzulassen, dass Recht Schiffsfrachten zu versichern wäre daran gekoppelt. Wie ihr wisst sind diese Gelegenheiten selten und die Lizenzen rar. Für jemanden der versichern würde das Zinsniveau stabil zu halten, ggf. den Zins kurzfristig auch unter das übliche Niveau zu setzten, würde ich und nach meiner Intervention sicherlich auch einige andere des Rates der Zwölf sich bei der Entscheidungsfindung sehr für einen der Kandidaten verwenden.“

Ich muss die Präfekta recht entgeistert angesehen haben, war doch diese Art politische Umtriebe bisher glücklicherweise an mir vorbei gegangen – und ich hatte auf so etwas auch überhaupt keine Lust. Ganz anders mein Vater, wie ich mit einem Seitenblick zu ihm feststellte. Seine Augen hatten diesen Glanz angenommen. Dieses fiebrige das ihn packte, wenn er in Gedanken bereits die Dublonen an Gewinn zählte, die ihm ein Handel einbringen mochte. Ich sah ihm an, dass die Präfekta ihn an der Angel hatte wie einen Dorsch, der zu fest in den Köder gebissen hatte. Als er meinen Blick erwiderte sprachen seine Augen Bände, als hätte er die Worte laut ausgesprochen: „Victor, wehe du versaust uns das.“

Auch die Präfekta schien meine Zurückhaltung gespürt haben, den zu mir gewandt fuhr sie dann fort. „Eine Verbindung einer Angehörigen des Hauses Ulfhart mit dem Sprössling einer angesehenen Handels- und Bankiersfamilie wäre dann sozusagen nur angemessene Konsequenz. Da ihr selbst respektierter Abgänger der hiesigen Akademie seid, würde der Umstand, dass ihr ein Bastard seid, von der familiären Instanz der Ulfharts geflissentlich ignoriert werden.“

In diesem Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Hier war etwas im Gange, das Andere von langer Hand geplant hatten. Und ich war in diesem Spiel nicht mehr als eine Figur auf einem Brett Rote-und-Weiße-Kamele, die von diesen nach Belieben über das Feld geschoben wurde. Zorn wallte in mir auf. Ich hasste es, meines freien Willens beraubt zu werden! Nicht Götter oder Dämonen hatten Macht über meinen Willen, aber diese Frau erdreistete sich, genau das zu tun. Jetzt mögen viele sagen, Victor was willst du denn noch, stell dich nicht so an! Haben die Götter es nicht gut genug mit Dir gemeint? Hat Phex Dich nicht mit Reichtum zugeschissen? Hat Hesinde nicht ihre Gnade über die ausgeschüttet und dich mit Weisheit, Erkenntnis und Macht gesegnet? Hat Travia Dir nicht ein Kind geschenkt? Und jetzt schmeißt Rahja Dir auch noch ihr schönstes Füllen in den Schoß, ohne dass Du Dich groß anstrengen müsstest! Du bist ein undankbarer Wicht! Aber diesen Kritikern will ich sagen, darum geht es doch überhaupt nicht. Natürlich hätten sie mit all diesem Recht. Aber ich habe mir dies unter Gefahren, im Angesicht von Feinden und mit Fleiß und Anstrengung alles selbst erarbeitet! Hier aber wurde mir Visaria wie ein Köder präsentiert um mich zu locken und zu fangen. Keine Anstrengung um sie zu werben, kein Konkurrent den ich ausstechen müsste. Nein. Einfach ein Geschäft, das die Präfekta und mein Vater auf der Grundlage unserer Sehnsucht schließen würden. Ich hatte bisher immer angenommen, dass mir diese Art politischer Ränke und Spielchen, die auf dem Silberberg gespielt wurden, erspart bleiben würden. Immerhin war ich „nur“ der Bastard meines Vaters, wenn auch mit einer besonderen Gabe gesegnet. Aber ich hatte niemals vor mich in dieses Spiel hineinziehen zu lassen – und wäre für alle Granden sicher auch viel zu uninteressant gewesen, überhaupt beachtet zu werden. Meine Welt hatte sich gerade schlagartig auf den Kopf gestellt und man hatte mich nun, mit dem Kopf voran!, in den Sumpf, das Haifischbecken, die Piranhakloake der Intrigen der Oberschicht gestoßen. Und würden Visaria und ich da irgendeine Form von Mitspracherecht haben? Natürlich nicht! Ich musste die Tränen des Zorns, die gerade von mir Besitz ergreifen wollten, mühsam hinunterzwingen. Alles Geld und Gold, das damit verbunden waren, waren mir mit einem verbalen Schlag in die Magengrube gerade egal geworden. Aber welche Wahl hatte ich? Würde ich meine Zustimmung verweigern, Vater und vermutlich auch Mutter würden mir diese verpasste Gelegenheit des sozialen Aufstiegs der Familie niemals verzeihen – und ich mochte meinen Anteil am Gold nehmen, es blieb vermutlich genug übrig, dass sie das Vorhaben auch ohne mich umsetzen konnten. Und die Familie Ulfhart? Ein „Nein“ von mir würde mit Sicherheit bedeuten, dass ich mir jegliche Chance darauf Visaria näher zu kommen auf alle Ewigkeit verderben würde. Eher würde ich mit einem Schiff das Güldenland erreichen, als mit ihr gemeinsam in die Zukunft segeln zu können. Nein, Visaria und ich, wir waren beide einfach nur Teil eines lukrativen Geschäfts ohne eigenen Willen, wenn wir es uns nicht für immer verderben wollten. Wie konnte dieser Tag nur so eine Wendung nehmen? All diese Gedanken zuckten in wenigen Augenblicken durch meinen Kopf.

Es war nicht das Ergebnis, dass ich so verabscheute, denn eigentlich war es ja alles, was ich mir je gewünscht hatte. Es war die Art und Weise, wie es zustande kommen sollte. Mühsam und beherrscht schob ich die Wolken roten Zorns beiseite, die meinen Geist vernebelten. Von einem auf den anderen Augenblick hasste ich die Präfekta Ulfhart aus tiefstem Herzen, ließ mir aber nichts anmerken, als ich ein Lächeln auf mein Gesicht zauberte. „Euer Angebot ehrt uns, hochverehrteste Präfekta.“ Mein Vater nickte begeistert zustimmend, als ich zu ihm blickte. Ihm war offensichtlich entweder völlig unklar was in mir vorging, oder völlig egal. Mich erstaunte allerdings, dass Vater mir das reden überlies. Wieder hatte ich den Eindruck, irgendetwas verpasst oder nicht mitbekommen zu haben. „Ich bin mir sicher, die Familie Pellisario wird Eurem Vorschlag mit Freuden nachkommen und die phexgefällige Gelegenheit nutzen, die ihr uns geboten habt“. Als sich die Augen der Präfekta und meine auf Vater richteten hörten wir nur ein „Bei Phex, das werden wir,“ und der fiebrige Glanz in seinen Augen und die gierig ineinander verkrallten Finger sprachen ein beredtes Zeugnis davon, was gerade in seinem Kopf vorging. Vermutlich plante er schon unseren Umzug hinauf auf den Silberberg oder etwas ähnliches.

„Dann ist es also besiegelt“ sprach die Präfekta. „Wir werden natürlich noch einiges an Formalia zu klären haben. Ich im Rat der Zwölf und mit meiner Familie, und ihr mit Euren Geschäftspartnern hier und im Horasreich. Aber am Ende wird ein Konstrukt zu unserem beiderseitigen Vorteil stehen, dass unsere beiden Familien stärkt und zum Wohle unserer Stadt ist.“ Dabei reichte sie meinem Vater die Hand, ich wurde tatsächlich einfach außen vorgelassen, so als wäre ich nur eine Dreingabe. „Sobald wir diese Formalitäten geklärt haben, die Verträge geschlossen sind und der Handel unter dem Segen des Phex besiegelt wurde, werden wir als Abschluss die Verlobung Eures Sohnes und meiner Nichte bekannt geben.“ Hatte ich das gerade richtig gehört? Verlobung? Hatte ich gerade mein Einverständnis erteilt, dass mein Vater mich an die Ulfharts wie einen Ballen Baumwolltuch verschachert hatte? Als sich die Präfekta, mit einem hochzufriedenen Ausdruck auf dem Gesicht, nun ebenfalls verabschiedete, war mir richtiggehend übel und ich wollte eigentlich nur noch auf mein Zimmer.

Aber vorher wartete noch eine weitere Überraschung auf mich. War heute der Tag, an dem mich die Götter ständig überrumpeln wollten? So hatte ich mir meine Heimkehr nicht vorgestellt! Vater kam um den Tisch herum und, ich glaube, dass wahr überhaupt das erste Mal in meinem Leben, nahm mich bei der Schulter und legte den Arm um mich. Das hatte er nicht einmal getan, als mir mein Abschluss an der Akademie ausgehändigt worden war. „Victor, bei Phex. Ich bin stolz auf Dich!“ Hatte ich mich gerade verhört? „Dank Dir wird unser Haus endlich den Aufstieg vollziehen, auf den wir seit Generationen hinarbeiten. Der Berg ist in greifbarer Reichweite! Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Du der Schlüssel sein könntest… ich war ja schon am Überlegen mit welchem Granden wir Liliana verheiraten müssten um dem einen Schritt näher zu kommen. Und nun wirft uns Phex das Glück quasi hinterher. Du musst ihm wirklich einen großen Gefallen getan haben…“ dabei drückte er mich noch einmal seltsam ungelenk an sich – diese Art Gesten waren ihm offensichtlich nicht gewohnt, bevor er mich ebenfalls verabschiedete, um Mutter die frohe Kunde zu bringen. Dass es sich für mich völlig anders anfühlte, schien ihm gänzlich entgangen zu sein. Eigentlich hätte ich nun hüpfend und tanzend zu meinem Zimmer schweben müssen. Stattdessen schlich ich durch unser Haus wie ein gebrochener Mann. Es würde noch einige Zeit dauern, und die Götter mögen es geben, dass ich mich an diese Umstände gewöhnen und mich mit ihnen anfreunden konnte.

Als ich meine kleine Zimmerflucht betrat hatte ich mich zwar wieder halbwegs beruhigt, fühlte mich aber völlig erschöpft. Nicht körperlich, denn der Tag war ja nicht anstrengend gewesen. Aber emotional war ich ausgebrannt, wie ich es bisher noch nicht gekannt hatte. Mein Geist fühlte sich an wie in Watte gepackt und es fiel mir schwer einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht nach kürzester Zeit begann sich im Kreise zu drehen. Leise machte ich mich fertig um zu Bett zu gehen, bevor ich noch einmal nach Nandurin in seinem Zimmer sah.

Seine Krippe hatte man in meiner Abwesenheit durch ein richtiges kleines Bett ersetzt. Mein kleiner Prinz lag friedlich schlummernd darin und neben ihm Ulmjescha, die beschützend den Arm um ihn gelegt hatte. Das brachte endlich wieder ein Lächeln auf mein Gesicht. Die beiden sahen einfach zuckersüß aus, wie sie da so zusammen lagen. Wie lange sie wohl schon so schliefen, seit ich abgereist war? Wenn ich recht überlegte wusste ich gar nicht, ob oder wo Ulmjescha eine eigene Bettstatt hatte. Gesehen hatte ich zumindest noch keine. Nun ja… einem spontanen Impuls folgend löste ich Nandurin vorsichtig aus ihrem Griff ohne die beiden dabei zu wecken, hob ihn hoch und nahm ihn mit zu mir. Ich hätte es ja nicht gedacht, aber es hatte etwas sehr beruhigendes, meinen kleinen Fratz neben mir im Bett zu haben, als ich mich hinlegte. Instinktiv schien er an mich heranzurutschen, und auch wenn es ungewohnt war immer wieder von seiner kleinen Faust gestoßen und seinen Füßchen getreten zu werden war es ein angenehmes Gefühl, seine Wärme neben mir zu spüren. Zwar gingen mir nach wie vor verschiedenste Dinge des Tages durch den Kopf, bis Marbo mich endlich in das Traumreich hinübergleiten ließ, aber ich tat dies wenigstens mit dem beruhigenden Gefühl, endlich wieder zu Hause und bei meinem Sohn zu sein für dessen Sicherheit ich wohl endgültig gesorgt hatte.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, lang konnte es jedenfalls nicht gewesen sein, als mich ein spitzer, erschrockener Schrei weckte. Sofort war ich hellwach und auf den Beinen, nach meinem Stab greifend der neben mir am Bett lehnte. Die Instinkte eines Abenteurerlebens verschwanden nicht, nur weil man mal einen Tag daheim war. Nandurin schien das alles nicht zu tangieren, der schlief einfach ruhig atmend weiter und drehte sich auf die andere Seite. Mit entzündetem Stabende stürmte ich durch die Tür meines Schlafgemachs – und stolperte jenseits der Schwelle fast über die kleine Ulmjescha. Sie hatte einen erschrockenen, ja fast panischen Gesichtsausdruck und stand zitternd in ihrem dünnen Leinennachthemdchen vor mir. „N-Nandurin,“ stammelte sie, völlig aufgelöst. „Er ist w-weg. Ich schwöre, als wi-wir ins Bett sind lag er noch neben mir…“ Und dabei stiegen ihr die Tränen in die Augen und ihr Körper wurde von einem Schluchzer geschüttelt. Betroffen lies ich den Stab sinken, den ich gerade noch in Vorhalte gehabt hatte. Das hatte ich natürlich nicht bedacht. Wenn die beiden nun das letzte halbe Jahr die Nächte so zusammen verbracht hatten, sie ja die Verantwortung für meinen kleinen Mann hatte, dann würde seine unvermutete Abwesenheit für sie sicherlich ein böses Erwachen sein.

Ich wollte die Hand nach ihr ausstrecken, aber sie duckte sich zusammen, so als würde sie erwarten gleich geschlagen zu werden. „Es ist gut, Ulmjescha. Du hast nichts falsch gemacht. Ich habe Nandurin nur zu mir genommen. Es tut mir leid, wenn du dich deswegen erschreckt hast,“ sagte ich in einem möglichst beruhigenden Tonfall. Es schien kurz zu dauern, bis die Worte zu ihr durchdrangen. Als ich jetzt noch einmal die Hand nach ihr ausstreckte warf sie sich mit einem schluchzen gegen mich, so dass ich fast ein schlechtes Gewissen bekam und ihr dann sanft über die Haare fuhr. Was sie wohl die letzten Monate hier in der für sie völligen Fremde ganz allein und fern ihrer Heimat alles erlebt hatte? Ich würde dringend noch einmal mit Mutter sprechen müssen um mich danach zu erkundigen. Vermutlich war es auch für sie nicht unbedingt einfach gewesen, auch wenn es hier natürlich viel besser war als in Festum. Und ich muss ja zugeben, einen Titel als Vater des Jahres würde ich wahrscheinlich auf Grund meiner langen Abwesenheiten seid Nandurins Geburt auch nicht unbedingt gewinnen, auch wenn ich natürlich alles zu seinem Besten getan hatte. Auf diesem Gebiet hätte ich vermutlich noch einiges zu lernen…

Als Ulmjescha sich wieder etwas beruhigt hatte kam mir der Gedanke, der uns wohl allen am besten dienen würde. „Wenn Du möchtest, Ulmjescha, kannst Du ja zu Nandurin mit ins Bett kommen.“ Fragend blickte ich sie an. Ein kleines, scheues Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, das ich nur schwer interpretieren konnte. „Wirklich?“ versicherte sie sich, auf das ich nur nickte. Dann folgte sie mir und die Szene muss für den unbedarfte Beobachter dann ziemlich seltsam ausgesehen haben. Ich lag auf der rechten Seite meines Bettes, nahe am Rand, und hielt Nandurins Händchen. Auf der linken Seite hatte Ulmjescha sich ausgestreckt und wieder den Arm schützend über Nandurin gelegt, eine Geste, die ihr anscheinend schon selbstverständlich war. Nandurin zwischen uns hatte sich an Ulmjescha gekuschelt und schien von alledem nichts mitbekommen zu haben. Es war schon regelrecht ironisch. Da komme ich nach Monaten nach Hause um mit meiner Liebsten wiedervereint zu sein, aber das erste Mädchen das dann in meinem Bett lag – rein platonisch und im übertragenen Sinne versteht sich – war nun nicht Visaria sondern Ulmjescha. Die Zwölfe hatten schon den ganzen Tag über einen recht eigentümlichen Humor bewiesen dabei, mir ihre Dankbarkeit für meine Taten auszudrücken, aber das setzte dem ganzen nun die Krone auf! Wenn ich herausfand welcher der Götter dafür sich verantwortlich zeichnete, ich würde ein ernstes Wörtchen mit ihm sprechen müssen, dass ich diese Art von Humor mitnichten teilte! Mit solchen und ähnlichen Gedanken glitt ich wieder in Borons Arme, neben mir, völlig ungewohnt, den ruhigen Atem von gleich zwei anderen Personen direkt nah bei mir hörend.

Wach wurde ich trotzdem wieder recht früh, als mich die ersten Praiosstrahlen an der Nase kitzelten. Leise stahl ich mich aus dem Bett, ohne Nandurin und Ulmjescha zu wecken. Die Ereignisse des letzten Tages schienen mir fast wie ein wirrer Traum, nur das ich mir des Gegenteils leider nur zu sicher war. Die nächste Stunde saß ich in meinem Studierzimmer auf dem Sessel, darüber sinnierend, was dies nun wirklich alles für mich bedeuten mochte. Aber zu einer abschließenden Konklusio konnte ich auch jetzt nicht kommen. Als wir schließlich alle wach waren und mit dem Rest der Familie beim Frühstück saßen, war es fast wie immer. Vater schien es ziemlich eilig zu haben und verließ uns recht zeitig, nicht ohne mir mitzuteilen, dass er mich zur Mittagsstunde im Kontor erwarten würde „um geschäftliche Dinge zu besprechen.“ Mutter strahlte mich die ganze Zeit an, ich war mir sicher, dass Vater sie direkt in der Nacht noch über alles ins Bilde gesetzt hatte, so als wäre sie sehr zufrieden mit sich und der Welt. Liliana war wie immer, sie wusste vermutlich noch nichts von den letzten Entwicklungen, plauderte fröhlich über ihre Pläne am Nachmittag und das sie doch so gar keine Lust auf ihren Flötenunterricht am Vormittag hatte. Ulmjescha kümmerte sich liebevoll um Nandurin, aber ich hatte den Eindruck das sie jedesmal ein wenig errötete, wenn ich zu den beiden hinüber sah. Leider würde ich die Zeit bis Mittag nur bedingt mit den beiden verbringen könnten, da ich noch einiges zu erledigen hatte, dass ich mir vorgenommen hatte für die nächsten Tage. Und je eher ich damit begann, umso eher würde ich auch endlich Zeit für mich haben.

Während also Ulmjescha mit Nandurin in meinem Zimmer spielte – mein kleiner war recht geschickt im Holzklötze stapeln – saß ich an meinem Schreibtisch und begann einen Brief zu verfassen, den ich an alle Zwölf Kirchen geben wollte. Im Kern erhielt er mein Angebot, dass sie sich, sollten sie bei Hilfe im Kampf gegen Umtriebe des Namenlosen benötigen, sich gerne jederzeit und ohne das ich dafür Entlohnung fordern würde, an mich wenden könnten. In einem kurzen Abriss meiner bisherigen Erlebnisse mit den Dienern des Rattenkinds, zusammengefasst auf wenigen Seiten, versuchte ich, meine uneigennützige Motivation zu erläutern und schloss den Brief mit einem recht konkreten Hinweis auf die Dienerin des Güldenen, Perizel. Vielleicht sah sich ja eine der Kirchen berufen, ihren Umtrieben ein Ende zu setzen. Und falls nicht, würde ich das eben doch selbst erledigen müssen. Abschließend verwies ich auf diverse Götterdiener, die bei Bedarf zu meinen Gunsten Auskunft würden geben können, falls Zweifel an meiner Integrität bestünden. Insbesondere im Horasreich hatte ich ja in den Kirchen der Hesinde, Rahja, Efferd und selbst des Praios durchaus schon Kontakte geknüpft. Und hier in meiner Heimat würden wohl die Diener des göttlichen Fuchses auch nichts gegen meine Person einzuwenden haben. Dieses Schreiben zwölfmal hintereinander zu verfassen kostete mich leider tatsächlich den ganzen Vormittag. In den nächsten Tagen würde ich die Schreiben dann in den Tempeln der Stadt einreichen mit der Bitte, diese über die örtlichen Vorsteher an die Hochgeweihten in den Haupttempeln weiterzuleiten. Bei solch einem Unterfangen brachte es ja nichts, kleine Brötchen zu backen. Nein, da musste man schon ganz oben ansetzen!

Mein nächster Weg führte mich, wie von Vater gewünscht, in sein Kontor, auch wenn mich nach einem leichten Mittagsmahl eine gewisse Müdigkeit übermannte, die Nacht war ja doch recht unruhig gewesen. Diese verflog allerdings auf dem Weg und machte einer starken Neugier Platz. Ich wusste ja tatsächlich immer noch nicht, mit welchen Reichtümern Phex uns jetzt letztendlich gesegnet hatte. Als ich Vater in seinem Büro antraf scheuchte er die anwesenden Schreiber und Diener hinaus. Sein Gesicht war leicht gerötet, was ich auf die Weinkaraffe auf seinem Schreibtisch zurückführte, aus der er auch mir einen Schluck anbot „zur Feier des Tages“. Ihn schienen die Ereignisse der letzten Nacht nicht minder mitgenommen zu haben, wenn auch auf andere Weise, als mich. Dann entrollte er eine lange Liste, an deren Ende Melissas uns seine Unterschrift prangten, die er mir reichte. „Wir haben alle Objekte die mit dem Schatzschiff ankamen unter den Augen eines Priesters des Grauen gemeinsam aufgenommen und bestätigt, damit niemand dem anderen später Betrug vorwerfen könnte. Du weißt ja, beim Gold hört am Ende die beste Freundschaft auf. Und diese Beziehung ist zu wertvoll, als das man sie durch ein Missverständnis würde belasten sollen…“ Er sah mir tief in die Augen. „Wenn Du die Liste durchgehen möchtest, tu Dir keinen Zwang an.“ Ich schüttelte den Kopf. Ich war nun mal kein Krämer, und mein Vater mochte seine Fehler haben, aber ich denke, in diesen Dingen konnte ich ihm trauen, insbesondere wenn der Handel unter den Augen Phexens vollzogen worden war. Als ich nichts weiter sagte setzte er sich neben mich, und deutete mit seinen Fingern auf eine Tabelle am Ende des Dokuments. „Hier haben wir die Anteile herausgerechnet, wem was noch zustehen würde. Jetzt hör mir gut zu, und versuch nicht in Ohnmacht zu fallen bei den Zahlen die ich Dir jetzt nenne.“ Er atmete tief durch. „Der Schatz hatte einen Gesamtwert, manche Dinge waren natürlich nicht ganz exakt zu taxieren, von über 650.000 Dukaten.“ Sein Atem wurde dabei schwer. „Den Löwenanteil hat natürlich deine Freundin Melissa wie vereinbart erhalten, das waren über 450.000 Dukaten. Und davon hat sie die Hälfte in meine Obhut gegeben, um damit den Handel zwischen unseren Reichen voranzubringen und dabei natürlich noch ein wenig Gewinn zu erwirtschaften.“ Mittlerweile stand ihm der Schweiß auf der Stirn und ich befürchtete, er würde gleich einen Herzschlag erleiden. „Der Rest verteilt sich in verschiedenen Anteilen auf Dich und Deine Gefährten. Und jeder von Euch hatte ja auch schon verschiedene Objekte für sich beansprucht, so dass die Auszahlung noch einmal für jeden mehr oder weniger hoch ausfällt.“ Mit einem schweren Schnaufer sammelte er sich, und deutete auf eine Kolonne an Zahlen. „Wir hatten Euch ja schon einen Anteil ausgezahlt als wir das erste Mal aus dem Dschungel zurückgekehrt wart, wenn du dich erinnerst, das waren 240 Dukaten. Die übrigen Sachen habe ich in der Zwischenzeit zu ordentlichem Preis verkauft bekommen. Der Gesamterlös dieser Dinge lag bei exakt 19.471 Dukaten. Dir, der kleinen Nivesin und dem Bergländer stehen daher noch einmal auf die Hand 734 Dukaten zu, den beiden Horasierinnen jeweils 539. Ich habe dafür gesorgt, dass Dein Anteil heute Abend in einer Truhe in Deinem Zimmer auf dich wartet.“ Ich schluckte. Das war jetzt schon mehr, als ich als Handgeld jemals erwartet hätte. „Das Geld deiner Gefährten werde ich verwalten, bis sie uns wieder besuchen um ihren Anteil zu beanspruchen. Es wird nichts verloren gehen, und ich schwöre bei Phex, ihren Besitz zu respektieren und wenn sie es fordern auszuhändigen.“ Ich sah und hörte ihm an, dass er es ernst meinte, auch wenn er das Gold vermutlich am liebsten für sich behalten hätte. „Nun halte dich fest, Sohn, denn ich will das Du begreifst, was ich dir jetzt sage. Ich denke nicht, dass dich die verbliebenen Anteile deiner Gefährten am Schatz interessieren, aber sei versichert, sie könnten sich so wie du beruhigt zur Ruhe setzen, obwohl sie sich schon mehr oder weniger persönlich an den Wertsachen bedient hatten. Du, mein Junge, hast an dem verbliebenen Vermögen einen Anteil von genau 27.554 Dukaten.“ Als ich die Zahl hörte wurde mir tatsächlich etwas schwindlig und ich musste mich am Stuhl festhalten. „Die Summe, die ich damit derzeit für dich, deine Gefährten und die Dame Zeforika verwalte beträgt fast 350.000 Dukaten! Du hast ja keine Vorstellung, was man mit einer solchen Summe alles anfangen kann…“ Und das stimmte, das hatte ich wirklich nicht.

„Ich werde Dir jetzt einen Vorschlag machen, dem Melissa schon zugestimmt hat. Und du solltest das am besten auch tun, also hör gut zu, was ich Dir jetzt sage.“ Wieder sah er mir direkt in die Augen. „Wir werden mit allem Geld, das ihr mich verwalten lasst, eine Stiftung einrichten, ein weiteres Handels- und Bankhaus wenn du so willst. So Phex will, werden wir damit ordentlich Gewinn erwirtschaften, aber das ist natürlich keine garantierte Angelegenheit. Du weißt ja, der Herr Phex gibt, der Herr Phex nimmt aber auch manchmal. Aber damit ihr als Einleger, quasi die stillen Teilhaber, davon kein Risiko davon tragt garantiere ich Euch einen festen Zins von 2 vom Hundert auf euer eingelegtes Geld, fällig jedes Jahr zum 1. Phex, beginnend ab dem Jahr 1030 BF. Ihr könnte Euch das Gold jährlich auszahlen lassen, oder es zur weiteren Mehrung Eures Reichtums wieder einlegen – was auch einfach geschieht, wenn deine Gefährten ihr Geld nicht abholen. Es wird nichts verloren gehen. Wir Händler nennen das eine rethesaurierende Anlage. Euer Reichtum wächst also jedes Jahr, ohne das ihr euch weiter darum kümmern müsstet. Für Dich, Sohn würde das ein garantiertes jährliches Zubrot von 551 Dukaten und 8 Silbertalern bedeuten, ohne dass du dafür einen Finger krumm machen musst. Was sagst Du dazu?“ Ich sagte… gar nichts, denn ich war völlig überrumpelt und es fiel mir schwer die Dimensionen dieser Zahlen gefasst zu bekommen. „Ich werde es mir überlegen,“ war alles was ich mit belegter Stimme heraus brachte. „Dann überleg es Dir gut, denn so eine Gelegenheit wirst du so bald nicht wieder bekommen…“ entgegnete er nur. „Melissa und ich haben uns auch schon einen Namen für diese Unternehmung überlegt. Wir werden, wenn auch Fabrizzio zustimmt, neben dem Hauptkontor hier bei mir kleinere Außenstellen in Mengbilla bei Melissa und in Bethana bei ihm einrichten. Also wollen wir uns mit dem klingenden Namen Styftung zur Förderung des gedeihlichen Handels zwischen den Gestaden der Goldküste und des Perlenmeeres SFgHGGP nennen. Denn darauf wollen wir uns zunächst im Schwerpunkt konzentrieren um die Synergien unserer bestehenden Strukturen zu nutzen. Das Risiko dieser Handelsrouten ist überschaubar, die Routen beständig und es mag ertragreichere Ziele geben, aber der Verdienst dürft bei der richtigen Auswahl der Wahren dennoch ausreichen, um nach Abzug aller Kosten inklusive Eurer Anteile einen vernünftigen Ertrag zu erzielen.“ Er nickte bestätigend, eher zu sich selbst. „Und falls die von der Präfekta gestern angedeutete Lizenz an uns fällt und dies mit Billigung der Obrigkeit auch noch eine Bankiers- und Versicherungskomponente erhält, dürfte das den Gewinn noch einmal deutlich steigern. Bei Phex, ich hätte nie gedacht, dass sich uns eine solche Gelegenheit zu meinen Lebzeiten bieten würde!“

Ich muss wohl etwas blass gewesen sein, denn Vater schenkte mir nun wirklich einen Becher Wein ein und hielt ihn mir hin. „Trink Sohn, du siehst aus als könntest du es gebrauchen.“ Dann klopfte er mir auf die Schulter. „Wäre das heute Nacht nicht passiert und du jetzt quasi schon fest mit Visaria liiert, ich hätte dir ja nahegelegt dich darum zu bemühen, die Dame Melissa Zeforika ins Bett und vor den Traviaaltar zu bekommen, sie schien ja auch große Stücke auf dich zu halten. Das hätte den Bund noch einmal ganz anders gefestigt! Aber so sieht es wohl aus, dass wir mit den Zeforikas auf einer rein vertraglichen Beziehung weiterarbeiten werden und du über Visaria unsere Verbindung zu den Ulfharts stärken wirst. Das ist natürlich mindestens genauso gut. Ich möchte, dass Du gut auf dich aufpasst in den nächsten Monden, und kein unnötiges Risiko eingehst. Du bist jetzt viel zu wertvoll, als das wir dich wieder bei irgend so einer abenteuerlichen Unternehmung verlieren dürfen! Hast du das verstanden? Wir müssen in absehbarer Zeit auch nach Bethana reisen, um Fabrizzio von der Sache zu überzeugen. Ich hätte mir gedacht, das könnte doch etwas für dich sein, oder? Ihr versteht euch ja so gut. Und zur Sicherheit kann deine Mutter dich begleiten, um auf alles ein Auge zu haben, dann wirkt es auch gleich viel freundlicher. Ein Familienbesuch, statt einer Geschäftsreise. Überleg dir einfach, wen du vielleicht sonst noch mitnehmen möchtest. Ich sende Fabrizzio auf jeden Fall schon einmal einen Brief mit dem nächsten Schiff, das er sich auf einen Besuch durch uns einstellen kann.“

Damit war meine Audienz offensichtlich beendet, der Nachmittag war auch schon weit fortgeschritten als wir fertig waren, und ich machte mich auf zurück zu unserer Villa, musste ich doch das gehörte erst einmal verdauen.

Auf dem Weg zurück machte ich mir in Gedanken erst einmal eine kleine Liste, was ich noch alles dringend erledigen wollte. Die Briefe an die Kirchen hatte ich ja schon vorbereitet und das überreichen wollte ich persönlich machen und nicht einfach einem Diener übertragen. Dann müsste ich auf jeden Fall endlich Zeit finden mit Visaria persönlich zusammenzufinden. Das wir uns gestern Abend nur gesehen hatten mochte ich nicht gelten lassen, gerade angesichts dessen was uns bevorstand. An meiner Akademie wollte ich natürlich auch noch vorsprechen. Die Tragweite meiner Erlebnisse wäre etwas, was ich zumindest der Spektabilität zu Ohren bringen sollte, egal ob man mir dort glauben mochte oder nicht. Und für die nächsten Reisen würde ich meinen Notvorrat an Heiltränken noch auffrischen müssen, also den Markt aufsuchen und mich nebenbei der Herstellung widmen. Dann wollte ich ja wegen Ulmjescha noch ein Wort mit Mutter wechseln. Außerdem hatte ich noch, nachdem mir ja jetzt die Dukaten aus dem Anus quollen ein oder zwei Artefakte, die ich gern in Auftrag geben wollte, statt sie selbst herzustellen. Die Frage war nur, ob ich dies hier vor Ort erledigen lassen konnte oder dafür doch noch einmal nach Kunchom müsste. Eine persönliche Nachricht an Fabrizio wollte ich auch noch aufsetzen und Vaters Depesche beilegen, das war ich meinem Freund schuldig. Und nach den zahlreichen Reisen und auf Grund meiner finanziellen Situation würde ich mir auch gerne noch eine zusätzliche Garde-Robe schneidern lassen. Meine gute Robe war zwar immer noch hervorragend in Schuss, da ich ja unterwegs in der Regel das Reisegewand trug, aber eine zusätzliche dunkle Robe für repräsentative Zwecke würde sicher nicht schaden. Auf diesen Gedanken hatte mich die Kollega gebracht, welche die Dame Ulfhart begleitet hatte als ich dort war. Diese hatte sicher auch mehr als nur ein solches Kleidungsstück im Schrank hängen. Und das alles neben den sonstigen familiären Verpflichtungen… ein Seufzer entrang sich meiner Brust.

Das heimische Anwesen erreichte ich völlig in Gedanken verloren und nahm die Diener die mich grüßten kaum war, als ich zu meinen Zimmern ging. Es konnte auch nicht mehr allzu lange bis zum Abendmahl sein. Als ich meine Tür öffnete sah ich Ulmjescha, die Nandurin gerade in ein neues Hemd half, da er sich beim Spielen wohl wieder einmal schmutzig gemacht hatte. Und Mutter mochte es überhaupt nicht wenn man unordentlich zum Essen erschien, egal wer es sein mochte. Das war sozusagen eine eherne Regel, die in der Familie galt. Als Nandurin mich sah riss er sich von Ulmjescha los, stürmte auf mich zu, breitete die Arme aus und ich nahm ihn lachend in Empfang. „Dada wieder da!“ krähte er fröhlich, während ich ihn an mich drückte. Und dann geschah etwas schier Unglaubliches. Zumindest hatte ich es nicht erwartet. Ulmjescha, die anscheinend kurz gebraucht hatte die Situation zu erfassen oder sich zu entscheiden, eines von beiden wird es wohl gewesen sein, eilte Nandurin hinterher. Ich hätte erwartet, um ihn einzufangen und erst einmal fertig anzukleiden. Stattdessen breitete sie, kurz bevor sie uns erreichte, ebenfalls die Arme aus, fiel mir um den Hals und drückte sich an mich, so dass ich alle Mühe hatte nicht nach hinten überzuplumpsen ob des unerwarteten Ansturms. Ich zögerte nur kurz und musste die Überraschung die sich meiner bemächtigte erst einmal verarbeiten – natürlich in der gewohnten Blitzeseile meines Geistes. Auf der einen Seite freute es mich ungemein, dass sie anscheinend die Scheu vor mir verlor, langsam die Furcht, die ihr ihr bisheriges Leben eingepflanzt hatte abzulegen schien. Auf der anderen Seite war dieses Verhalten natürlich zwischen einem Herrn und seiner Dienerin ein absolut unangebrachtes Verhalten. Mutters entrüsteten Aufschrei konnte ich quasi im Kopf hören, hätte sie diese Szene beobachtet. Ich war kurz hin und her gerissen dazwischen, Ulmjescha sanft zurückzustoßen oder sie ebenfalls in den Arm zu nehmen. Die Götter mögen wissen warum, ich entschied mich jedenfalls nach kurzem Zögern für letzteres. Hatte ich ihr nicht erst vor einem halben Jahr erklärt, dass sie nun zu unserer Familie gehöre? Und hatte ich ihr nicht erst vor Stunden in einem Anflug von seltsamer Sentimentalität erlaubt mit in meiner Bettstatt zu liegen? Würde ich sie nun von mir weißen, was mochte das für ihr Vertrauen, dass sie anscheinend in mich setzte bedeuten? Vielleicht sollte ich langsam Anfangen, Ulmjescha eher als eine Art großer Adoptivschwester für Nandurin zu sehen, als nur als Dienerin und Kindermädchen. Also fand ich mich im Eingang meines Zimmers hockend mit zwei sich windenden Kindern im Arm, die sich alle Mühe gaben, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen, bevor ich sie mit einem Lachen fortscheuchte, sich für das Abendessen fertig zu machen. Nandurin rannte sofort los quer durch das Zimmer um sich von Ulmjescha wieder einfangen zu lassen, diese kichernd hinter ihm her, nicht ohne mir über die Schulter wieder eines dieser Strahlen zuzuwerfen, die daneben die Praiosscheibe verblassen ließen. Als sie beide endlich fertig waren stürmten sie zusammen schon wie Wirbelwinde in Richtung des Speisezimmers davon. Ich selbst war noch dabei mich frisch zu machen und ein Hausgewand anzuziehen, da wir heute ja keine Gäste erwarteten. Zumindest manchmal gönnte ich mir daheim den Luxus, auch einmal keine formelle Robe zu tragen.

Ich knöpfte gerade mein Hemd zu, als meine Tür schon wieder ohne anklopfen aufgestoßen wurde. Nach der Erfahrung von gestern wand ich mich lächelnd um, meine fröhliche kleine Schwester Liliana erwartend – und stutzte. Zwar war sie es, aber der Gesichtsausdruck den sie mir präsentierte passte so gar nicht zu meiner Erwartung. War sie gestern wie ein Rondrikan hereingekommen, war es heute schon ein ausgewachsener – und überaus zorniger – Beleman, mit dem sie in mein Zimmer stürmte. Ich war kaum dazu gekommen die Stirn zu runzeln, da fing sie auch schon, die Tür hinter sich zuwerfend, an, auf mich einzureden. „Victor! Was hast Du angestellt? Ich war heute Nachmittag mit Visaria beim Alchimisten, wir wollten uns ein neues Parfüm aussuchen. Sie hat gestern sogar noch gesagt, sie würde extra eines für dich haben wollen, ich müsse ihr unbedingt verraten was du am liebsten magst! Und als wir uns heute getroffen haben war sie völlig aufgelöst! Sie hat erzählt, dass ihr bald Heiraten werdet! Einfach so! Stimmt das? Hast Du mir etwas verheimlicht?“ Und dabei stemmte sie die Arme in die Hüften und funkelte mich böse an. Ich schluckte. So kannte ich meine Schwester überhaupt nicht. „Lili…,“ versuchte ich beschwichtigend zu sagen, ich war der Einzige der sie so nennen durfte, ohne dass sie einen Wutanfall bekam. „Wirklich, es ist ganz anders als du denkst. Ich bin nicht schuld!“ Dabei setzte ich mich auf meinen Sessel um ein wenig Zeit zu gewinnen. „Also, wie ist es dann? Ihre Tante hat ihr es heute Morgen beim Frühstück verkündet, als wäre es das normalste der Welt! Die arme Visaria weiß seitdem gar nicht, wie ihr geschieht!“ Ich nahm Lilianas Hand in die meine. „Ich schwöre dir bei Hesinde und Boron, es ist nicht meine Schuld. Tsaiane Ulfhart und Vater haben einen Handel geschlossen, du weißt schon, wegen dem Gold aus dem Dschungel, und am Ende soll diese Hochzeit den Handel und die Verbindung unserer Häuser besiegeln…“ dann erzählte ich ihr in kurzen Worten, was gestern Nacht geschehen war. Dabei schien sie sich langsam etwas zu beruhigen, immerhin kannte sie die Spiele, die in der gehobenen Al’Anfaner Gesellschaft gespielt wurden, wahrscheinlich sogar deutlich besser als ich. Als ich zum Ende kam meinte sie dann „Aber Du hast auch nicht nein gesagt!“ und hatte dabei einen vorwurfsvollen Ton in der Stimme. Da konnte ich ihr natürlich nicht widersprechen und schüttelte den Kopf. „Nein, du hast recht. Aber was hätte ich den tun sollen? Hätte ich gestern abgelehnt, ich hätte von ihrer Tante vermutlich nie wieder die Erlaubnis erhalten, um Visaria zu werben. Und wie würdest du es denn aufnehmen, wenn jemand das Angebot deiner Hand erst ausschlägt, um später noch einmal angekrochen zu kommen, als hätte er es sich jetzt doch noch einmal überlegt, als wärst du es nicht von Anfang an wert gewesen? Ich hatte wirklich keine andere Wahl, Lili. Du musst mir glauben, ich hätte es auch lieber anders gehabt, eine eigene Entscheidung treffen zu können. Nicht dass ich mich je gegen Visaria entschieden hätte, aber so und jetzt…“ Ich ließ traurig den Kopf hängen. Meine Schwester war vermutlich der einzige Mensch, dem ich in dieser Sache offen meine Gefühle zeigen konnte.

Sie rückte näher an mich heran und drückte mich. „Ach Victor…“ Ihrem Tonfall entnahm ich, dass sie mir bereits verziehen hatte. „Es ist ja nur wegen Visaria. Es ist auch nicht so, dass sie es ja nicht auch wollen würde. Aber sie hatte es sich so ganz anders vorgestellt. Du weißt schon… romantische Bootsfahrten, geheimnisvolle Maskenbälle, rahjagefällige Tänze… sie wollte einfach das du sie umwirbst, bevor du vor ihr auf die Knie fällst und um ihre Hand anhältst. Sie kennt dich ja kaum!“ Jetzt verstand ich. Wie konnte ich nur so dumm sein? Visaria, sie war gerade einmal 14 Götterläufe alt und ich vielleicht ihre erste Schwärmerei, ging es im Grunde genommen nicht anders als mir. Ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Wenn sich meine Welt um mich drehte, verlor ich vielleicht leider manchmal den Rest um mich herum ein wenig aus dem Blick. Als ich diesen Gedanken erst einmal ergriffen hatte traf es mich wie Rondras Blitzschlag. Ich hätte noch eine Chance, es doch richtig zu machen! Langsam den Kopf wieder hebend blickte ich meiner Schwester in die Augen. „Lili, ich danke dir. Ich glaube, ich weiß jetzt was ich tun muss.“ Am entsetzten Gesicht meiner Schwester sah ich, dass sie gerade eine völlig falsche Schlussfolgerung zog. „Nein, ich werde natürlich nicht hingehen und das Angebot doch noch ablehnen. Niemals! Es gibt kein Mädchen, nach dem ich mich mehr sehnen würde, als nach Visaria. Aber ich kann ihr vielleicht doch noch all das bieten, was sie sich wünscht, bevor die Verlobung offiziell verkündet wird…“ Innerlich jubelte ich, dass Hesinde mich mit dem schärfsten Verstand gesegnet hatte, den man südlich der Khom finden mochte. „Hör mir gut zu, ich brauche dabei vielleicht deine Hilfe…“ Neugierig beugte sie sich zu mir vor. „Wir werden bald eine Reise ins Horasreich antreten müssen um die Konditionen des Handels auch noch mit Fabrizzio und Melissa zu besiegeln. Wenn ich diese Reise nun nicht allein antreten würde… Vater meinte schon er will mir Mutter als Aufpasserin und fürs Geschäft mitschicken. Nandurin und Ulmjescha will ich ohnehin mitnehmen, damit er wieder einmal mit Miguel zusammenkommt. Und wenn jetzt du auch noch mitkommen würdest und wir Visaria auch noch mitnehmen, sozusagen eine Urlaubsreise zur kulturellen Bildung für euch beide… dann könnten wir im Horasreich all das machen, was Visaria ansonsten entgehen würde. Ich weiß, es ist nicht das gleiche, aber wenigstens…“ Ich kam gar nicht dazu den Satz noch weiterzuführen, weil Liliana mir um den Hals fiel und mich herzte. „Ich wusste es! Du bist einfach der Beste, Bruderherz!“ Jetzt strahlte sie mich wieder an, so wie ich sie kannte. „Das ist die beste Idee, die du je hattest!“ Das bezweifelte ich zwar, weil ich ja schon sehr viele hervorragende Ideen hatte, aber das Lob gefiel mir natürlich. „Aber wir müssen es geschickt anstellen, damit ihre Tante Visaria erlaubt mitzugehen,“ meinte sie. Da hatte sie selbstverständlich recht. Ich hatte, ehrlich gesagt, noch keinen blauen Dunst, wie wir das Vorhaben in die Tat umsetzen sollten. Aber wenigstens hatten wir jetzt einen Plan. Wieder bester Laune zog mich Liliana aus dem Sessel hoch. „Komm schon, wir sind am Ende noch zu spät zum Abendessen… nicht das Mutter schimpft,“ und ihre Hand haltend gingen wir gemeinsam grinsend, als hätten wir gerade zusammen die Verschwörung von Gareth geplant, in Richtung des Speisezimmers. Ich erzählte Liliana aber lieber nicht, was unsere Eltern sowohl für sie selbst als auch mich schon an Pläne für die Zukunft geschmiedet hatten, wäre nicht dieser Umstand eingetreten…

Das Abendessen verlief zum Glück einmal weniger aufregend. Vater und Mutter waren jedoch auffällig guter Laune, was sich auf die ganze Tischgesellschaft übertrug. Und heute kam auch ich dazu, vernünftig die verschiedenen Leckereien zu schnabulieren, wenn auch die Tafel heute natürlich deutlich weniger opulent war als am gestrigen Abend. Dennoch… verglichen mit dem, mit was ich mich regelmäßig auf meinen Reisen zufrieden geben musste war dies ein Mahl, das eines Königs würdig gewesen wäre und das ich mit vollen Zügen genoss. Als das Geschirr abgetragen wurde und sich die Gesellschaft langsam auflöste, Ulmjescha brachte Nandurin ins Bett, einige andere Geschwister hatten wohl noch Arbeit zu tun da meine Eltern planten in den nächsten Tagen ein paar Tage auf der Plantage zu verbringen und Vater wollte noch einmal einige Dokumente in seinem Arbeitszimmer durchgehen. Liliana hingegen schien an meiner Seite bleiben zu wollen. Ich hätte das zwar lieber unter vier Augen gemacht, aber ich ergriff die Gelegenheit und bat Mutter, kurz zu warten, weil ich sie noch etwas zu fragen hätte, als keine Diener mehr im Zimmer waren.

„Mutter, hättest Du einen Augenblick?“ Sie sah mich verwundert und fragend an. „Ich muss dich das einfach fragen, weil du von allen diejenige bist, die am besten weiß was in diesem Haus geschieht.“ Diese kleine Schmeichelei gefiel ihr offensichtlich, wenn sie sie natürlich auch sofort durchschaute. „Hast du, oder irgendjemand anderes etwas über Ulmjescha zu klagen? Hat sie sich etwas zuschulden kommen lassen?“ Nun sah mich Mutter ehrlich überrascht an. „Wie kommst du darauf, Victor?“ Sie hatte oft die enervierende Angewohnheit, anstatt meine Fragen einfach zu beantworten, mit einer Gegenfrage zu reagieren, aber das kannte ich schon, auch wenn ich es überhaupt nicht mochte. Aber wer wäre ich, Mutter zu kritisieren? „Naja, ich habe zwei Dienerinnen tratschen hören. Eine davon meinte, Ulmjescha hätte den Phex im Leib. Ich habe mich gesorgt, dass sie sich am Eigentum der Familie vergriffen hätte und deswegen vielleicht ärger bekommen könnte?“ Ich legte den Kopf schief und sah Mutter fragend an. „Victor, ich sage dir, ich habe selten so ein liebes Kind wie die kleine Ulmjescha gesehen. Phex im Leib!“ Sie zog scharf die Luft ein. „Sei versichert, wenn sie eine Diebin wäre, du hättest sie bei deiner Heimkehr nicht mehr in diesem Haus vorgefunden, wenn dem so gewesen wäre, egal ob du sie ins Haus gebracht hast oder nicht.“ Dann überlegte sie kurz. „Nein, ich denke nicht, dass man ihr da irgendetwas vorwerfen kann. Manchmal ist sie vielleicht etwas vorlaut gegenüber den anderen Dienern, fast schon frech. Sie lässt sich auch von den Älteren nicht alles gefallen und hat es deswegen gerade bei den Weibern nicht unbedingt einfach. Freunde hat sie jedenfalls so gut wie keine bei den anderen Dienern, zumindest keine von denen ich wüsste. Vielleicht ist sie etwas einsam. Ich habe nur manchmal die Sorge, dass sie sich vielleicht zu sehr einbildet zur Familie zu gehören und sich deswegen zu viel herausnimmt. Ich meine, sie ist am Ende doch nur ein Gossenkind. Ohne dir jetzt vorwerfen zu wollen, dass du sie mitgebracht hast. Mit Nandurin klappt das ja wunderbar. Also sei beruhigt, da gibt es nichts, worum du dich sorgen müsstest.“ „Wenn Du wüsstest…,“ dachte ich bei mir, „dass sie sich der Familie so nahe fühlte dürfte ja dann sogar meine Schuld sein.“ Laut sagte ich aber. „Dann bin ich ja beruhigt. Ich hatte einfach nur Sorge, das während ich weg war etwas vorgefallen wäre…“ Ich machte eine kurze Kunstpause. „Im gleichen Gespräch hat die Dienerin übrigens auch deinen Enkel Nandurin als ‚Dämonenbrut‘ bezeichnet.“ Der Wechsel ihrer Gesichtsfarbe von aschfahl zu tiefstem Purpurrot geschah mit der Geschwindigkeit, mit der eine Sturmflut auf die Kaimauern im Hafen traf und ihre Stimme ging sofort zwei Tonlagen in die Höhe. „Wie? Was? Sofort rückst du damit heraus, welches Lästerweib sich solcherart über unsere Familie äußert!“ Mit dieser Reaktion hatte ich gerechnet… während ich nach außen neutral wirkte war ich innerlich sehr zufrieden mit mir. „Es ist die Amme, die du von ihrer Aufgabe entbunden hast. Vielleicht hat sie es nicht so gut aufgefasst, von Ulmjescha verdrängt und von dir der Arbeit entbunden worden zu sein?“ „Das ist noch lange kein Grund, so über unsere Familie zu reden! Es ist mir ja herzlich egal, wenn die Diener übereinander reden und lästern, das war schon immer so. Aber über die Herren haben sie sich gefälligst nicht das Maul zu zerreißen. Und deinen Sohn als Dämonenbrut zu bezeichnen, er ist halt etwas besonderer als andere Kinder, das werde ich nicht dulden! Wenn wir auf die Plantage gehen werden wir dieses Lästerweib mitnehmen. Aber ohne sie zurück in die Stadt gehen. Soll sie in Zukunft für die Sklaven kochen. Solche Hexen will ich nicht in meinem Haus haben!“ Damit war es wohl entschieden, und ich hatte meine kleine Rache bekommen. Das sollte den anderen Dienern und Sklaven eine Lehre sein, sich umzusehen und nicht über Nandurin – und auch Ulmjescha – zu tratschen!

Ich brachte Liliana noch zu ihrem Zimmer und wir drückten uns zum Abschied gute Nacht. Sie hauchte mir einen Kuss auf die Backe und flüsterte leise. „Ich meine es ernst, Victor. Du bist der beste Bruder… ich werde Visaria gleich morgen von unserem Plan erzählen. Ich hoffe, sie weint sich heute nicht in den Schlaf… hab dich lieb, Bruder.“ Wir drückten uns noch einmal, und ich ging, das erste Mal seit gestern Abend, wieder mit einem guten Gefühl und beschwingtem Schritt zu meinem Zimmer. Die letzte Stunde vor dem Schlafen wollte ich nutzen, um meinen Brief an Fabrizzio zu schreiben. Als ich das Zimmer betrat hörte ich aus dem Nebenraum zweistimmiges leises Kichern – und es war nicht aus Nandurins Kämmerchen, sondern aus meinem Schlafzimmer! Was hatte das zu bedeuten? Bewusst geräuschvoll schloss ich die Tür, und das Kichern verstummte augenblicklich. Als ich die angelehnte Tür zum Nebenraum einen Spalt weit öffnete um hineinzusehen lagen Nandurin und Ulmjescha in ihren dünnen leinernen Nachthemdchen in meinem Bett, so wie wir gestern gemeinsam eingeschlafen waren und stellten sich schlafend. Offensichtlich hatten die beiden beschlossen, dass dies nun unsere gemeinsame Schlafstatt wäre. Was hatte ich mir da jetzt wieder eingebrockt? Mutter würde das zumindest nicht gutheißen, da war ich mir sicher. Vermutlich war es genau das, was sie vorhin gemeint hatte… aber ich brachte es einfach nicht über das Herz, die beiden, oder selbst nur Ulmjescha, hinauszuwerfen und wieder in die Kammer zu schicken. Im Gegenteil, die beiden so vertraut zu sehen, wie sie offensichtlich nur auf mich warteten, brachte ein angenehmes, warmes Gefühl in meine Magengegend, dass sich heimelig wie Travias Herdfeuer anfühlte. Sacht lehnte ich die Tür wieder an um mich der Schreibarbeit zu widmen. Nur einige wenige Male war noch ein leises Kichern zu hören, das ein weniger scharfsinniger Mensch als ich nicht einmal wahrgenommen hätte, bevor es in die ruhigen, regelmäßigen Atemzüge der beiden Kinder überging. Als ich ein gutes Stundenglas später ebenfalls zu Bett ging und mich vorsichtig neben die Beiden legte war Ruhe eingekehrt und ich doch wieder halbwegs mit mir selbst und der Welt versöhnt. Eine bessere Nacht hätte ich mir nur vorstellen können, wenn ich sie vielleicht mit Visaria hätte verbringen dürfen. Aber gedulde dich mein Herz, auch diese Tage werden noch kommen… mit diesen glücklichen Gedanken glitt ich in die Traumlande hinüber.

Als ich in den frühen Morgenstunden erwachte fühlte ich mich nach den aufwühlenden Erlebnissen der letzten beiden Tage das erste Mal wieder zufrieden und ruhig. So gut wie heute Nacht hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen. Die beiden Kinder neben mir schlummerten noch, aber nun merkte ich auch, was mich geweckt hatte. Nandurins hatte seine kleine Faust wie ein Arenagladiator geballt und in mein Gesicht geschoben. Den Daumen der anderen Hand hatte er im Mund, nuckelte ausgiebig im Schlaf daran. Er war einfach nur zuckersüß, mein Kleiner. Dann wurde ich noch einer weiteren Berührung gewahr. Ulmjescha hatte wieder den Arm um Nandurin gelegt und ihn an sich gezogen, aber ihre kleine, weiche Hand lag zart wie ein Federhauch auf meinem Arm. Wieder musste ich lächeln. So friedvoll also konnte das Leben auch sein… vorsichtig löste ich mich von den beiden und machte mich im Nebenzimmer fertig für den Tag. Die beiden wachten erst auf als ein Klingeln am Gang ankündigte, dass demnächst das Frühstück im Salon bereitstehen würde.

Zu Dritt machten wir uns auf den Weg und nahmen gemeinsam mit dem Rest der Familie unser Frühstück ein. Liliana grinste immer wieder verschwörerisch zu mir herüber, was ihr ein fragendes Stirnrunzeln von Mutter einbrachte, die aber nichts weiter dazu sagte. Die meiste Zeit drehte sich das Gespräch heute jedoch über den baldigen Aufenthalt auf unserer Plantage, was mir in Erinnerung rief, dass ich nur noch wenige Tage Zeit hatte die wichtigsten Angelegenheiten in der Stadt zu regeln. Wir würden zwar nur eine Woche die Landfrische genießen, aber trotzdem, es gab genug was ich gern vorher erledigt haben wusste. Nach dem Essen schickte ich Ulmjescha ihr gutes Kleid holen, ging dann mit ihr zu unserer Näherin und wies sie an, von Ulmjeschas Kleid unten am Saum ein Stück abzunehmen und dieses oben an der Hüfte und im Brustbereich hinten wieder einzusetzen. Hier im Süden langte es ja auch, wenn das Kleid nicht bis zu den Knöcheln, sondern bis knapp unters Knie ging. Ich dachte, damit sollte es auch das nächste Jahr über noch passen. Und falls nicht, würde man es ja auch noch einmal weiter kürzen können zur Not.

Den Rest des Morgens vor der Mittagshitze wollte ich nutzen um einige Erledigungen zu tätigen. Mein erster Weg, heute ließ ich mich dann ausnahmsweise einmal mit der kleinen Sänfte durch die Stadt tragen anstatt selbst zu gehen, führte mich zu unserem Kontor um den Brief an Fabrizzio Vaters Schreiben beizufügen. Viel Zeit hatte Vater nicht für mich, das Geschäft nahm wieder seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, aber es genügte um mir mitzuteilen, wenn ich schon wieder da sei könne ich mich ja auch nützlich machen und ihn morgen Nachmittag zu einem Handelsabschluss begleiten. Nur zur Sicherheit, falls meine Fähigkeiten dort hilfreich sein würden. Auch wenn ich keine Schulden mehr bei ihm hatte, die Angewohnheit das er mich einspannte wie es ihm passte würde sicher nicht so schnell vergehen. Aber ich war gerade so zufrieden mit mir selbst, dass ich seinem Ansinnen gern zustimmte.

Als nächstes ging ich zu meiner Alma Mater, der Universität und der magischen Fakultät. Abgesehen davon, dass ich mich noch obligatorisch wieder zurückmelden musste, was ich ja schon auf Grund der vielen Ereignisse der letzten Tage verschleppt hatte, wollte ich auch noch um eine Audienz bei der Spektabilität bitten, um ihn über die aus magischer Sicht interessanten Aspekte meiner Reise in Kenntnis zu setzen. Das man natürlich nicht aus dem Stand heraus einen Termin bei einer vielbeschäftigten Persönlichkeit wie der Spektabilität von Zornbrecht-Lomarion erhielt war mir selbstverständlich bewusst. Und das war mir durchaus recht, denn ich würde meinen mündlichen Bericht auch gerne vorbereitet in schriftlicher Form für die Akten des Hauses mitbringen, und das würde mich sicher noch einige Abende kosten, dies in adäquater Form zu Papier zu bringen. Der Sekretarius gewährte mir, auch da ich keine Anstalten machte die Sache mit einem angemessenen Handgeld zu beschleunigen, einen Termin in zwei Wochen. Den genauen Termin, ich nehme das hier einmal vornweg, erfuhr ich allerdings erst von einem Boten am nächsten Morgen, der die Nachricht in mein elterliches Haus brachte. Dies sollte für meine Zwecke ausreichen und dann wären wir ja auch wieder von der Plantage zurück. Zufrieden machte ich in Gedanken erst einmal einen Haken hinter die Angelegenheit. Womit ich nicht gerechnet hatte war, dass mich Hesinde, im übertragenen Sinne, auf dem Weg aus der Akademie hinaus mit ihrem Schlangenstab schlug und an meine Verpflichtung erinnerte, in ihrem Sinne zu handeln.

Was ich damit meine? Nun, als ich durch die geheiligten Korridore und Hallen gen Ausgang strebte fühlte ich mich zwischen den geschäftig umhereilenden Eleven und Novizen um einige Jahre zurückversetzt, als ich an ihrer Stelle war. Unwillkürlich bemächtigte sich eine Welle der Nostalgie meiner Person und ich verharrte, die emsige Atmosphäre genießend, im Kreuzgang als es geschah und mich völlig überraschend überkam. Aus dem angenehmen Gefühl wurde mit einem Mal das genaue Gegenteil. Auslöser war wohl, als ich einen, anscheinend neuen Professor, zumindest kannte ich ihn nicht aus meiner eigenen Studienzeit, mit einem süffisanten Grinsen das Studien- und Handgeld von seinen Scholaren kassieren sah, bevor er sich bemüßigte, seinem Lehrauftrag nachzukommen. Auf einmal erinnerte ich mich auch wieder an die Schattenseiten meines Studiums. Die ständig aufgehaltenen Hände der Professoren, Doktoras und älteren Adepten für alle noch so kleinen Dienste. Keine Lehrstunde, kein Unterricht, keine Arbeit ohne dafür extra bezahlen zu müssen, sowohl für die Unterweisung als auch benötigte Materialien. Die Unterstützung die sich manche meiner Kommilitonen mit klingender Münze kauften, während ich mit dem auskommen musste, was Vater bereit war zu bezahlen – und das war nur das Nötigste! Die manchmal nur ärgerlichen, gelegentlich aber auch erniedrigenden Dienste die ich den Altadepten für zusätzliche Unterweisungen leisten musste wenn ich nicht zahlen konnte oder auch die Liebesdienste, zu der mich die ein oder andere Doktora als Gegenleistung heranzog. Nicht, dass ich auf den älteren Gäulen nicht auch das Reiten gelernt hätte… aber mit dem freien Willen in Rahjas Sinne hatte das nicht immer etwas zu tun gehabt…

Und jetzt? Dere hatte sich weitergedreht und nun würde ich in eine solche Verlegenheit natürlich nicht mehr kommen. Im Gegenteil! Ich hätte jetzt direkt zum Dekan gehen, die obligatorischen 100 Dublonen auf den Tisch legen und mich fortan Professor mit Lehrberechtigung nennen können um die bedauernswerten Studiosi ebenfalls wie Zitronen auszupressen. Aber wäre es das, was Hesinde von mir erwarten würde, auch wenn es hier so Usus war? Ich sage Nein! Manchmal trafen mich seltsame Anwandlungen, und dieser war wieder einer jener Augenblicke. Ich hatte manches Mal die Götter und auch Vater verflucht dafür, dass ausgerechnet mir das Los des armen Studenten zugeteilt worden war. Und niemand, wirklich niemand in diesem Haus schien sich daran zu stören oder etwas an meinem Schicksal damals ändern zu wollen. Aber jetzt konnte ich es mir leisten in Hesindes Namen vielleicht einem Angehörigen der nächsten Generation an Studenten das Leben zu erleichtern! Ich ging zu einem der Schreibpulte, zog mehrere Bögen Pergament, Feder und Tinte heraus, machte mich daran den spontanen Plan in die Tat umzusetzen und setzte mehrere Aushänge auf, die ich sodann an verschiedenen Stellen der Fakultät aushing. „Pellisario‘s KOSTENLOSES Tutorium – Im Garten hinter dem Kreuzgang, Windstags zur Firunsstunde. Kostenfreie Nachhilfe nach Bedarf in Bosparano, Götterkunde, allgemeiner Arkanologie, Botanik und theoretischer Alchemie.“ Mir war bewusst, dass ich damit durchaus dem ein oder anderen Dozenten auf die Füße treten mochte – aber soweit ich mich erinnerte stand in den Statuten der Akademie lediglich, dass man sich das Recht zum kostenpflichtigen Unterricht erwerben musste. Auf das entgeltfreie Anbieten war dies nicht anzuwenden und daher auch nicht verboten – es tat nur niemand, weil es so ein lukratives Geschäftsmodell war! Ich beschränkte mein Angebot und die Dienste aber zunächst ganz bewusst auf die nichtmagischen Fächer. Da würde ich mich zumindest nicht direkt mit den etablierten Kollegen anlegen, sondern höchstens mit den Altadepten, Alchemisten und Vertretern der nichtmagischen Fakultäten. Und die waren mir, ehrlich gesagt, herzlich egal. Ich war ja gespannt, ob sich zur ersten Stunde tatsächlich jemand einfinden würde, oder ich am Ende doch alleine dasaß. Aber dann hätte ich es wenigstens versucht – und in Hesindes Sinne wäre es allemal, will ich meinen!

Auf dem Rückweg machte ich noch auf dem Markt und bei meinem Lieblingsapothecarius halt um die Zutaten für einige Heiltränke zu erwerben. Das waren ja nun auch alles keine Exotika und einen Teil hatte ich ohnehin in meinem kleinen Labor vorrätig. Die fehlenden Ibisfedern und den Morgentau -ich hätte ihn ja auch selber früh im Garten sammeln können - bekam ich beim Apotheker. Die rote Pfeilblüte und die Alraunen für die arkane Ladung fand ich bei einem Kräuterweib am Markt. Vom reinen Gold sollte ich noch genug im Labor haben, ich wollte ja auch nur ein paar Tränke erstellen und keine Großproduktion starten.  Am Ende kostete mich der Einkauf 15 Silbertaler und ich verräumte die Utensilien noch schnell vor dem Mittagsmahl. An die Arbeit würde ich mich vermutlich erst heute Abend machen, je nachdem was der Tag noch bringen mochte. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen den Nachmittag mit Nandurin zu verbringen, aber im Haus meiner Eltern wusste man ja nie so genau, was einen erwarten mochte.

Heute war jedoch ausnahmsweise einmal einer der Tage, an dem die Götter keinen Wert darauf zu legen schienen, mich neuerlich mit irgendetwas zu überraschen. Nach dem Essen, bei dem nur Mutter, Liliana, ich, Nandurin und Ulmjescha anwesend waren, platzte auch niemand mit neuen schlechten Nachrichten herein. Liliana hatte sich mit ein paar Freundinnen auf einen nachmittäglichen Kaffee und Spiele (und ich vermute ausreichend Klatsch und Tratsch…) bei den hiesigen Vertretern der Gerbelsteins – einem Handelshaus mit Stammsitz in Mengbilla – verabredet. Als sie den Raum verließ, warf sie mir noch einen verschwörerischen Blick zu. Da ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausging, dass auch Visaria bei der Gesellschaft anwesend sein würde war ich gespannt, was für Nachrichten meine kleine Schwester als Liebesbotin heute Abend zu mir bringen mochte.

Die Zwölfe gönnten mir also tatsächlich einen freien Nachmittag, den ich mit Nandurin verbringen konnte. Nun waren zwar die Spiele eines zweijährigen keine besondere geistige Herausforderung für mich, aber dennoch genoss ich die Zeit die wir beim Bauen von Häusern und Burgen mit Klötzchen verbrachten, mit einem Stift gemeinsam nur schwer erkennbare Bilder auf Pergament malten und ich immer wieder kleine Geschichten erzählte, wenn wir einfach auf den Diwanen lagen. Insbesondere die Geschichte wie ich Ulmjescha in Festum getroffen und beschlossen hatte sie mit hierher zu nehmen konnte Nandurin anscheinend gar nicht oft genug hören. Und Ulmjescha blieb immer in unserer Nähe und spielte manchmal mit, wenn Nandurin sie aufforderte herzukommen. Gelegentlich hatte ich auch die Muse, den beiden einfach zuzusehen, wenn sie sich wieder im Wasserbecken des Atriums abkühlten und spritzend und lachend durch die Gegend platschten. Lust hätte ich ja schon gehabt, mich daran zu beteiligen – aber wenn das die Diener oder Mutter mitbekommen hätten… ich hatte ja doch einen gewissen Ruf zu wahren! Und ein herumplanschender Schwarzmagier würde nicht in das so sorgsam kultivierte Bild passen…

Es war eine dieser Pausen, in der mir, wieder einmal, ein genialer Gedanke kam. Da ich ja jetzt genug Gold hatte um mir die eine oder andere Extravaganz zu leisten würde ich nicht unbedingt darauf angewiesen sein, Artefakte selbst herzustellen, außer wenn ich es tatsächlich wollte. Das mochte ich genauso in der Akademie oder auf einer der nächsten Reisen im Horasreich oder Kunchom umsetzen lassen. Der Gedanke, mir selbst einige dezente Armschienen aus Schildkrötenpanzer zu machen, die mittels Armatrutz meinem Schutz dienten hatte ich ja schon länger. Nun kam aber noch ein neuer Wunsch dazu. Ich bräuchte dringend einen Ring, der auf den Träger einen Unitatio wirkte! Das mag auf den ersten Blick weder besonders spektakulär noch schwierig wirken, und da gebe ich ja jedem recht der das einwenden würde. Aber wie oft hätte ich dies auf meinen Reisen brauchen können? Da beherrscht man diesen Zauber selbst und bräuchte nur einen kompetenten Partner, der bereit ist sich mit einem zu verbinden – und dann scheitert es entweder an der Unkenntnis des Gegenübers oder auch einfach daran, dass Leute wie Sari oder auch Pamina dieses Zauberkonzept überhaupt nicht kannten! Aber mit einem solchen Ring? Das würde Grenzen sprengen! Nicht nur, dass ich mir bei Bedarf damit im Notfall zusätzliche ansonsten oft vergeudete Kraftquellen wie Pamina würde erschließen können. Wie oft hätte umgekehrt Sari in den letzten Monaten davon profitiert, wenn ich ihr einen Teil meiner Kraft hätte zur Verfügung stellen können, die ja im Übermaß vorhanden ist. Und darüber hinaus würde das völlig neue Möglichkeiten eröffnen, vielleicht mit Nandurins Ausbildung frühzeitig zu beginnen! Außerdem war ich zugegebenermaßen Neugierig, wie sein Potential jetzt in Summe war und ob auch jemand wie er, der ja noch keinerlei Kenntnis der Zauberei hatte, sondern rein intuitiv Effekte wirkte, diese dann mit einem Zufluss externer Kraft würde verstärken können. Das wäre sozusagen, als hätte er sich der ihn besessenden Macht weiter bedient, die ihn nun verlassen zu haben schien. Nur das ich diesmal eine deutlich gefahrlosere Quelle zur Potenzierung seiner Macht darstellen würde. Ich spann diesen Gedanken noch einiges weiter, bis mich zwei tropfnasse quietschende Kinder zurück in die Realität holten, indem sie mich, um mich herumflitzend, mit Wasser bespritzten. Ich lachte erschrocken auf, bevor ich mich bei den beiden Rabauken revanchierte, sie schnappte und wieder in das Wasserbecken zurückbeförderte. Was das Spiel nicht beendete, sondern eher weiter eskalierte bis wir alle drei triefnass waren, aber mir ein wahrhaft phexisches Vergnügen bereitete.

Erst als der Abend nahte und wir uns gemeinsam für das Essen fertig machten, endete dieser vergnügliche Nachmittag. Meine Hauskleider waren in der nachmittäglichen Hitze schnell wieder getrocknet, so dass ich mich nicht umkleiden, sondern lediglich einmal das Haar durchkämmen musste. Nandurin und Ulmjescha, die beide wieder nur dünne, lange Leinenhemdchen getragen hatten, mussten sich natürlich noch umziehen. Ich hatte es mir am Schreibtisch bequem gemacht und angefangen eine Matrixskizze für den vorhin erwähnten Ring zu erstellen, als eine Bewegung meine Aufmerksamkeit erregte. Nandurin, der von Ulmjescha fertig gemacht worden war kam gerade auf mich zu um auf meinen Schoss zu klettern. Ulmjescha selbst war noch nicht fertig mit dem umkleiden, im Gegenteil. Ihr feuchtes Hemdchen hing an einem Haken neben dem Schrank und sie huschte – eigentlich der falsche Ausdruck, denn ich hatte eher den Eindruck sie hätte es nicht besonders eilig – in Richtung von Nandurins Zimmer, wo wohl ihre Kleider lagen, und präsentierte dabei ihre blanke Kehrseite, bevor sie durch die Tür verschwand. Ich starrte ihr natürlich nicht hinterher, sie war ja nur ein Kind! Aber seltsam war das schon, dachte ich bei mir. Oder war das im Bornland einfach normal, dass man sich vor der Familie entblößte und keinerlei Scham empfand? Diese Gedankengänge endeten jedoch abrupt, als Nandurin an meiner Robe zog und von mir hochgenommen werden wollte. Ich brachte noch die Skizze in Sicherheit, nicht das er meinte die Zeichnung mit seinem Gekrakel weiter bereichern zu müssen oder das Tintenfass darüber kippte. Bis Ulmjescha wenig später scheu lächelnd zu uns kam versuchte ich, ihm die Gesten und Worte des Flim Flam Funkels als einfachster aller Kraftmanifestationen zu erläutern – allerdings war der einzige Effekt den ich dabei erzielte, dass er jedesmal wenn das Licht aufleuchtete begeistert quietschte, dann versuchte das Licht zu fangen und mit jedem mal, das er es nicht zu fassen bekam etwas zorniger wurde. Ich lachte und versuchte ihm zu erklären, dass man Licht nicht greifen könne, bis uns Ulmjescha beide an die Hand nahm und Richtung Salon zog, damit wir nicht zu spät kommen würden.

Zum Abendmahl war wieder ein größerer Teil der Familie versammelt, auch ein kleinerer Teil meiner Halbgeschwister durfte heute mit uns Speisen. Der größte Teil der Gespräche drehte sich um die noch offenen Vorbereitungen für unseren baldigen Aufenthalt auf der Plantage. Viele meiner Geschwister würden wohl schon morgen aufbrechen, um dort alles für die Ankunft der Familie herzurichten. Liliana hatte auffallend gute Laune und wirkte ein wenig ungeduldig, bis Mutter und Vater die Tafel aufhoben. Dann kam sie schnurstracks zu mir und zog mich hinter sich her Richtung Dachterrasse. Aus dem Augenwinkel meinte ich Mutter lächeln zu sehen, so als ob sie schon wieder mehr wüsste, als sie eigentlich sollte. Sie hatte aber auch wirklich eine unheimliche Gabe, in diesem Haus, und überhaupt in der Gesellschaft, Dinge mitzubekommen, die anderen wie mir oft verborgen blieben. Ich glaube ja, unter den Frauen der gehobenen Gesellschaft Al’Anfas gab es so etwas wie ein geheimes Netzwerk über das sie alles Mögliche an Nachrichten und Informationen austauschten, die den Männern verborgen blieben.

Als wir auf dem Dach im letzten Schein der verschwindenden Praiosscheibe standen platzte Liliana auch schon mit den Nachrichten heraus. „Ich habe es Visaria heute auf Heimweg erzählt. Nachmittags konnte ich ja nicht, weil die anderen dabei waren, aber den Rückweg haben wir zusammen ihrer Sänfte genommen, da waren wir unter uns…“ Sie holte Luft. „Also pass auf Victor. Sie findet die Idee auch toll und will mit ins liebliche Feld kommen. Da war sie nämlich noch nie. Du wirst aber rechtzeitig bei ihrer Tante anfragen müssen, nicht das es dann heißt, das hätte man zeitig vorbereiten müssen. Und sie selbst kann ja schlecht Fragen, richtig? Das solltest du auf jeden Fall noch machen, bevor wir auf die Plantage gehen. Da würde sie auch gerne mitkommen, aber sie muss mit ihrer Tante am Windstag nächste Woche schon auf einen Ball bei den Kugres und da kann sie nicht absagen.“ Dann legte sie mir die Hand auf den Arm und zog etwa aus ihrem Kleid. „Hier, das soll ich Dir geben, hat Visaria gesagt,“ und lächelte mich dabei wissend an. Ich nahm das kleine, zusammengefaltete Stück seidigen Stoffs mit gerunzelter Stirn und etwas ratlosem Blick entgegen.  „Jungs,“ schnaubte sie, „du musst es auffalten, Dummie.“ Jeden anderen, der mich Dumm nennen würde, hätte ich scharf zurechtgewiesen, aber Liliana konnte ich das wohl erlauben, wenn wir unter uns waren. Und sie hatte ja nicht ganz unrecht. Ich war zwar in Liebesdingen nicht unerfahren und hatte schon das ein oder andere erlebt, aber in Sachen Romantik fehlte mir wohl noch etwas der Erfahrungsschatz. Da waren Orgien definitiv einfacher zu handhaben… „Sie hat Dir auf jeden Fall verziehen, Victor.“ Und wieder… ich war mir nicht bewusst, dass ich mir etwas hätte zuschulden kommen lassen, dass man mir verzeihen müsste. Aber ich widersprach vorsichtshalber lieber nicht und entfaltete das Tuch. Ein betörender Blumenduft entfaltete sich und stieg in die Nachtluft hinauf und in meine Nase. Er erinnerte mich an Lilianas Orchideen-Parfüm, war aber auf subtile Art anders, hatte eine feine, frische zitronige Note darunter. Dann sah ich den roten Abdruck sinnlicher Lippen, der die Mitte des Tuchs zierte. Liliana lächelte mich an. „Das ist der Duft, den wir uns extra haben machen lassen. Gefällt er Dir? Ich musste Visaria extra versprechen ihn nicht zu benutzen, bevor du das hier bekommen hast.“ Ich hob das Tuch ans Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug – der Duft passte so wunderbar zu ihr, ich meinte in Rahjas Rosengarten selbst zu stehen. Verträumt sah ich zu Liliana hinunter, die sich auf das Mäuerchen gesetzt hatte, die das Dach begrenzte. „Es ist wundervoll…“ und verstummte dann. In meinem Geist jagten sich Bilder von Visaria und mir, wie ich mein Gesicht in ihr duftendes schwarzes Haar vergraben hatte. Lilianas Gesicht sah ich an, dass sie sehr zufrieden mit sich war.

„Oh, und bevor ich es vergesse… das ist ja noch geheim. Wir mussten uns heute wirklich beherrschen beim Kaffee. Die anderen Mädchen, insbesondere die zwei Töchter der Gerbelsteins, die kleine Florios und sogar die junge Zornbrecht habe sich heute öfter als gewöhnlich nach dir erkundigt. Also eigentlich haben sie vorher noch nie nach dir gefragt und waren immer recht uninteressiert, wenn ich von deinen Reisen erzählt habe. Meinten, da hätte wohl jemand eine blühende Fantasie. Jetzt kann ich gar nicht genug von dir erzählen, wenn wir zusammen sind. Aber ich versuche immer schnell das Thema zu wechseln, weil ich merke das es Visaria überhaupt nicht recht ist…“ Das konnte ich mir vorstellen. Mutter hatte mich ja gewarnt, dass mir in nächster Zeit eine gewisse Aufmerksamkeit der Damenwelt drohen könnte. „Ich verspreche Dir, Lili, keine andere außer Visaria hat Platz in meinem Herz. Und Du natürlich.“ Ich lächelte sie an. „Am liebsten würde ich ja morgen schon mit Euch ins Horasreich fahren.“ Ich nippte an meinem Wein – und verschluckte mich fast, als Lilianas Worte von vorhin durch meinen verliebten, benebelten Geist hindurchdrangen und mein rationales ich erreichten. „Lili… wie war das vorhin nochmal? Nächste, Woche, ein Ball bei den Kugres? Vielleicht ein Maskenball?“ Sie sah mich verwundert an. „Ja, das hatte ich doch gesagt, oder? Deswegen kann Visaria ja nicht mit uns auf die Plantage kommen.“ Ich grinste, als sich im Bruchteil von Augenblicken ein genialer Plan in meinem Geist formte. Ich sah ihr tief in die Augen. „Lili, kannst du ein Geheimnis für Dich behalten?“ „Jaaa, natürlich…“ sie sah mich zweifelnd an. „Du musst es mir versprechen, Schwesterchen!“ „Also gut, ich verspreche es, jetzt spann mich nicht auf die Folter.“ Ein diabolisches Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. „Ich glaube, ich muss nächste Woche am Windstag auf einen Maskenball gehen…“ Liliana quietschte aufgeregt und sprang von dem Mäuerchen. „Ich habe am Windstag diese und nächste Woche abends sowieso in der Akademie zu tun,“ dabei dachte ich an den Aushang meines Tutoriums, „und muss von der Plantage daher einen Tag früher zurück in die Stadt. Rein zufällig kenne ich Lucio Kugres, er ist Dozent an der Juridischen Fakultät unserer Universität, ich hatte ihn sogar in einigen Vorlesungen in Rechtskunde…“ Liliana sah mich gespannt an. „Wenn ich mich an ihn wende und vielleicht ein paar Fäden ziehe, es könnte mich zwar ein oder zwei gefallen kosten, aber das wäre es mir wert, bin ich mir fast sicher, ich kann mir eine Einladung zu diesem Maskenball verschaffen… und dann könnte ich dort Visaria überraschen, wenn du ihr nichts verrätst…“ Lilianas Ansturm, als sie mir um den Hals fiel und sich an mich drückte warf mich auf den Diwan hinter mir und wir kullerten beide lachend zu Boden. „Hat dir eigentlich schon einmal jemand gesagt, dass du ein furchtbarer Schuft bist, Victor. Aber ein wunderbar furchtbarer Schuft! Jetzt werde ich die ganze Woche platzen, weil ich das Visaria nicht erzählen darf… sie wird sich so freuen!“ Ich grinste, während wir uns wieder aufrichteten. „Hoffentlich hast du recht… ich will es auf jeden Fall versuchen.“ Lachend und scherzend machten wir uns auf zurück in unsere Quartiere. Auf dem Weg wies ich noch eine Dienerin an den verschütteten Wein auf der Dachterrasse aufzuwischen. Zum Glück hatte ich mich bei Lilianas Ansturm nicht selbst bekleckert…

Als ich die Tür zu meinen Zimmern öffnete war es fast genauso wie gestern Abend. Der matte Schein eines Nachtlichts drang aus dem Spalt zum Schlafgemach und ich hörte wieder Nandurin und Ulmjescha kichern, die sofort verstummten als ich die Tür etwas lauter als nötig schloss.  Ein kurzer Blick bestätigte mir, was ich schon vermutet hatte. In Zukunft würde das wohl unsere dauerhafte Schlafkonstellation werden – wie ich das dann regeln würde, wenn ich vielleicht einmal Visaria irgendwann zu Besuch hätte, würde ich mir ernsthaft überlegen müssen. So ging das natürlich nicht… Bei angelehnter Tür machte ich mich an die Arbeit, die Zutaten für den ersten Heiltrank vorzubereiten. Ich würde sie nicht auf einmal erstellen, sondern jede Woche nur einen, um die Möglichkeit zu haben eine gehörige Portion meiner Macht als arkane Verstärkung in die Tränke fließen zu lassen, sonst hätte ich ja auch die Alraunen nicht gebraucht. Ich legte alle nötigen Utensilien, Schneidbrett, Messerchen, die Schale, Mörser und Stößel, die Feile für das Gold und das Tuch zur Abdeckung des Gebräus bereit, dann machte ich mich ans Werk. Die Arbeitsschritte waren mir schon so vertraut, dass es mir zügig und einfach von der Hand ging. Das einzige anstrengende war tatsächlich der Teil, als ich meinen Geist öffnete und einen beträchtlichen Teil meiner Kraft durch die Alraune in die trübe Flüssigkeit fließen ließ. Einmal meinte ich, Ulmjeschas hübsches Gesicht im Türspalt zu sehen, so als würde sie mich beobachten. Aber als ich den Kopf drehte war dort nichts zu sehen, nur ein rascheln, so als würde jemand eilig unter eine Bettdecke schlüpfen vernahmen meine scharfen Sinne. Nun, ich hatte eine Arbeit zu erledigen und stellte die Tinktur mit der gebotenen Sorgfalt fertig, ohne mich weiter ablenken zu lassen.

Als ich ein gutes Stundenglas später, ich hatte wegen des Unitatio-Artefakts das ich mir wünschte noch etwas in der Ringkunde für Anfänger nachgeschlagen, ebenfalls ins Schlafzimmer ging schliefen die beiden Kinder bereits, so wie gestern. Ich zog die leichte Sommerdecke über die beiden, gab beiden einen sanften Kuss auf die Stirn und strich ihnen übers Haar. Bildete ich mir das ein, oder drückte Ulmjescha ihr Köpfchen dabei leicht in meine Hand, wie ein kleines Kätzchen, das sich an die streichelnde Hand schmiegen will? Ich muss mir das wohl eingebildet haben… sie schlief ja schon. Dann legte ich mich ebenfalls zur Ruhe nieder und schlummerte friedlich ein, während ich den Tag Revue passieren ließ und mir schon überlegte, wie ich es am besten anstellen mochte den alten Kugres davon zu überzeugen mich zum Ball seiner Familie einzuladen.

Dieser Eintrag wurde am 27.06.2025 (10:57) verfasst und 26 mal aufgerufen.
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