Das Geisterhaus
Langsam ging mein Studienaufenthalt in Kuslik zu Ende. Und ich gebe zu, ich war nicht sonderlich unglücklich darüber. Nicht nur, dass ich endlich das nötige Wissen zu erworben haben glaubte, auch die Stadt selbst empfand ich als ausgesprochen ungastlich für eine angeblich weltoffene Metropole. Und das ausschließlich wegen meiner Gildenzugehörigkeit, was für eine Frechheit! Seit meinem Aufenthalt in Havena hatte ich mich nicht mehr so unangemessen behandelt gefühlt. Ich, der ich doch ein götterfürchtiger und moralisch integrer Mensch war! Häufig wurde ich von der Stadtwache angehalten, oft sogar mein Gepäck durchsucht so dass ich mir schnell angewöhnte nur das nötigste mit mir zu führen, einfach um diese leidige Prozedur so kurz wie möglich zu halten. Und das selbst, wenn ich das einfache Reisegewand wie jeder andere Magus auch trug! Zwar war die Wache nie offen feindselig oder verhielt sich unangemessen, aber allein die Tatsache, dass man ständig mich anhielt, die Kollegen der anderen Gilden jedoch unbehelligt lies, sprach schon Bände. Und eben diesen Kollegen schien ich ebenfalls nicht wirklich willkommen. Zwar waren auch sie nicht in offener Opposition zu mir, aber es schien mir doch ständig, als würde sie sowohl den Disput mit mir scheuen und sich nur mit mir abgeben wollen, wenn ich dies einforderte. Sowohl am Institut als auch in den Hallen der Weisheit hatte ich nie das Gefühl das ich ein respektierter und gern gesehener Gast oder Kollege wäre. Es würde mir daher eine Freude sein, die Stadt bald verlassen zu können. Nur noch wenige Tage um meine Wörterbücher zu vervollständigen, dazu las ich recht Wahllos weitere Literatur die im alten Aureliani und den imperialen Zeichen verfasst war und fragte dann und wann einen der Schriftgelehrten Sprachenkundler, wenn sich mir ein Zusammenhang nicht erschloss. Dann würde ich das nächste Schiff auf dem ich freie Passage hatte gen Süden nehmen.
Ich war am Ende eines weiteren Studientages gerade wieder auf dem Weg zu meiner Unterkunft, als ich eine ältlich wirkende Stimme hinter mir vernahm die mich ansprach. Ein recht kleiner, gekrümmter Mann in der Livree eines Hausdieners versuchte meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sein Haar war schütter, eher eine Halbglatze und die Hakennase im Gesicht machte seine Erscheinung nicht attraktiver. Er stellte sich als Filipe Rubiri vor, Diener des ehrenwerten Leonardo Pechstein, der mich morgen zur siebten Stunde zur Abendsuppe in sein Domizil einladen ließ. Dann überreichte er mir eine gut gearbeitete Visitenkarte mit der Adresse darauf. Da ich eh nichts Besseres zu tun hatte und dies in der Stadt auch das erste Mal war, dass sich jemand dazu herabließ freiwillig mit mir verkehren zu wollen war meine Neugier geweckt und ich stimmte der Einladung zu. Da ich jedoch nicht unvorbereitet sein wollte, man wusste ja nie, machte ich mich noch am selben Abend vor der Sperrstunde auf, mit zumindest das Anwesen einmal von außen anzusehen. Und das konnte sich sehen lassen! Ein stattliches Stadthaus mit marmorner Fassade, zwei Stockwerke hoch mit einem kleinen Garten darum herum in bester Lage – keine 200 Schritt vom Fürstenpalast. Das ließ zumindest einen interessanten Abend erwarten, auch wenn mir unklar war, womit ich diese Einladung verdient hatte, denn dazu wollte sich der Hausdiener vorhin nicht äußern.
Als ich am nächsten Abend pünktlich erschien öffnete mir, nach längerer Wartezeit, der gleiche schlurfende Hausdiener die Tür und bat mich herein. Auch von Innen war das Haus durchaus repräsentativ. Hohe Räume ausgelegt mit dicken Teppichen, Tapisserien an der Wand. Die Räume schienen großzügig Geschnitten und erstreckten sich sogar tiefer nach hinten, als es die Fassade zur Straße hin hätte vermuten lassen. Edle Eichenholztüren führten ab in andere Zimmer, von der Decke hingen imposante Kronleuchter. Der Diener führte mich in einen Speisesaal der von einer langen Tafel für sicherlich 10 Personen dominiert wurde, an der aber nur für 3 eingedeckt war. Vielleicht den Herren und die Herrin des Hauses als meine Gastgeber? Geschmackvolle Anrichten und weiteres Mobiliar erstreckte sich an der Wand entlang. Der Diener rückte mir einen Stuhl zu recht, auch wenn er sonst ziemlich wortkarg war, was ich als Aufforderung verstand Platz zu nehmen, und mich setzte. Dann wartete ich.
Ich hatte mich allerdings kaum gesetzt, da klingelte es erneut und der Diener setzte sich schlurfend und quälend langsam in Bewegung. Er brachte eine junge Frau, etwa in meinem Alter, herein, die in die schreiend bunte Kleidung einer Maraskani gehüllt war und einen Anderthalbhänder sowie Diskus mit sich herumtrug. Erstaunlich wenn man das offenbare Sicherheitsbedürfnis in Kuslik bedenkt – ich hätte gedacht hier dürfte nicht jeder beliebige Schlagetot eine Waffe führen. Sie ragte recht groß auf, sicherlich 9 Spann, hatte auffälliges weißblondes Haar und tiefe schwarze Augen, was in der Kombination fast bedrohlich wirkte. Ansonsten waren ihre Gesichtszüge jedoch eher durchschnittlich zu nennen, weder besonders attraktiv noch ausnehmend hässlich – auf der Straße hätte ich sie vermutlich nicht einmal weiter wahrgenommen. Sie stelle sich als Yaziajida vor, was meine Vermutung einer Maraskanerin dann bestätigte. Zudem gesellte sich nach einem weiteren Klingeln noch ein sehniger, südländisch wirkender Mann zu uns der ordentlich-bürgerlich gekleidet war und einen Langdolch an der Seite trug. Braune Haare, braune Augen, der Akzent eindeutig mit dem melodischen Einschlag des Brabaki, als er sich mit dem Namen Tulef vorstellte. Was mich jedoch bei beiden Anwesenden verwunderte war, dass sie mich nicht nur im üblichen Garethi begrüßten, sondern wohl auf Grund meines äußeren auch direkt mit einem wenn auch nur schwer verständlichen, Mohi anredeten. Nicht das mich dies beleidigt hätte, vielleicht gingen sie ja auch einfach nur davon aus, dass ich dies als gebildeter Mann ebenfalls sprechen würde. Aber seltsam war es trotzdem. Da nun jedoch alle aufgestellten Gedecke vergeben waren fragte ich den Diener verwundert, ob sich unser Gastgeber denn gar nicht zu uns gesellen wollte. Dies empfand ich als irgendwo zwischen seltsam bis unhöflich. Bei uns zuhause hätte es so etwas nicht gegeben! Wenn man jemand zum Essen einlud teilte man doch den Tisch mit ihm, oder? Aber der Diener vertröstete uns nur auf später und trug dann das Essen auf.
Es gab eine stark gewürzte, sehr schmackhafte Fischsuppe mit weiteren Meeresfrüchten darin. Die verwendeten Geschmacksrichtungen erinnerten mich stark an die Heimat, hier jedoch mussten sie als exotisch und teuer gelten. Auch der dazu kredenzte Weißwein war von außerordentlicher Qualität, so dass ich bereit war die Abwesenheit des Herren Pechstein nicht als Herabsetzung unserer Personen einzustufen – dann hätte man uns vermutlich mit einfacherer Speise „abgespeist“. Trotzdem weckte die Maraskanerin mit ihrem noch vorhandenen Misstrauen und einem Beisatz, das Essen könnte ja vergiftet sein, zumindest einen Hauch Bedenken bei mir, auch wenn ich ja eigentlich in der Stadt keine Feinde hatte. Rein zur Sicherheit sprach ich jedoch einen Abvenenum über meinen Teller, nachdem der Diener mir eine volle Terrine gereicht hatte. Das war ja kein Kraftaufwand. Aber nachdem meine anderen beiden Mittesser sich nicht mit Krämpfen am Boden wandten konnte ich wohl davon ausgehen, dass hier keine Gefahr drohte. Daher nahm ich mir gerne noch einen zweiten Teller der Suppe und ein weiteres Glas Wein und verzichtete auf eine erneute Vorsichtsmaßnahme. Ich hieß jedoch den Diener, dem Koch oder der Köchin meinen herzlichsten Dank für dieses exquisite Mahl auszurichten, was er mit einem Lächeln entgegennahm und versprach.
Nach dem Essen wurden wir endlich zu unserem mysteriösen Gastgeber geleitet. Er wartete in einem Arbeitszimmer – das mich frappierend an das von Vater erinnerte – im ersten Stock auf uns. Der Raum war ebenfalls groß und ordentlich aufgeräumt. Der Mann hinter dem Schreibtisch war sehr fein angezogen, Hemd und Weste von guter Qualität konnte ich sehen, wirkte ansonsten jedoch nicht besonders anziehend – wäre ich jetzt eine Dame gewesen. Eine Halbglatze über der die verbliebenen langen Haarsträhnen quer übergelegt waren, so als schäme er sich seiner Kahlheit. Den Rücken schien er vom langen Sitzen über der Büroarbeit krumm zu haben, ganz wie sein Diener. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er sich auf einen silberknäufigen Gehstock gestützt hätte. Drei Stühle standen vor dem Schreibtisch für uns Bereit auf denen wir Platz nahmen. Zumindest schien sich der Mann nicht lange mit irgendwelchen Höflichkeiten aufhalten zu wollen und kam direkt zur Sache – Zeit ist Gold, wie er meinte. Er bedankte sich das wir seiner Einladung gefolgt waren und händigte jedem von uns einen Umschlag aus in dem sich eine schwere Münze befand – von der Größe her hätte ich geschätzt ein Dukat, ohne den Brief zu öffnen. Dies sei unser, allein dafür, dass wir über alles weitere nur Diskretion wahren würden, egal ob wir uns seines Anliegens annehmen würden oder nicht. Nun gut, ich war zumindest Neugierig geworden. Um was es gehen mochte? Die Beseitigung einer heimlichen Geliebten? Ein uneheliches Kind das dezent in den Süden geschafft werden müsste? Ein Anschlag auf einen ungeliebten Konkurrenten? Was waren wohl die Intrigen, die man hier in Kuslik so spann und dafür Auswärtige anheuerte?
Ich will es kurz machen, es war nichts dergleichen. Herr Pechstein war eine Art Immobilienspekulant und hatte vor ein Anwesen bei der kleinen Stadt Contris zu erwerben, die Villa Bardun, den Yaquir hinauf gelegen. Zu diesem Zweck hatte er seinen zweiten Diener und sekretär Argules – er hatte tatsächlich nicht mehr, wie armselig! – dorthin entstand. Kurz darauf habe er Nachricht erhalten, dass dieser bei einem Unfall – die Nachricht wurde dabei nicht spezifischer – ums Leben gekommen war. Mehr konnte er uns dazu leider nicht sagen. Doch egal was es war, er wollte auch einen neidigen Mitbewerber nicht ausschließen, denn der Kaufpreis des Anwesens war geradezu lächerlich günstig. Nur 1200 Dukaten! Von Kuslik nach Contris wären es wohl etwa 1-2 Tagesreisen, je nachdem wie man den Weg zurücklegte. Um das Ableben seines Dieners aufzuklären und falls es dies geben sollte auch mögliche Gefahren in der Villa die er erwerben wollte zu beseitigen bot er jedem von uns 10 Goldstücke. Ich schmunzelte innerlich, denn das Gold war nichts, womit er mich noch locken konnte. Mich interessierte eher der anscheinend ungeklärte Todesfall. Manchmal verbargen sich hinter solchen Vorfällen doch einmal spannende Ereignisse, die meine Aufmerksamkeit verdienten – auch wenn ein Unfall genauso gut bedeuten konnte das der Sekretär im Suff von der Treppe gefallen oder einer Kutsche überrollt worden war. Nun ja, wir würden sehen. Außerdem schien das keine Aufwändige Angelegenheit zu sein, höchsten vielleicht eine Woche und ein Schiff in den Süden hatte ich ja eh noch nicht. Ich handelte mit ihm noch aus, dass wir falls es doch unerwartet lange dauern sollte, bei mehr als einer Woche, wir für jeden weiteren Tag noch zusätzliche 5 Silbertaler erhalten würden und dazu eine Reisegelegenheit nach Contris gestellt bekamen.
In dem ganzen Gespräch hatte ich den Eindruck, dass dieser Mann nicht nur sparsam war, sondern regelrecht geizig. Er schien an allem zu sparen – der Eindruck wurde auch im weiteren Verlauf bestätigt wie ich anmerken möchte – sogar die Dienerschaft schien er auf zwei Personen reduziert zu haben, einer davon war jetzt tot, um sich zusätzliche Kosten zu sparen. Fast könnte man meinen, dass da Tasfarelel seine falschgoldene Hand im Spiel haben könnte – aber ein Dämonenmal sah ich zumindest nicht und er versicherte ein göttergefälliger Mann zu sein der nach dem Kontrakt auch gern bereit wäre mit uns den Phextempel aufzusuchen. Nun ja… wäre es anders würde ich mich ja später immer noch um ihn kümmern können. Wobei es mir ja grundsätzlich egal wäre, lieber einen Paktierer vor mir, mit denen konnte man oft noch vernünftig reden, als einen Diener des Namenlosen.
Als wir uns verabschiedeten war es schon dunkel und kurz vor der Sperrstunde, so dass wir drei nun Angeheuerten noch nicht einmal mehr einen Trunk zusammennehmen konnten und zu unseren jeweiligen Quartieren eilten. Ich hatte keine Lust in eine verspätete Kontrolle der Wache zu kommen, wenn ich nicht mehr auf der Straße sein sollte. Man musste diesen Kleingeistern ja nicht auch noch einen Vorwand für ein Bußgeld liefern. Sperrstunde… lächerlich. Würde man versuchen das in Al’Anfa durchzusetzen gäbe es vermutlich einen Volksaufstand. Nicht nur die Granden nutzten die Nacht zum Feiern, es gab ganze Märkte, auf denen zu jeder Stunde des Tages und der Nacht gehandelt wurde! Aber so waren diese Mittelländer eben. Gefügsame Lämmer ihrer Obrigkeit, die nur dem Schein nach einen freien Willen hatten und am Ende doch kuschten, wenn die Herren die Knute schwangen. Am nächsten Morgen fanden wir uns zur zehnten Stunde am Nordtor ein, wo eine Kutsche auf uns warten sollte. Das Tor war gut mit Wachen besetzt, ganze 20 Mann die den ein- und ausgehenden Verkehr im Auge behielten und Kontrollen durchführten. Trotzdem wurde die Schlange an Wartenden insbesondere auf der Straße in die Stadt hinein immer länger und länger. Die auf uns wartende Kutsche war genau das, eine Kutsche, aber nicht wie ich erwartet hatte. Ein schweres Gefährt mit vier dicken Pferden davor das eher zum Lasttransport als für die Personenbeförderung gemacht zu sein schien. Und so war es. Im Inneren gab es genau einen Platz, den ich natürlich für mich beanspruchte, während die anderen Beiden mit den Trittbrettern hinten hinaus im freien Vorlieb nehmen mussten. Aber auch Innen schien der Platz eher notdürftig freigeräumt worden zu sein anstatt dem Zweck meiner Beförderung zu dienen. Aber was sollte ich Klagen, allemal noch besser als Laufen oder selbst für die Reise aufkommen zu müssen. Dem Gefährt entsprechend war die Fahrt jedoch kaum als angenehm zu bezeichnen. Dafür aber als ausgesprochen langweilig und ereignislos durch die Kulturlandschaft des Horasreichs hindurch.
Am Abend erreichten wir einen der zahlreichen Gasthöfe am Wegesrand, die hier alle paar Meilen die Straße zierten. Der Kutscher hatte anscheinend das Gasthaus zur Grünen Aue als Ziel der heutigen Tagesetappe auserkoren, und er hätte eine schlechtere Wahl treffen können. Ich teilte mir mit Herrn Tulef ein Doppelzimmer, hatte Wildbrett zum Abendbrot, dazu einen Krug Wein, das Frühstück am Morgen und musste dafür nur 4 Silbertaler zahlen. Trotzdem war sowohl das Essen sehr gut als auch das Zimmer gepflegt und ordentlich. Das hatte ich schon schlechter erlebt. Am Abend trafen wir im Schankraum, der von einem Kamin ordentlich aufgeheizt war und den Herrn Tulef recht ins schwitzen brachte, eine Kollega aus Kuslik. Die Dame Faustina Midoras hatte beschlossen Kuslik zu verlassen, zu viel Konkurrenz dort wie sie meinte, was bei 3 Akademien in der Stadt ja kein Wunder war, um sich in Contris nach Arbeit umzusehen. Ihr Spezialgebiet war wie sie kundtat die Antimagie und Vertreibung von Geistern. Sie war zwar fett wie die Gäule vor unserer Kutsche, hatte aber einen fröhlichen Humor mit dem sie Geschichten erzählte, wie manche ihrer „Geisteraustreibungen“ eher zum Exorzismus von heimlichen geliebten führten, die sich im Kleiderschrank versteckt hatten. Das brachte mich durchaus zum Schmunzeln. Sie kannte sogar die Villa Bardun zu der wir unterwegs waren – das Haus schien einen gewissen Ruf zu haben, seit dort vor etwa 10 Jahren ein Brand den Turm des Anwesens zerstört hatte. Angeblich habe sich die Hausherrin gar selbst darin verbrannt. Seitdem stände die Villa leer und verkomme. Allerdings konnte sie uns auch nicht sagen, wem diese derzeit gehöre oder von wem sie verwaltet würde. Unser Interesse an dem Gemäuer erklärte ich ihr, das ich selbst überlegte es zu erwerben und zu diesem Zwecke meinen Buchhalter, den Herren Tulef, dabeihatte und die Schwertschwingerin zu meinem Schutze. Sie schien mich zu beneiden, dass meine Geschäfte offensichtlich so gut liefen, dass ich mir schon einen eigenen Landsitz würde leisten können, riet mir aber von explizit diesem deutlich ab. Wir würden schon direkt sehen warum, wenn wir dort ankämen. Was sollte ich dazu sagen. Der Kaufpreis war vermutlich auch nicht umsonst so niedrig, auch im lieblichen Feld bekam man üblicherweise nichts geschenkt oder hinterhergeworfen. Wir genossen noch den Wein auf Kosten des Herren Tulef, der uns schon am Vorabend noch zum Umtrunk eingeladen hätte, wenn es nicht so spät gewesen wäre, bevor wir unsere Schlafstätten aufsuchten.
Am nächsten Tag benötigten wir nicht einmal mehr 6 Stundengläser um unser Ziel zu erreichen. Der Kutscher ließ uns eine Viertelmeile vor Contris absteigen, direkt an einem großen Schmiedeeisernen Tor, das in eine 3 Schritt hohe Mauer eingelassen war und wenig einladend wirkte. Da es hieß die Villa sei verlassen würden wir uns wohl Klopfen, Klingeln oder ähnliches dergleichen sparen können. Noch wärend Tulef und Yaziajida diskutierten zog ich kurzentschlossen an dem Tor, das sich auch ohne große Mühe öffnen ließ. Wo nicht verschlossen ist, da kann auch der Zutritt nicht verboten sein, oder? Das Anwesen war ziemlich weitläufig und muss früher eine gepflegte Parkanlage umfasst haben, die sich nun aber in erbärmlichen Zustand befand. Auf dem halb überwucherten Weg gingen wir durch Bäume bis wir der Villa Bardun ansichtig wurden. Ein auf den ersten Blick imposanter Bau dessen breite Front sicherlich 70 Schritt Maß, die Stockwerke wohl weit über dem Durchschnitt hoch. Damit hatte es sich aber auch schon mit der Herrlichkeit. Die Fenster im Erdgeschoss waren vermauert und im Obergeschoss vernagelt, was einen trostlosen Eindruck erweckte. Der Architekt hätte auf jeden Fall gepfählt gehört, denn man hatte die Villa in einem Talkessle platziert der zumeist von einem nach faulen Eiern stinkenden Sumpf eingenommen wurde. Was erklärte, warum die Villa einen Kniestock von 3 Spann aufwies, sonst hätte das Erdgeschoss vermutlich direkt im nassen Untergrund gelegen. Grünlicher Nebel waberte an manchen Stellen durchs Tal und trug zur befremdlichen Atmosphäre bei. Allein der Anblick ließ mich schon davon abstand nehmen den Erwerb der Bruchbude ernsthaft in Erwägung zu ziehen – günstiger Preis hin oder her. Ich konnte mir nicht vorstellen, das Visaria hier mit mir sesshaft würde werden wollen. Als wir näher kamen sahen wir, dass das große doppelflügelige Eichenportal ein Stück weit aufstand. Trotzdem entschieden wir uns erst einmal außen um das Gemäuer herum zu spazieren um uns einen Eindruck von der Umgebung zu verschaffen.
Es wurde dabei nicht einladender. Ein von Wasserlinsen und Entengrütze bedeckter Teich mit grünem Wasser zog sich ein gutes Stück am Haus entlang. Verdächtige Algen die auf eine dämonische Verseuchung mit einem Ulchuchu hingedeutet hätte konnte ich aber nicht ausmachen. An einem der Hausecken fanden wir einen Teil eines zugemauerten Fensters aufgebrochen und Tulef ließ sich von der Maraskani eine Lampe geben um hineinzuleuchten. Er fand aber nur eine verlassene Küche dahinter. Hinter dem Haus fanden wir einen verwilderten Garten, einen Brunnen, der beständig Wasser ausspie und vielleicht sogar den Sumpf speiste, sowie die niedergebrannten Überreste des Turms von dem uns die Kollega erzählt hatte. Mit Aufräumen schien sich hier noch niemand beschäftigt zu haben. Ein beklemmendes Gefühl bemächtigte sich meiner. Und das, obwohl ich von mir schon aus beruflichen Gründen behaupten würde in unheimlichen Dingen nicht gerade zart besaitet zu sein. Sehr seltsam. Ein fast überwucherter Kräuter- oder Gemüsegarten wurde von einem eisernen Zaun eingefasst. Einer der Zaunpfosten schimmerte rötlich, so als sei er dort verrostet. Als wir näherkamen stellte sich jedoch schnell heraus, dass er nicht oxidiert, sondern von einer dicken Schicht getrockneten Blutes überzogen war, als wäre hier jemand länger aufgespießt gewesen. In der Stadt würden wir wohl nach weiteren Todesfällen auf dem Grundstück fragen müssen. Oder sahen wir hier den Ort des Unfalls des Sekretärs? Andererseits wirkte das Blut älter als nur ein paar Tage, so fest wie es angetrocknet war – dann wiederum, falls es schon alt sein sollte, warum hatte es der Regen nicht schon längst fortgewaschen? Eine Erklärung wollte mir jedenfalls nicht einfallen. Als wir wieder auf der Vorderseite an der Tür ankamen – hinten gab es zwei weitere die aber zugemauert waren – hatte sich die Beklemmung nicht gelegt. Im Gegenteil, sie war eher noch gewachsen. Und wie mir schien ging es meinen Begleitern nicht besser was das anging. Dennoch schien geraden den Herren Tulef eine überwältigende Neugier gepackt zu haben. Ich plädierte noch dafür zuerst die Stadt aufzusuchen und uns zumindest die Erlaubnis des Besitzers oder Verwalters einzuholen, bevor wir das Anwesen betraten. Aber ihm schien das vor uns liegende Geheimnis keine Ruhe zu lassen und er schwatzte, trotz meines Hinweises auf den möglichen Tatbestand des Hausfriedensbruchs, der Maraskanerin ihre Lampe ab um mit der Erkundung zu beginnen.
Yaziajida hingegen war nicht zu überreden sich dieser Unternehmung anzuschließen. Daher bat ich sie, doch die Zustimmung für uns alle in Contris einzuholen und sich auch gleich um eine Unterkunft für die Nacht zu kümmern. Vielleicht noch eine weitere Lampe für den Herren Tulef und zumindest ein leichtes Abendesse mitzubringen, wenn sie wieder zurückkommen würde. Sie schien gerade ernste Bedenken zu haben das Haus zu betreten, aber das mochte sich legen, wenn ich sie erst einmal eine andere sinnhafte Tätigkeit ausführen ließ. Da es nicht weit nach Contris war ging ich davon aus sie in einem höchstens zwei Stundengläsern wieder hier zu sehen.
Mit Tulef machte ich mich dann auf zumindest die ersten Räume zu sichten. Die Tür konnte ich mit etwas Mühe aufstemmen, was den verrosteten Scharnieren ein schauerliches quietschen Entlockte. Auch hier fand sich, wenig verwunderlich, hinter dem Tor eine große Empfangshalle. Aber was für eine! Sie zog sich über die gesamte Länge des Gebäudes hin, sicherlich 20 Schritt breit und bis hinauf unters Dach. Das war ein regelrechter Ballsaal! Modernde Teppiche bedeckten Boden und Wände, bei jedem Schritt stiegen Staubwolken auf die das Atmen erschwerten. Von der Decke hing ein riesiger Kronleuchter für den man vermutlich den Jahresertrag eines ganzen Bienenstocks an Kerzen benötigte. Umlaufend im ersten Stock zog sich eine Galerie auf schweren, säulenartigen Pfosten um den Saal, einen Aufgang konnte ich in der Dunkelheit jedoch nicht ausmachen. Alles was außerhalb unseres Lampenscheins lag war für mich in schwärzeste Dunkelheit gehüllt. Herr Tulef schien etwas mehr zu sehen, denn er lotste uns durch den Saal, zielgerichtet auf ein großes Gemälde an der gegenüberliegenden Wand zu. Lediglich von oben, wo die Fenster nur vernagelt statt vermauert waren konnte ich im fahlen Licht die Schemen der Decke erkennen.
Das Ölgemälde zeigte drei Personen im Vordergrund vor dem Anwesen, vermutlich die ehemaligen Besitzer dieser Villa. Ein großer Mann mit Brille und grauem Haar blickte von oben auf uns herab. An seiner Seite stand eine Frau im Ballkleid, nun ja, eher ein Reifrock, die ein kleines Mädchen auf dem Arm hatte, welches ebenfalls ein Kleidchen trug. Auf einer Messingtafel die sich unten am Bilderrahmen befand waren die Namen der hier verewigten zu lesen: Rondraberto, Julia Aras und Lorinda. Ein Schauer lief mir über den Rücken und verstärkte das unheimliche Gefühl, das sich schon im Garten meiner bemächtigt hatte. Zudem war es hier innen seltsam kühl. Nicht die dämonische Kälte der Niederhöllen, die hätte ich erkannt. Aber trotzdem unangenehm. Als wir so das Gemälde betrachteten fiel dem Herren Tulef, der anscheinend weniger Probleme mit dem Zwielicht hatte als ich, auf, dass an einer Stelle wo sich der See befand wohl etwas übermalt worden war. Als er mich darauf hinwies konnte ich es ebenfalls erkennen. Hier schien die Farbe dicker und hatte einen anderen Ton als das restliche Bild. Hätte ich meinen Alchemiekoffer dabeigehabt, hätte ich die Farbe sicherlich vorsichtig lösen und abtupfen können. So würde uns, wenn wir wissen wollten was man dort verborgen hatte, wohl nur bleiben die Farbschicht vorsichtig abzukratzen. Tulef unternahm einen Versuch mit den Fingernägeln, hatte damit aber nur bedingt Erfolg. Als er sich daran machen wollte seine Arbeit mit einem Heller fortzusetzen konnte ich das Elend nicht weiter mit ansehen. Seine grobmotorischen Handlungen waren eher dazu geeignet das Bild zu beschädigen als das ursprüngliche Werk des Künstlers freizulegen. Ich übernahm daher unter Zuhilfenahme meines Rasiermessers diese Aufgabe und hatte nach kurzer Zeit die überzählige Farbe vorsichtig abgetragen.
Was ich dort sah war jedoch verstörend. Äußerst detailreich dargestellt war dort eine Frau in Dienstmädchenkleidung gemalt die sich mit einem höhnischen Grinsen über den See beugte und dabei ein Neugeborenes in den Händen hielt. Und dann meinte ich sogar eine Bewegung zu sehen, sah noch einmal hin und hatte den Eindruck, als würde die Frau das Kind schwungvoll in das Wasser werfen. Ich schüttelte den Kopf, sah noch einmal hin und machte auf Tulef darauf aufmerksam, aber von der seltsamen Erscheinung die ich mir eingebildet hatte war nichts mehr zu sehen. Sehr seltsam! Zu meiner Beruhigung hatte dies jedoch nicht beigetragen, eher im Gegenteil. Das beklemmende Gefühl, welches sich auf meine Brust gelegt hatte, hatte noch einmal zugenommen. Sehr wohl fühlte ich mich hier nicht. Eine Nacht würde ich in diesem Gemäuer auf keinen Fall verbringen wollen.
Da es im Saal nichts mehr weiter zu sehen gab, die Maraskanerin aber noch immer nicht zurück war machten wir uns nun daran die verwinkelten Räume auf der linken Gebäudeseite zu erkunden. Im Dunkel war es nicht einfach die Orientierung zu behalten. Wo wir bereits waren erkannten wir im Wesentlichen daran, dass wir einfach die Türen offenstehen ließen. Überhaupt waren alle Türen zwar geschlossen, aber nicht abgesperrt, was uns das Fortkommen doch wesentlich erleichterte. Gänge, Kammern und Zimmer wechselten sich hier nach einem mir architektonisch nicht nachvollziehbaren Muster ab. Einer der ersten Räume die wir fanden war ein Gäste- oder Schlafzimmer mit einem umgestürzten Regal und einer Truhe. Wie es so ist… eine Truhe muss man natürlich öffnen. Tulef benötigte zwei Versuche um den anscheinend recht schwergängigen Deckel anzuheben. Ich stand vor der Truhe als er es endlich schaffte um mit meiner Fackel ins Innere zu leuchten. Ein Messer schoss aus dem Spalt des Deckels und traf mich mitten in die Brust. Ich zuckte überrascht zurück und ein Blutfleck verunzierte meine Robe. Dort wo sich die Klinge in meinen Leib gebohrt hatte spürte ich eine unheimliche Kälte, ich meinte sogar kurz etwas wie Raureif um die Stelle zu sehen, als ich das Messer herauszog. Das kam mir nun doch seltsam vor, so dass ich das Messer mit dem Odem Arcanum einer schnellen Überprüfung unterzog. Tatsächlich, ich konnte eine schnell verblassende arkane Aura sehen, die sogar dämonisch verunreinigt zu sein schien. Das trug nicht zu meiner Beruhigung bei! Aber sollte es sich hier tatsächlich um niederhöllische Effekte handeln wusste ich zumindest, wie damit umzugehen wäre! In der offenen Truhe sahen wir nun auch die Vorrichtung, welche die Falle ausgelöst hatte. Etwas mechanisches mit einer nun entspannten Feder. Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Ich stieß mehrmals das Ende meines Stabs in die Truhe um zu prüfen ob sie vielleicht einen doppelten Boden besaß. Wer würde sonst eine leere Truhe mit einer Falle schützen? Ich fand sogar ein Geheimfach als ich eines der Bretter im Truhenboden durchstieß, aber auch dieses war leer. Etwas ärgerlich… im Gegenzug für dieses Ungemach hätte ich ja wenigstens etwas finden können… aber das einzige das ich bei dieser Begebenheit gefunden hatte war, dass die Beklemmung die sich meiner bemächtigte noch einmal deutlich gewachsen war. Ich gebe es zu, mich hatte sogar so etwas wie eine leichte Furcht erfasst.
Dies war auch einer der Gründe warum wir nun erst einmal das Haus verließen und zurück in die Sonne gingen. Auch Yasiajida kam derweil zurück und hatte nicht nur etwas zu Essen für uns dabei, dass wir nun gerne verzehrten, sondern auch einige Interessante Dinge zu erzählen. Das Haus gehörte der Familie Ya Cerrano aus Kuslik, die jedoch vor Ort keinen Verwalter bestellt hat. Eine offizielle Erlaubnis zum Betretend es Gebäudes würden wir also nicht bekommen können. Es hatte wohl auch zuletzt öfter den Besitzer gewechselt, was man im Stadtarchiv nachvollziehen könnte. Zudem hatte sich unsere umtriebige Maraskani für den Abend mit einer plauderwilligen Stadtwache zum Essen verabredet um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Bis dahin blieb uns noch etwa der halbe Nachmittag, weswegen wir uns an die weitere Erkundung des linken Flügels der Villa machten. Der Diener des Herrn Pechstein sei wohl im Haus gestorben, mehr hatte sie dazu aber nicht erfahren können bisher. Zudem berichtete sie uns, dass die Beklemmung, die auch sie empfunden hatte, nachließ, je weiter und länger sie aus dem Haus heraus gewesen war. Ob wir dieses wohl später am eigenen Leib erfahren würden? Ich war gespannt!
Die nächsten Räume die wir erkundeten waren ein kleines Arbeitszimmer sowie ein größerer Raum voll alter Möbelstücke. Die Luft hier war muffig und dreckig, das atmen fiel uns schwer, aber besondere Dinge waren nicht zu finden. In einem Salon, der wohl einst als Raucherzimmer gedient haben mochte, roch es stark nach Tabak und Mohaka. Ich kannte diesen Duft von Vaters Zigarren, die er gelegentlich mit seinen Gästen schmauchte. Aber es konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen, dass dieser Duft auch noch nach 10 Jahren in der Luft hing, oder? Ich war der Meinung, dass er sich längst hätte verflüchtigen müssen! Aber für dieses Rätsel fanden wir keine Lösung. Nach einem weiteren Gästezimmer erreichten wir wieder die Eingangshalle, wir waren also im Kreis durch die Zimmerfluchten gelaufen, hatten dabei aber auf der äußeren Seite dieses Seitenflügels noch einige Türen ungeöffnet gelassen zu denen wir nun wieder zurück gingen. Eine Rumpelkammer voll Möble wies einen zerkratzten Holzboden auf, darüber hinaus aber nichts Bemerkenswertes. In einem weiteren Schlafzimmer fanden wir die ersten Spuren, dass hier erst kürzlich jemand gewesen sein musste. Der Kamin in diesem Zimmer wies spuren eines Feuers auf, das erst kürzlich von jemand gemacht worden war. Mochte es sein, dass dieser verrückte Diener des Herrn Pechstein so dumm war in dieser Villa übernachten zu wollen? Dann war er entweder sehr verwegen, oder unglaublich dämlich! Aber das würden wir von ihm kaum noch erfahren… Noch weiter hinten fanden wir das erste mal einen Raum, in den durch ein grünliches Butzenglasfenster Licht von außen fiel. Seltsam, waren nicht alle Fenster zugemauert gewesen? Da war mir wohl beim Rundgang doch eines entgangen. Aber ich hatte zugegebenermaßen grade zum Ende hin auch nicht mehr so sehr darauf geachtet. In dem Raum standen eine lange Holzbank, zwei lederne Ohrensessel und eine Art Kabinett, so etwas wie ein Hausaltar in Schrankform, in dessen Inneren ein Einhorn und liturgische Zeichen eingelassen waren. Ich war mir bei den Zeichen nicht sicher, aber das Einhorn ließ mich einen Nandusschrein vermuten. Das wäre dann endlich einmal ein gutes Zeichen und ich musste unwillkürlich an Nandurin denken. Wie es ihm wohl gerade ging? Ob meine Familie schon zuhause angekommen war? Was mich dann aber doch übermäßig ärgerte war, dass irgendwelche Vandalen die Türen des Schreins mit Kohlestift mit unflätigen Sprüchen beschmiert hatten. Gab es denn in diesen Landen keinen Respekt vor den Göttern? Wirklich, hätte ich solch einen Schmierfink erwischt, ich hätte ihn seinen Stift fressen lassen! Mindestens!
Derweil wir den Raum etwas genauer in Augenschein nahmen hörten wir ein Quieken wie von Ratten. Was nun wiederum in so einem verfallenen Gemäuer auch nicht unbedingt Wunder nahm. Tulef hatte sich wohl bei seiner Investigation dem Nest der Biester, vielleicht in einem der Sessel, zu sehr genähert, denn eines der Tiere wuselte mit seinen fiesen kleinen Knopfaugen um ihn herum und verschwand dann flink in seinem Hosenbein. Das veranlasste Tulef zu panischem kreischen wie ein kleines Mädchen, wir sollten es wegmachen. Yaziajida zog ihren Anderhaltbhänder um sich dessen anzunehmen, was ja an sich schon einmal etwas übertrieben wirkte, und schlug zu. Die Ratte traf sie nicht. Aber Tulfes Bein trug einen üblen Schnitt davon, als sie sein Hosenbein mit dem Hieb aufriss. Auch ein zweiter Schlag, diesmal zumindest mit der stumpfen Seite der Klinge, machte es nicht besser. Die Ratte wieselte derweil weiter in Richtung seines Schritts. In höchster Not hielt er dort sein Beinkleid zu, zückte einen Dolch und schaffte es schließlich das Untier, welches ihm auch noch einige Bisse und Kratzer beifügte, zu erlegen. Ich konnte nur den Kopf schütteln, aber ein überderisches Phänomen wollte ich in dieser Ratte dann doch nicht sehen.
Nachdem er seine Wunden ausgewaschen und verbunden hatte, er fürchtete sich davor das die Ratte ihn erkranken ließ, entdeckten wir zuletzt noch eine zugemauerte Tür direkt neben derjenigen, durch die wir den Raum betreten hatten. Wir hatten wohl ein wenig die Orientierung verloren, dachte ich doch, dass diese zu einem weiteren Raum oder Gang würde führen müssen. Wir holten uns von einem Kamin einen Schürhaken um die Steine zu lösen. Tulef und Yazijaida hatten ihre liebe Mühe damit. Vielleicht sollten wir uns in Contris morgen besser geeignetes Werkzeug für solche Dinge besorgen. Nach einiger Zeit schafften sie es jedoch gemeinsam einen der Steine zu lockern und durchzustoßen. Helles Tageslicht fiel herein. Also doch eine Außentür? Es schien so. Ich hatte gedacht die Villa hätte einen rein rechteckigen Grundriss, aber offensichtlich waren die Seitenflügel nach hinten leicht versetzt und hinausgezogen, so dass die Ausläufer etwas vorsprangen. Und in diesen Vorsprüngen waren die zugemauerten Türen eingelassen. Die Arbeit hätten wir uns also sparen können… Das Gute war, dass wir damit nun diesen Flügel der Villa fertig erforscht hatten. Und da es überdies auch langsam Zeit wurde weiter nach Contris zu gehen um zu Abend zu Essen und mit der Wache zu sprechen machten wir uns im warmen Sonnenschein auf den Weg. Ich gebe zu, es war mir nicht unangenehm das Gelände dieses unheimlichen Ortes zu verlassen. Die Stimmung die dort herrschte war ja fast schlimmer als in der Halle der Geister von Brabak!
Auf dem Rückweg verblasste das beklemmende Gefühl in meiner Brust tatsächlich ein wenig, auch wenn es mich noch bis zum nächsten Morgen unterschwellig begleitete. Contris war ein kleiner, offener und anscheinend aufstrebender Ort in dem es einiges an Bautätigkeit gab. Wie wir später erfuhren lag das wohl an der örtlichen Steuer- und Zollpolitik und dem prosperierenden Binnenhafen mit dem man die teuren Zölle Kuliks umgehen konnte sowie den beiden wichtigen Straßen die sich hier kreuzten. Das einzige Hotel und Gasthaus der Stadt war daher auch gut belegt und ausgebucht. Wir trafen die Wache, Rondrigo war sein Name, im Weingarten des Gasthofs. Ein Kerl nur wenig Älter als ich, die Vorgänge um die Villa würde er kaum bereits im Wachdienst erlebt haben. Dennoch erfuhren wir von ihm einige nützliche Dinge. Die Unterlagen zum Haus würden wir im Stadtarchiv finden, das derzeit im örtlichen Traviatempel – dem einzigen Tempel der Stadt – untergebracht war. Die Erbauer des Hauses, die Familie Bardun, waren wohl das, was sie hier Galahanisten nannten. So eine Art Verräter und Thronräuber, die sich im Jahr 1019 auf dem Kronkonvent sogar an einem Umsturz versucht hatten. Also nicht die Erbauer selber, aber diese Revoluzzer zu denen sie wohl gehörten, hatten einen Anschlag auf die Horas geplant, der allerdings vereitelt werden konnte. Rondraberto Bardun sei darauf hingerichtet worden, seine Frau habe im Turm des Anwesens den Freitod durch Feuer gewählt. Auf das Bild und die Tochter der Familie angesprochen konnte er uns jedoch nichts weiter mitteilen, der Verbleib des Kindes sei unbekannt, aber man vermute wohl, es sei mit der Mutter verbrannt. Die Villa sei auch immer wieder einmal das Ziel von Mutproben der örtlichen Jugend – oder zumindest gewesen. Unsere Maraskani entlockte ihm, dass er bei solch etwas wohl ebenfalls dabei gewesen war, aber ob er dabei einen Geist gesehen hatte war beim besten Willen nicht aus ihm heraus zu bekommen. Ich versuchte mich da lieber direkt an einem Blick in die Gedanken, aber der Schrecken der Villa steckte mir wohl zu tief in den Knochen. Ich versagte ungewohnter Weise! Vor 5 Jahren habe man in seinem ersten Dienstjahr einen Toten in der Eingangshalle gefunden und vor drei Jahren habe sich ein Landstreicher aus dem ersten Stock gestürzt und sei auf dem eisernen Gartenzaun verblutet. Zu dem toten Diener des Herrn Pechsteins konnte er uns jedoch nichts erzählen, hier würden wir die Maestra Korbmacher, wohl so eine Art Stadtvorsteherin, aufsuchen müssen, die sich darum gekümmert hatte.
Dann nahm das Gespräch einen seltsamen Verlauf. Der Herr Tulef fragte die Wache, ob er denke das der Geist in der Lage war die Türen zu verschließen, während wir uns in der Villa aufhielten. Soweit noch nicht abwegig, es gab ja durchaus Geistererscheinungen, die zu so etwas in der Lage sein sollten, und auch die Wache bejahte dies. Aber als er dann den Gardisten ganz freimütig fragte an wen er sich wenden müsse um einen Alrik zur Türöffnung zu erwerben war das doch seltsam. War der Kerl dumm? Auch der Wache schien das höchst verdächtig, die Gegenfragen wozu er das bräuchte, warum er dies frage und ob er damit umzugehen verstand wurden schärfer. Tulef versuchte sich herauszureden und stritt alles eher fadenscheinig ab, was zuguterletzt darin mündete, dass die Wache unter den neugierigen Blicken der übrigen Hotelgäste sein Gepäck durchsuchte und ihn sogar abtastete. Sie fand zwar nichts, aber seinen Ruf würde er sicher weg haben in der Stadt… wirklich, wie konnte man so doof sein? Wenn man einen Alrik mit sich rumschleppte sprach man doch nicht die Wache darauf an! Ich erfuhr später von ihm, dass er tatsächlich einen besaß, eingenäht in seinem Kragen unter einer Lederverstärkung damit man ihn nicht ertasten konnte. Das war ja sogar pfiffig. Aber trotzdem… Und dann überraschte mich Tulef noch einmal als er fragte, ob man einer Geistererscheinung Herr werden konnte, indem man ihr das Haus über dem Kopf wegbrannte. Ein seltsamer Vorschlag, der unserem Auftraggeber sicher nicht gefallen hätte. Aber meiner zumindest laienhaften Meinung auf diesem Gebiet könnte dies durchaus funktionieren – zumindest, wenn der Geist an die Villa gebunden war und von ihr Besitz ergriffen hatte. Das würde ich morgen einmal mittels des Oculus Astralis überprüfen müssen! Aber Geisterhaus oder nicht, Brandstiftung war ein Verbrechen, für das ich mich im Horasreich nicht unbedingt würde verantworten wollen…
Die Nacht war sehr erholsam, auch wenn ich stellenweise unruhig schlief und meine Kinder vermisste. Ja, ich hätte Nandurin und Ulmjescha gerade gerne bei mir gehabt. Ich vermisste die Beiden wirklich! Dafür war die Beklemmung des letzten Tages am Morgen fast vollständig von mir gewichen – trotzdem freute ich mich nicht gerade darauf, heute in das Haus zurückzukehren und hatte gar nichts dagegen einzuwenden, zunächst in der Stadt mit unserer Recherche fortzufahren. Nach dem Frühstück suchten wir zunächst Maestra Korbmacher auf. Eine alte Dame von mindestens 70 Götterläufen mit grauem Haar, das sie zu einem strengen Dutt gebunden hatte. Aber sie wirkte durchaus noch rüstig und wach im Kopf. Einige Dinge, die uns die Wache bereits erzählt hatte wurden von ihr bestätigt, andere konnte sie für uns ergänzen. Der Diener Argoles sei zügig auf dem Boronanger draußen beim Traviatempel borongefällig bestattet worden. Er sei vermutlich gestürzt und hatte sich einen Genickbruch zugezogen, man fand ihn im Ostflügel des Hauses, im Salon. In der Stadt erzählte man sich von der „Weißen Dame“, einem Geist der in der Villa spuke. Ich fand es nur seltsam, dass sich dem ganzen in den letzten 10 Jahren kein Boroni angenommen hatte, aber sei es drum… bei uns daheim hätte man dies sicher nicht geduldet! Die tochter der Familie sei vermutlich beim Sturm auf die Villa vom wütenden Mob erschlagen worden oder mit der Mutter im Turm verbrannt, das war 1019. Aber wäre sie noch am Leben müsste sie nun etwa 14 Jahre alt sein. Die wenigen Diener, welche die Familie hatte, es waren nur 2 oder 3, seien ebenfalls alle tot oder fortgezogen. Auffällig war jedoch das Datum, an dem dies alles geschah, da hatte die Maestra sofort meine volle Aufmerksamkeit: Es war der 2. Namenlose! Ich wusste ja, was diese Tage mit den Menschen anstellten. Zum Bastardweiher, der nur im Volksmund so genannt wurde und vorher einfach nur ein namenloser Tümpel war, wusste sie zu sagen, dass er seinen Namen jedoch erst nach diesen Ereignissen erhalten habe.
Nachdem wir die Dame verlassen hatten gingen wir weiter Richtung Tempel und Archiv. Auf dem Boronanger fanden wir tatsächlich das frische Grab, verziert mit einem einfachen halben Rad aus Holz und dem Namen des Dieners. Tulef weigerte sich allerdings vehement, hier bei Bedarf, falls dieser bestehen sollte, zu graben. Den Tempel fanden wir direkt daneben. Wobei Tempel fast übertrieben war. Es handelte sich um ein einfaches Fachwerkhaus dem man seine Verwendung gar nicht ansah, wären da nicht scharenweise Gänse gewesen die herumliefen. Die Scheune schien man zum Tempelraum umfunktioniert zu haben, denn dort standen viele Bänke und Tische. Der einzige Geweihte des Ortes war nicht schwer zu finden, ein älterer Herr in orangener Robe mit einem ordentlichen Bäuchlein und Halbglatze von vielleicht 50 Götterläufen. Er stellte sich uns als Bruder Jeskaraldo Manores vor als wir ihm unser Anliegen nannten. Zu allem was wir bereits wussten, insbesondere zu den Toten, hatte er noch einige interessante Dinge zu ergänzen. Der Leichnam des toten Dieners kürzlich, sein Kopf war seltsam abgewinkelt also könne das mit dem Genickbruch schon stimmen, war seltsam steif, wie tiefgefroren, gab er an. Und das bei dem aktuellen schönen Wetter! Und so kalt war es in der Villa nun auch wieder nicht. Hatte ich nicht selbst gestern erst in dieser Hinsicht ungewöhnliches erlebt? Ein toter Bauarbeiter den man einmal gefunden hatte habe ein angsterfüllt verzerrtes Gesicht gehabt. Und er vermutete, dass diese Toten von denen wir wussten nur ein Teil seien könnten. Denn aus seiner Schar an Obdachlosen verschwanden gerade im Winter manchmal einige, ohne je wiedergesehen zu werden. Er fürchtete, dass diese sich unwissend oder verzweifelt die leerstehende Villa zur Übernachtung ausgesucht haben könnten. Aber Beweise dafür hatte er keine.
Das „Archiv“ durften wir dann ohne Probleme einsehen, auch wenn es die Bezeichnung eigentlich gar nicht verdiente. Drei Regale in einem Anbau der Scheune, in der ungeordnete Register und Verzeichnisse standen. Nach kurzer suche, wir waren alle drei des Lesens mächtig, hatten wir schon die Verweise auf die Villa Bardun gefunden. Anscheinend hatte sogar Maestra Korbmacher einst selbst versucht das Anwesen zu erwerben. Das Geschäft war aber im Zuge des Ehrloserklärung der Familie Bardun für nichtig erklärt worden, so dass die Villa an die letzten Vorbesitzer, die Familie Ya Cerrano, zurückgefallen war. Irgendeine Sonderregelung im Recht des Horasreich wie es schien. Im Jahre 1008 war die Villa von Senor Contris an die Ya Cerrano verkauft worden, von diesen dann 1015 an die Familie Bardun, von diesen wiederum 1019 an den Korbmacher um dann 1020 an die Ya Cerranos rückübertragen zu werden. Die letzte Übertragung war mit dem Wappen der Stadt gesiegelt und trug die Initialien L.K. Ich vermutete sofort die Dame Korbmacher selbst, sie war ja auch die Maestra. Ich nehme es voraus, wie uns später der Geweihte bestätigte war ihr Vorname Lurtisana, also würde es passen.
Als das erledigt war half es allerdings nicht mehr, wir würden wohl doch wieder in das gruselige Gemäuer zurückmüssen, um unseren Auftrag fortzusetzen. Nunja, besser am Tag als in der Nacht will ich meinen und wir machten uns auf den kurzen Weg. Noch vom Weg aus der zur Villa führte nahm ich das Haus nun einmal in seiner Gesamtheit vermittels Oculus Astralis in den Blick. Fast möchte ich sagen, dass es mich nicht überraschte das komplette Bauwerk in einem unheimlichen Leuchten erstrahlen zu sehen. Dieses Haus war eindeutig von Magie regelrecht durchdrungen. Das würde jedoch die Theorie stützen – auch wenn diese Lösung praktisch natürlich überhaupt nicht in Frage kam – dass eine Einäscherung des Hauses auch die Besessenheit beenden würde. Da ich heute einen guten Tag hatte teilte ich diese Erkenntnis sogar mit meinen Begleitern.
In der Villa angekommen war, wenig überraschend, keine Veränderung zum gestrigen Tage festzustellen, daher machten wir uns nun daran die rechte Seite des Erdgeschosses zu erkunden. Der Verfall war hier nicht minder weit fortgeschritten und es roch, je nach früherer Verwendung der Räume immer irgendetwas zwischen unangenehm muffig-staubig, schimmelig bis ekelerregend verdorben. Der erste Raum den wir betraten war die ehemalige Küche, die wir ja auch schon durch eines der Fenster von außen gesehen hatten. Der Boden war hier mit Ton- und anderen Scherben bedeckt, die bei jedem Schritt knirschten. Besondere Funde machten wir hier jedoch nicht. Der dahinter liegende Raum diente wohl einst als Speisekammer, zumindest wenn man nach den dort überall aufgestellten leeren Regalen ging. Hier war es ungewöhnlich kühl, ja regelrecht kalt, selbst mein Atem bildete dampfende kleine Wölkchen vor meinem Gesicht. Nun ist es ja gut, wenn eine Speisekammer gut gekühlt ist um die Lebensmittel frisch zu halten. Aber eine solche Kälte wie hier konnte auch nicht mit rechten Dingen zugehen. Fröstelnd zog ich mich zu den Anderen zurück.
Der nächste raum den wir fanden musste einmal das Speisezimmer gewesen sein. Auch die nähe zur Küche sprach dafür. Auch hier war es ungewöhnlich kalt, wenn auch nicht ganz so sehr wie in der Speisekammer. Komoden und Vitrinen mit zerbrochenem Geschirr standen entlang der Wände und zwei üppige Leuchter ohne Kerzen hingen von der Decke. Ich glaubte fast, wir würden allgemein nur wenig Interessantes in diesen Räumen finden können, hier mussten sich über die Jahre schon unzählige Jugendliche, Plünderer und Landstreicher ausgetobt haben. Hinten aus dem Speisezimmer führte ein Gang mit einem dicken roten Teppich ausgelegt zur Rückseite des Hauses und in einen Saal, in dem es regelrecht Eiseskalt war, schlimmer als in einem Gebeinhaus. Die Kälte tat hier regelrecht körperlich weh und stach in die Glieder, das konnte keinen natürlichen Ursprung haben. Aber es passte zu der Erzählung von den steifgefrorenen Leichen. Ein metallischer Geruch lag in der Luft, den ich jedoch nicht zuordnen konnte. Im Raum standen Teetische, die ich als im zyklopäischen Stil gehalten zuordnen konnte, hatte ich mich doch kürzlich erst dort aufgehalten. Der Boden war aus einem hellen Stein und wurde von einem schwarzen Flecken in Menschenform verunziert. Auch dies war seltsam, denn die Hinterlassenschaften wirkten weder wie Blut noch Asche. Ich unterzog das seltsame schwarze Material einer kurzen Prüfung – fühlen, riechen, schmecken – konnte aber beim besten Willen nicht zuordnen um was es sich handeln könnte. Das ärgerte mich mehr, als das es mich besorgte, weil ich mir damit den Ursprung des Flecks immer noch nicht erklären konnte. In einem Bücherregal fanden sich etliche aufgequollene Reiseberichte, aber irgendetwas an dem Regal schien uns seltsam, auch wenn wir es nicht direkt fassen konnten. Eine kurze Klopfprobe offenbarte, dass sich dahinter wohl ein Hohlraum verbarg. Nach ein paar versuchen gelang es uns, das Regal, welches offenbar auf Schienen gelagert war, seitlich an der Wand entlang wegzuschieben. Aus dem schmalen Gang dahinter drang überwältigender Modergestank.
Eine ebenso schmale Treppe, es war unmöglich das zwei Personen sich hier aneinander vorbeiquetschen mochten, führte hinab. Angesichts der sumpfigen Gegend hatte ich schon einen Verdacht woher der Modergeruch kommen mochte. Dunstschwaden waberten die Treppe hinauf und ich behielt recht. Als wir tiefer stiegen war der Gang bis auf 2 Spann von trüben, brackigem Wasser geflutet das zudem Eiskalt war. Ich stocherte mit meinem Stab in das Wasser und konnte so feststellen, dass die Wassertiefe etwa 7 Spann betrug, also mir bis über die Brust reichen würde. Das Wasser war dermaßen kalt, als ich mit den Schuhen hineinstieg und es mir über der Stiefelschaft schwappte, dass ich spontan von einem weiteren Vordringen absah. Nicht jedoch Yasiajida und Tulef, die sich zur weiteren Erkundung entschlossen nachdem wir Positionen getauscht hatten. Am Lichtschein der immer kleiner und kleiner wurde konnte ich sehen, dass der Gang wirklich sehr lang war, bestimmt 70 oder 80 Schritt. Das Seil welches wir anfangs noch genutzt hatten erwies sich schnell als völlig unzureichend. Zumindest konnten wir uns rufend verständigen. So erfuhr ich, dass die beiden am anderen Ende des Gangs eine weitere Treppe nach oben und einen runden Raum gefunden hatten. Anscheinend führte der Gang zum ausgebrannten Turm, da es hier nicht weiter ging und reichlich Schutt herumlag. Yasiajida fand sogar einen menschlichen Knochen als sie ein wenig in dem Geröll herumwühlte – vermutlich die sterblichen Überreste der armen Hausherrin. Ich hieß sie, mir den Knochen mitzubringen. Wer konnte schon wissen ob dieser uns nicht später bei einer vielleicht erforderlichen Geisterbeschwörung dienlich sein könnte? Mehr fanden aber beide auch bei ihrer weiteren Suche nicht, vermutlich hätte man wirklich Grabwerkzeug benötigt um hier Fortschritte zu erzielen. Da nun das Erdgeschoss augenscheinlich vollständig erkundet war zogen sich die beiden, sie waren vom kalten Wasser durchgefroren und auch noch schlammbedeckt und stanken, erst einmal um und legten ihre Kleider auf den Stufen der Treppe vor dem Haus zum Trocknen aus.
Im Eingangsbereich machten wir uns nun vorsichtig auf die Treppe zur Galerie hinauf beim rechten Flügel zu beschreiten. Oben gingen von der umlaufenden Galerie mehrere Türen ab, eine weitere, deutlich schmalere Stiege ging weiter hinauf Richtung Dachgeschoss, wo ich üblicherweise die Gesindekammern vermuten würde. Zunächst wollten wir jedoch das erste Stockwerk erkunden. Auf der ersten Tür fand sich eine wunderschön eingeschnitzte lesende Hesinde. Das Zimmer dahinter war jedoch, was für ein Frevel, völlig verwüstet. Ein zerstörter Schreibtisch, Regale an den Wänden, der Boden bedeckt von Papierfetzen. Es sah aus als hätte hier eine Orkhorde gewütet. Die stark verrosteten Fensterläden waren kaum zu öffnen. Nachdem ich mir einige der Papierfetzen angesehen hatte kam ich zu dem Schluss, dass es sich hier vielleicht um das Archiv des Kusliker Kuriers gehandelt haben mochte, oder zumindest eine Sammlung seiner Ausgaben, nachdem das Haus ja einmal dem Verleger gehört hatte. Wirklich bedauerlich, diese wertvollen Zeitzeugnisse dermaßen zerstört zu sehen – Hesinde würde das sicher nicht gutheißen! Hoffentlich gab es in Kuslik selbst oder in den Hallen der Weisheit noch einmal eine weitere Abschriftensammlung.
Nach einem weiteren dunklen Gang betraten wir einen L-Förmigen Teesalon der mit kleinen Tischchen und modrigen Polstermöbeln bestückt war. Alles wirkte recht finster, da die Fenster vernagelt worden waren. Dahinter lag ein weiterer Gang der zu drei Gästezimmern und einem Aufenthaltsraum führte. Die Familie schien gerne Besuch gehabt und diesem auch standesgemäße Unterbringung geboten zu haben. Bedauerlich, dass dies nicht mehr der Fall war. Besonderes fand sich aber auch hier nicht. Hinter der letzten Tür im Ostflügel erwartete uns der stechende Geruch von Vogelexkrementen. Hier war wohl so etwas wie der Musenraum der Familie gewesen zu sein, denn eine abgedeckte Staffelei stand in der Mitte des Zimmers, durch dessen Scheiben früher sicher einmal gutes Licht für alle Arten von Kunst gefallen war. Jetzt starrte der Raum von Taubenkot. Eine der Scheiben war zerbrochen, durch diese mussten die letzten Jahre die Tiere hier hereingekommen sein, auch wenn gerade keine da waren. Ein Blick aus dem Fenster, mir fiel auf das ich dabei nicht auf Scherben trat, es befanden sich keine im Raum, offenbarte einen Blick auf das verfärbte Eisengitter im Garten. Das musste also der Raum sein, aus dem sich der Unglückliche gestürzt hatte. Und offenbar mit so viel Schwung, dass er den Abstand bis zum Gitter, es mochten zwei oder etwas mehr Schritt sein, im Flug überwunden hatte. Also hatte er entweder Anlauf genommen, vielleicht bei einer panischen Flucht, oder war schwungvoll hinausgeschleudert worden. Sehr interessant! Was mich überraschte war das Bild auf der Staffelei unter seiner Abdeckung. Es war nicht nur in sehr gutem Zustand, was für dieses Haus schon eine Besonderheit war, sondern auch das Motiv. Es zeigte den Turm im Garten, wie er früher einmal ausgesehen haben musste. Das Bild war jetzt keine künstlerische Offenbarung oder gar ein Seemond, aber eine durchaus ordentliche Arbeit. Da Yasiajida mich bat dies zu prüfen sprach ich sogar einen Odem Arcanum auf das Gemälde, der mir aber lediglich enthüllte, dass das Werk völlig unmagisch war. Oder zumindest auch nicht magischer als die hier durchaus erhöht vorhandene Residualstrahlung.
Zuletzt widmeten wir uns auf dieser Gebäudeseite dann der kleinen Stiege und dem Dachboden. Hier war offenbar schon sehr lange niemand mehr gewesen. Zumindest schloss ich das aus der dicken unberührten Staubschicht und dem herumliegenden Mäusedreck. Einige Dachziegel waren zerbrochen durch die schmale Lichtstreifen hereinfielen. Wäscheleinen waren quer unter der Dachschräge gespannt, hier hatten die Diener früher vermutlich ihre Sachen aufgehängt. Einige Winden und Seile waren zu finden, die vermutlich dazu dienten die Kronleuchter abzulassen wenn die Kerzen gewechselt werden mussten. Eine durchaus durchdachte Konstruktion und deutlich weniger anfällig für Unfälle als sich hier Leitern zu bedienen. Sehr umsichtig. Von einem kurzen, schmalen Gang gingen mehrere Türen in die schlicht eingerichteten Gesindekammern ab. Die Diener hatten jeder eine Pritsche und Truhe zur Verfügung gehabt, aber alles war feinsäuberlich leergeräumt und nur Staub füllte die Zimmer. Da es mittlerweile dämmerte entschieden wir uns dafür nach Contris zurückzukehren und uns noch einmal einen Tag im Gasthaus einzumieten.
Die Unterbringung und das Essen übernahm ich heute und zahlte für uns drei einen Dukaten an die Wirtsleute. Wir verbrachten den Abend bei angeregten Gesprächen und Spekulationen, die uns aber auch keine neuen Erkenntnisse brachten. Am nächsten Morgen fragten wir nach der Magierin, die eine Wohnung unter dem Dach des Gasthauses bezogen hatte und berieten uns mit ihr, bevor wir erneut aufbrachen. Nach unserer Schilderung empfahl sie, sich hier keiner Bannung zu bedienen, auch wenn sie dies durchaus können würde. Es bestünde jedoch die Gefahr, und da konnte ich ihr nur zustimmen, dass die Seele der verstorbenen auf Grund der Art und des Tages ihres Ablebens, dann dem Namenlosen anheimfallen könnte. Und da hatte sie mich natürlich schon, denn dem Rattenkind auch nur eine weitere Seele zu überlassen kam für mich selbstverständlich nicht in Frage. Es würde sich also ein anderer Weg finden müssen den Geist der armen Hausherrin, der weißen Frau, zu erlösen. Was sie wohl an Dere binden mochte? Ich befürchtete, das würden wir nur erfahren, wenn wir sie selbst dazu, unter Beachtung aller möglichen und erforderlichen Schutzmaßnahmen natürlich, selbst dazu befragen würden.
Wir besorgten uns noch ein wenig Proviant für den Tag und machten uns dann wieder auf den letzten Teil des Hauses zu erkunden. Im Obergeschoss war der linke Flügel ganz ähnlich dem Rechten aufgebaut, nur dass hier die herrschaftlichen Zimmer untergebracht waren und ein Balkon hinausführte. Ein kleiner Salon wurde wohl auch einmal als Wohnzimmer genutzt. Das große Schlafgemach, in dem es angenehm nach Lavendel duftete, wurde von einem großen Himmelbett dominiert, dessen Matratze aber schon von Ratten zerfressen war die ich aufscheuchte, als ich dort einen Blick hinwarf. Ich hasse Ratten – nicht wegen der Tiere an sich, aber wegen dem Namenlosen. Ein Schminktisch mit einem aufklappbaren Spiegelschrank weckte unsere Aufmerksamkeit. Hier fand sich erstmals wieder ein Objekt, das man als interessant bezeichnen durfte. Ein kleine Silberamulett in dem sich das Bild eines kleinen blonden Mädchens befand. Vermutlich die Tochter der Barduns, hätte ich gesagt. Wir nahmen das Amulett mit, auch dies mochte uns, ähnlich wie der Knochen der Mutter, mit dem Geist noch helfen. Zuletzt fanden wir das Kinderzimmer und erlebten hier eine echte Überraschung. Der Raum war in bestem Zustand, so als wäre er seit einem Dutzend Jahren völlig unberührt geblieben. Ja, er strahlte sogar im Gegensatz zum restlichen Haus eine ruhige, fast friedliche Atmosphäre aus, als wäre er irgendwie in Watte gepackt. Über dem Fenster hing eine Girlande deren Buchstaben den Namen „Lorinda“ bildeten, der Tochter von Juliara Bardun. So eine Girlande sollt ich für Nandurin und Ulmjescha auch machen, das gefiel mir!
Tulef konnte es nicht unterlassen auch den Balkon zu inspizieren, hätte dies aber wohl besser unterlassen. Im Gegensatz zu dem ansonsten recht soliden Gebäude war der Balkon mittlerweile etwas verwittert. Tulef krachte durch den Boden und stürzte schreiend 4 Schritt in die Tiefe. Allerdings hielt sich mein Mitleid in Grenzen, irgendwie konnte ich für diesen Buchhalter und ehemaligen Matrosen noch keine besondere Empathie aufbringen. Ich weiß nicht was es war, aber irgendetwas störte mich an ihm. Da wir nun das Haus vollständig erkundet hatten beschlossen wir bis zum Abend nach Contris zurück zu kehren. Heute Nacht würden wir uns wohl oder übel dem Geist stellen müssen. Ich war mir nicht sicher, ob mich diese Aussicht mit Furcht oder Vorfreude erfüllten würde, entschied mich dann aber für letzteres. Es brachte ja nichts sich ob einer unausweichlichen Tatsache zu Scheuen. Man soll die Dinge ja positiv angehen!
Trotzdem würde ich mich mit dem Segen der Zwölfe besser fühlen bei diesem Vorhaben, daher suchte ich zur Mittagszeit noch einmal den Traviatempel auf. Es war natürlich nicht die beste Zeit dafür. Wir störten den freundlichen Priester bei der Essensausgabe, was er zum Anlass nahm uns recht resolut zur Hilfe beim Essen ausgeben und Schüsseln abwaschen einzuteilen. Aber was tat man nicht alles im Namen der gütigen Mutter Travia? Außer Tulef und mir, Yasiajida hatte uns nicht begleitet, waren noch vier weitere Helfer dabei, die bestimmt 80 oder 100 hungrigen Mäuler zu füttern. Die schiere Menge wunderte mich, in einer so kleinen Stadt hätte ich nicht gedacht das der Bedarf an einer Armenspeisung so groß sei, daher fragte ich den Geweihten nach den Umständen. Bei den Bedürftigen handelte es sich zumeist um Bauarbeiter und Handwerker, die nur geringe Verdienste auf den Baustellen erhielten. Seine Lebensmittel würden von örtlichen Gönnern gestiftet, die sich damit von ihren Pflichten und höheren Kosten freikauften. Der Tempel übernahm auch die Funktion des Gasthauses, das zu klein war um all diese Menschen zu versorgen. Als die Speisung endlich zu Ende ging und die letzten Reste aus dem Topf gekratzt waren kamen wir endlich zu meinem eigentlichen Anliegen, das ich dem Geweihten darlegte. Ich wollte dem Geist seinen Seelenfrieden bringen und ihn nicht dem Namenlosen anheimfallen lassen. Er hielt es zwar für keine gute Idee, wenn wir des Nächtens in die Villa gingen, aber gegen das Vorhaben an sich hatte er natürlich nichts einzuwenden, weswegen er mir und Tulef seinen Segen spendete.
Gegen die siebte Stunde begaben wir uns zur Villa, um noch ein Stunde bis zur Dunkelheit zu haben. Frösche quakten lautstark in den Tümpeln. Da die Villa schon im Schatten lag, machte ich meine Stabfackel an als wir eintraten. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen mein Vorhaben am Todesort der Dame Bardun, also am Turm zu vrsuchen, allerdings fand ich dort keine geeignette Fläche um einen Bannkreis zu ziehen. Es war wieder sehr kalt in der Villa. Die dritte Tür hinten rechts führte mich erneut in den Salon. Hier wusste ich ja anhand der Spuren eines verstorbenen Toten, dass der Geist sich sicher würde zeigen können. Allerdings brauchte ich beim Malen des Bannkreises zwei Anläufe, der erste wirkt in meinen Augen eher unförmig. Das lag vermutlich an meinen von der Kälte klammen Fingern. Auch meine Knie waren als ich fertig war eiskalt vom herumkriechen auf dem Boden, so als wäre ich über einen zugefrorenen See gerobbt. Als ich mich aufrichtete und etwas zu Tulef und Yasiajida sagte wurden meine Worte hohl wie von einem Echo zurückgeworfen. Die Wände des Raums konnte ich nicht mehr sehen, mein Licht reichte nicht weit genug. Ich hatte den Eindruck, die Dunkelheit hätte sich verdichtet und unser Atem dampfte in der Kälte vor unseren Gesichtern. Von der nördlichen Seite des Raums waren auf einmal Geräusche wie von eingeschenkten Bechern zu vernehmen. Zwei Männer mit Wappenröcken, vielleicht Söldner, saßen in den Sesseln und stießen an, tranken einen tiefen Zug und stellten die Gläser auf einem der Teetische ab. Es dauerte nicht lange, da griffen sie sich an die Hälse, wurden panisch und sanken zu Boden. Es wirkte, als wären sie vergiftet worden, aber war das ein Trugbild oder hatte es sich wirklich einmal so zugetragen? Yasiajida griff neugierig nach den körperlosen Gestalten, sie schien gar auf leichten Widerstand zu treffen wie sie meinte. Es fühle sich an wie sehr kalter schlamm. Das fand ich interessant und versuchte nun selbst mit einer Flasche eine Probe von den Geistern zu nehmen. Das wäre doch einmal etwas, die Essenz eines Geists für spätere Zwecke konserviert! Es war zwar sehr kalt, aber in der Flasche blieb nichts zurück was ich irgendwie hätte erkennen können. Sehr Schade!
Tulef rief jetzt nach dem Geist der Dame Bardun, wirkte dabei aber eher unbeholfen. Der Geist musste das wohl ebenso empfunden haben, denn der Kronleuchter rasselte von der Decke herunter und kracht auf ihm mitten in die Fresse. Ich hatte selbst schon festgestellt, dass er einfach nicht wusste wann er besser den Mund halten oder jemand anderes sprechen lassen sollte. Mehr als Gejammer brachte er aus seinem blutenden Mund nun nicht mehr heraus. Daher rief nun ich nach der Senora, bot ihr meine Hilfe an ihre Seele zu retten. Nebel hatte sich um uns herum gebildet und die Temperatur war gefühlt noch einmal gefallen. Ich zog das Amulett mit dem Bild der Tochter heraus, versuchte den Geist nach dem Schicksal des Kindes zu Fragen in der Annahme, er würde sich im Nebel um uns herum aufhalten. Dann geschah etwas sehr Befremdliches. Ich spürte, wie ich die Kontrolle über meinen Körper verlor und er Dinge tat, ohne das ich etwas dagegen hätte unternehmen können. Zuerst brannte meine Fackel Yaijaidas Haare an. Ein verschmorter Geruch lag in der Luft und sie zeterte herum was das sollte. Aber ich schaffte es nicht einmal ihr eine Antwort zu geben oder mich zu entschuldigen. Dann machte sich mein Arm selbständig und begann mit der Fackel auf Tulef einzuschlagen. Direkt der erste Hieb traf ihn mit voller Wucht auf die Brust. Er zog sein Entermesser, aber ich setzte nach und traf erneut. So gekonnt schlug ich sonst nie zu! Ich wusste nicht ob ich von diesem Gefühl begeistert sein, oder Tulef bedauern sollte dem es offensichtlich schon nicht mehr besonders gut ging. Yasiajida stellte sich schützend vor ihn, aber der Bann unter dem ich stand zwang mich immer weiter auf die beiden einzuschlagen. Als ich nach fast einem Dutzend Hieben endlich wieder die Kontrolle über meinen Körper zurückgewonnen hatte, fühlte ich mich recht steif. Das silberne Amulett lag eiskalt und schmerzhaft in meiner Hand, es hatte sich regelrecht in meine Handfläche gebrannt. Mit zitternden Fingern zog ich erst einmal Handschuhe an.
So dreißt von meinem Körper Besitz zu ergreifen, dass nahm ich dem Geist dann doch persönlich übel. Ich wollte doch nur helfen! Aber wenn er es nicht anders wollte und keine Kooperationsbereitschaft zeigte… ich begann mich auf einen Geisterruf zu konzentrieren. Tulef und Yasija verließen mich, weil sie meinten im Raum über uns Schritte gehört zu haben. Nun ja, selbst schuld, wenn sie den einzigen verließen, der sie würde schützen können. Ich würde wohl auch ohne die Beiden zurechtkommen. Kurz danach hörte ich ein Rumpeln aus der Halle von der Treppe her, gefolgt von einem Schmerzensschrei Yasiajidas. Später erzählten sie und Tulef, sie hätten im Arbeitszimmer den Tot des Hausherren gesehen, wie dieser auf dem Marktplatz von Kuslik vom Scharfrichter enthauptet worden war nachdem sie es endlich geschafft hatten die eisesglatte Treppe hinauf zu kommen.
Ich sammelte meine Konzentration und rief nach dem Geist von Juliara Bardun, den Knochen als Fokus, um sie zu mir zu zwingen. Als sie erschien schlug die Tür des Salons krachend zu. Die Bleiche Dame manifestierte sich mit ihrer unheimlichen, aber faszinierenden Gestalt und wurde in dem von mir vorbereiteten Bannkreis gefangen. Oder besser, sie schien mit dem Sog des Kreises zu ringen, wehrte sich dagegen und war nicht gefangen, konnte sich mir aber auch zunächst nicht nähern, weswegen ich ausreichend Zeit hatte sie in Augenschein zu nehmen. Der Geist der Senora war eine bläulich-weise, elegante Gestalt in einem dunklen Kleid. Eis und Kristalle schienen um sie zu tanzen und boten einen faszinierenden Anblick. Von außen rumste etwas lautstark gegen die Tür. Dann verdichtete sich das Eis über ihrer Hand und den Augen und wurde zunehmend dunkler, ja begann regelrecht sich schwarz zu verfärben. Offenbar hatte sie mittlerweile die Kraft des Bannkreises überwunden, denn sie begann sich nun doch mir zu nähern. Die Kreidestriche des Bannkreises schienen zu zerbröckeln und regelrecht vom Boden eingesaugt zu werden. Von außen hämmerte erneut etwas gegen die Tür. Diese Gelegenheit wollte ich mir aber nicht entgehen lassen. Ich versuchte mit der geisterhaften Erscheinung zu sprechen, bot ihr noch einmal an zu helfen, aber sie reagierte überhaupt nicht darauf. Der Bannkreis verschwand nun endgültig, das Eis verdichtete sich finster vor ihr. Von draußen war ein Schmerzensschrei zu hören. Was trieben die beiden Kretins eigentlich dort, wo doch der Geist bei mir war? Die Dunkelheit um den Geist wurde noch massiver, schluckte jegliches Licht und der Geist schien in der Finsternis zu wachsen. Schwarze Strahlen schossen auf mich zu, und fast hätte ich es sogar geschafft diesen auszuweichen. Aber eben nur fast. Eiseskälte ergriff meinen Körper, brennende Schmerzen zuckten durch meinen Körper. Als die Tür krachend aufschlug, Yasiajida hatte sie anscheinend eingetreten, versank der Geist im Boden und verschwand. Mir tat alles weh, deswegen war ich darüber gerade nicht einmal unglücklich.
Wir schleppten uns aus dem Salon, der Teppich im Gang lag ungewöhnlich gewellt da und die Eingangshalle war fürchterlich kalt. Das erinnerte mich an den Winter im Bornland. Kaum erträglich! Tulef stand vor der Tür nach draußen, bekam sie aber nicht auf. Yasiajida half ihm, aber die Tür schien in ihrem Rahmen wie festgefroren zu sein. Mit meiner Fackel schmolz ich an den Rändern entlang und die anderen Beiden kratzten mit ihren Dolchen die Türspalten frei. Nach mehreren Versuchen und dem Einsatz von Tulefs Brecheisen bekamen wir die Tür endlich auf. Draußen war es ebenfalls eisig, glatt und neblig. Wir mussten äußerst vorsichtig gehen um nicht auszurutschen. Tulef hatte sich offenbar noch woanders verletzt, denn er war fast nicht in der Lage noch zu gehen und wir mussten ihn stützen damit er überhaupt vorwärtskam. Außerhalb des Grundstücks war es regelrecht warm, es kribbelte auf meiner unterkühlten Haut als würden 1000 Ameisen darüber huschen. Damit wir überhaupt bis Contris kommen mochten teilte ich mir mit Tulef einen der kürzlich gebrauchten Heiltränke und ich sprach sogar noch einen Balsam auf Yasiajida, die sich beim Versuch die Tür zum Salon zu öffnen das eigene Schwert tief in die Brust gerammt hatte. Dieser Abend war deutlich weniger erfolgreich, als ich es mir gewünscht hätte…
Wir schleppten uns zum Traviatempel, im Gasthaus hatten wir ja für heute kein Zimmer genommen und es war weit nach Mitternacht, als wir uns im vom Herdfeuer warmen Tempelraum zum Schlafen auf den Boden legten. Im Morgengrauen wurden wir von der knarzenden Tür geweckt. Der Traviageweihte wollte natürlich wissen was geschehen war. Während er Yasiajida wieder zusammennähte erzählte ich ihm von unseren unheimlichen Erlebnissen. Als die ersten Ankömmlinge eintrafen setzte er ruhig seine Arbeit fort und teilte diese ein sich selbst um das Frühstück zu kümmern. Der Geweihte schien die Familie noch persönlich gekannt zu haben, denn er wunderte sich, dass der Herr Bardun ein Galahanist gewesen sein sollte, er hätte ihn gar nicht so eingeschätzt. Der Verleger war in dermaßen in seiner Arbeit aufgegangen, er hätte gar keine Zeit gehabt sich an einem Komplott zu beteiligen, geschweige denn einen solchen selbst zu schmieden. Aber er wusste auch nicht, wer die Barduns damals bezichtigt hatte zu den Aufrührern der Verschwörung zu gehören. Tulef sprach ihn auch noch einmal auf den Verkauf des Hauses an die Korbmachers an, aber dazu konnte er auch nichts sagen, was nicht auch schon im Archiv gestanden war.
Ich äußerte den Verdacht, dass wir im Kinderzimmer vielleicht vor dem Zorn des Geist sicher sein würden, denn dieses schien er ja nicht verwüsten zu wollen. Oder aber, so wendete der Geweihte ein, der Geist würde uns dort nur noch mehr heraushalten wollen, wenn dies sein Allerheiligstes wäre. Darum herumkommen, die Villa am Abend erneut aufzusuchen, auch wenn ich zugegebenermaßen nicht mehr ganz so erpicht darauf war wie beim ersten Mal, würden wir aber wohl nicht. Tulef lieh sich vom Geweihten noch etwas zusätzliche Kleidung aus um sich warm anzuziehen. Mit jeder Kleiderschicht die er anlegte wurde seine Gestalt kugelförmiger. Nachdem wir uns von dem freundlichen Priester verabschiedet und noch gefrühstückt hatten, gingen wir ins Gasthaus, nahmen uns ein Zimmer für den Tag und ruhten bis zum späten Nachmittag. Tulef ging noch einmal zum Tempel, um sich nun doch verbinden zu lassen, bevor wir erneut bis in die Nacht hinein weiter ruhten. Tulef ging es so schlecht, dass ich ihm ebenfalls noch einmal mit einem Balsamsalabunde helfen musste. Der Geist würde uns ja nicht weglaufen auch wenn wir erst in der Nacht zur Villa kommen würden. Yasiajida hingegen saß dermaßen der Schreck in den Knochen, dass sie spontan beschlossen hatte abzureisen und uns nicht weiter begleiten wollte. Es war schon zur Boronsstunde als wir dort ankamen. Ich fasste meinen Mut zusammen und betrat das finstere Grundstück.
Aus den Sümpfen waberte grüner Nebel auf, was die Atmosphäre die uns empfing nicht freundlicher machte. Kaum waren wir durch das Tor gegangen, schien die Temperatur bereits um einiges zu sinken, und wie es in dem Haus bald sein würde wussten wir ja. An der nach wie vor vorhandenen Präsenz des Geistes bestand daher kein Zweifel. Um einen Keil für die Eingangstür zu finden, ich wollte verhindern, dass sie erneut zugefroren war, falls wir wieder würden fliehen müssen, begaben wir uns zunächst in die Küche. Aus einem der Regale in der Speisekammer würde man sicher ein Stück Holz herausbrechen können. Aber kaum das ich die Küche betreten hatte, zog ein anderer Umstand meine Aufmerksamkeit auf sich. Im Herd sah ich ein orangenes Glimmen, ganz so, als wäre dort erst kürzlich ein Feuer heruntergebrannt. Und trotzdem war es kalt, ja geradezu eisig im Raum. Ich näherte mich dem Herd und zog dabei meine Handschuhe über, zu gut hatte ich noch die Frostbrandblase vom Medaillon in Erinnerung. In dem orangenen, kalten Glühen sah ich, ganz schwach und klein, ein reines, blaues Leuchten durchscheinen. Vorsichtig tastete ich danach, jederzeit ein Aufflammen von Hitze erwartend, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen ertastete ich einen goldenen Ring, in dessen Fassung ein leuchtender kleiner Gwen Petryl eingelassen war und dessen Innenseite ein verschnörkeltes „A“ zierte. Vielleicht ein letztes Überbleibsel des Dieners Argoles aus Kuslik? Aber warum lag er dann im Herd? Ich steckte den Ring ein, dieser Frage würden wir uns bei späterer Gelegenheit widmen, aber nicht jetzt. In diesem Augenblick fiel die Tür krachend zu und mehrere geisterhafte, durchscheinende Gestalten erschienen. Unwillkürlich machte ich mich zum Kampf bereit, während Tulef sich heldenhaft hinter mir versteckte. Drei Bewaffnete in Wappenröcken, deren Heraldik mir nichts sagte, zerrte drei weitere Tote herein, die in den Farben der Galahanisten gewandet waren, und legten diese in der Küche ab. Dann nahmen sie Hackmesser, die wie von Zauberhand auf der Anrichte erschienen waren, und begannen die Toten zu schänden und in Stücke zu hauen, das Fleisch warfen sie in bereitgestellte Körbe. Aus der Speisekammer war auf einmal lautes Hundegebell zu hören. Mehrere große Kampfhunde, an die die Soldaten nun die Körperteile verfütterten, waren erschienen. Uns ignorierten die Gestalten völlig, aber das Schauspiel war dermaßen makaber und grausam, dass es mir fast den Magen umdrehte. Als die Szene schließlich verblasste und wir endlich den Türkeil für die Eingangspforte hatten, saß bereits ein dicker Knoten in meiner Magengegend, der mich das schlimmste für diese Nach befürchten ließ.
Als nächstes wollte ich, um nicht noch mehr seltsames zu erleben, direkt das Schlafzimmer und vielleicht die Kinderstube in Angriff nehmen. Die Treppe war wieder vereist, was einen tückischen Aufstieg verhieß, aber ich hieß Tulef von draußen vom Weg Kies und Splitt zu holen, um uns am Geländer entlang einen Weg zu streuen. Auch das würde mir, im Falle einer überhasteten Flucht, im Zweifel ersparen mir bei einem Treppensturz das Genick zu brechen. Vorbereitung und Planung war einfach alles… aber da wollte und konnte ich nicht auf Tulef setzen. Auch war mir aufgefallen, dass alle Türen die wir vorher schon einmal geöffnet und dann offenstehen gelassen hatten, nun wieder geschlossen waren. Oben angekommen betraten wir zunächst den kleinen salon. Der Tabakrauch war bei Nacht sogar noch intensiver als tagsüber zu riechen, so als wäre das Zimmer heute erst genutzt worden. Ein Lachen war, wie aus weiter Ferne, zu hören, vielleicht ein Echo längst vergangener Zeit, als der Raum noch dem Müßiggang gedient hatte. Von dort aus gelangten wir schließlich zum Schlafzimmer, das ich als Kulminationspunkt der geisterhaften Präsenz im Verdacht hatte. Zunächst legte ich das Medaillon zurück in den Spiegelschrank um dem Geist unseren guten Willen zu zeigen. Er sollte nicht glauben, dass wir ihm etwas stehlen wollten, dann rief ich nach der Dame Bardun. Aber nichts geschah. War es etwa doch das Kinderzimmer ihrer Tochter, das sie verteidigte? Tulef öffnete vorsichtig die Tür, und das war wohl der Auslöser, dass der Geist nun doch erschien. Ein Stück Stoff vom Himmelbett legte sich würgend um meinen Hals. Die blaue Gestalt der Hausherrin schwebte bedrohlich auf mich zu, ihr Blick hielt den meinen Gefangen und sie starrte mir bedrohlich in die Augen. Ich schaffte es nicht den Blick abzuwenden, und mit einem Mal war in in Al’Anfa. Ein finsterer Schemen zerrte Nandurin brutal fort, ich hetzte hinterher, aber der Feind war stets schneller als ich und entfernte sich immer weiter, bis ich nur noch einen kindlichen Schmerzensschrei aus der Ferne hörte. Dies warf mich wieder in die Realität zurück. Schmerzhaft wurde mir der Stoff um meinen Hals bewusst, der mir die Luft abschnürte. Mit dem Dolch säbelte ich mich durch den brüchigen Vorhang, während der blanke Horror meinen Geist erfasste und zu blanker Panik anwuchs. Sobald ich frei war rannte ich wie von niederhöllischen Hunden gejagt hinaus auf die Galerie, wo sich meine Panik langsam legte. Offensichtlich vermochte der Geist eine Wirkung ähnlich des Horriphobus in einen Opfern hervorzurufen. Gut, dass ich diesen Cantus erst kürzlich selbst erlernt hatte, auch wenn es mir über die Erkenntnis hinaus an dieser Stelle keinen weiteren Nutzen brachte. Aber so wusste ich wenigstens um die Vergänglichkeit der Wirkung, schnaufte erst einmal durch und sammelte mich, bis ich wieder in der Lage war ins Schlafzimmer zurückzukehren.
Aber was war dieses Bild von Nandurin gewesen? Hatte sich der Spuck einfach meiner größten Angst bedient, oder wollte er mir mit diesem Bild etwas über seine eigene Geschichte enthüllen? Dies würde wohl nur ein Test zeitigen, den ich gedachte mit Tulef auszuführen, der mir folgsam wie ein Hund sowohl hinaus als auch jetzt wieder in das Zimmer hinein folgte. Der Bursche war in jedem Fall Handlanger-Material, aber wohl kaum mehr. Als wir das Schlafzimmer betraten und in Richtung des Kinderzimmers gingen wurde es noch einmal kälter – Eis legte sich über alles, was nicht von unserer Haut gewärmt wurde. Tulef, der furchtsam einen Blick in das Kinderzimmer wagte registrierte gar nicht, wie ich mich, während ich beruhigend auf ihn einsprach, hinter ihn lavierte, um ihn dann mit einem beherzten Stoß durch die Tür des Kinderzimmers zu befördern – die er freiwillig sicher nicht durchschritten hätte. Der zornige Geist materialisierte direkt vor ihm und er erstarrte für einige Wimpernschläge zur Salzsäule. Ich wüsste zu gern, was er nun gesehen hatte um die These von der Furcht oder Nachricht zu verifizieren, aber aus dem unartikulierten Schrei den er Ausstieß war nichts zu entnehmen. Stattdessen rannte er nun panikerfüllt an mir vorbei in Richtung des Ausgangs, nicht ohne mir dabei den Ellbogen gegen die Rippen zu stoßen. Ich folgte ihm, schon allein um sicherzugehen, dass er sich in seiner Panik von der Galerie nicht zu Tode stürzen mochte. Schlitternd rauschte er die Treppe hinunter. Ich konnte nur vermuten, dass ihm der gestreute Weg wahrscheinlich ein gebrochenes Genick ersparte, und folgte ihm vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Unten angekommen kratzte er wie ein verzweifelter Hund an der Eingangstür, die sich trotz Keil wieder geschlossen hatte und wieder zugefroren war. Gestern hatte es ja ewig gedauert, die Tür aufzubekommen. Vom oberen Ende der Treppe sah ich ein bläuliches Leuchten, dass die sich nähernde Präsenz des Geistes ankündigte, was Tulefs Verzweiflung nur weiter Anwachsen ließ. Mit der gebotenen Ruhe in der Stimme, wies ich ihn auf das bereits aufgebrochene Fenster in der Küche als möglichen Fluchtweg hin – was ihn zu einem wahrhaft beachtlichen Sprint in diese Richtung veranlasste. Ich ging ihm weiter nach, seinen Rückzug deckend. In der Küche war das Massaker der Uniformierten wieder in vollem Gange. Diesmal hatten wir aber keinen Blick dafür übrig. Tulef rannte fast durch die Geister hindurch, nahm Anlauf und hechtete mit einem beherzten Sprung durch die Lücke im Fenstern. Von draußen war ein schmatzendes Platschen zu hören. Ich stieg ihm bedächtig hinterher, schnitt mich aber trotzdem schmerzhaft an einigen Splittern der Fensterscheibe. Draußen sah ich seine verzweifelt strampelnde Gestalt kopfüber im brackigen Sumpfwasser stecken. Ich hätte ihn ja gern am Fuß aus dem Modder gezogen, aber er schlug und strampelte so wild um sich, dass ich ihn gar nicht recht zu fassen bekam. Zum Glück ließ seine Panik nun, da wir aus dem Haus heraus waren, langsam nach, bevor er in dem nur Hüfttiefen Wasser ertrank. Wir waren einhellig der Meinung, dass dies für heute Nacht, und wir waren ja gar nicht lange im Haus gewesen, genug Schrecken war den wir erdulden mussten. Nur seine Angst um meine These zu bestärken konnte dieser Kretin nicht benennen. Vermutlich gab es einfach zu viel, vor dem er sich fürchtete, als dass er es an einem konkreten Ereignis würde festmachen können. Also schleppten wir uns zurück nach Contris und wieder in den Traviatempel. Tulef stank wie die ein Jahrzehnt nicht gereinigte Bilge eines Segelschiffs. Trotzdem teilten wir uns dort, auch um den Schreck zu überwinden, eine Flasche Schnaps aus meinem Gepäck. Was soll ich dazu sagen… der Kerl vertrug nicht einmal einen ordentlichen Schluck und war so schnell volltrunken, dass es eine Schande war!
Der Morgen begann wieder mit einer Speisung der Bedürftigen. Der freundliche Geweihte hatte sich schon seufzend daran gewöhnt, dass auch wir wieder da waren. Er meinte sogar, für das nächste mal würde er uns direkt ein paar Decken und etwas Wasser da lassen, was ich sehr freundlich von ihm fand. Und da wir nun schon einmal wieder da waren, wollte ich doch gleich noch einmal einen Blick in sein Archiv werfen. Je nachdem wie gut es geführt war, würde ich dort vielleicht etwas zur Geburt und auch dem Verbleib der Tochter der Barduns finden, wenn mir schon aus dem Gedächtnis heraus niemand dazu etwas zu sagen vermochte. Bei meiner Suche wurde ich schnell fündig. Das Geburtenregister – für unkundige, die Geburtenbücher waren in Grün, die Ehebücher in Rot und die Sterberegister in Schwarz gehalten – enthielt eine jährlich recht überschaubare Anzahl an eingetragenen Fällen. Es hätte eigentlich kein Problem sein sollen vor etwa 14 Jahren den Eintrag von Lorinda Bardun zu finden. Allerdings war dieser mitnichten verzeichnet. Der einzige Eintrag der zeitlich und auch namentlich halbwegs passend erschien, war die Geburt einer Lorinda Korbmacher am 5. Boron 1015 BF, deren Vater zudem als unbekannt vermerkt war. Das war nun doch seltsam. Davon in meiner Neugier angetrieben machte ich mich daran die zum Register gehörende Abschrift der Geburtsurkunde zu suchen. Ein leichtes, wenn man wusste was man wollte. Selbst im Zwielicht des Schuppens der hier als Archiv herhielt entging meinen scharfen Sinnen nicht, dass an dieser Urkunde manipuliert worden war. So, als hätte man den Eintrag überpinselt und neu ausgestellt. Ich hielt die Urkunde, sie war auf feinem Pergament erstellt, gegen das Licht und konnte tatsächlich, wenn auch unleserlich, durchscheinend einen überschriebenen Eintrag sehen. Das würde ich nicht ohne Zeugen anfassen! Ich schickte Tulef los den Geweihten holen.
Der Geweihte, einmal auf meinen Fund aufmerksam gemacht, bestätigte meinen Verdacht und machte sich mit einem Messer daran, die zusätzliche Farbschicht vorsichtig abzutragen, so wie ich es selbst erst kürzlich bei dem Gemälde getan hatte. Und dort war er zu finden. Der ursprüngliche Eintrag auf Rondraberto und Juliara Bardun. Vielleicht würde uns ja der Geist Juliaras mit dieser Erkenntnis eine Audienz gewähren und von weiterer Gewalt absehen, wenn ich mich mit ihm unterhalten wollte? Tulef schien von dieser Aussicht alles andere als begeistert zu sein, gab seinen Widerstand aber schließlich auf. Die Urkunde nahmen wir nicht mit – zu groß das Risiko, dass sie dabei beschädigt würde, sie war in der Obhut des Geweihten deutlich besser aufgehoben. Wir ruhten noch einmal im Gasthaus, um uns dann schon am frühen Abend wieder auf zur Villa zu machen.
Aus reiner Neugier gingen wir im Erdgeschoss noch einmal durch den linken Flügel – vielleicht würde es ja auch dort Erscheinungen geben, die uns Aufschluss bieten konnten? Die Hoffnung erfüllte sich aber nicht. Im Gästezimmer mit der Truhe, die wieder verschlossen war, hatte der Geist den Mechanismus wieder in Betrieb genommen, diesmal jedoch mit einem Küchenmesser statt mit einem Dolch als Geschoss, dass gegen wie Wand segelte, weil ich die Truhe von der Seite her öffnete. Tulef machte in allen Zimmern die Kronleuchter hatten furchtsam einen großen Bogen um die Deckenbeleuchtung. Für mich war aber eigentlich der Nandusschrein in diesem Teil des Hauses das, wovon ich mir am meisten versprach. Dort angekommen rief ich nach Juliara Bardun, ob es hier etwas gäbe, das sie mir zeigen wollte. Eine Antwort erhielt ich nicht. Dafür stürzten sich die Ratten, mit denen ja auch Tulef schon Bekanntschaft geschlossen hatte, auf mich. Nur das ich eben kein Buchhalter war, den so etwas in Angst versetzen konnte. Ich blieb ruhig, und bis die Ratten sich unter meine Robe gewühlt hatten, hatte ich mich schon mit einem Armatrutz gegen die kleinen Krallen und Zähne geschützt. Während Tulef mit dem Säbel und ich mit dem Stab nun daran gingen die Rattenplage zu dezimieren, machten sich die kleinen Biester allerdings daran meine Robe zu zerfressen. Das konnte ich natürlich nicht dulden, eine schnelle Lösung musste her! Ich sammelte kurz meine Konzentration und ließ meinem Zorn in Form eines Fulminictus in der Variante Welle der Schmerzen freien Lauf. Schlagartig erstarben das Zappeln und Krabbeln der Ratten. Gut, Tulef der neben mir gestanden war hatte auch etwas abbekommen… aber da musste er durch. Für ihn war es ja auch nicht schmerzhaft und nicht letal wie für die Ratten. Klassischer Kollateralschaden. Nichts, worüber ich mir den Kopf zerbrechen wollte. Auch wenn er das anscheinend anders sah, aber sich gar nicht recht erklären konnte, was gerade geschehen war. Leider war der Schrein darüber hinaus eine Enttäuschung.
Tulef wollte noch unbedingt den Gesindetrakt sichten. Ich hielt das zwar für Zeitverschwendung, folgte ihm aber dennoch die schmale, brüchige Stiege zum Dach hinauf. Nicht das ihm dort allein etwas zustoßen würde. Dort oben war es vergleichsweise mild was die Temperaruten anging – ein sicheres Zeichen das der Einfluss des Geistes hier nur gering war – und so staubig, dass wir nur flach atmen konnten, wenn wir nicht husten wollten. Als wir in den Gang zu den Dienerkammern traten torkelte uns eine geisterhafte Erscheinung entgegen. Offensichtlich ein Betrunkener mit verfilztem Haar und Lumpen um den ungewaschenen Körper. Er schleppte sich in eine der Kammern, wir folgten ihm wenige Meter dahinter, sahen wie er sich hinlegte, erbrach und erstickte kläglich an seinem eigenen Mageninhalt. Ich bezweifelte aber, dass der Geist von Juliara Bardun etwas mit seinem Schicksal zu tun hatte. Zurück auf dem Bett blieb lediglich sein Skelett. Das aber wirklich. Wir packten die morschen Knochen in die Bettwäsche, um sie später dem Geweihten zur Bestattung zu übergeben. Tulef stellte sich zwar recht ungeschickt an und einige der Knochen brachen sogar beim Transport, aber das würde uns der Herr Boron sicher verzeihen. Dann war es soweit, jetzt würden wir wohl um eine erneute Vorsprache bei der geisterhaften Senora nicht mehr herumkommen.
Ich konzentrierte mich, stählte meinen Geist, falls sie mich noch einmal dergestalt angreifen wollte und machte meinen Willen fest. Auf dem Weg zum Schlafgemach noch ein kurzer Blick in das Malzimmer. Wir scheuchten einen Schwarm Tauben auf, der flatternd das Weite suchte und uns mindestens einen ebensolchen Schrecken einjagte, wie umgekehrt. Dann ein markerschütternder Schrei – wir sahen die Gestalt eines Mannes, der mit panischem Blick aus dem Fenster sprang. Von unten war ein hässliches Geräusch zu hören, so als würde ein Jäger seinen Spieß durch eine Wildsau treiben. Das war wohl der arme Tropf, den sie im Garten vom Zaun gezogen hatten… dann erreichten wir, schon wieder, das Schlafzimmer. Dort rief ich wieder, Tulef wollte ich weder die Verantwortung zumuten noch hatte ich in sein diplomatisches Geschick ausreichend Vertrauen, nach Senora Bardun. Und diesmal wurde mein Ruf direkt erhört. Schlagartig wurde es dunkel im Schlafzimmer, selbst mein Stab spendete uns kaum noch Licht. Es war, als würden die Wände auf uns Zustürzen, dann verlor ich den Boden unter den Füßen. Es war als würde ich schweben – so ähnlich hatte ich mich gefühlt, als ich in dem Labyrinth in Albernia den Trank der Schwerelosigkeit zu mir genommen hatte, um nicht in die Lavagrube zu stürzen. Während ich noch in diesem recht wehrlosen Schwebezustand verharrte näherten sich mir zwei bläulich glühende, zornige Augen. Ich versuchte meinen Flug zu stabilisieren um nicht völlig unwürdig kopfüber debattieren zu müssen und begann, der Dame unsere Erkenntnisse des heutigen Tages darzulegen. Immerhin schien sie das davon abzuhalten, uns direkt wieder umbringen zu wollen. Wir boten ihr sogar an, ihre Tochter zu ihr zu bringen, falls es das wäre, was sie bräuchte um ihren Frieden zu finden. Schlagartig hatte uns Sumu wieder in ihrem Griff und wir klatschten zu Boden. Als sich das Dunkel lichtete standen, mit Blut auf den Spiegel des Schranks geschrieben, drei Worte auf der spiegelnden Fläche: „Bringt sie her“. Das war die erste Bereitschaft des rachsüchtigen Geistes mit uns zu kommunizieren, seit ich es verzweifelt versuchte. Ein echter Fortschritt! Auf dem Rückweg diskutierte ich mit Tulef, ob wir Lorinda zu diesem Zweck einfach entführen sollten (ich war dagegen um das Kind nicht zu traumatisieren), sie selbst oder die Senora Korbmacher darauf ansprechen sollten. Aber eine Lösung würden wir ohnehin erst am nächsten Tag finden, weswegen wir nun das im Tempel für uns vorbereitete Lager in Anspruch nahmen.
Der Priester weckte uns schon fast gewohnheitsmäßig am nächsten Morgen und ließ uns erst wieder beim Frühstück helfen. Dann aber beschied er uns von selbst, er würde uns zur Korbmacher begleiten, als wir ihm vom gestrigen Abend berichteten (und auch noch die Knochen des Landstreichers zur Bestattung übergaben – vermutlich war der sogar eines seiner Gänschen gewesen). Gefühlt überschlugen sich nun gefühlt die Ereignisse. Ich hätte die Maestra ja selbst konfrontiert und den Geweihten nur als Zeugen dabeihaben wollen, damit man mir danach nichts vorwerfen würde, was auch immer passieren mochte. Leute wie sie, die man in die Ecke drängte, kamen manchmal auf die wundersamsten Anwandlungen, da musste man mit allem rechnen. Von Resignation bis zur Anrufung eines Erzdämons konnte ich mir da alles vorstellen. Bei Maestra Korbmacher war es aber viel harmloser, als ich sie unter Beisein des Geweihten konfrontierte. Sie seufzte schwer, griff in eine Schublade und holte statt eines Dolches lediglich einen Zigarillo an einem langen silbernen Stil hervor. Fast hatte ich den Eindruck, dass sich nun der Druck der sich in ihr aufgestaut hatte seinen Bann brach, als sie so etwas wie eine Lebensbeichte vor uns ablegte. Ihr jüngeres ich sei habgierig gewesen und hatte es auf das Haus abgesehen, stets darauf hoffend, dass auch ihre Nachkommen die Stadt so wie sie selbst führen würden. Die Gerüchte, dass die Barduns Galahanisten seien hatte sie gestreut um ihnen zu Schaden und das Anwesen günstig erwerben zu können, sie hatte ihnen sogar einen guten Preis für die Villa geboten. Aber die Gerüchte hatten sich zu gut verbreitet, und als der Mob das Grundstück gestürmt hatte, war ihr die Kontrolle bereits entglitten. Mit Juliaras Reaktion den Freitod zu wählen hatte sie nicht erwartet. Nur die Tochter konnte sie vor den Söldnern retten und nahm sie anschließend zu sich als Enkelin, die Tochter ihrer verstorbenen Tochter, bis deren Vater wieder zurückkehren würde. Die Papiere zu fälschen war ihr ein leichtes gewesen, immerhin war sie diejenige, die für die Ausstellung zuständig war. Somit wäre nun Lorinda die rechtmäßige Erbin des Anwesens, was sie unumwunden zugab. Sie schien keine Angst mehr vor den weltlichen Konsequenzen zu haben, denn, wie sie meinte, sie würde sich ohnehin bald vor Boron selbst verantworten müssen und auf der Seelenwage liegen. Zugunsten ihrer unsterblichen Seele wollte sie gar, wenn wir nun Lorinda zu ihrer echten Mutter brachten, uns begleiten um ihre Schuld auch dort zu gestehen und um Vergebung zu bitten.
Ich hatte den rachsüchtigen Geist je erlebt. In meinen Augen eine äußerst törichte Idee! Ich riet ihr eindringlich davon ab, Aber sie selbst war fest entschlossen sich ihrem Schicksal zu stellen und auch der Geweihte war mir keine Hilfe dabei, ihr das auszureden. Das Einzige, wobei er jetzt wirklich nützlich war, war mit Lorinda zu sprechen, ihr die Wahrheit so schonend als möglich beizubringen und sie dazu zu bewegen, mit uns zur Villa zu kommen. Vermutlich wäre eine Entführung sogar die einfachere Lösung gewesen… Am Abend zur zehnten Stunde machten wir uns mit dem bleichen, sichtlich erschütterten Mädchen, auf zur Villa. Dort war es gruselig wie immer, nichts deutete darauf hin, dass der Geist uns heute wohlgesonnener wäre als die letzten Nächte. In der großen Halle rief ich nach der weißen Dame, die schon nach wenigen Herzschlägen als unheimlicher Schemen aus der Decker heraus zu uns herabschwebte. Ich machte Platz, trat zur Seite und überlegte schon, wie ich im Notfall in das Geschehen eingreifen könnte, als die Maestra zur Beichte vortrat. Den Geist als zornig zu bezeichnen würde dem ganzen Ausmaß des Hasses das ich spürte nicht im Ansatz gerecht werden. Aber die Korbmacher hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden, war auf die Knie gesunken um ihre Strafe zu erwarten. Als der Geist mit einem stummen Schrei auf den Lippen zum Todesstoß ansetzen wollte trat Lorinda zitternd vor und stellte sich schützend vor die Maestra. Der Geist hielt inne, als sich ihre Tochter ihr mit ausgebreiteten Armen näherte. Unter Tränen bat sie ihre echte Mutter, die Mutter die sie großgezogen hatte, zu verschonen und das Urteil den Göttern zu überlassen. Dann tat sie etwas, das ich ausgesprochen tapfer fand – das junge Mädchen umarmte den Geist. Mit einem sanften Seufzen verging der Geist – und ich hatte nicht den Eindruck, dass ihr Weg sie zum Namenlosen in die Sternenleere führen würde. Langsam begann die Kälte aus der Halle und vom Haus zu weichen. Endlich machte sich auch Tulef einmal nützlich, denn er holte das Medaillon von oben aus dem Schlafzimmer, um es der Tochter zu übergeben. Das Haar darin hatte eindeutig die gleiche Farbe wie das ihre. Damit hatten wir wohl unsere Aufgabe mehr erfüllt. Nicht nur vor unserem Auftraggeber in Kuslik. In meinen Augen auch vor den Göttern, und das bedeutete mir deutlich mehr.
Bevor wir uns am nächsten Tag auf den Rückweg machten um Bericht zu erstatten, drückte Maestra Korbmacher noch jedem von uns ein kleines Säckel mit 10 Dukaten in die Hand als Dank. Zwei davon gab ich direkt dem freundlichen Priester der Travia als Tempelzehnt meines Lohns, das hatte er sich redlich verdient. In Kuslik zahlte uns, nach unserem getreulichen Bericht, der Herr Pechstein genau die vereinbarten 10 Goldenen aus – aber auch keinen Heller mehr. Da er eine Erfolgsprämie anscheinend nicht für geboten hielt, hielt ich es im Gegenzug auch nicht für erforderlich ihm den Ring seines Dieners zu übergeben. Diesen würde ich behalten, zumindest eine kleine Kompensation meiner erlittenen Schrecken. Und ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei… nun wurde es aber wirklich Zeit, dass ich nach Hause zu meiner Verlobung käme!