Tagebuch von Victor Dondoya Lucisresistis Stellamane D'Pelisario von Al'Anfa
Vitae

Vitae Victor Dondoya d’Pelisario

Prolog

Wir schreiben das Jahr 13 Hal (oder auch 1006 nach Bosparans Fall, für die Freunde der internationalen Zeitrechnung). Noch ist Aventurien unwissend ob der Rückkehr des Dämonenmeisters, im Mittelreich wird das 75. Donnersturmrennen ausgetragen, zwischen Nostria und Andergast endet der 15. Krieg, und Trahelien sagt sich trotz Repressalien nach langer Knechtschaft vom Mittelreich los, das nach wie vor unter den Nachwehen des Ogersturms leidet. Al’Anfa, der strahlende Stern des Südens, bereitet sich unter der segensreichen Herrschaft Tar Honak‘s auf neue Eroberungen vor, die 3 Jahre später in den Khomkriegen enden sollten. Das alles sind Ereignisse, die Dere bewegen und deren Einfluss auf die Historiae unbestritten sind. Viel weniger bekannt und bedeutsam, ja regelrecht unwichtig, scheint hingegen eine Geschichte zu sein, die in der Metropole an der Goldenen Bucht ihren Anfang nimmt, uns aber hier von kundiger Hand berichtet zur Erbauung dienen soll…

 

Der Anfang

In diese schöne Zeit wurde, am 13.Tsa unter dem Sternbild der Schlange in Conjugation mit der Seelenwage Rethon zur Boronsstunde, im fast vollen Schein der Mada dem Hause Pelisario (einem der jungen und niederen Häusern des Silberbergs die noch keine Granden im engeren Sinne sind) im Herrenhaus der Plantage „Santa Marbonia“, der kleine Victor Dondoya geboren. Nun sollte der geneigte Leser nicht annehmen, dies wäre ein besonders glücklicher Umstand für den Neugeborenen. Denn leider war seine Mutter nicht die Herrin des Hauses, sondern lediglich eine Moha-Konkubine des Herrn Armando d’Pelisario, der sich gerne und umtriebig den diversen weiblichen Wesen des Haushaltes widmete. Da der Herr selbst zumindest ein Viertel Waldmenschenblut in den Adern hatte, wunderte sich später niemand über das dunkle Äußere des Kindes, welches nur wenig heller als seine reinblütige Mutter war. Natürlich blieb der Herrin Boroniane d’Pelisario der Umstand nicht verborgen, dass eine ihrer jungen und hübschen Zofen (wieder einmal) von Monat zu Monat runder wurde. Und wie schon in der Vergangenheit ließ sie das Kind von dem Mädchen noch austragen, bevor es günstig an einen anderen Haushalt „abgegeben“ wurde. So kam es, dass Victor seine leibliche Mutter nie zu Gesicht bekam. Ja, selbst seinen Namen erhielt er von der Ziehmutter,  und der bedeutet eigentlich nur, dass er der Sieger  über die nicht gerade befreundete Familie der Dondoyas sein sollte. . In welcher Disziplin es zu siegen galt, lag dabei jedoch stark im Auge des Betrachters und verdient hier keiner näheren Betrachtung, bleibt wohl für immer ein Geheimnis der Herrin des Hauses. Daher wuchs das  Kind mit einer fremden, so hellhäutig-andersartigen Mutter und - zu diesem Zeitpunkt -  einer guten Handvoll Halbgeschwister auf, die die Dame des Hauses allesamt unter ihre gluckenhaften Fittiche genommen hatte, weil Tsa ihr selbst bisher den Segen verweigerte und die Kinder außerdem ein veritables Druckmittel gegen ihren Mann waren. Der kleine Viktor indes war von Anfang an ein Liebling seiner Ziehmutter, die in ihm zwar auch immer eine Erinnerung an die Untreue ihres Gatten sah, gleichzeitig aber fasziniert war von seinen strahlend grünen Augen, die sie auf seltsame Weise an ihre eigenen erinnerten. Man darf es ruhig zugeben, auch Victor erwiderte diese Liebe zu seiner Mutter, war sie doch das freundlichste Wesen in seinem jungen Leben, das er kennen lernen durfte, da der Vater sich oft nur wenig für die Früchte seiner Lenden zu interessieren beliebte.

Die frühen Jahre

So wuchs er erst einmal in einem behüteten Umfeld auf, immer im Wechsel zwischen dem Herrenhaus auf dem Lande und der Villa auf dem Silberberg, stets daran erinnert nicht ausschließlich von edlem Geblüt zu sein, und doch immer wieder bevorzugt von der Dame Boroniane, während im Laufe der Jahre noch das ein oder andere „Geschwisterchen“ dazu kam. Sich dieser Bevorzugung durchaus bewusst, entwickelte er schon in frühen Jahren einen gewissen Hang zur Arroganz gegenüber seinen Geschwistern, welche allerdings auch immer wieder einmal in einer ordentlichen Abreibung endete -  was wiederum Victor mehr und mehr in, wir geben es hier zu, unbegründeten, Rachegelüste und Vergeltungsgedanken trieb. Bei deren Umsetzung war er auch durchaus kreativ, nie jedoch ließ er sich dazu herab, einfach bei Donna Boroniane zu petzen. Das, wie es schien, war ihm von Anfang an zu profan.

Mit dem Alter wurde mehr und mehr deutlich, dass er seinen Geschwistern körperlich unterlegen war. Ja selbst die meisten seiner Schwestern waren kräftiger als er, was diese auch immer wieder zu ihrem Vorteil nutzten um den zierlichen Buben unter Kontrolle zu halten. Sein Geist war dafür umso reger, wissbegierig und erfinderisch wie kein zweiter im Hause. Schnell begriff er die Inhalte der eintönigen Lehrstunden, nahm alles in sich auf was ihm angeboten wurde. So wäre er wohl Schreiber, Sekretarius oder Buchhalter für seinen Vater geworden, hätte nicht die Herrin Hesinde am Tage seiner Geburt schon ihren Kelch über das Bübchen verschüttet. Dieser Umstand manifestierte sich nun nach und nach jedoch. Nicht auf wohlwollende Art, nein, sondern immer dann, wenn Victor getrieben von Gedanken des Zorns und der Rache war. Da verstauchte sich einmal sein Bruder die Hand beim Verprügeln des Kleinen, als dessen Haut plötzlich eisenhart zu werden schien, ein andermal überfiel seine Schwester ein stechender Schmerz im Kopf wie von schlimmster Migräne nachdem sie ihm gesagt hatte was er zu tun und lassen hätte oder es zersprang einem anderen aus dem Nichts die Schüssel mit der heißen Suppe in der Hand, so dass er sich verbrühte. Es verging einige Zeit, bis diese Umstände des Erwachsenen besonders auffielen. Nur die Geschwister tuschelten hinter vorgehaltener Hand über ihren seltsamen Bruder, wagten aber nicht zu Vater oder Ziehmutter zu gehen aus Angst davor, den Liebling der Mutter zu verunglimpfen. Vielleicht wäre es noch zu schlimmeren Unfällen gekommen, hätte nicht die Hesindegeweihte Drakanie, welche im Hause Pelisario das Unterrichten übernahm, eines Tages Wind von der Sache bekommen. So jedoch, gerade als einer seiner Schwestern das Tintenfass während der Schreibübungen zersprang und seinen Inhalt über das wertvolle Papier ergoss, meinte die gebildete Dame einen Hauch von Magie zu spüren. Sie  verfolgte diesen, und erkannte in Victor eine noch rudimentär vorhandene Begabung. Nun begann auch der Vater sich mehr für sein Kind zu interessieren. Nicht aus Liebe, aber immerhin die Gelegenheit witternd, Nutzen aus den Fähigkeiten seines Sohnes zu ziehen. So ließ er das Kind - nach einiger Überlegung ob es das Gold den Wert sei (und das ist wohl einer der wesentlichen Züge die Victor wie er später merkte mit seinem Vater gemein hatte) - an der Akademie zu Al’Anfa zur Examinatio vorstellen, mit der Intention, in einigen Jahren über einen eigenen Leibmagier in der Familie zu verfügen, der seine Loyalität und Dankbarkeit ganz dem Vater widmen könne.

 

Von der Lehrzeit

Die Magister prüften, prüften und prüften den Knaben, bis sie zu dem Schluss kamen, seine Begabung sei ausreichend. Ja nicht nur ausreichend, sie sahen sogar ein hohes Potential in ihm, das es zu fördern galt. Und so wurde Victor an der Akademia zu Al’Anfa als Scholar aufgenommen um in die magischen Künste unterwiesen zu werden. Schwer fiel es der Ziehmutter, ihren Kleinen gehen zu lassen, aber die Götter hatten wohl ein Erbarmen mit der Dame Boronia, um ihr die Jahre, die sie dem Kind durchaus so etwas wie Liebe hatte zukommen lassen zu vergelten, und schenkten ihr noch im Jahre 21 Hal selbst ein gesundes Töchterchen (von dem sich aber kaum jemand sicher ist, ob der Herr Armando selbst der Vater sei oder nicht).

In den folgenden Jahren bestand die Welt für Victor aus kaum mehr, als dem Dienst in der Lehranstalt und täglichen Studien. Rar gesät waren die Stunden, die er noch im Hause seiner Kindheit verbringen konnte, meist nur zu den Rohals- und den seltenen Feiertagen der Stadt Al’Anfa und auch das nur, wenn seine Ziehmutter in der Stadt und nicht auf der Plantage weilte. Doch diese Zeit genoss er dafür umso mehr. Genau wie seine Ziehmutter vergötterte er seine neue Halbschwester Liliana regelrecht und baute, wie die Jahre vergingen, eine innige Beziehung zu dem kleinen, lebensfrohen Mädchen auf. Worin genau diese Liebe zu seiner Schwester begründet war, vermochte er dabei selbst nicht zu sagen, hatte er doch eigentlich genügend andere Geschwister. Aber die Tatsache, dass die beiden hervorragend miteinander auskamen, konnte niemand bestreiten. Und war er dem Vater auch nur verpflichtet vom Blute und der gezahlten Ausbildung her, der Mutter herzlich dankbar für die entgegengebrachte Liebe und Zuneigung, so schwor er Stein und Bein, dass er niemals etwas auf sein Schwesterchen kommen und jeglichen Schaden von ihr abhalten würde, sollte es auch sein Leben kosten.

In der Akademie dagegen zeigte sich schnell, dass ihm besonders die späten Stunden zum Studieren nur bedingt zusagten. Zwar war sein Schlaf wie es schien erholsamer als der seiner Mitstudiosi, im Gegenzug aber hatte er ein ernstes Problem in der Dunkelheit, versagten doch seine Augen regelmäßig den Dienst, sobald es finster wurde. Und während sich die anderen gerne einmal hinausschlichen um des Nächtens einen Streich zu spielen oder ihre Zeit anderweitig zu nutzen, blieb Victor oft auf seiner Kammer, weil ihm nur im hellen Schein einer Laterne der Sturz über das nächstgelegene Objekt erspart blieb. Die natürliche Wissbegier eines Magus war Teil seines Wesens, aber das schien auch schon das Einzige zu sein, was er mit vielen anderen Studiosi teilte. Vielmehr war er auch hier ein Außenseiter, gemieden von den Scholaren aus besserem Hause. Denn Sonderwünsche, die natürlich extra zu bezahlen gewesen wären, gestand ihm sein Vater nicht zu. So kam es, das Victor im Gegensatz zu manchem seiner reicheren Mitstudenten nie in den Genuss eines Einzelzimmers kam sondern bis zum Ende seiner Studienjahre den Schlafsaal mit 25 anderen Teilen durfte. Und auch die Vergünstigung der Vorabkorrektur mancher abzugebender Arbeit, die der ein oder andere Magister gegen zusätzliches Salär anbot um die Bewertung zu heben konnte Victor nie in Anspruch nehmen. Und in den späteren Jahren war an die gelegentlichen Dienste einer Lustsklavin natürlich genauso wenig zu denken – wobei dies auch nicht unbedingt nötig war, ging es doch im gemischten Schlafsaal mitunter recht frivol und freizügig unter den pubertierenden Jungmagiern zu und die ein oder andere Magistra war durchaus bereit sich ihre Sonderleistungen von einem gutaussehenden Scholaren wie Victor „in naturalia“ begleichen zu lassen. Victor nahm diese Möglichkeit jedoch nur in höchster Not wahr, wenn zum Beispiel sein Fortkommen im Lehrplan nur mit einem zusätzlichen Tutorium sicher zu stellen war. Lieber leistete er seine Dienste in der Bibliothek als Scriptor und Kopist um die zusätzlichen Anforderungen der Magister zu erfüllen, die oft sogar ein Materialgeld für Papyrus, Tusche und Feder in ihren Unterrichten verlangten. In den Augen der meisten anderen Adepti war er einfach ein armer Schlucker und Bastard und bekam das von ihnen zu spüren, auch wenn sein Leben für die Fana wohl immer noch als luxuriös gegolten hätte.

So fand er nur wenige Freunde an der Akademie, waren sein herrisches, arrogantes Wesen und seine nachtragende Art doch nicht immer dazu geneigt, ihn beliebter zu machen. Und auch wenn es in Al’Anfa weder ungewöhnlich noch selten ist, dass einer der oberen einen Hauch Waldmenschenblut in den Adern trägt, so kam Victor sein fast mohisch anmutendes Äußeres nicht gerade zugute. Oft wurde er von reinblütigeren anderen Adepten gehänselt und geärgert, was wiederum die kalte, rachsüchtige Wut in ihm hochkommen lies und die Spirale der Abneigung nur weiter trieb. Im Unterschied zu früher wurden die gegenseitigen Streiche und Abreibungen jedoch nicht nur körperlich, sondern bevorzugt arkan ausgetragen, auch wenn dies offiziell verboten war. Lehrreich hingegen waren diese unfreiwilligen Übungen auf jeden Fall, gab es doch kaum eine bessere Lektion als sich ohne erwischt zu werden gegenseitig mit einem Blitz oder Fulminictus zu traktieren, oder sich dagegen mittels Gardianum zur Wehr zu setzen – oder anschließend selbst mittels Balsam wieder zu erholen. So ging es einige Zeit, bis die Adepten begannen, sich zu jungen Erwachsenen zu entwickeln. Und während er bei der ein oder anderen Studiosa (die er im Übrigen auch gerne mittels Penetritzel durch die Wand des Waschraums beobachtete) auf Grund seines gutes Aussehens und seiner, wenn er es wollte, auch vorhandenen netten Art immer wieder Anbandelungsversuchen führte, nahmen ihm seine männlichen Mitstudenten das eher übel und ließen ihn dann ihr Missfallen deutlich spüren.

Eine besondere Verehrung brachte Victor einem sowohl körperlich als auch geistig herausragenden Lehrmeister entgegen, auch wenn jener ob seiner Vergangenheit selbst in Al’Anfa nicht unumstritten war. Magus Gaius Cordovan Eslam Galotta, der seit dem Jahre 1015 BF und damit quasi genau der Einschulung Victors dort Unterichtete, machte wenig Getue um Stand und Herkunft, Maß seine Schüler dagegen mehr an Eifer und Talent. Das wiederum spornte Victor zu höheren Leistungen an und lies den kleinen Magister mit dem rötlich eingefärbten Schädel in seinen Augen zu einer wahren Größe werden, ein Vorbild, dem es nachzueifern galt. Zwar wusste Victor wenig über die Hintergründe, warum dieser Meister gerade in Al’Anfa unterwies, aber an sich war es ihm auch herzlich gleichgültig und so gab er sich in den Stunden des G.C.E.G. stets besondere Mühe. Das blieb dem aufmerksamen Magier natürlich nicht verborgen und so war der junge Victor einer der wenigen erwählten, die von Meister Galotta in der Kunst der Invocatio Minor unterwiesen wurden, für die die Universität unter anderem die sogenannte „Feuerkammer“  eingerichtet hatte. Schwer kam es Victor an, als der verehrte Magister einige Jahre später die Fakultät verlies um erneut eigene Wege zu gehen, und Victor sann oft darüber nach, ob er nicht dem so erfahrenen und klugen Meister folgen sollte, verschob diesen Plan jedoch auf irgendwann nach dem Ende seiner Studienzeit.

Ebenfalls in dieser Zeit stärkte sich in ihm die Überzeugung, dass es stets die zu geben habe, die Führen und die Folgen. Insbesondere starke Persönlichkeiten wie Meister Galotta (und so die Götter wollten auch einmal er selbst) seien dazu berufen, die Geschicke Deres zu lenken. Ja mehr noch, eigentlich wären die Menschen doch besser aufgehoben in einem System, das den findigen und weisen Magiern (und vielleicht auch noch Priestern) die Herrschaft zubilligt. Dass er sich damit unwissender weise selbst eine krude Version der dunklen Theorien der Magokrathie, wie sie z.B. auch große Meister wie Puschinske lehrten, zurechtzimmerte, war ihm jedoch nicht bewusst. Doch prägten die Gedanken von einer Führerschaft der Wissenden fortan oft seine Fantasien – ein späterer Disput darüber in einer seiner Abschlussklassen war allerdings wenig fruchtbar und brachte ihm lediglich eine gerade noch ausreichende Bewertung ein (die insbesondere von anwesenden Vertretern des Patriziates forciert wurde).

Die Wenden in seinem Schicksal, zum Guten wie zum Schlechten, ereigneten sich in den letzten Lehrjahren. Die eine Wendung geschah, während er sich auf seine Abschlussprüfungen vorbereitete. Denn es zeigte sich während der Dissertation zum Abschluss, dass er ein Gespür für die Magie des Dinglichen hatte, was in Al’Anfa eher selten der Fall ist. So nahm ihn die berühmte  Magistra Methelessa ya Comari, die üblicherweise eher wenig Zulauf fand, unter ihre Fittiche um ihm die Magie der Artefakte zu zeigen, und lockte Victor mit der Aussicht auf eine goldreiche Zukunft (was bei dem jungen Mann nun mehr und mehr ein Anreiz war, hatte er doch kein Erbe zu erwarten, dafür aber einen Berg Schulden die gerade begannen ihm bewusst zu werden). So war diese Abschlussarbeit, die theoretische Thesis für ein Artefakt das er Abvenenischer Becher nannte, welches in Kunchom wohl  belächelt worden wäre, in einer giftreichen Stadt wie Al’Anfa aber großen Anklang fand, der beste Teil seiner Prüfung. In der Alchymia hingegen kam es während der Prüfungsvorbereitung unter Aufsicht von Magister Hilperikon zu einem unglücklichen Unfall, bei dem eine auf heißen Stein verschüttete Brabaker Vitriolsäure verpuffte. Victor atmete die ätzende Wolke  unversehens ein und konnte nur mittels schnellen Eingreifens seines Lehrers unter Einsatz mehrerer Balsam-Zauber gerettet werden. Dauerhaft blieb ihm aber eine Taubheit auf Gaumen, Zunge und in der Nase, die seinen Geschmackssinn nachhaltig verschlechterte.

Wie es die Tradition und der Kodex Albyricus fordern, vollzog Victor, obwohl noch gesundheitlich angeschlagen, als Teil seiner Abschlussprüfung die Stabweihe. Auch hier wurde ihm wieder schmerzhaft bewusst, wie sehr doch Gold nötig wäre, um mit seinen Kommilitonen mitzuhalten – und bestärkte damit nur seine wachsende Fixiertet auf monetäre Anreize. Während die meisten anderen bei den Handwerkern der Stadt kunstvoll verzierte Stäbe in Auftrag gaben, musste Victor sich mit dem Begnügen, was er sich selbst besorgen konnte. Diese Aufgabe erfüllte er jedoch gewohnt kreativ, indem er bei einem der Aufenthalte aus Santa Marbonia im letzten Studienjahr einen der älteren Sklaven aufsuchte. Im Gegenzug für das Versprechen (das er auch hielt), bei seinem Vater für die Genehmigung zur Heirat seiner Tochter zu sorgen, führte dieser ihn in den Dschungel. Zwar dauerte es einige Zeit, aber am Ende hielt Victor tatsächlich einen rötlich geäderten, geraden und schmucklosen Stecken aus Zedernholz in seinen ehrfürchtigen Händen. In diesen schnitzte er, von einem anderen Sklaven angeleitet, noch einige wenige Muster und Verzierungen. So verfügte er am Ende über einen zwar nicht besonders repräsentativen, dafür aber vollständig von ihm selbst gefertigten und dazu noch kostengünstigen geeigneten Stecken. Die Stabweihe selbst ging ihm dann, dank seiner bereits vorhandenen theoretischen Kenntnisse des Arcanovi, wiederum recht einfach von der Hand, ja übertraf er bei diesem Teil der Prüfung bis auf eine sogar alle anderen Absolventen seines Jahrgangs.

Seinen Abschluss erhielt er denn auch, nicht glorios, aber als guter Schüler (zumindest im arkanen Bereich) im Alter von 17 Götterläufen um danach in den Dienst seines Gönners und Vaters entlassen zu werden. Sein Gildensiegel, auf das er wahrlich stolz ist, trägt er seit dem wie es die Tradition fordert in der Handfläche. Auch seine übrige Kleidung entspricht stets der Al’Anfaner Auslegung des Kodex Albyricus. So sind seine liebsten Gewänder auch eine tiefblaue oder schwarzgraue Robe und die roten Irianlederstiefel, die er zum Abschluss erhielt.

Nach dem Studium

Die folgende Zeit verbrachte er wieder im Hause seines Vaters, jetzt den Dienst als Leibmagier aufnehmend und wieder Kontakt zu seinen Geschwistern findend, die selber mittlerweile oft schon den verschiedensten Arbeiten nachgingen. Als er sich einmal die Mühe machte nachzurechnen kam Victor auf die erstaunliche Zahl von 13 Halbbrüdern- und Schwestern (und das waren nur diejenigen, von denen er wusste!). Aus diesem Grunde konnte Victor sich nun rühmen, vom Gladiator und Aufseher über Seeleute, Schreiber und Beschützer bis hin zum Apothekarius ein breites Repertoire an Berufen in der Familie zu wissen. Außerdem war sein Vater der Meinung, als Beschützer seiner wertvollen Person solle Victor doch zumindest ein rudimentäres Waffenhandwerk erlernen. Es stellte sich aber auch hier schnell heraus, das für diesen Bereich des weltlichen Arbeitens bei Victor nur wenig Begeisterung zu finden war. Die Übungsstunden mit Stock und Dolch zogen regelmäßig schmerzhafte blaue Flecke nach sich zogen, und er war im Umgang mit jeglichem Gerät, das auf mehr als zwei Schritt zu treffen in der Lage ist ein absoluter Tölpel. Ja, er schaffte es selbst den einfachsten Wurfdolch  immer wieder statt vor sich in die Zielscheibe, in der Tür hinter sich zu versenken. Genau wie in den Unterrichtstunden im Stabfechten an der Akademie schien Victor hier völlig zu versagen, so wie er auch die praktische Prüfung auf diesem Gebiet mit „gerade noch ausreichend“ mehr durch Glück als können bestanden hatte, da sein Gegner so freundlich war sich selbst niederzuschlagen und damit der einzige war, der noch unfähiger als Victor selbst erschien. Als auch sein Vater die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens einsah, wurden die Stunden nach 3 Wochen abgebrochen. Ohnehin könne die Funktion als Leibwächter sein Bruder Gerondan viel besser und stattlicher ausfüllen…

Nützlich für die Familie erwies sich Victors Ausbildung jedoch immer wieder. Ins besonders, als seine geliebte Halbschwester Liliana an einem sonnigen Nachmittag auf den Stufen des Herrenhauses der Plantage von einer bösartigen Mysobviper gebissen wurde. Groß war der Tumult und das weinende Mädchen schrie wie von Sinnen. Doch Peraine hatte ein Einsehen und Victor war zu Stelle um seiner Schwester beizustehen. Sich aufs höchste konzentrierend und all sein Wissen über das widerwärtige Reptil im Geiste zusammen suchend, sprach er den Klarum Purum, eine der Kernformeln seiner Ausbildung. Und die Götter seien gepriesen, der Spruch ging ihm wie er ihn erlernt hatte von der Hand und rettete sein Schwesterchen. Auch der anschließende Balsamsalabunde, den er kompetent sprach um seiner angeschlagenen Schwester zu helfen gelang, obwohl ihn da bereits sein streng blickender Vater beobachtete. Kaum der Erwähnung wert, dass er nun für die Kleine nicht nur mehr der geliebte große Bruder, sondern auch noch ihr persönlicher Held war. Zum Dank erhielt er von ihr in der Woche danach ein kunstfertiges Medaillon an einer Silberkette, in dem sich ein wunderschön gezeichnetes Bild seiner geliebten Schwester und eine Locke ihres rotbraunen Haares befanden. Und auch im Ansehen seines Vaters stieg Victor durch diese Tat in nicht unbeträchtlichem Maße, hatten sich seine Investitionen damit doch schon ein erstes Mal mehr als bezahlt gemacht.

Schicksalhaft für Victor waren nach seinem 18. Tsatag nur noch zwei weitere Dinge. Zum einen verliebte er sich, wie er selbst glaubte unsterblich, in eine andere Maga. Diese lernte er während eines Festes, welches sein Ziehmutter anlässlich der Geburt ihres 2. Kindes ausrichtete, kennen. Die Adepta Major Junicera, Abgängerin der Dunklen Halle zu Brabak, war als Kindheitsfreundin seiner Ziehmutter geladen, fand aber kaum Anschluss an das feierwütige Al’Anfaner Grandenvolk, dem sie sich in den langen Jahren in Brabak entfremdet hatte. Zu dunkel ihre Aura, zu bleich ihr Teint, zu wenig fröhlich ihr auftreten. Victor, der sich als Leibwächter seines Vaters ebenfalls auf dem Fest befand, war sofort fasziniert von der sicherlich 20 Götterläufe älteren, geheimnisvollen Frau. Sie kamen ins Gespräch und begannen zu debattieren - sie mit der Erfahrung eines Lebens als Magierin, er mit dem Eifer und der Neugier der Jugend – und es herrschte schnell eine Gewisse Sympathie zwischen ihnen, die beide so anders waren als der Rest der Anwesenden. Von ihr hörte Victor zum zweiten Mal ernsthaft von der dunklen Spielart des Arkanen, der Beschwörung. Anders als die meisten Magister vor Ort  - außer dem verehrten Galotta - legte Junicera die jenseitigen Kräfte mitnichten als rein Böses und pure Zerstörung aus, eher als unwilliges Werkzeug, das es zu nutzen galt. Und wenn eine so kluge und gutaussehende Dame diese Meinung vertrat, wer war er da zu widersprechen? Nicht nur das die Zeit wie im Fluge verging bis das Fest endete, auch danach kamen die beiden sich in der Gästekammer noch näher, und Victor war der reiferen Frau mit Haut und Haar verfallen. Offensichtlich waren die Brabaker Zauberer nicht, wie es seine Lehrmeister immer zu sagen pflegten, alle ein Haufen stinkender Leichenschänder, ganz im Gegenteil! Sie hingegen war angetan von dem hübschen Bürschchen, das ihr so bereitwillig folgte, und beschloss es auf einen Versuch ankommen zu lassen. In den folgenden Monaten war Junicera immer wieder Gast im Hause Pelisario und wann immer es die Zeit zu lies unterwies sie Victor in der Kunst der Beschwörung. Schnell fand sie heraus, das in dem jungen Mann eine Begabung und Affinität zu den Mächten des Chaos wohnte, die auch einem Brabaker Absolventen gut zu Gesicht gestanden hätten – eigentlich, war sie der Meinung,  wäre der Junge wohl dort besser als in Al’Anfa aufgehoben gewesen. Insbesondere Blakharaz, der Herr der Rache, schien ihn mehr und mehr zu faszinieren. Wissbegierig saugte Victor alles auf, was die Dame ihm beibringen konnte und wollte, strengte sich an um ihr zu gefallen und wurde schnell besser bei dem was er tat – schulisch wie auch im Rahjadienst, dem sie immer wieder huldigten. Doch verborgen bleibt vor den Augen der Götter das Wenigste, und das galt auch in diesem Falle. Und wie man sich wohl denken kann fand es in den Augen der Zwölfe kein Wohlgefallen. So war es vielleicht der Ratschluss der Herrin Hesinde selbst, die befand, dass Rahjabündniss der beiden müsse gelöst werden um den jungen Mann nicht noch weiter in Versuchung zu führen. Einer Eingebung seines Vaters folgend, sollte Victor den gestrengen Herrn auf einer Reise gen Selem begleiten um dort das Familienvermögen weiter zu mehren. Victor schien schier das Herz zu brechen, ja er überlegte sogar, seinem Vater davon zu laufen um mit seiner Geliebten zusammen sein zu können. Als die Dame Junicera die Nachricht hörte, war sie erst ebenfalls ein wenig bekümmert, erkannte dann aber eine ungeheure Möglichkeit für sich selbst. Sie bat ihren mehr als willigen Geliebten, als Dank für alles was sie ihm beigebracht hatte, aus der Bibliothek zu Selem das alte echsische Manuskript „H’Rast’s Dunkler Vorhang“ für sie zu holen. Wie, das sei ihm selbst überlassen, nach getaner Tat würde sie ihn wieder mit offenen Armen empfangen. Trunken vor Verliebtheit und dankbar wie er war willigte Victor ein - und so trennten sich ihre Wege fürs Erste.

 

 

 

An fremden Gestaden

Mit seinem Vater auf einer Bireme nach Selem fahrend, kreisten seine Gedanken ständig um Junicera, schwer war sein verlangen und traurig sein Gemüt, was selbst seinem ansonsten eher gleichgültigen Vater auffiel. In Selem vergingen etliche Tage, die sein Vater nutzte alte Geschäftskontakte neu zu pflegen und in denen Victor als Wächter kaum einmal von seiner Seite weichen konnte. Schließlich kam ein Tag, an dem der Vater zu einem privaten Treffen mit „einer alten Freundin“ ging, als er das erste Mal Zeit für sich fand. Diese nutzte er umgehend, um die Bibliothek von Selem, ein altes, verfallenes aber riesiges Ding, aufzusuchen. Jung und naiv wie er war, hielt er wenig von großen Plänen. Sich durch die alten Schriften suchend, fand er nach einiger Zeit das Manuskript, oder glaubte zumindest das Richtige in Händen zu halten, denn lesen konnte er es nicht. Auf seine Frage beim Bibliothekar, was der Erwerb des guten Stückes kosten würde, lachte der Alte nur heißer zischend, verneinte aber die Möglichkeit. Was also blieb Victor übrig, als es zu entwenden um seiner Dame zu gefallen? Er tat so, als würde er die Schrift wieder zurücklegen, verbarg sie jedoch geschickt unter seiner Robe. Nun ist die Bibliothek von Selem zwar alt und baufällig, aber nicht ungeschützt. Einer der geisterhaften Wächter, die umgehende Seele eines ehemaligen Bibliothekars, entdeckte die Tat als der Junge den Hort des Wissens gerade verlassen wollte, schrie Zeter und Mordio und rief einen der weniger geister – aber dafür sehr wehrhaften Aufpasser herbei, der Victor strafen sollte. Dieser wusste sich kaum zu helfen, wehrte sich erst mit Händen und Füßen, was wie immer nicht recht gelang, geriet mit jedem Schlag den er einsteckte in stärkeren Zorn und streckte schlussendlich den Wächter mit mehreren hervorgepressten Fulminicti nieder. Erschrocken über den ersten Menschen den er mit eigenen Händen (oder vielmerh eigenen Kräften) getötet hatte, floh er wie von Sinnen vom Ort des Geschehens, nicht bemerkend, dass er bei der Rauferei das Manuskript verloren hatte. Bald schwärmten Wächter aus, und er fühlte sich gehetzt wie ein gejagtes Tier. So hinterließ er seinem Vater nur eine kurze Nachricht, mit dem Versprechen eines Tages zu ihm zurück zu kehren, aber jetzt müsse er erst einmal fliehen um sich vor den Schergen Selems in Sicherheit zu bringen.

 

An diesem Tag betrat Victor das erste Mal selbstständig, unwissend, neugierig und ohne festes Ziel die Straßen Aventuriens, denn auch zu seiner geliebten Junicera konnter er ja nicht mit leeren Händen zurück kehren. Nur Aves selbst wird wohl wissen, wohin ihn jetzt sein Weg führen mag.

Out-Game Beitrag
Abenteuer: Das Vorleben
Dieser Eintrag wurde am 2.11.2015 (16:16) verfasst und 760 mal aufgerufen.
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